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E-Book

Die NSDAP

Eine Partei und ihre Mitglieder

AutorSven Felix Kellerhoff
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl441 Seiten
ISBN9783608109757
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die Nazis und ihre Partei: Sven Felix Kellerhoff bietet die erste umfassende Gesamtdarstellung der größten und einflussreichsten Partei, die es jemals in Deutschland gab. Souverän beschreibt er die Karriere jener Bewegung, ohne die Hitler niemals zum mächtigsten Mann Deutschlands geworden wäre. Die NSDAP war mit bis zu 8,5 Millionen Mitgliedern die größte Partei, die es in der deutschen Geschichte gab. Warum traten so viele Menschen dieser deutschen Bewegung bei? Was machte sie attraktiv? Wer finanzierte die Partei? Welche Rolle spielte sie beim Aufstieg Hitlers zur Macht? All das sind Fragen, auf die es trotz zahlloser Hitler-Biographien und Darstellungen des Dritten Reiches bislang keine Antworten gab. Gestützt auf umfangreiches Archivmaterial, erläutert Sven Felix Kellerhoff die Funktion der NSDAP auf dem Weg zur Macht und während des Dritten Reiches. Anhand von Zeugnissen ihrer Anhänger und Funktionäre zeichnet der Autor die Entwicklung der Hitlerbewegung nach: die erste umfassende Geschichte der NSDAP von ihren Anfängen über die Machtergreifung bis zu ihrem Ende 1945 und ihrem Nachleben in der frühen Bundesrepublik.

Sven Felix Kellerhoff, geboren 1971 in Stuttgart, studierte Zeitgeschichte, Alte Geschichte und Medienrecht. Seit mehr als 20 Jahren ist er Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Sachbücher, unter anderem über Hitlers 'Mein Kampf' und über die NSDAP (beide erschienen bei Klett-Cotta).

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Leseprobe

Vor Hitler


In Wirklichkeit kann der Zuschnitt der neuen Partei […] gar nicht bescheiden und kleineleutemäßig genug gedacht werden.

Joachim Fest, Hitler-Biograf 1

Drexler und die DAP


Wer an einem Vorhaben festhält, das wiederholt gescheitert ist, darf als hartnäckig gelten; dahinter kann gleichermaßen Standhaftigkeit stehen wie Starrsinn. Die rund zwei Dutzend Männer, die sich am 5. Januar 1919 in einem Münchner Wirtshaus versammelten, waren dem beharrlichen Wunsch eines Kollegen gefolgt. Anton Drexler litt seit August 1914 darunter, dass er wegen seiner kränklichen Konstitution als Kriegsfreiwilliger abgelehnt worden war. Statt an der Front zu kämpfen, arbeitete er als Werkzeugschlosser des örtlichen Bahnausbesserungswerkes – ohne Zweifel wichtig, doch seiner Meinung nach nicht so ehrenvoll wie der Dienst im Heer. Seine Enttäuschung kompensierte Drexler durch politischen Ehrgeiz: Er wollte eine nationale Alternative zur internationalistischen proletarischen Bewegung zustande bringen, den Klassenkampf überwinden und die Arbeiterschaft mit dem Bürgertum versöhnen. Dazu gründete er Anfang 1919 eine eigene Partei; ihren Kern sollten seine Bekannten aus dem Bahnwerk bilden. Es war bereits sein dritter Anlauf, politisch tätig zu werden.

Den ersten hatte Drexler knapp ein Jahr zuvor gestartet, am 7. März 1918. Beflügelt von der Hoffnung auf eine Offensive an der Westfront hatte er den Freien Arbeiterausschuss für einen guten Frieden gebildet, als oberbayerischen Ableger einer ähnlichen Gruppe in Bremen. Sein Ziel war, den »Siegeswillen der Bayern, besonders der Arbeiterschaft, zu stärken, die Zuversicht zum Endsieg durch Vorträge und Versammlungen zu heben und die Hemmungen des Durchhaltens wie Kriegswucher […] zu bekämpfen«.2 Neben der Forderung nach einem »guten«, also die Lasten des Krieges lohnenden Frieden gehörte von Anfang an Judenhass zu Drexlers Botschaft. Denn »Wucher« empfand er als »typisch mosaisch«, auch wenn die Kriegsgewinnler in München weit häufiger christlich waren als jüdisch.

