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Florenz: Stadtwelt - Weltstadt

Urbanes Leben von 1200 bis 1500

AutorBarbara Beuys
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl340 Seiten
ISBN9783688103140
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Stadt der Medici ist allbekannt. Aber was war vorher? Wie in einem Laboratorium der Moderne begann vor über 700 Jahren in Florenz jener Prozeß der Urbanisierung, jene bürgerliche Kultur, die dem Westen seine zivilisatorische Gestalt gab und heute das Gesicht unserer Welt prägt. Die Historikerin Barbara Beuys entwirft ein Panorama der dramatischen Geschehnisse und geistigen Auseinandersetzungen im republikanischen Florenz vom Mittelalter bis zur Renaissance. Hier haben wir erzählte Geschichte, wie nur Barbara Beuys sie zu erzählen versteht: faktenreich, voll neuer Perspektiven und überraschender Fragestellungen, mit einer Vorliebe für die vernachlässigten Seiten des Lebens, mit Herz und auch mit Humor.

Barbara Beuys, Jahrgang 1943, promovierte Historikerin und Journalistin; arbeitete als Redakteurin beim «Stern», bei «Merian», bei der «Zeit».Veröffentlichungen u.a.: «Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der deutschen Vergangenheit», «Und wenn die Welt voll Teufel wär. Luthers Glaube und seine Erben», «Eltern behinderter Kinder lernen neu leben», «Vergeßt uns nicht. Menschen im Widerstand 1933-1945», «Florenz: Stadtwelt - Weltstadt. Urbanes Leben von 1200 bis 1500» und «Heimat und Hölle. Jüdisches Leben in Europa durch zwei Jahrtausende».

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Leseprobe

Die Geburt der freien Kommune oder Gegen Kaiser und Papst


«Viva il popolo!» Die engen Straßenschluchten ließen den Ruf widerhallen. Keinem konnte er entgehen. «Viva il popolo!» Immer mehr riefen es sich zu. Der Zug der Menschen schwoll an, jeder gab die Neuigkeit an seine Nachbarn weiter: Wenige Kilometer vor der Stadt waren die Anhänger des Kaisers in erbitterter Schlacht geschlagen worden. Es lebe das Volk! Die Bürger hatten ihn satt, den Kampf zwischen dem Papst und jenem Kaiser aus schwäbischem Geschlecht, dem Staufer Friedrich II., nach der Rechtslage Herr der Stadt. Ein halbes Jahrhundert schon ging dieses Ringen um die Herrschaft über die Welt und die Seelen, für das die Untertanen mit Tod und Zerstörung, Hunger und Armut zahlen mußten. Den Betroffenen bedeutete das Datum der Schlacht nichts, in den Geschichtsbüchern schreibt man 1250.

Florenz war eine Stadt im Bürgerkrieg. Die Mauern und Tore schützten eine Gemeinde, deren Zerstörung im Inneren unübersehbar war. Ganze Häuserblocks und mächtige Wohntürme lagen in Trümmern. Berge von Schutt blockierten die Straßen, Schweine wühlten in verkohlten Resten, die Menschen hatten Mühe, sich ihren Weg zu bahnen. Wer hatte der Stadt solche Zerstörung angetan? Es waren wenige, einflußreiche Familien, die vor allem in den letzten zehn Jahren gegeneinander gewütet hatten, weil sie auf verschiedenen Seiten der Barrikaden standen – hier für den Papst, dort für den deutschen Kaiser. Wurde das Morden zu toll, demonstrierten sie durch Heiratspakte und öffentliche Friedensküsse Versöhnung, um schon beim Festmahl von neuem übereinander herzufallen. Aus steinernen Wohntürmen gossen die Männer Pech und Schwefel auf die Straßen; zu Pferd und Mann gegen Mann bekämpften die Gegner sich in klirrender Rüstung von Häuserblock zu Häuserblock und hatten keine Scheu, selbst auf dem alten Friedhof neben dem Dom sich letzte Gefechte zu liefern.

