2. Die Gruppe
- Definition: Seminargruppe
- Themenzentrierte Interaktion (TZI): Balance halten im Seminar
- Optimales Lernklima in Gruppen schaffen
- Gruppenprozesse und Prozesssteuerung durch den Trainer
Im Training arbeiten wir immer in und mit einer Gruppe. Entsprechend wichtig und hilfreich ist grundlegendes Wissen über das Verhalten von Menschen in Gruppen sowie über die Entwicklungsphasen in einer Gruppe. Gruppendynamische Prozesse beeinflussen wesentlich den Lernerfolg von Menschen.
2.1 Was ist eine Seminargruppe?
Michael Birkenbihl definierte in dem Buch Train the Trainer (2003), einem Standardwerk für Trainer, eine Seminargruppe als eine Gruppe …
- deren optimale Größe zwischen acht bis 15 Teilnehmenden liegt.
- die sich für einen bestimmten Zeitraum zusammenfindet.
- deren Mitglieder für diesen Zeitraum möglichst gleichberechtigt sein sollen.
- deren Ziel es ist, durch Vermittlung neuer Erkenntnisse und Einsichten das Verhalten der Teilnehmer zu verändern.
Trainingsgrundsatz
Bei mehr als 15 Personen in der Seminargruppe sollten zwei Trainer eingesetzt werden.
Seminargruppen können homogen sein, weil die Mitglieder in etwa denselben Wissensstand haben (z. B. gleicher Level einer Fremdsprache) oder weil sie aus dem gleichen Arbeitsbereich (Sachbearbeiter) kommen oder eine vergleichbare Funktion (Führungskraft) innehaben. Eine besondere Herausforderung für Trainer stellen extrem heterogene Seminargruppen dar. Dieser Fall tritt häufig bei „offenen Seminaren“ auf. Zum Beispiel finden sich in meiner Trainerausbildung Personen, die schon Erfahrung im Umgang mit Gruppen haben, und solche, die überhaupt noch nie vor Gruppen präsentiert haben. Es finden sich Akademiker und Nicht-Akademiker, Menschen mit sehr viel Lebenserfahrung und solche, die gerade am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen. Hier kommen also bunt zusammengewürfelte Menschen zusammen, die man als Trainer erst zu einer funktionierenden, arbeitsfähigen Gruppen machen muss.
Je länger eine Gruppe gemeinsam arbeitet, umso mehr finden sich darin die gruppendynamischen Prozesse wieder. Die Kenntnisse der Phasen in Gruppen bringen uns als Trainer wertvolle Informationen zur optimalen Gestaltung von Lernbedingungen. Zum Beispiel beginnt sich meist am dritten Tag herauszukristallisieren, wer die informelle Führungsrolle oder wer die Rolle des Gruppenclowns übernehmen wird.
Im Rahmen unserer Betrachtungen zur Seminargruppe möchte ich hier in aller Kürze die Themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn vorstellen, die ich in diesem Zusammenhang als hilfreiches didaktisches System bzw. als eine effiziente Methode der Gruppenleitung kennengelernt habe.
2.2 Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth Cohn
Die TZI ist ein Gruppen-Interaktionsmodell, das die drei wichtigsten Elemente in der Arbeit mit Gruppen gleichgewichtig einbezieht (vgl. Abb. 2.1):
- das Anliegen der einzelnen Personen, ihre Situation (ICH)
- das Interesse der Gruppe – die Beziehung, Dynamik, Interaktion (WIR)
- die gemeinsame Aufgabe, das Thema (ES)
Zudem werden die vielfältigen Einflüsse des Umfeldes (UMWELT) mit berücksichtigt.
Abbildung 2.1: Das TZI-Dreieck
Die TZI spiegelt somit eine bestimmte Haltung wider, da sie sehr viel Verantwortung beim Teilnehmenden belässt bzw. an den Teilnehmenden zurückgibt. Zum anderen ist die TZI eine praktische Theorie darüber, wie Gruppen gut funktionieren.
Balance zwischen den Faktoren
Das zentrale Anliegen der TZI ist die Balance zwischen den vier Faktoren. Sollte einer der vier Punkte zu wenig oder gar keine Beachtung finden, wird die Gruppe nicht in der Lage sein, die anstehende Aufgabe zufriedenstellend zu erledigen. Um ein gutes Seminar – sprich: einen guten Lernerfolg bei den Teilnehmern – zu ermöglichen, ist es wichtig, als Trainer die genannten Faktoren schon bei der Planung im Auge zu haben.
Tipp!
Während des Seminars dient dieses Modell hervorragend als eigene, „intrapersonelle“ Supervision: Wann immer ich das Gefühl habe, dass eine Gruppe nicht so gut läuft, überlege ich, ob ich einem der TZI-Punkte zu viel oder zu wenig Beachtung geschenkt habe. Vielleicht habe ich einem Teilnehmer (einem ICH) zu viel Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt und dadurch die anderen (das WIR) vernachlässigt. Oder wir haben uns zu sehr mit der Gruppe (WIR) beschäftigt und sind dabei vom Thema (ES) abgekommen. Möglicherweise habe ich bei der Planung auch nicht bedacht, dass der Zeitpunkt, z. B. Freitagnachmittag (UMWELT), Einfluss auf die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden hat – vor allem, wenn diese Jugendliche sind.
