4. Reise zum Beginn des Lebens
4.1 Die Heimat, aus der wir kommen
Um mich ist Weite und Helligkeit. Ich befinde mich in einem Zustand von Grenzenlosigkeit.
Schwebend bewege ich mich. Ich, das ist Geist, durchlässig, unsichtbar, ohne feste Gestalt, Energie, Bewusstsein. Ich bin weder gross noch klein. Leichtigkeit und Sein regieren diesen Ort. Ich kann alleine sein, ohne daran zu leiden, denn hier gibt es keine Emotionen.
Ich bin im Kontakt mit anderen Seelen, Vertrauten einer zeitlosen Zeit. Das Erleben auf dieser Seelenebene ist unmittelbar, alles fliesst. Wir sind eins, ich spüre mich und bin doch mit dir. Ich dehne mich aus und gleichzeitig ist da kein Ich.
Weite, Schönheit, Kontakt, Frieden, Ruhe, Heiterkeit, Farben, alles ist in Bewegung, nichts ist fern, alles da ohne Emotion. Zeit spielt keine Rolle. Worte existieren nicht, Kommunikation findet direkt statt, nichts bleibt verborgen. Es gibt keine gesetzten Grenzen, alles dehnt sich aus bis an den Rand des Bewusstseins und darüber hinaus.
Die Seelengruppe oder Seelenfamilie ist nah. Die Vertrauten dort haben kein Gesicht, sie sind spürbar in ihrer unverwechselbaren Schwingung. Unterschiede in Reife und Aufgabe sind fühlbar.
Die Ruhe, die diesen Raum auszeichnet, kommt aus der Klarheit. Alles ist offensichtlich, ein friedliches Miteinander.
Es ist nur zu fühlen, kaum zu beschreiben. Sein, es gibt nichts zu tun, es gibt keine Gedanken, keine Worte, keine Emotionen, einfach sein, pures Sein – ein Zustand.
Alles, worauf ich meine Aufmerksamkeit richte, verbindet mich damit. Ich denke daran und schon bin ich dort. Alles ist mit allem verbunden, ist getragen von Respekt und liebevollem Umgang: klare Nüchternheit und Wärme ohne rosa Wolken. Wertung und Urteil sind überflüssig. Es gibt keinen Vergleich.
Es ist, was ist.
Das ist der Ort der Heimat, die Seelenebene. Ein Raum, der sich uns öffnet, im Werden, im Sterben, im Sein, wenn wir uns ausweiten an die Grenzen unserer Welt. Ein schmaler Grat trennt die Welten. Gleichzeitig liegen sie nebeneinander, ineinander. Wenn du die Grenze kennst, kannst du sie mühelos überschreiten, dann bist du in beiden Welten zuhause.
4.2 Absprung oder Zeugung
Innerlich vernehme ich einen Ruf, höre eine Stimme oder fühle, dass mich etwas anzieht, mich unweigerlich in eine Richtung zieht. Alles fühlt sich leicht an, selbstverständlich. Ich erreiche eine Klippe, eine Kante, einen Tunnel oder ein Loch tut sich vor mir auf.
Und mit einem Mal spüre ich Angst, als wüsste ich, dass sich etwas ändert. Meine Gelassenheit verfliegt, die Weite schrumpft zusammen auf einen Kern in mir. Mein Ego ist geschaffen, ich zaudere, ich zögere, ich sträube mich, ich wehre mich. Trotz oder Angst – egal, hier will ich bleiben!
Von Bewusstsein keine Spur, alles was ich grad noch wusste, ist jetzt weg, zusammengeschnurrt in der Enge, die die Angst erschuf. Irgendwo da drin, da muss sie sein meine Weisheit meiner Seele, wofür ich gehen sollte in dieses Loch, in diese andre Welt. Etwas erfahren, mich erfahren, mich verschenken – was war da noch? Hatte das Ganze einen Sinn?
Je grösser das Wehren, desto verschütteter die eigentliche Aufgabe. Je grösser die Angst, desto kleiner die Wahrnehmung der Wahrheit.
Ich fühle eine Gegenwart bei mir, ich sehe sie nicht, spüre sie höchstens: ruhig, gelassen, sie weiss worum es geht – im Gegensatz zu mir. Indem sie einfach ist, macht sie mir Mut. Ein Band ist da, ich hab Vertrauen, mit ihr, mit dieser Seele bin ich wohlbehütet. Ich bin ganz bei ihr und habe kein Gefühl, wofür ich irgendwohin reisen sollte. In meiner Unsicherheit klammere ich mich innerlich oder äusserlich an sie, gehe davon aus, wenn sie da ist, ist alles gut. Es interessiert mich schlicht nicht, warum sie jetzt gerade hier ist – wohl damit sie bei mir bleibt.
Ein Sog erfasst mich, zieht mich hinweg, ich lasse mich fallen.
Nicht weg von hier!
Leicht, verbunden, fliessend, weit
So bin ich mit euch Seelen,
die ich kenne seit Äonen.
Begleiten uns
Im Diesseits wie im Jenseits.
Vereint im Reigen der Vertrauten,
höre ich den Ruf
zu starten in die andre Welt.
Richtig ist es, diesem Ruf zu folgen,
des Herzens Aufgabe zu vollenden –
mit Hingabe, Demut und Gelassenheit.
Doch plötzlich überfällt mich grosse Angst,
nicht weg von hier!
