1.1.1 Das M&A-Prozessmodell: Ein konzeptioneller Referenzrahmen5
Bei einem Vergleich von M&A-Prozessen und M&A-Strategien von mittelständischen Unternehmen und Großkonzernen lassen sich etliche Spezifika im Mittelstand definieren. Diese Spezifika sind im Rahmen von mittelständischen M&A-Projekten zu adressieren und haben einen massiven Einfluss auf die Erfolgsfaktoren von M&A-Projekten, wie im Laufe dieses Kapitels aufgezeigt wird. Entsprechend wurde in den letzten Jahren an der Hochschule Augsburg ein auf die mittelständischen Anforderungen fokussiertes M&A-Prozessmodell aufgebaut, das im Folgenden auch als Referenzrahmen und Gliederungsschema für das vorliegende Buch verwendet wird. Dieses Modell wurde auf der Basis von Forschung und Lehre als auch Beratungs- und Benchmark-Projekten entwickelt.67
Abb. 1.1.1: Das HSA8 M&A-Prozessmodell (Quelle: Eigene Darstellung)
Wesentliche Bausteine dieses M&A-Modells sind zum einen die drei primären Wertschöpfungsstufen jedes M&A-Projekts: die M&A-Strategie, das Transaktions-Management und die Post Merger Integration. Unterstützende Prozesse sind zum einen das Synergie-Management und zum anderen das M&A-Projekt-Management.
1.1.1.1 M&A-Strategie
In einem ersten Schritt ist es das Ziel, den Handlungsrahmen für die M&A-Strategie zu definieren. Ein holistischer M&A-Ansatz startet mit der Reflektion der Konzern- und Geschäftsstrategie, da M&A „nur” eines von mehreren strategischen Instrumenten für die Gestaltung des Konzernportfolios und die Umsetzung von Wertsteigerungs- und Wachstumsstrategien in den einzelnen Geschäftsfeldern darstellt. Die Unternehmensstrategie muss dabei die Leitplanken im Sinne der Zielsetzungen und Rahmenbedingungen für die M&A-Strategie sowie die an sie gestellten Anforderungen definieren.
Für eine erfolgreiche M&A-Strategie ist die Einbindung in die Konzern- und Geschäftsstrategie daher wesentliche Voraussetzung. Die M&A-Strategie beschreibt dabei, welche Zielsetzungen durch sie im Planungshorizont konkret erfüllt werden sollen9 –z. B. die Erschließung neuer Märkte (regional oder kundenbezogen), der Erwerb von neuen Produkten und Dienstleistungen, die Erlangung neuer Kernkompetenzen, die Erzielung von Kostenvorteilen etc. –,10 welche Wertsteigerungen und Synergie-Hebel hierdurch zu erzielen sind, welche potenziellen M&A-Geschäftsmodelle präferiert werden – M&A, Joint Ventures – und wie das ideale (Ziel-)Unternehmen definiert ist.
Vorliegend wird ein konzeptionell durchgängiges M&A-Modell verwendet, das auf unternehmerischer Ebene ansetzt: Im Rahmen dieses Modells wird zuerst mit einem weiten Filter eine Longlist11 aller potenziell interessanten (Ziel-)Unternehmen, die den skizzierten Zielen und Anforderungen der M&A-Strategie entsprechen, definiert. Auf Basis geeigneter Bewertungskriterien ist in einem zweiten Schritt diese Longlist auf eine Shortlist zu verdichten. Diese umfasst eine selektive Auswahl der attraktivsten (Ziel-)Unternehmen aus Sicht der abgeleiteten M&A-Ziele. Sie ist zugleich der Ausgangspunkt für konkret zu verfolgende M&A-Projekte.12 Oftmals geht dabei die Initiative im mittelständischen Bereich für ein konkretes M&A-Projekt von langjährigen Kontakten auf Ebene der Eigentümer oder des Vertriebs bzw. durch die Ansprache einer Investment-Bank aus.
1.1.1.2 Transaktions-Management
Das M&A-Transaktions-Management bildet das Herzstück jedes M&A-Projekts. Kernbestandteile sind die Unternehmensbewertung, die Due Diligence, die Vertragsverhandlung, die Akquisitionsfinanzierung und die Kaufpreisallokation.
In der Regel startet ein M&A-Projekt nach ersten Gesprächen mit der Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung. Gerade im mittelständischen Bereich ist der Wettbewerbsvorteil oft auf wenige, aber klar definierte unternehmerische Stärken begründet. Für den Verkäufer ist es daher wichtig, dass er vertrauliche Daten, wie Kundenverträge, Details zum Geschäftsmodell und zur Strategie, vor einer missbräuchlichen Verwendung durch potenzielle Kaufinteressenten schützt.
Daran schließt sich eine indikative Unternehmensbewertung an. Nur wenn die hieraus abgeleitete Kaufpreisvorstellung des potenziellen Erwerbers den Erwartungen des potenziellen Verkäufers entspricht, wird Letzterer die Gespräche weiterverfolgen und Zugang zu seinen Informationen gewähren. Die indikative Unternehmensbewertung wird dabei in einer Absichtserklärung, einem Letter of Intent, die zusätzlich zur Bewertung die dieser unterliegenden Annahmen und die nächsten Schritte zwischen potenziellem Käufer und Verkäufer enthält, eingebunden.