Der Erfolg seiner ersten Gründung war überschaubar: Der »Freie Arbeiterausschuss« brachte es »in München zunächst auf kaum 40 Mann«. Für Drexler konnte das nur einen Grund haben: »Wieder ein Beweis des Misstrauens und der vergiftenden Wirkung der Parteiliteratur und damit des unpolitischen Sinnes der Münchner Arbeiterschaft.«3 Seine Feindbilder pflegte er schon rund anderthalb Jahrzehnte – seit er als Berufsanfänger angeblich »durch marxistisch-gewerkschaftlichen Terror brotlos« geworden war, dann von einem »jüdischen Viehhändler« ausgenutzt wurde und sich deshalb für einige Zeit seinen Lebensunterhalt durch nächtliches Zitherspiel in Cafés verdienen musste: »Durch meine Erlebnisse war ich radikaler Antisemit und Marxistengegner geworden.«4

Angesichts der geringen Resonanz dauerte es sieben Monate, bis Drexlers Neugründung öffentlich tätig wurde. Im Wagnersaal, einem Bierausschank in der Münchner Altstadt, fand am 2. Oktober 1918 die erste Veranstaltung des Arbeiterausschusses statt. Drexler hatte den Vorsitzenden des Bremer Vorbildes als Gastredner gewonnen, mühte sich zuvor aber, in seiner Begrüßung möglichst viele der Besucher anzusprechen: »Aus den politisch Obdachlosen, die zu Hunderttausenden unter den Beamten, Kleinbürgern und Arbeitern aus Unzufriedenheit mit ihren alten Parteien entstanden sind, soll ein neuer nationaler Bürgerbund (oder wie man es sonst nennen will) entstehen.«5 Doch Drexler drang nicht durch, was sicher auch an seinen begrenzten rhetorischen Fähigkeiten lag. Statt zu begeisterter Zustimmung kam es zu heftigen Tumulten im Publikum; auch die Resonanz in der Münchner Presse war durchwachsen. Anton Drexlers erster Versuch, eine politische Organisation zu gründen, war gescheitert.

Nach der Veranstaltung sprach ihn ein kriegsbeschädigter Mann von knapp 30 Jahren an, der Sportjournalist Karl Harrer. Er gehörte zu einem Bund extrem nationalistischer Münchner Bürger, der sich selbst Thule-Gesellschaft nannte. Harrers Aufgabe war es, »einen Arbeiter-Ring zu bilden«.6 Er hatte die Versammlung im Wagnersaal verfolgt und war »ganz meiner politischen Anschauung«, erinnerte sich Drexler: »Ich solle mich mit meinen Leuten des Arbeiterausschusses zur Bildung eines Politischen Arbeiterzirkels zusammensetzen, der die Aufgabe hat, Ursachen und Wirkungen des Weltkrieges, der Revolution in Russland und Deutschland zu untersuchen und Wege zu suchen, die aus diesem furchtbaren Zusammenbruch herausführen.«7 Harrer und Drexler wurden sich schnell einig, denn zu Juden wie zum »Marxismus« hatten sie ähnliche Auffassungen. So gründeten die beiden im November 1918 eine Gruppe, zu der man nur auf persönliche Einladung stoßen konnte – Drexlers zweiter Anlauf, eine politische Organisation zu schaffen.