Die Mehrheit der Florentiner hielt die Türen verrammelt, suchte verzweifelt, nicht hineingezogen zu werden in die Händel der Herrschenden. Und wenn eben möglich, mied man die Stadtviertel – die in dieser Epoche «Sechstel», sestiere, waren –, in denen gerade die ärgsten Kämpfe tobten. Die Schlachtordnung in Florenz wie in ganz Italien teilte die Gegner in zwei feindliche Lager: Guelfen und Ghibellinen. Traditionsbeladene Schlagworte, hinter denen sich mannigfache Motive und Interessen verbargen. Guelfen nannten sich jene, die die Partei des Papstes ergriffen, und Ghibellinen jene, die im Dienst des Kaisers handelten. Dabei waren es nicht einzelne, die für diese oder jene Sache standen und starben, sondern ganze Familien und ihr Anhang. Um im groben Raster zu bleiben: Die Ghibellinen fanden sich vor allem unter den aristokratischen Geschlechtern, die zum Teil aus der Toskana in die Stadt gezogen waren. Die Guelfen vertraten das städtische Großbürgertum, Richter und Notare, aufstrebende Kaufleute und Händler und die geistliche Gemeinde. Diese Elite bildete nach eigenem Verständnis – und dem der Zeitgenossen – il popolo, das Volk von Florenz. Die große Mehrheit der Florentiner, die Arbeiter, Tagelöhner und Handwerker, zählte nicht dazu. Sie alle waren nach mittelalterlichem Recht keine vollwertigen Bürger, egal, ob Frauen oder Männer.

Jetzt, im September 1250, wollte dieses Volk, die tonangebende bürgerliche Schicht der Stadt, kein stummer und verschüchterter Zeuge mehr sein. Die Gelegenheit schien günstig, die alten Parteiungen aus der Stadt zu bannen, den geschlagenen kaisertreuen Ghibellinen die Tore zu verschließen und der Kommune eine neue, unabhängige, republikanische Ordnung zu geben.

Viva il popolo! Vertrauensmänner versammelten sich in San Firenze, draußen vor der Kirche standen Bürger in Waffen, um ihre Vertreter zu schützen. Trotzdem schien es bald ratsam, den Versammlungsort zu wechseln, zu nahe war man den Häuserblocks der adligen Streithähne. So zogen sie hinaus vor die Stadtmauern nach Santa Croce, in die kleine Kirche der Franziskaner. Die Bettelmönche öffneten bereitwillig ihre Tore, denn sie waren als treue Söhne der römischen Kirche nicht nur Feinde des verhaßten Kaisers. Vor allem standen die Jünger des Franz von Assisi mitten im Leben der Kommune, hatten sich nicht zurückgezogen wie die etablierten Orden. Die junge Gemeinschaft der Franziskaner, erst seit knapp dreißig Jahren in den Städten Oberitaliens zu Hause, schickte ihre Jünger in den braunen Kutten zum Predigen auf die Plätze und Straßen. Die Bettelmönche nahmen Anteil an den Sorgen aller Bewohner, trieben erstmals eine ernsthafte Seelsorge, während der traditionelle Klerus nur auf seine Pfründe bedacht war. Die Mönche hatten auch keine Hemmungen, sich handgreiflich in das Getümmel der Straßenschlachten zu stürzen und so die Sache der Guelfen zu verstärken. Und seit jeher waren die Kirchen von Florenz Foren der Öffentlichkeit, geheiligte Räume, in denen man sich in Zeiten der Not versammelte und heftig die unterschiedlichen Meinungen austauschte.

Diesmal ging es erstaunlich einmütig zu. Schon Ende Oktober 1250 wurde die neue Verfassung von Florenz verkündet: il primo popolo wird man diese frühen republikanischen Jahre nennen, «das erste Volk». Der Kaiser, bisher immer noch offizielles Stadtoberhaupt, verlor endgültig alle Rechte am Arno. Das Volk hatte nun alle Gewalt. Allerdings: Am Arno entwickelte sich keine Republik gemäß dem Demokratie-Verständnis des 20. Jahrhunderts. Es herrschte in dieser ersten Republik von Florenz nur eine Minderheit, jene oberste soziale Schicht, die sich kraft Herkommen, Reichtum und Ellenbogen an die Spitze der Gesellschaft gesetzt hatte. Aber sie war zu zwei Dingen entschlossen: diese Position freiwillig nicht mehr abzugeben und Frieden in der Stadt zu halten. Eine Miliz wurde gebildet, in der jeder Florentiner im Alter von 15 bis 70 Jahren dienen mußte. Sie wurde organisiert in zwanzig gonfaloni, Genossenschaften oder Nachbarschaftsverbänden, die seit Urzeiten den sozialen Kern von Florenz bildeten. In den Nachbarschaften kannte jeder jeden – mit seinen Stärken und seinen Schwächen. Diese Miliz sollte die Bürger vor der Willkür der Mächtigen schützen, neue Kämpfe nach dem alten Muster im Keim ersticken und die Stadt gegen Angriffe von außen verteidigen.

