Einleitung
Es gibt ein Leben ohne Neurodermitis
Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.
Franz Kafka
Ich wache auf. Ein kurzer Check: nichts brennt, nichts juckt. Keine Stelle am Körper, die sich feucht oder heiß anfühlt. Die Finger kleben nicht aneinander, ich kann sie krümmen, ohne dass die Haut mit fiesem Schmerz einreißt.
Frische Morgenluft weht aus dem geöffneten Fenster kühl über mein Gesicht. Was für ein Tagesbeginn!
Neurodermitis ist ein quälendes, belastendes, oft nur schwer erträgliches und als unheilbar geltendes Leiden. Aber ein Buch darüber schreiben, dass ich mich nach 45 Jahren mit dieser Erkrankung in meiner Haut pudelwohl fühle?
Warum? Es gibt doch schon so viel Literatur zu diesem Thema. Und man kann sich jederzeit in Internetforen oder auf speziellen Plattformen darüber austauschen, wie es sich mit Neurodermitis, die als häufigste chronische Hauterkrankung gilt, lebt und wie man sie behandeln kann.
4,5 Millionen Menschen leiden laut Deutscher Dermatologischer Gesellschaft an ihren Symptomen. Man geht auch in Österreich und der Schweiz davon aus, dass etwa 5 Prozent der Erwachsenen und 10 bis 20 Prozent der Kinder betroffen sind. Die Krankheitsfälle sollen sich in den letzten 60 Jahren in den Industrieländern vervierfacht haben und den Prognosen nach werden sie sich auch in Zukunft weiter erhöhen. Kaum eine andere Erkrankung zeigt diese Steigerung. Wobei nicht ganz klar ist, ob es tatsächlich mehr Fälle von Neurodermitis gibt als früher oder ob sie einfach nur öfter diagnostiziert wird, weil sich die Wahrnehmung von Ärzten und Betroffenen verändert hat. Man nimmt die Neurodermitis heute sehr ernst und Atopiker, wie Neurodermitiker von Medizinern auch genannt werden, suchen sowohl in der Schulmedizin als auch bei alternativen Heilmethoden Hoffnung, Hilfe und Heilung. Was dazu geführt hat, dass sie zunehmend von der Pharma- und Kosmetikindustrie entdeckt und aktiv umworben werden.
Inzwischen gibt es in den Regalen der Apotheken und Drogeriemärkte ein üppiges Angebot an Cremes, Salben und Lotionen für die speziellen Hautbedürfnisse von Neurodermitikern. Denn nach einstimmiger Meinung von Ärzten und Wissenschaftlern ist die konsequente, permanente und tägliche Pflege mit allem, was den Fett- und Feuchtigkeitsgehalt der Haut erhöht, bei Neurodermitis das A und O.
Wenn ich jemanden nach längerer Zeit treffe, höre ich oft, dass ich so verändert aussähe, so entspannt und – wie schön – so jung …
Neue Frisur? Neuer Job? Oder vielleicht eine neue Liebe?
Weder noch.
Aber dass ich anders aussehe, stimmt. Wenn ich dann erzähle, was ich gemacht habe, sind die meisten baff. Und können nicht glauben, dass die bloße Entscheidung, von einem Moment auf den anderen alle Cremes wegzulassen, einer der wesentlichen Gründe für mein entspanntes Aussehen ist.
Meine über Jahrzehnte immer wieder schwer entzündete und von Neurodermitis gezeichnete Haut vollbrachte das Wunder, sich innerhalb weniger Monate nur aus sich selbst heraus komplett zu regenerieren.
Null Creme
Ich, die von klein auf »cremen, cremen, cremen« lernte, damit Juckreiz und Krankheitsschübe in Schach gehalten werden können, benutze heute weder nach dem Waschen noch nach dem Aufenthalt in kalter Winterluft oder heißer Sommersonne eine Creme, Lotion oder ein anderes Produkt. Mein Gesicht, mein Hals und meine Hände, wo die Neurodermitis immer am stärksten war, finden dies wunderbar und danken es mir mit einer gesunden und stabilen Haut.
»Sind Sie komplett verrückt geworden?«, hätte mir mancher Dermatologe bestimmt fassungslos entgegnet, wenn ich ihm von meinem Projekt »null Creme« erzählt hätte.