Die danach folgende Due-Diligence-Phase ist gerade für den Käufer von essenzieller Bedeutung. In ihr gilt es, in kurzer Zeit abzuprüfen, ob sich die erwarteten Wert- und Synergie-Potenziale im (Ziel-)Unternehmen tatsächlich wiederfinden. Die Due-Diligence stellt sich im Mittelstand besonders anspruchsvoll dar, da hier Informationen und Dokumente oft nur rudimentär oder mit Zeitversatz (z. B. Geschäftsberichte) vorliegen. Dabei spielt die Verzahnung zwischen Due Diligence und Unternehmensbewertung eine wesentliche Rolle.13 Die Unternehmensbewertung bildet den Ansatzpunkt für die Due Diligence, da sie definiert, welche für die Unternehmensbewertung wesentlichen Werttreiber und Synergie-Potenziale im Rahmen der Due Diligence besonders zu analysieren sind. Umgekehrt fließen die Ergebnisse der Due Diligence in die Aktualisierung der Unternehmensbewertung ein, die wiederum die finale Kaufpreisgrenze definiert. Insofern dient die Due Diligence einer Verifizierung der Kaufpreisthese aus dem indikativen Angebot.
Abb. 1.1.2: Transaktionsphase – Interdependenzen (Quelle: Eigene Darstellung)
Unternehmensbewertung und Due Diligence sind wiederum mit den finalen Vertragsverhandlungen intensiv verzahnt. Im Kaufvertrag – unabhängig davon, ob als Asset oder Share Deal – müssen neben der Definition des Kaufpreises, abgeleitet aus der Unternehmensbewertung, die in der Due Diligence erkannten Risiken durch Garantie- und Gewährleistungsklauseln adressiert werden.
Als abschließender Punkt in der Transaktionsphase ist die Kaufpreisallokation durchzuführen. Die Kaufpreisallokation gewinnt als Modul des M&A-Prozesses dabei zunehmend an Bedeutung: Nicht nur im Technologiesektor, sondern auch in reiferen Industrien, wie Automobilbau, Handel oder Chemie, stellen immaterielle Vermögensgegenstände, wie etwa Marken oder IP-Rechte, einen immer größeren Anteil am gesamten Unternehmenswert dar. Zugleich reduziert eine professionell durchgeführte Kaufpreisallokation das Risiko eines späteren Impairments, indem die Bewertung der immateriellen Vermögensgegenstände den potenziellen Goodwill reduziert.
1.1.1.3 Post-Merger-Integration (PMI)-Management
Das PMI-Management komplementiert die M&A-Strategie und die M&A-Transaktionsphase als integrale primäre Wertschöpfungsstufe eines holistischen M&A-Prozesses. Die wesentlichen Bausteine der PMI sind die Definition der PMI-Strategie, die Festlegung des konkreten PMI-Programms mit seinen einzelnen Modulen, die daran anschließende Umsetzung des Programms sowie das durchgängige Controlling und die Steuerung des Umsetzungserfolgs.
Im Rahmen der PMI-Strategie werden auf der Basis der Erkenntnisse der Due Diligence und der Unternehmensbewertung die wesentlichen Ziele der Integration, die Integrationsvision und das Design der PMI hin zum idealen Operating Modell festgelegt. Das PMI-Design umfasst vor allem die Art, die Intensität und die Geschwindigkeit der Integration. Daneben sind die Werthebel und der Zeithorizont für die Umsetzung der Synergien zu bestimmen.
Abb. 1.1.3: PMI-Module (Quelle: Eigene Darstellung)
In einem zweiten Schritt wird aus den Zielen der PMI ein spezifisches PMI-Programm abgeleitet. Klassische Bausteine sind die strategische, finanzielle und synergetische, operative, organisatorische, managementseitige sowie die kulturelle Integration. Der Integrationsprozess ist durch eine fokussierte und transparente Kommunikation zu flankieren. Weitere Aufgaben sind der Aufbau eines PMI Office und die Festlegung der PMI-Instrumente für die Gesamtsteuerung des Integrationsprojekts.
Bei der anschließenden Umsetzung der PMI wird in der Regel zwischen kurz-, mittel- bis langfristigen Zielen und der entsprechenden Projektstruktur unterschieden. Klar definierte Verantwortlichkeiten, Transparenz und offene Kommunikation sind wesentliche Erfolgsvoraussetzungen für eine erfolgreiche Integration.
Für die Sicherstellung des langfristigen Integrationserfolgs ist ein permanentes Monitoring und Controlling der PMI notwendig. Auf der Basis von Frühindikatoren und Härtegraden kann das Management bei Abweichungen vom geplanten Integrationsverlauf frühzeitig gegensteuern, indem Gegenmaßnahmen eingeleitet bzw. Ziele angepasst werden.
1.1.1.4 Synergie-Management
Die besondere Bedeutung der Synergien beruht darauf, dass sie für den potenziellen Käufer zusammen mit dem Stand-alone-Wert der Zielgesellschaft den rational maximalen Kaufpreis für das (Ziel-)Unternehmen definiert....