DER KIRCHENGESCHICHTLICHE BLICK: WIE ES ZUR EUCHARISTIEVEREHRUNG AUSSERHALB DER MESSE KAM
Am Anfang muss eine nüchterne Feststellung stehen: Mehr als 1000 Jahre kam die Kirche ohne ausdrückliche Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messe aus. Mehr als 1000 Jahre ohne Tabernakel und Monstranz. Mehr als 1000 Jahre ohne Kniebeuge vor dem „Allerheiligsten“ und ohne „ewiges Licht“ vor dem Sakramentshäuschen (dem Tabernakel). Mehr als 1000 Jahre ohne Fronleichnamsfest und eucharistische Anbetung. Vielleicht erschrecken die einen über diese Fakten und können sich das gar nicht vorstellen. Aber es ist so, dass vieles, was heute in der (römisch-)katholischen Kirche selbstverständlich, ja identitätsbildend ist, über lange Zeit ganz anders war. Vielleicht sagen andere: Da sieht man es ja, das braucht es nicht, das ist unnötig, kehren wir doch zurück zu den Anfängen!
Einige Streiflichter aus der Geschichte31 sollen zunächst die „Geburt“ und das Wachsen und Werden der eucharistischen Anbetung erhellen. Der Blick soll dabei auf einige Motive und Ereignisse fallen, die zur Ausbildung der Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messe beigetragen haben. Es sind viele Faktoren, die daran mitgewirkt haben. Und auch wenn sich Ausdrucksgestalten von Frömmigkeit und Glauben ändern können und müssen, wirken manche Grundeinsichten fort und suchen sich immer neu einen Weg. Andere geraten in Vergessenheit und haben doch eine wichtige Botschaft. Deshalb wird am Ende zu fragen sein, was wir aus der Geschichte lernen können.
EIN STREIT UM DAS RECHTE VERSTÄNDNIS DER KONSEKRATION
Bereits im 9. Jahrhundert kam es zum so genannten ersten Abendmahlsstreit oder der „karolingischen Eucharistiekontroverse“32. Holzschnittartig gesagt ging es dabei um die Frage, ob die Kategorie des „Bildes“, die das antike Denken beherrscht hat, (noch) geeignet war, um die Gegenwart Jesu Christi im konsekrierten Brot und Wein auszudrücken. Beide Parteien, verbunden mit den Namen der Mönche Paschasius Radbertus (ca. 790–859) und Rathramnus († 870), waren sich darin einig, dass sich die Konsekration durch das Sprechen der Wandlungsworte und durch den Heiligen Geist ereignet. Sie gingen jedoch unterschiedliche Wege, um die eucharistische Gegenwart zu verstehen. Gemäß einigen Theologen33 sah sich Rathramnus noch dem älteren Bildverständnis verbunden, welches das Bild nicht nur als einen bloßen Hinweis verstand, sondern als partizipierend am Ur-Bild. Deshalb verstand er das Sakrament der Eucharistie als „Bild“ des realen Herrenleibes des erhöhten Christus und meinte damit eine wirkliche Gegenwart Christi! Bei Radbertus wird ein neues Denken sichtbar. Bild („figura“) und Wirklichkeit waren für ihn ein Gegensatzpaar. Das Bild verstand er nicht als Wirklichkeit, sondern bestenfalls als Hinweis, als äußerlich bleibendes Zeichen. Obwohl es zu seiner Zeit nicht unbedingt danach aussah, hat sich die Auffassung des Radbertus theologiegeschichtlich gesehen durchgesetzt34, so dass die Kategorie des Bildes nach und nach nicht mehr als angemessen für die eucharistische Präsenz Jesu Christi gesehen wurde. Kein Bild, sondern Wirklichkeit, hieß die neue Einsicht im Sprachgewand einer neuen Zeit.
Das Aufkommen von Formen eucharistischer Verehrung wurde dann besonders durch den zweiten Abendmahlsstreit begünstigt (nicht hervorgerufen). Er wurde durch Berengar von Tours († 1088) ausgelöst. Auch hier ging es um die Frage nach der „wirklichen“ Gegenwart Christi in den Gestalten der Eucharistie, auch hier ging es um die Frage nach „Bild“, „Sakrament“ und „Wirklichkeit“. Das alte Bilddenken wurde noch weniger verstanden als zu Zeiten von Radbert und Rathramnus, und so wurde Berengar, der sich auf Rathramnus berief, verurteilt. Die Auseinandersetzungen waren geprägt von einer zunehmenden Konzentration auf die Frage nach der „leiblichen Gegenwart“ (somatischen Realpräsenz) Jesu in den eucharistischen Gestalten. Sie mündeten schließlich ein in die auf dem Vierten Laterankonzil 1215 übernommene Rede von der „Transsubstantiation“, der „Wesensverwandlung“ (DH 802). Von diesem Begriff wird später noch die Rede sein. Insgesamt änderte sich durch diesen Streit die „Stimmung“ – bis hinunter ins Volk. Das Interesse am Gottesdienst konzentrierte sich nun fast nur mehr auf den Augenblick der „Wandlung“ und dessen „Ergebnis“, die reale Gegenwart Jesu Christi unter den Gestalten von Brot und Wein. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis das konsekrierte Brot, der Leib Christi, auch ohne den Zusammenhang von Messe und Kommunion Bedeutung bekam.
