KAPITEL 1
Darum geht es in diesem Buch
Das Projekt, das Gegenstand dieses Buches ist, hat sich langsam entwickelt und später Gestalt angenommen, als ich mir das gewünscht hätte. Der tägliche Kampf meiner Patienten mit Übergewicht, Fettleibigkeit und Diabetes geht auch an mir nicht spurlos vorbei. Schon bald habe ich mich davon entfernt, ausschließlich auf die Zahl der Kalorien zu schauen. Nach Abschluss meines zehnjährigen Medizinstudiums war ich äußerst frustriert, als ich entdeckte, dass sich das, was man mich gelehrt hatte, als sehr unwirksam erwies. In der Praxis zog ich schnell meine eigenen Schlüsse und formte einen für mich damals legendären Verdacht: Die Theorie mit den Kalorien basiert auf einer unbegründeten Annahme. Es sind gar nicht alle Kalorien gleichwertig; was wirklich zähle, ist die Art einer Kalorie oder der Nährwert, den sie enthält.
In den Gesprächen mit meinen Patienten stellte ich fest, dass die große Mehrheit zunahm, weil sie zu viele schlechte, sogenannte »invasive Kohlenhydrate« aß, das heißt Kohlenhydrate, die sehr schnell verdaut werden und in großer Menge gleichzeitig ins Blut übergehen. Im Lauf der Zeit entwickelte ich Schritt für Schritt eine Methode, bei der diese »Zucker« während einer relativ kurzen Phase der Gewichtsreduktion weggelassen werden. Die Ergebnisse bestätigten mir, dass Übergewicht etwas ist, das von den Betroffenen selbst gemeistert werden kann, wenn sie ausreichend motiviert sind, für eine gewisse Zeit auf diese Zucker zu verzichten. Ich begann, Bücher über diese Methode zu schreiben, die in der breiten Öffentlichkeit auf sehr großes Interesse stießen und meine Methode in aller Welt bekannt machten. So wurden Millionen von Lesern erreicht, nur ist ein Leser eben kein Patient. Besitzt der Leser allerdings etwas, das ich als WWA bezeichne, nämlich den »Willen, wirklich abzunehmen«, dann wird es ihm mit diesem Buch gelingen abzunehmen und das erzielte Gewicht zu halten. Allerdings gibt es auch viele Betroffene, deren Motivation nicht groß genug ist, die in keiner Beziehung zu einem Arzt stehen und die sich möglicherweise auch jede Menge Falschinformationen angeeignet haben. Für diese Menschen ist es umso schwerer, den Kampf gegen ihr Übergewicht zu gewinnen.
Warum ist es so schwer für sie? Hauptsächlich aus zwei Gründen: Zum einen verabscheuen viele Betroffene zwar ihre Extrakilos, zum anderen können sie aber dennoch nicht auf die Nahrungsmittel verzichten, die dick machen. Das liegt teilweise daran, dass die Lobby der Zucker- und Weißmehlindustrie und der daraus produzierten Lebensmittel – zusammen mit den Pharmaunternehmen – sich heftig gegen alles wehrt, was auch nur im Entferntesten ihre Umsätze bedrohen könnte. Von Geburt an bis zum Alter von etwa 50 Jahren werden wir manipuliert, industriell verarbeitete Lebensmittel zu essen, wodurch wir zunehmen, teilweise bis hin zum Übergewicht. Ab dem Alter von 50 Jahren schließlich versuchen wir, mit kostspieligen Medikamenten die Krankheiten zu behandeln, die im Zusammenhang mit dem Übergewicht stehen. Für viele ist es schwierig einzuschätzen, welche enorme Macht die großen Lebensmittelproduzenten haben oder welches Ausmaß ihre Verbindungen zur Ärzteschaft und den Medien hat.
Sind also alle, die unter Übergewicht leiden, hoffnungslose Fälle? Nein, absolut nicht. Ich weiß aus meiner langen Erfahrung, dass es möglich ist, Übergewicht, Fettleibigkeit und sogar Diabetes zu behandeln und zu besiegen. Der Erfolg hängt jedoch davon ab, dass der Patient akzeptiert, dass die einzige wirksame Behandlung die richtige Ernährung ist. Alle anderen Behandlungsmöglichkeiten, die sich nicht auf eine richtige Ernährung stützen und stattdessen über »Nährstoffbalance« dozieren oder empfehlen, man solle einfach nur »auf seine Gefühle hören«, sind Wunschträume, die nirgendwohin führen. Um Betroffene nicht länger machtlos zu lassen, habe ich versucht, einen anderen Weg zu gehen. Dabei habe ich – Schritt für Schritt – einen kompletten Ernährungsplan erstellt, und zwar den, den Sie in diesem Buch finden.
Wie alles begann
Ich bin etwa in der Zeit geboren worden, als die Krise des Übergewichts begann. Während ich mein Medizinstudium aufnahm, waren Gesundheitsinstitutionen und Ärzte geschockt, weil die Zahl übergewichtiger Personen überall schier ins Unermessliche stieg. Nach meinem Studium arbeitete ich im Bereich der Ernährung und meine Patienten zeigten mir tagtäglich, dass sie relativ leicht abnehmen konnten. Gleichzeitig beobachtete ich, wie aus der Übergewichtskrise eine Epidemie wurde. Die Zahl der Betroffenen stieg mit schwindelerregendem Tempo weiter an. Der WHO zufolge waren 2016 weltweit 41 Millionen Kinder unter fünf Jahren und mehr als 340 Millionen Kinder zwischen fünf und 19 Jahren übergewichtig oder fettleibig. Waren also 1975 nur 4 Prozent der Kinder übergewichtig oder fettleibig, stieg die Zahl bis 2016 auf dramatische 18 Prozent.
