SERVICE-KUNST UND SERVICE-HANDWERK
Service ist eine Kunst. Niemand, der schon einmal einen Tag lang in irgendeiner Weise im Service tätig war, wird das bestreiten. Ganz gleich, ob wir über ein hochtrabendes, philosophisch angehauchtes Service-Verständnis sprechen wie ein Automobilbauer, der gerade angestrengt über die Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft nachdenkt, oder über Service im Sinne des Kellners, der Ihnen ein schönes Steak bringt. Beides ist eine Kunst, und alles dazwischen auch. Auf der Ebene der Führung und auf der Ebene der Ausführung. Das liegt daran, dass Service – wie alle Kunst – dem Ziel dient, Menschen zu begeistern. Und wir Menschen sind nun einmal anspruchsvoll.
Service ist auch Handwerk. Er kommt nicht ohne Standards, Maßstäbe und Zielsetzungen aus. Ein Auto gut zu verkaufen, ein Steak richtig zu servieren, ein User-Interface kundenfreundlich zu gestalten, kann man lernen. Doch exzellent wird Service auf der Ebene, wo er zur Kunst avanciert: wenn wir Menschen emotional ansprechen, berühren, verzaubern, überraschen und manchmal sogar ihr Leben verändern. Das ist die Ebene, auf der Service sich über die reine „Dienst-Leistung“ erhebt und zum besten USP – auf Deutsch Alleinstellungsmerkmal – wird, den ein Unternehmen haben kann.
Es ist meine feste Überzeugung, dass das Nachdenken über Service und die konsequente Ausrichtung an einer individuellen Service-Philosophie schon heute und mehr noch in Zukunft den Unterschied zwischen einem erfolgreichen Unternehmen und einem nicht erfolgreichen Unternehmen macht.
Service ist unsere Zukunft.
JA, ABER DIE DIGITALISIERUNG!
Ich weiß ja, die Digitalisierung. Sollten wir nicht lieber darüber reden? Liegt da nicht der Schlüssel zur Zukunft? Doch, ja, die Digitalisierung ist von entscheidender Bedeutung. Sie wird oft Thema sein in diesem Buch und auch ihre Auswirkungen auf den Service. Doch die Digitalisierung an sich ist nicht das Erfolgsrezept. Digital werden wir nämlich alle sein. Die Frage ist wie. Und bei der Antwort auf diese Frage spielt der Service eine entscheidende Rolle. Die erfolgreichsten Digitalisierungsstrategien schlagen deshalb ein wie eine Bombe, weil sie aus Kundensicht gedacht sind. Das heißt:
Die besten Digitalisierungsstrategien sind immer auch Service-Strategien.
Deshalb denke ich in diesem Buch auch dann, wenn ich über Digitalisierung nachdenke, vor allem über Service nach: Service unter digitalen Bedingungen. Denn das ist die Digitalisierung: eine gegebene Bedingung der zukünftigen Unternehmenswelt. Ich erwähnte es schon: Wir werden alle digital sein. Aber wir werden nicht alle erfolgreich sein, nur weil wir digital sind. Früher waren ja auch nicht alle Unternehmen erfolgreich, nur weil sie von manueller auf maschinelle Produktion umgestellt haben. Industrielle Revolutionen verändern die Bedingungen des Erfolgs. Darüber, wer erfolgreich sein wird und wer nicht, entscheiden andere Stellschrauben. Und die alles überragende und effektivste dieser Stellschrauben ist in meinen Augen:
Deshalb lade ich Sie in diesem Buch ein, darüber mit mir nachzudenken. Und natürlich gebe ich Ihnen darüber hinaus auch eine Fülle von konkreten Tipps und Strategien für Ihre tägliche erfolgreiche Service-Praxis mit, damit Sie vom Nachdenken direkt ins Handeln kommen können. Meine praktischen Service-Impulse sind auf der Basis meiner Beobachtungen gewachsen – vor allem aber auf jahrzehntelanger Erfahrung als Unternehmer, Führungskraft und nicht zuletzt auch als Mitarbeiter im Service. Heute führe ich mehrere Unternehmen, in denen es um Service geht – ausführend und beratend. Zuvor habe ich viele Jahre lang Tausende Service-Mitarbeiter auf vier Kontinenten geführt. Und davor war ich selbst einer von ihnen – erst als Terrassenkellner, dann als Rezeptionist und viel später dann als Hotelmanager.
Deshalb geht es in diesem Buch nicht um abstrakte Theoriemodelle, sondern um ein umfassendes Verständnis von Service. Beobachtungen, Ideen und erprobte Praxis gehen Hand in Hand. Es geht um Erfolg im Hier und Jetzt, auf dem Weg in die Service-Welt von morgen.