NEUE AUSDRUCKSFORMEN DER VEREHRUNG -UND MANCHMAL AUCH: VERZERRUNG
Die Aufmerksamkeit, die sich nicht mehr in erster Linie auf die Messfeier als Ganzes richtete, sondern auf den Leib und das Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein, brachte nach und nach verschiedene, heute zum Teil „selbstverständliche“ Formen der Verehrung der Gegenwart Christi in der Eucharistie hervor. Zu nennen sind die Kniebeuge des Zelebranten nach den Wandlungsworten, das Läuten der Glocken als Zeichen für den nahenden Höhepunkt und vor allem das Hochheben der Hostie und später auch des Kelches nach den Konsekrationsworten, durch das der Raum der Anbetung markiert wurde. Vor allem diese „Elevation“ [Erheben] ebnet den Weg zur späteren „Aussetzung“ in der Monstranz, die so etwas wie eine über die Messe hinaus verlängerte Elevation ist. Peter Browe schreibt:
„Ohne Übertreibung kann man sagen, dass [der Ritus, die konsekrierte Hostie hochzuhalten und zu zeigen] der Ausgangspunkt der eucharistischen Frömmigkeit der folgenden Zeiten geworden ist, und dass mit ihm ein ungeahnter Aufschwung des eucharistischen Glaubens und Aberglaubens begonnen hat. … von Anfang an war die Elevation die eindringliche liturgische Geste, die darauf hinwies, dass das Brot wahrhaft und wirklich in den Leib des Herrn gewandelt ist und angebetet werden soll. Sie war Aufforderung zur Anbetung.“35
Interessant ist, dass die Hochhebung der Hostie nicht unumstritten war, sondern zum Teil durch bischöfliche Erlässe sogar eingeschränkt und vor allem in ihrer Dauer begrenzt wurde. Die langsame Einführung der Elevation setzte am Beginn des 12. Jahrhunderts ein. Vorher war es ganz und gar nicht selbstverständlich, den Leib Christi (auf die Hostie konzentrierte sich das Interesse in erster Linie) unverhüllt zu sehen. Im Gegenteil: In den Jahrhunderten zuvor hat man sich geradezu davor gescheut, die Hostie zu viel den Blicken auszusetzen. Man empfand das als schamlos und des Geheimnisses nicht würdig. Deshalb wurden die eucharistischen Gestalten meist verhüllt, z. B. mit einem großen Tuch. Auch zu den Sterbenden wurde das Sakrament in einem verhüllten Speisekelch getragen. Nun aber schlug das Bedürfnis um: Man wollte und sollte sehen! Das hat zum einen mit dem zu tun, was man allgemein „gotische Schaufreude“ nennt. Zum anderen hat es die Kirche auch gefördert, um den Gläubigen den rechten Zeitpunkt der Verehrung von Leib und Blut Christi anzuzeigen. Man wollte damit verhindern, dass die Gläubigen „zu früh“ anbeten, wenn die Wandlung noch nicht vollzogen ist. Die Worte des Priesters konnten ja nicht verstanden werden. Damit die Gläubigen gut sehen konnten, griff man zu „Wandlungskerzen“ oder spannte dunkle Tücher, auf denen sich die weiße Hostie besser abheben sollte.36
Dabei kam es auch zu Auswüchsen in der Verehrung – und mitunter zu Verzerrungen und sogar zu magischen Vorstellungen und Praktiken. So wollten viele Fromme das Altarsakrament möglichst oft schauen. Anstatt einen Gottesdienst ganz mitzufeiern, gingen sie von Messe zu Messe, von Altar zu Altar, um den Augenblick der Elevation zu erhaschen und dadurch möglichst viel Gnade zu „erwerben“. Andere wiederum begnügten sich damit, kurz zum Zeitpunkt der Wandlung (der durch die Kirchenglocken auch nach außen hin angezeigt wurde) in die Kirche zu gehen, und erachteten ihre Christenpflicht dadurch erfüllt. Denn die Hochhebung der Hostie (die des Kelches war nicht so wichtig, weil man das Blut Christi dabei doch nicht sehen konnte) entwickelte sich immer mehr zum Mittelpunkt der Volksfrömmigkeit. Auch manche Priester förderten dies, indem sie die Hostie sehr lange oder sehr oft hochhoben. Konsekration und Elevation wurden so in den Augen der Gläubigen zum wertvollsten Augenblick des Gottesdienstes, so sehr, dass sie auch alleine stehen konnten. Es wurde für das eigene Seelenheil wichtig, den Leib des Herrn zu schauen. Die Eucharistie wurde immer weniger als Speise gesehen, sondern als Gegenstand der Verehrung und Anbetung.37 Der Kommunionempfang ging noch mehr zurück, als es ohnehin schon der Fall war. Die Vorschrift des Vierten Laterankonzils 1215, dass die Gläubigen wenigstens einmal im Jahr die Kommunion empfangen sollen, ist deshalb als Ermutigung, nicht als Einschränkung zu deuten. Auch auf der Ebene der Diözesen gab es eine...