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DIE KIRCHE DER SELBSTVERBESSERUNG
Wenn spirituelles Engagement Schwerstarbeit ist
Dearly beloved,
We are gathered here today 2 get through
this thing called life.
PRINCE
»Betreten drei Seelenklempner eine Bar: ein Buddhist, ein Agnostiker und ein Katholik …«
Nein, das ist kein Witz, sondern die Geschichte meiner Gesprächstherapien. Ich hatte schon Coaches fürs gesamte Leben, für Kreativität, für öffentliches Reden und intuitive Geschäftsführung. Außerdem war ich bei AstrologInnen, nicht nur bei westlich orientierten, sondern auch bei einer Vertreterin der asiatischen Kunst der Horoskopdeutung (die man dann »vedisch« nennt). Weil … na ja, weil ein Hintertürchen ja nie schaden kann – für den Fall, dass einem die erste Auskunft, die man erhält, nicht gefällt. Ich habe mit der hawaiianischen Göttin Pele kommuniziert, mit meinen Geistführern und Erzengel Metatron geplaudert. Tête-à-têtes hatte ich mit meinem inneren Kind, meinem künftigen Selbst und den Devas meiner Website. Ich habe mich in Dutzende vergangener Leben rückführen lassen, das eine oder andere Gelübde aufgekündigt, das ich während einer meiner früheren Reinkarnationen abgelegt hatte, und mir das Kleingedruckte in meinen Seelenverträgen durchgelesen.
In der Hypnotherapie habe ich versucht, mein Karma aufzulösen; dabei stellte sich allerdings heraus, dass dieses In-Trance-Versetzen bei mir nicht funktioniert, weshalb ich das Karma nun wohl auch weiterhin mit mir herumschleppen muss. Ich habe Wellness-Workshops über mich ergehen lassen, die von kettenrauchenden Megalomanen geleitet wurden, deren Umgang mit MitarbeiterInnen zum Himmel stank. Barfuß bin ich sechs Meter weit über glühende Kohlen gegangen – ohne mir die Fußsohlen zu verbrennen. Ich habe in der Infrarotsauna Sprechgesänge und Gebete ausgeschwitzt – und anschließend meine Mikrowelle entsorgt. Die Kunst, Synchronizitäten fest einzuplanen, habe ich mir im Selbststudium angeeignet.
Vor meinem ersten Besuch im Weißen Haus habe ich mir Schutzsteine in den BH gestopft. Von der Security blieben sie unentdeckt – was mal wieder zeigt, wie magisch Amethyste sein können. Pilze habe ich eingeworfen, Schmerzmittel aber abgelehnt. Um die Nacht durcharbeiten zu können, habe ich blaugrüne Afa-Algen genommen, und für meine Muschi war mir feinster Kombucha-Tee gerade gut genug. Während eines Kaffee-Einlaufs habe ich meditiert. (Und eines kann ich dir sagen: Wenn du in der Lage bist, mit einem Röhrchen im Allerwertesten zu meditieren, bist du schon so gut wie erleuchtet.) Um meinen Seelengefährten aufzuspüren, habe ich mir reichlich Transkriptionen von Channelings zu Gemüte geführt – die ich jetzt für mindestens zwei Trennungen und einige verpasste Ficks mit echt guten Typen verantwortlich mache. Hätte ich mich nämlich weniger darauf versteift, meine perfekte Zwillingsflamme zu finden, wäre ich wahrscheinlich … na ja, lockerer gewesen. Auch war ich der New-Age-Bewegung sogar einmal kurz untreu wegen eines Techtelmechtels mit der Neuen Physik. Nichts geschieht ohne Grund.
Als »Motivationsrednerin« stand ich auf vielen Bühnen, um Selbstliebe und gesunde Grenzen als unsere höchste Verantwortung zu predigen. Der Großteil meines Publikums dachte bestimmt: Die lässt sich garantiert nichts gefallen. Doch hinter den Kulissen habe ich ganz schön was eingesteckt, ordentlich Mist von Lovern und MitarbeiterInnen, weil ich Toleranz für das spirituelle Nonplusultra hielt, als einzig zulässige Vorgehensweise (die mich allerdings eher zum Stillhalten verdammte). Ich versuchte, mich weniger auf meine Wünsche und mehr auf meine Bedürfnisse zu konzentrieren – konnte aber nur schwer einen Unterschied erkennen. Schließlich erkor ich Freddie Mercury zu meinem Krafttier. Das half. Die Show musste ja weitergehen.
Drei wahre Heil-Wunder habe ich erlebt, die mich demütig und zugleich voller Ehrfurcht zurückließen. Ein Medizinmann aus New Mexico befreite meine Psyche von einem tief sitzenden Schmerz, den ich seit Jahren empfunden, aber nicht hatte benennen können. Am Ende der Zeremonie wedelte er mit einer Adlerfeder über meinem Kopf und sprach dazu die Worte: »Von nun an nur noch vorwärts, nur noch vorwärts.« In Bali suchte ich nach einem Motorradunfall einen Heiler auf, der mir eine Druckpunktmassage verpasste, die so qualvoll war, dass ich laut aufschrie. Woraufhin er einen Sprechgesang anstimmte, auf meine Knie und Fußgelenke pustete und dieselben Punkte noch einmal drückte. Der Schmerz war weg. Nach meinen schlimmsten Verlusten legten mir begabte Freundinnen die Hände auf. Sie lösten bei mir körperliche Beschwerden – eine unglaubliche Befreiung – durch ihre Liebe und das segensreiche Lachen, das nur Frauen kennen, die auch schon solche Situationen durchgemacht haben. Aber das kennen ja die meisten von uns.