Wenn die Glocke der Kirche im sestiere auf die verabredete Weise schlug, erschien ein jeder Mann mit Schild, Helm und Waffe bei seinem Nachbarschaftsverband, durch ein gemeinsames phantasievolles Abzeichen deutlich gekennzeichnet. Da gab es den grünen Drachen im roten Feld, die weiße Leiter auf schwarzem Grund, eine grüne Schlange auf gelbem, ein springendes Pferd auf grünem Feld. An der Spitze aller Verbände stand nach der neuen Verfassung der Capitano del Popolo, der immer von auswärts kam, um nicht durch familiäre Bande innerhalb der Stadt verführbar und erpreßbar zu sein. Er hatte im Machtspiel der Kommune die Aufgabe, die Einhaltung der Verfassung und die neuen Rechte der Bürger zu gewährleisten, und führte, wenn nötig, das Volk von Florenz in den Krieg.

Ebenfalls von außerhalb kam der Podestà, seit Jahren schon eine beliebte Institution der Kommunen Norditaliens, um den inneren Frieden zu wahren. Er war – neben dem Capitano – der oberste Beamte der Stadt und repräsentierte sie. Er sprach Recht, lebte in einem eigens gemieteten Haus, um von keiner Partei vereinnahmt zu werden, brachte seine eigenen Diener und Notare mit. Als Zeichen seines Amtes trug der Podestà eine rote Samtkappe und ein langes Gewand aus kostbarem Brokat.

Als feste städtische Institutionen gab es die Räte, außerdem größere und kleinere Versammlungen. Die eigentliche Regierungsgewalt im Primo Popolo von 1250 aber lag bei den zwölf anziani, den Ältesten, die alle zwei Monate neu gewählt wurden. Auch sie mußten sichtbar Abstand von der Menge und den Mächtigen halten: Sie wohnten alle zusammen im Stadthaus und durften nur gemeinsam ihren Amtssitz verlassen. Die Anzianen bildeten das beschlußfassende Organ der Stadt. Ohne sie lief nichts in diesen Jahren. Die Ältesten entschieden über jede Ausgabe, jedes Bündnis, jeden Heereszug. Jedes Gerichtsurteil konnten sie nach Belieben mildern oder verschärfen. Von diesem entscheidenden Machtzentrum waren die Mitglieder der städtischen Adelsfamilien, die mit Argwohn auf die neue Verfassung sahen, die die bürgerliche Elite sich gegeben hatte, ausgeschlossen. Sie durften nur im Generalrat der Dreihundert und im Spezialrat der Neunzig ihre Stimme erheben. Doch dort kam nichts auf die Tagesordnung, was die Anzianen nicht zuvor gebilligt hatten.

Die Ältesten trafen sich zu ihren Beratungen manchmal dort, wo lange schon in Florenz Politik gemacht worden war, im Baptisterium, der Taufkirche San Giovanni, gleich neben der alten Kathedrale, die der heiligen Reparata gewidmet war. Damals herrschte drangvolle Enge im Herzen der Stadt. Westlich vom Baptisterium stand der bischöfliche Palast, im Osten war der schmale Raum zur Kathedrale von einem Hospital verbaut, daneben lag ein innerstädtischer Friedhof. Im Innern von San Giovanni hatten Meister aus Venedig gerade die Gerüste verlassen, denn ihr prächtiges Rundum-Mosaik in der Kuppel war fertig geworden.

Viva il popolo! Das Volk hatte gesiegt, kein Blutstropfen war beim Umsturz im Innern verloren worden. Und damit den Mächtigen von gestern bewußt wurde, daß die Willkürherrschaft verfeindeter aristokratischer Familien über die Stadt für alle Zeiten vorbei war, wurden sogleich Zeichen gesetzt. Die neue Regierung erließ eine Verordnung, nach der kein Geschlechterturm in Florenz höher als 29 Meter sein durfte. Was darüber lag, mußte auf dieses Maß geschleift werden.

Die alten...

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