»Ihre Haut bildet nun einmal weniger Talg als eine gesunde und leidet außerdem unter einem Mangel an bestimmten Fettstoffen. Die Bindung von Wasser ist reduziert, die Schweißabsonderung wahrscheinlich auch. All diese Veränderungen führen dazu, dass die Hautbarriere gestört ist und Ihre Haut anfälliger für Infektionen und durchlässiger für Schadstoffe und Allergene wird. Wenn Sie nicht wollen, dass die eindringen, dann müssen Sie cremen! Nur so können Sie die Schutzfunktion Ihrer Haut verbessern.«
Der Dermatologe hätte eine kurze Pause gemacht, sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und dann im Brustton der Überzeugung ergänzt: »Und Cremen, das können Sie mir nun wirklich glauben, ist immer noch die allerbeste Methode, um Schübe zu verhindern.«
Ich weiß. Nicht zu cremen widerspricht komplett dem, was Medizin, Kosmetik- und Pharmaindustrie zum Schutz und zur Pflege der angegriffenen Neurodermitis-Haut empfehlen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Beschäftigung mit der eigenen Haut erwiesenermaßen Körper und Seele gut tut. Seit meiner Kindheit habe ich mich deshalb ja auch ununterbrochen mit Cremes und Fettsalben versorgt. Bis mein Leiden über Jahrzehnte trotz ständigen Schmierens so groß wurde, dass ich einen anderen Weg suchen musste, um meine Haut zu retten. Und diesen paradoxerweise in der totalen Creme-Abstinenz fand.
Mut, Geduld und Vertrauen
»Das Außergewöhnliche geschieht nicht auf glatten, gewöhnlichen Wegen«, schrieb Johann Wolfgang von Goethe einst.
Wie wahr. Denn so einfach sich mein cremefreier Weg anhört und so wenig er im Gegensatz zu vielen anderen Neurodermitis-Therapien kostete – nämlich gar nichts –, so steinig und mühsam war er auch. Ich brauchte unendlich viel Mut, Geduld, Hoffnung und Vertrauen, ihn durchzuhalten und bis zum Ende zu gehen.
Mut, weil ich nicht wusste, ob er mich wirklich zur heilen Haut führt. Hoffnung, weil ich schon so viel ausprobiert hatte, um die Neurodermitis zu heilen oder wenigstens zu lindern, und nichts langfristig geholfen hat. Geduld, weil es nur in winzigen Schritten vorwärtsging, die sich häufig anfühlten, als würde sich nichts verändern oder als würde alles sogar noch schlimmer: Jucken, neu aufflammende Hitze, Schwellungen. Und Vertrauen, dass mein Körper über mächtige und äußerst wirksame Selbstheilungskräfte verfügt und diese auch aktivieren würde.
Und – ganz wichtig: Ich brauchte Menschen. Die auch an diesen Weg glaubten und mir ihre Zuversicht schenkten, wenn meine gerade dahinschwand.
Ich kann nur von meiner eigenen Erfahrung mit meiner entzündeten Haut berichten, davon, was mir half und was nicht. Das heißt nicht, dass es für andere genauso sein muss. Wie oft bin ich ganz aufgeregt in die nächste Apotheke gelaufen und habe mir die Wundersalbe xyz besorgt. Weil jemand in einem Internetforum begeistert berichtete, mit ihr endlich DIE Lösung für seine Neurodermitis gefunden zu haben. Meine Haut hat dann meistens schon beim ersten Kontakt mit der neuen Salbe gebrannt oder unerträglich gejuckt. Und ich, wieder um eine Hoffnung ärmer, machte mich von Neuem auf die Suche nach dem Wundermittel, dem echten »Heiligen Gral«, der mir wirklich eine gesunde Haut schenken würde.
Gefangene der Haut
Neurodermitis ist eine Krankheit, die einem nicht nur sämtliche Kraft, sondern auch jegliches Selbstbewusstsein und immer wieder auch die Lebensfreude rauben kann.
Die Neurodermitis hat meine Entwicklung geprägt, meine Berufsentscheidungen, meine Beziehungen und Partnerschaften. Meine Tagesabläufe, mein Seltsam- und Kompliziertsein.
Ich habe Menschen gemieden, mich verabschiedet, wenn die anderen noch feierten oder gerade erst richtig damit anfingen. Und meine Verabredungen lange im Voraus getroffen, in der Hoffnung, dass sich die Haut in der Zwischenzeit beruhigt. Was sie aber nur selten tat. Im letzten Moment habe ich den Termin häufig abgesagt, weil ich mich nicht zeigen wollte. Ich fühlte mich in meiner Haut fast mein gesamtes Leben unwohl und krank, unansehnlich und unsicher. Sie war eine Grenze, die mich von anderen trennte und einsam machte. Weil sie mich in ein Gefängnis sperrte, mich immer wieder unter strengen »Haut-Arrest« stellte.
Bei einem Vortrag in einer Klinik sprach ein Arzt darüber, sich trotz Hautkrankheit nicht die Lebensfreude nehmen zu lassen.
»Vor allem«, appellierte er an uns Neurodermitiker, Schuppenflechtler und Allergiker im Publikum, »ziehen Sie sich nicht zurück. Mischen Sie sich unter Menschen, nehmen Sie am gesellschaftlichen Leben teil!«
Ich wurde ärgerlich. Da forderte jemand mit kerngesunder Haut – zumindest wirkte es so – Menschen, die von ihrer kranken Haut gezeichnet waren, fröhlich dazu auf, das Leben doch einfach mal locker zu nehmen.
Ratschläge mochte ich noch nie. Aber Ratschläge von jemandem, der offensichtlich keine Ahnung hatte, welche Qual und...