DIE WETTE AUF DIE ZUKUNFT
Dies ist nicht das Buch eines Zukunftsforschers, denn das bin ich nicht. Es ist ebenso wenig das Buch eines Historikers, der die Zukunft aus der Vergangenheit herauszulesen versucht. Auch nicht das Buch eines Philosophen, der auf der Basis bewährter logischer Formeln einen mehr oder weniger schlauen, letztlich aber spekulativen Blick in die Glaskugel wagt. Dies ist das Buch von einem, der seit 30 Jahren Service lebt. Der als Führungskraft mit der Verantwortung für die Service-Qualität einerseits oft genervt davon war, wie langsam manche notwendige Veränderung in den verkrusteten Strukturen großer Unternehmen vorangeht. Und der andererseits viele Trends im Service hat kommen und gehen sehen, die zwar hochgejubelt wurden, den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen im Alltag aber doch nicht standhielten.
An dieser Stelle erlaube ich mir einen ebenso banalen wie notwendigen Einwurf. Den folgenden Satz werde ich in diesem Buch noch mehrfach wiederholen, denn er ist es wert, wiederholt zu werden:
Wenn wir über Service nachdenken, dann heißt das immer zuerst: über Menschen nachdenken. Und genau das vergessen wir viel zu oft. Besonders bei den gehypten Kopfgeburten und bei den Versuchen der Bestandswahrung. Dabei geht es im Service doch um nichts anderes als das: Was braucht der Mensch wirklich, genau dieser Mensch, genau jetzt? Von dieser einen Überlegung leben wir, leben alle Unternehmen eigentlich. Ich gebe es gern zu: Es ist die vielleicht schwierigste Frage von allen.
Deshalb wird sie auch so gern mal vergessen oder die Antwort verwässert – durch all die anderen Dinge, die in einem Unternehmen täglich so zu bewältigen sind. Ganz gleich, ob es sich um ein produzierendes oder um ein Dienstleistungsunternehmen handelt.
Wenn wir bei RichtigRichtig.com, meiner Managementberatung für Kundenbegeisterung, Unternehmen auf ihrem Weg in die Zukunft begleiten, spüren wir jeden Tag, welche Unsicherheit in vielen Unternehmen angesichts der Zukunft herrscht. Unsere Vision ist es, dass Sie mit Ihrem Unternehmen die Lücke zwischen Kundenerwartung und Kundenerfahrung schließen. Doch auf dem Weg dahin gibt es oft erst einmal viele alte Glaubenssätze zu überwinden und strategische und operative Barrieren aus dem Weg zu räumen. Sie stammen aus einer anderen Zeit, als sich das System noch um das System drehte und nicht um den Kunden. Überall gibt es dieselben Probleme, dieselben Zukunftsängste, dieselben Zielkonflikte. Überall ist anderes immer dringender.
Dringender vielleicht, aber nicht wichtiger.
Service also.
Service zu machen, ist an der Basis, im direkten Kontakt mit den Kunden schon eine Kunst. Service zu machen, im Sinne eines Konzepts für die Zukunft, als Bestandteil der täglichen Führungsarbeit, ist ein zermürbendes Geschäft. Aber es ist in steigendem Maße der bestimmende Teil der Strategiearbeit. Service ist für immer mehr
Branchen und einen immer größeren Teil der Unternehmenslandschaft weltweit die Zukunft. Auch und gerade für die Branchen, die durch die Digitalisierung besonders bedroht sind.
DIE GRENZEN DER DIGITALISIERUNG SIND DIE CHANCEN DES SERVICE
Zu den von der Digitalisierung besonders betroffenen Bereichen gehört nach Meinung der Forscher paradoxerweise ausgerechnet die Service-Industrie oder das, was allgemein als „Dienstleistungssektor“ bezeichnet wird. Einige Studien sehen hier längerfristig eine Digitalisierungsquote von über 50 Prozent der Arbeitsplätze. Ob man sich diesen Spekulationen an diesem Punkt anschließen möchte oder nicht, ist eine Glaubensfrage. So oder so lautet auch hier die Antwort: Service. Nicht aus Romantik oder aus Verzweiflung schreibe ich das, sondern aus Überzeugung:
Denn sie beziehen sich immer auf das Was, auf das Produkt oder die Dienstleistung an sich. Das Potenzial der menschlichen Begegnung, des Bedürfnisses des Menschen nach sozialem Kontakt ist dagegen unbegrenzt. Denn hier geht es um das Wie, und das Wie kennt keine Grenzen. Das Wie erlaubt einem Unternehmen, sich immer wieder neu zu erfinden und es immer wieder anders zu machen als der Mitbewerber. Und noch etwas kann Service, das keine andere Digitalisie-rungsstrategie kann: Service ist das Spielfeld der Exzellenz.
Mit Service können sich Unternehmen nicht nur abgrenzen, sondern auch nach oben absetzen. Momentan liegt der Schwerpunkt aller Debatten einseitig auf der Digitalisierung als eierlegender Wollmilchsau. Doch Digitalisierung hat in Bezug auf die Kundenorientierung einen entscheidenden Nachteil: Sie beruht letztlich immer auf Algorithmen. Und bei Algorithmen geht es immer darum, eine Regel aus Normwerten abzuleiten. Algorithmen...