1 Als ich mir die Entwicklung genau anschaute, war ich von einigen Punkten überrascht und betroffen, verstand sie zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht.
Also fing ich an zu recherchieren. Als Erstes stieß ich auf die Zahlen das durchschnittliche Geburtsgewicht der Babys in der westlichen Welt betreffend, das innerhalb von 30 Jahren, zwischen 1970 und 2000, stark gestiegen war. Während es 1970 bei etwa 3000 g lag, war es 30 Jahre später auf über 3500 g gestiegen und näherte sich damit der Grenze zum Übergewicht. Heute sind 3500 g jedoch die Norm und man spricht erst bei einem Neugeborenen ab 4000 g von einem »großen« Baby.
Wie erklärt sich diese neuere und bedeutende Zunahme des Geburtsgewichts? Wir wissen, dass der Fötus völlig passiv lebt, er ist einzig und allein abhängig von der Ernährung seiner Mutter. Die einzige wissenschaftliche und logische Schlussfolgerung ist daher, dass sich die mütterliche Ernährung signifikant verändert hat. Schwangere essen heute tatsächlich weniger als früher, aber sie essen anders. Genau wie die übrige, nicht schwangere Bevölkerung hatten auch werdende Mütter plötzlich Zugang zu völlig neuen Nahrungsmitteln. Die Rede ist von Lebensmitteln, die verwandelt, industriell verarbeitet, konzentriert und raffiniert wurden, wodurch sie zu dem geworden sind, was wir in diesem Buch als »invasive Kohlenhydrate« bezeichnen. Dieser Begriff soll die blitzartige Geschwindigkeit hervorheben, in der diese Kohlenhydrate verdaut werden.
Der zweite Punkt, der meine Aufmerksamkeit erregte, waren das unbegreifliche Tempo und das Ausmaß, in dem das Übergewicht explodierte. Nachdem das Problem in den 1950er-Jahren langsam begonnen hatte, legte es in den 1970er-Jahren drastisch an Tempo zu und betraf innerhalb von nur 40 Jahren bereits ein Viertel der Weltbevölkerung. Meiner Meinung nach kann ein solcher Anstieg unmöglich allein durch übermäßiges Essen, eine sitzende Lebensweise, eine zu hohe Kalorienzufuhr und zu wenig Kalorienverbrauch erklärt werden.
Der dritte Punkt, auf den ich bei meinen Recherchen stieß, war das Auftreten von Diabetes Typ 2 bei Kindern und Jugendlichen. Die Erkrankung war bis zu diesem Zeitpunkt nur bei Erwachsenen vorgekommen. Diese von der früheren Norm abweichende Entwicklung betrifft vor allem Schwellenländer, in denen sich die Ernährungskultur grundlegend verändert hat. Chinesische Kinder beispielsweise haben laut Berichten der Internationalen Vereinigung zur Untersuchung der Adipositas (IASO) eine Diabetesquote, die vier Mal höher ist als bei amerikanischen Kindern
2. Außerdem wird dieser kindliche Diabetes von einem starken Anstieg der Fettleibigkeit begleitet. Hiervon sind immer jüngere Kinder betroffen. Wie ist es zu erklären, dass jedes sechste Kind mit fünf Jahren fettleibig ist? Und wie kommt es, dass Anzeichen dieser Fettleibigkeit bereits im Alter von zwei oder drei Jahren nachweisbar sind? Es wäre absurd, einem so kleinen Kind vorzuwerfen, es nasche zu viel oder habe zu wenig Bewegung.
Der vierte Punkt, der meine Aufmerksamkeit erregte, ist die zunehmende Häufigkeit von Schwangerschaftsdiabetes. Dabei handelt es sich um einen Diabetes, der erstmals während einer Schwangerschaft auftritt, in der Regel im letzten Schwangerschaftsdrittel. Man weiß, dass die von der Plazenta produzierten Hormone dem Insulin etwas von seiner Wirksamkeit nehmen – dies bezeichnet man als Insulinresistenz. So wird die Bauchspeicheldrüse gezwungen, zum Schutz mehr Insulin zu produzieren. Diese Überanstrengung kann zu einer Erschöpfung der Bauchspeicheldrüse führen und einen vorübergehenden Diabetes hervorrufen. Evolutionär betrachtet stellte dieses Phänomen im Zusammenhang mit der Fettspeicherung wahrscheinlich einen Vorteil dar, da es die Schwangerschaft in Zeiten von Nahrungsknappheit schützte. Aber die Flut an invasiven und stark verarbeiteten Zuckern in der modernen Ernährung – und damit auch in der Nahrung, die Schwangere zu sich nehmen – übersteigt die Fähigkeiten der Bauchspeicheldrüse, den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren.
So kommt es, dass die Anzahl Frauen, die von Schwangerschaftsdiabetes betroffen sind, je nach Land und Kultur variiert. Während die Häufigkeit in Europa heute beispielsweise bei 6 bis 10 Prozent liegt, kann sie in den USA, wo bekanntlich mehr Zucker konsumiert wird, auf 18 Prozent steigen. Ein Schwangerschaftsdiabetes birgt verschiedene Risiken für das Kind: So ist es möglich, dass es bei der Geburt überdurchschnittlich schwer ist, dass es zu Beginn des Erwachsenenalters leichter fettleibig wird und dass es eine Glukoseintoleranz entwickelt, aus der Diabetes entstehen kann.
Seit einigen Jahren hat sich zudem ein neuer Begriff durchgesetzt: »Diabesity«, eine Kombination...