Nachfolgend einige konkrete Beispiele für die Anwendung der TZI:
- Eine Gefahr liegt darin, sich als Trainer verführen zu lassen, zu sehr auf Einzelpersonen zu fokussieren. Etwa dadurch, dass ein Teilnehmer immer wieder sehr interessiert nachfragt und sich mit einzelnen Aspekten gerne in der Tiefe beschäftigen würde, was einen als Trainer natürlich freut. Geht man auf diese Fragen immer wieder ausführlich ein, kann es passieren, dass man mit der Zeit den Kontakt zu allen anderen in der Gruppe vernachlässigt oder sogar ganz verliert. Orientiert an der TZI, merkt man als Trainer schnell: Achtung! Es gibt auch noch ein Ziel, das wir erreichen wollen, und andere Teilnehmer sind auch noch da, nicht nur dieser eine, so verlockend sein Interesse und die Vertiefung des Themas auch sind. Daher gilt es, diese Person rechtzeitig zu stoppen und darauf zu achten, dass die Teile im Dreieck im Gleichgewicht bleiben oder wieder ins Gleichgewicht kommen. Etwa durch die Aussage: „Ich verstehe, dass das jetzt sehr spannend ist, aber es gibt noch zwölf andere in der Gruppe, die das nicht alle gleich spannend finden, und eines der Ziele heute ist, den Bedürfnissen aller so weit wie möglich gerecht zu werden. Ich schicke Ihnen dazu gerne noch vertiefendes Material.“ Entscheidend ist, die eigene Motivation und Zielsetzung transparent zu machen, statt die Person oder die Gruppe einfach „abzuwürgen“.
- Ein anderes Beispiel: Man bemüht sich, dass sich die Gruppe gut versteht, und verliert dabei leicht das Thema aus den Augen. Hier liegt die Verführung darin, sich als Trainer darüber zu freuen, „dass so eine tolle Stimmung ist“, und darüber das Thema zu vernachlässigen. Oder aber es gibt einen Konflikt zwischen zwei oder mehreren Teilnehmern und man konzentriert sich nach dem Motto „Konflikte haben immer Vorrang“ so stark auf diese Konfliktbearbeitung, dass aus dem Seminar versehentlich eine T-Gruppe (gruppendynamische Lerngruppe) wird, wo die Gruppe sich nur mehr selbst bespiegelt. Auch hier gilt es, klare Grenzen zu ziehen und wieder eine Balance herzustellen. Die Frage ist stets: Ist das jetzt zu viel, muss ich intervenieren oder bekommt der Einzelne oder die Gruppe noch die Kurve? Natürlich stellt sich dabei immer die Frage: Wie moderiere ich das an, damit die Teilnehmer nicht unzufrieden sind, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen? Eine Möglichkeit wäre: „Es ist deutlich geworden, dass es hier Unterschiede gibt und wahrscheinlich nicht alle beste Freunde werden, aber ist das für Sie jetzt so weit besprochen, dass wir uns wieder dem Thema zuwenden und hier fortfahren können? Oder was brauchen Sie noch, damit wir in fünf Minuten wieder thematisch weiterarbeiten können?“
- Ebenfalls denkbar ist, dass man zu sehr am Thema hängt und nicht merkt, dass es Einzelnen oder der Gruppe zu schnell, zu wenig tief oder zu vertieft ist. Das passiert vor allem dann, wenn der Trainer sein Konzept „auf Teufel komm raus“ durchzieht – eine Gefahr, der gerade Fachreferenten gerne erliegen, da sie sich bei den Inhalten am sichersten fühlen.
Bei all diesen Beispielen geht es immer um die Balance über die Dauer der Veranstaltung gesehen, die bei einem mehrmoduligen Lehrgang natürlich eine andere ist als bei einem zweitägigen Seminar. Die zugrunde liegende Leitfrage, die ich mir daher als Trainer schon bei der Entwicklung des Seminardesigns und dann immer wieder während des Trainings selbst stellen kann, lautet: Worauf fokussieren wir gerade? Und: Geht das zeitmäßig noch, wenn ich dem Einzelnen, der Gruppe oder dem Thema jetzt so viel Raum gebe? Wenn die Antwort Nein heißt, muss ich intervenieren: „Das verstehe ich gut, das können wir aber aus zeitlichen Gründen hier nicht unterbringen. Ich schicke Ihnen jedoch dazu noch Unterlagen und einen Link.“ Oder allgemein: „Schauen Sie, wir haben hier die Einzelperson, die Gruppe und das Thema, und es gehört zu meinem Job, darauf zu achten, dass das halbwegs in Balance bleibt.“ Ich habe noch nie ein Problem gehabt, dass das nicht verstanden worden wäre. Entscheidend ist aus meiner Sicht, die Situation transparent zu machen und offen anzusprechen, statt einen Teilnehmer oder einen Konflikt einfach zu ignorieren. Mit obiger Aussage bin ich bisher immer auf Verständnis gestoßen. Probleme entstehen nur dann, wenn die Teilnehmer nicht verstehen, warum der Trainer plötzlich interveniert, und sich daher fragen: Was ist denn jetzt los? Warum würgt er mich / uns plötzlich ab?
Ein wesentlicher Faktor, um hier in Schwierigkeiten zu kommen, ist die Haltung bzw. Vorliebe mancher Trainer, am liebsten möglichst alles in der Gruppe ausdiskutieren und entscheiden zu lassen: „Wollen Sie da jetzt lieber Kleingruppen machen oder...