Nach dem Vorbild der Thule-Gesellschaft sollte dieser Zirkel hinter verschlossenen Türen tagen; Vorsitzender wurde Harrer, der das notwendige Geld beschaffte, Drexler sein Stellvertreter. Ab Anfang Dezember 1918 gab es wöchentlich einen Vortrag des Vorsitzenden, stets in Hinterzimmern einfacher Gasthäuser. Das Publikum war äußerst begrenzt: Mehr als drei bis sechs Zuhörer fanden sich den Protokollen zufolge nie ein. Themen waren unter anderem die »Zeitung als Mittel der Politik« oder »Wer ist der Schuldige am Weltkrieg?« sowie »Deutschlands größter Feind – der Jude«.8 Doch Harrer war rhetorisch noch weniger talentiert als Drexler und las seine Ausführungen meist ab.9 Auch der zweite politische Vorstoß des ehrgeizigen Werkzeugschlossers stand vor dem Scheitern.

»Eine Woche vor dem Weihnachtsfest 1918 erklärte ich bei einer Zirkelsitzung, dass es keinen Wert mehr hätte, in solch einem kleinen Kreis über die Rettung Deutschlands Beratungen anzustellen«, erinnerte sich Drexler. »Wir bräuchten eine neue Partei, und zwar eine Deutsche Sozialistische Arbeiterpartei, die judenrein ist.«10 Für ihn klang der Begriff »Sozialismus« positiv; an der Heimatfront hatte er die Überzeugung gewonnen: »Die einen sollen nicht im Überfluss schwelgen, während die anderen darben.«11 Doch damit konnte er Harrer und dessen Hintermänner von der Thule-Gesellschaft nicht gewinnen. Deren fast ausnahmslos bürgerliche, teilweise ausgesprochen reiche Mitglieder lehnten jede Form von »Sozialismus« vehement ab – hielten sie doch ihre Treffen im eleganten Hotel Vier Jahreszeiten an Münchens Maximilianstraße ab. Harrer wandte sich gegen den von Drexler vorgeschlagenen Namen und bestand darauf, dass die neue Gruppe Deutsche Arbeiterpartei heißen sollte. Da nur von der Thule-Gesellschaft die nötigen Mittel kommen konnten, hatte Drexler keine Wahl.

Immerhin konnte er, der sich gleich zum Chef der einzigen Ortsgruppe bestimmen ließ, beim ersten Treffen handschriftlich verfasste »Richtlinien der Deutschen Arbeiterpartei« durchsetzen, denen zufolge ein Hauptziel der Gruppe war, »gelernte und ansässige Arbeiter« aus dem Proletariat zu befreien und auf eine Ebene mit Bürgern zu stellen. Zugleich attackierte er das »Großkapital« und forderte eine »Sozialisierung«.12 Angesichts solcher Formulierungen war es wenig erstaunlich, dass diese »Richtlinien« niemals gedruckt wurden – denn dafür hätte Drexler Geld von der Thule-Gesellschaft gebraucht. Vermutlich auch kein Zufall war, dass wenige Tage später eine Zusammenkunft im Hotel Vier Jahreszeiten folgte, bei der aus rechtlichen Gründen ein Deutscher Arbeiterverein als formaler Träger der DAP gegründet wurde. Erster Vorsitzender wurde auch hier Harrer, sein Stellvertreter Drexler. Diese Zurücksetzung störte den Bahnschlosser nicht, denn er hatte am 5. Januar 1919 beschließen lassen: »Der Ausschuss der Ortsgruppe München hat bis zu anderer Regelung durch einen Parteitag außer der Führung der Geschäfte der Ortsgruppe München auch die Führung der Gesamtpartei.«13

An der konkreten Tätigkeit Drexlers änderte sich wenig nach dem dritten, auf bescheidenem Niveau gelungenen Versuch, eine eigene Organisation zu bilden. Er arbeitete weiterhin bei der Zentralwerkstatt der Bahn in der Werkzeugausgabe; die Funktion als DAP-Ortsgruppenchef kostete ihn nur wenig Zeit, denn in den ersten Monaten des Jahres 1919 gab es keine öffentlichen Veranstaltungen und nur wenige Mitgliedertreffen. Parallel bestand der zuvor begründete Arbeiterzirkel weiter; auf den Teilnehmerlisten tauchte nur ungefähr...

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