Von einem sogenannten Energie-Heiler wurde ich belästigt und übers Ohr gehauen, benutzt wegen meiner Muschi, wegen meines Geldes und meiner Beziehungen. Im Nachhinein sehe ich darin aber eine tief greifende, absolut notwendige Einweihung in mein volles Potenzial. Früher habe ich immer nur geglaubt, das Licht würde die Dunkelheit besiegen. Heute bin ich der strahlende Beweis dafür.
Als ich vor einem buddhistischen Lama aus Tibet kniete, habe ich ihn doch tatsächlich allen Ernstes gefragt:
»Erklärst du mir bitte, worum es im Leben wirklich geht?«
Im Lotussitz habe ich meinen Atem beobachtet: ein … und … aus … Habe beim Einatmen sehr bewusst das Leiden von Tsunami-Überlebenden in mich aufgenommen und Trost und Genesung ausgeatmet. Aus dem Evangelium der Maria Magdalena habe ich einiges über Frauenunterdrückung und Radikalfeminismus gelernt. Meine Vorstellungen von einem Punkte vergebenden Gott begannen zu schwinden. Und beim Aufarbeiten meiner schwierigen Beziehung zur Meditation erschienen mir ganz besondere Bilder des Lichts, die ich später in wissenschaftlichen Texten und sakralen Kunstwerken wiederfand.
Ich kam meiner inneren Wahrheit immer näher.
Zuvor aber musste ich erst noch erkennen, dass irgendwo zwischen Yoga-Kursen, Telefonaten mit Schamanen und geführten Fantasiereisen mein spiritueller Weg zu einer neuen To-do-Liste geworden war und sich zu einer bereits ähnlich langen Liste von Anforderungen gesellte, die Beruf und Alltag an mich stellten: Zubereitung organischer Babynahrung, handgeschriebene Geburtstagskarten, sofortige Beantwortung aller Posts, die ich erhielt, die erste Million und – nicht zu vergessen: mein Beitrag zur Rettung des Planeten vor der globalen Erwärmung.
Als mir klar wurde, dass ich an einem höchst unangenehmen Punkt angelangt war – dem Konflikt zwischen ernsthaften spirituellen Bemühungen und dem Zwang, mich immer noch zu steigern, immer besser zu werden –, ging mir ein bisschen die Puste aus (und zwar nicht nur beim Ein-, sondern auch beim Ausatmen).
Ich war müde. Wollte mein Wissen zwar immer noch mit großer Hingabe erweitern. War aber vor allem k.o.
Die Suche hinterfragen
Eines Abends lag ich in der Badewanne und meditierte. Ich hatte den Tag schon mit dem Gefühl begonnen, im Rückstand zu sein, weil ich noch etwas länger im Bett geblieben war, statt zu meditieren, bevor ich meinen Sohn weckte, um ihn für die Schule fertig zu machen. Zu der Zeit hatte ich gerade angefangen, mit Mantras zu arbeiten, speziell zur Überwindung von Hindernissen. Om Gam Ganapateyei Namaha. Deshalb lief an jenem Morgen in der Küche meine Mantra-Playlist (oder gibt es etwa jemanden, der keine Mantra-Playlist für die Morgenstunden hat?) in voller Lautstärke, während ich für den Jungen ein paar Eier in die Pfanne haute. Für mich kein Frühstück, ich machte gerade eine Saftkur. Mami, der Sound ist ja voll gruselig. Hast du keinen Bruno Mars? Iss deine Eier.
Sobald mein Sohn auf dem Weg zur Schule war, hatte ich eine kurze Therapiesitzung per Smartphone. Anschließend ein Meeting mit dem Anwalt meiner Firma, gefolgt von einem Interview für eine Zeitschrift, deren Redakteurin fünf einfache Tipps für die sofortige Erleuchtung von mir wollte (»Also echte Quickies für jedermann«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken). Zwischendurch habe ich mit einer meiner besten Freundinnen über die krassen Ergebnisse meiner morgendlichen Therapiesitzung gesimst:
Ich: Super-Session! Ich zu ihm so: Ich habe immer die Brosamen und versucht, einen Kuchen daraus zu machen. Der Therapeut daraufhin: Brosamen machen dich aber nicht satt, Danielle. Davon kannst du nur verhungern. Bam, ich sag dir, das hat gesessen!
Chela: Scheiß-Brosamen.
Ich: VERHUNGERN.
Chela: Puh!
Ich: Jetzt krieg ich direkt schon richtig Hunger.
Chela: Ich auch.
Aber zurück in meine Badewanne.
Am Ende des Tages liege ich also in einer heißen Komposition aus ätherischem Lavendelöl (zwölf Tropfen), rosa Himalajasalz (drei Tassen, Bittersalz geht aber auch) und naturtrübem Apfelessig (eine Tasse). Ein Klassiker zur Vertreibung und Neutralisierung negativer Energien. Ich dachte über Vergebung nach, übte mich in Lichtatmung und bat nicht nur meine Engel, sondern auch alle Göttinnen, die gerade Dienst schoben, mir bei der Linderung meiner Schmerzen zu...