Immer will ich bei euch bleiben,
allein, getrennt zu sein von allen, die dazugehören,
bereitet Schmerz und Trauer.
Trotzig widersetze ich mich dem Sog, der mich ergreift,
doch leider ohne Resultat!
Ohnmacht, stilles Geschrei und ein Trotz so gross
dass er mich fast verschlingt!
So zieht es mich hinweg
entlang der Dunkelheit
und alles Wehren ist umsonst
Doch hinter mir erfühle ich
vertraut und warm,
die Seele einer Schwester.
Du begleitest mich,
gibst Halt und Sicherheit,
um einzutauchen in das grosse kleine Ding,
das künftig Heim und Heimat mir soll sein.
Sie nennen es den Körper.
Mit dir an meiner Seite kehrt Ruhe ein.
Was immer auch geschehen mag,
ein Teil des Himmels ist bei mir
und trägt.
Barbara Schlochow, Februar 2002
4.3 Ankommen und Zeit mit dem Zwilling
Nach dem Fall befinde ich mich in etwas, das mich umgibt. Es ist so klein für meine seelische Ausdehnung, dass ich mich daran erst gewöhnen muss. Ich sitze in einer Kapsel, die sich dreht. Innen und aussen, überall ist Bewegung. Aussen werde ich langsam bewegt, sorgsam wie auf Händen getragen, weitergereicht, wie in einem rohen Ei.
Diese Bewegung fliesst und hält mich. Bewegung ist auch in mir und dem Körper, der mich umgibt. Er bewegt sich. Warm hält er meine Aufmerksamkeit gefangen.
Nach einer Weile komme ich an, ruhig ist es aussen und dann nehme ich dich wahr. Jetzt fühle ich dich an meiner Seite, warm, vertraut. Ich fühle mich gehalten, so, als würde Ruhe einkehren nach einem Sturm. Meine ganze Aufmerksamkeit ist bei dir. Meine Seele dehnt sich über den Körper hinaus aus, verschmilzt mit deiner. Innigkeit, Liebe, jetzt ist es so wie zuhause. Du bist meine Welt, ohne dich wäre ich nicht hier, hätte den Schritt nie gewagt. Du bist da und alles ist gut.
Mein Körper verändert sich ständig, langsam und unaufhaltsam. Ich gewöhne mich daran.
In mir ist Ruhe, Gelassenheit, Liebe, Einsein, einfach Sein.
Im Laufe der Zeit rücken wir auseinander, über unsere Seelen sind wir verbunden, meinen Körper nehme ich kaum wahr. Mit dir fühle ich mich stärker verbunden als mit meinem Körper.
Die Stimmung ist heiter und was immer ich spüre, spürst du auch. Mit mir ist es genauso, jede Stimmung, die du hast, nehme ich wahr. Wir tun nichts und doch fühlt es sich manchmal an wie Lachen. Wir schauen uns gegenseitig beim Wachsen zu, beobachten, wie sich seltsame Gebilde aus uns heraus entwickeln, wie im Spiegelbild. Unsere Körper liegen ruhig aneinandergekuschelt, seelisch tanzen oder fliessen wir durch den Raum, entdecken uns mit Leichtigkeit. Das Aussen existiert nicht. Noch sind wir unbeobachtet, keiner weiss, dass es uns gibt.
Alles ist langsam und doch in ständiger Bewegung. Ich bin auf dich bezogen, mein Bewusstsein ist ganz bei dir, alles andere ist vergessen. Ich fühle mich mit dir verbunden. Die Liebe, die ich spüre ist so selbstverständlich, so fraglos, dass sie kaum auffällt.
Leichtigkeit, Weite, Verbundenheit, Wahrnehmung. Das Glück ist vollkommen. Frieden, Harmonie und Liebe. Es ist alles in allem.
Dieser Zustand fliesst in meinen Körper, nährt meine Zellen, ist Grunderfahrung meines körperlichen Seins, ist Grundsubstanz meiner Seele, wie die DNA meines Körpers. Es ist meine erste Erfahrung im Körper, meine erste Erfahrung von Beziehung oder Bezogensein und Kontakt.
Wir kommunizieren. Auch wenn ich schwer ausmachen kann, wo deine Seele beginnt und meine aufhört, gibt es einen Teil, in dem nur ich schwinge. Ich nehme jede Veränderung wahr. Nichts was in mir ist entgeht deiner Wahrnehmung. Die Schwingung überträgt sich durch subtile Änderungen der Energie, der Vibration.
Es gibt kein Geheimnis zwischen uns. Wir beide sind. Alles ist gut, wie es ist.
Sein mit dir
Sein mit dir
Leicht, verbunden, innig
Ohne Zeit in einem Raum
Einfach sein
Eins sein
Sein mit dir
Ruhig zusammengekuschelt liegen
Alles fühlen, was ich bin,
was du bist
was in mir ist,
was in dir ist,
alles, was ist
Sein mit dir
Ist meine Welt
Mein Fühlen
Mein Erleben
Mein Leben
Sein mit dir
Barbara Schlochow, 20. November 2004
4.4 Verlassen werden
Ich habe den Eindruck, plötzlich bin ich grösser als du. Ich bin gewachsen, du auch oder bist du kleiner geworden?
Irgendwann bemerke ich, dass du ruhiger bist als sonst. Die Leichtigkeit fehlt. Du ziehst dich zurück, es gibt einen Teil, wo ich nicht bin. Du...