EINLEITUNG
Weniger ist mehr
Wir können wochenlang ohne Nahrung und tagelang ohne Wasser leben, aber nur wenige Minuten ohne Luft auskommen. Während wir viel Zeit und Aufmerksamkeit darauf verwenden, was wir essen und trinken, schenken wir der Atemluft so gut wie keine Beachtung. Dass bei der täglichen Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowohl die Qualität als auch die Quantität eine wichtige Rolle spielen, ist allgemein bekannt. Eine Über- oder Unterversorgung führt zu Problemen. Uns ist auch klar, dass wir gute Luft brauchen. Aber was ist mit der Menge? Welches Maß an Atemluft benötigen wir für optimale Gesundheit? Wäre es nicht logisch anzunehmen, dass auch für die Luft, die doch für das menschliche Überleben noch wichtiger ist als Nahrung oder Wasser, ebenfalls ein paar ganz grundlegende Anforderungen gelten?
Die Menge der eingeatmeten Luft kann alles verändern, was Sie glaubten, über Ihren Körper, Ihre Gesundheit und Ihre Leistungsfähigkeit zu wissen. Das gilt unabhängig davon, ob Sie jemand sind, dem es schwerfällt fürs Training das Sofa zu verlassen, ob Sie ein Sonntagssportler sind, der gelegentlich zehn Kilometer läuft, oder ein Profiathlet auf der Suche nach dem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Sie fragen sich vielleicht, was ich in diesem Zusammenhang mit »Menge« meine. Schließlich ist Luft nichts, was Sie sich am späten Abend kurz mal am Küchentisch reinziehen – oder bei einem Gelage am Wochenende. Aber was wäre, wenn genau das in gewisser Hinsicht der Fall wäre? Was wäre, wenn gesunde Atemgewohnheiten für das Erreichen eines maximalen Fitnesslevels genauso wichtig wären wie gesunde Ernährungsgewohnheiten – oder sogar noch wichtiger?
In diesem Buch werden Sie die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Sauerstoff und wichtigen körperlichen Abläufen kennenlernen. Die Verbesserung Ihrer Leistungsfähigkeit wird dadurch erreicht, dass Sie die Sauerstoffversorgung Ihrer Muskeln, Ihrer Organe und Ihres Gewebes optimieren. Eine solchermaßen erhöhte Sauerstoffsättigung ist nicht nur gesünder, sondern ermöglicht auch eine höhere Übungsintensität und lässt Sie weniger schnell außer Atem kommen. Kurzum: Sie werden gesünder, fitter und leistungsfähiger.
Wenn Sie an Wettkämpfen teilnehmen, werden Sie feststellen, dass Sie sowohl das Training als auch den Wettbewerb selbst mehr genießen denn je. Der Grund: Sie werden in der Lage sein, mit weniger Aufwand mehr zu erreichen. Unsere allgemeine Fitness und sportliche Leistungsfähigkeit wird nämlich in der Regel durch die Lunge begrenzt – nicht durch die Beine, die Arme oder den Geist. Jeder, der sich regelmäßig bewegt, weiß, dass das Empfinden von Atemnot die Trainingsintensität weit mehr beeinflusst als jede Muskelermüdung. Die Grundlage für Spaß am Sport und eine Steigerung der körperlichen Aktivität ist deshalb eine möglichst effiziente Atmung.
Chronisches Hyperventilieren
Zu lernen, wie man richtig atmet, ist fundamental – das beweisen wissenschaftliche Untersuchungen ebenso wie die Erfahrungen Tausender Menschen, mit denen ich gearbeitet habe. Das Problem ist, dass die richtige Atmung, die uns eigentlich in die Wiege gelegt sein sollte, in unserer modernen Gesellschaft zu einer großen Herausforderung geworden ist. Wir gehen davon aus, dass der Körper immer reflexartig weiß, wie viel Luft er im jeweiligen Moment benötigt. Doch leider ist das nicht der Fall. Im Laufe der Jahrhunderte haben wir unsere Umwelt so dramatisch verändert, dass viele von uns die angeborene Fähigkeit zum Atmen verlernt haben. Der natürliche Atemprozess ist durch chronischen Stress, überwiegend sitzende Tätigkeiten, ungesunde Ernährung, überheizte Häuser und mangelnde Fitness aus dem Ruder geraten. All diese Faktoren tragen zu schlechten Atemgewohnheiten bei. Und schlechte Atemgewohnheiten haben wiederum Trägheit, Gewichtszunahme, Schlafstörungen, Atembeschwerden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Folge.
Unsere Vorfahren ernährten sich natürlich und arbeiteten hart. Sie lebten in einem Umfeld, das weit weniger wettbewerbsorientiert war als das unsere – und das war einem effizienten Atemmuster zuträglich. Vergleichen Sie dies mit unserem modernem Alltag, in dem wir stundenlang an einem Schreibtisch vor dem Computer sitzen und telefonieren, mittags schnell beliebiges Fastfood hinunterschlingen und ohne Unterlass versuchen, eine scheinbar endlose Reihe von Aufgaben und finanziellen Verpflichtungen zu bewältigen.
Durch diese modernen Lebensumstände erhöht sich sukzessive die Menge der Luft, die wir atmen. Mehr Sauerstoff in den Lungen – das mag erst einmal positiv klingen. In Wirklichkeit ist es jedoch vielmehr ein leichter Atem, der von einem guten Gesundheits- und Fitnesszustand zeugt.
Stellen Sie sich zwei Menschen vor, die zu den olympischen Sommerspielen anreisen: ein übergewichtiger Tourist und ein Wettbewerbsteilnehmer. Was meinen Sie, wer mehr schnauft und keucht, wenn er sein Gepäck abholt und es die Treppe hochträgt? Sicherlich nicht der Sportler.
Das größte und selten identifizierte Hindernis auf dem Weg zu Gesundheit und Fitness ist chronisches Hyperventilieren, also Überatmen. Wir können zwei- bis dreimal so viel Luft einatmen, wie wir benötigen, ohne es überhaupt zu bemerken. Beantworten Sie folgende Fragen, um herauszufinden, ob Sie überatmen:
- Atmen Sie manchmal während Ihrer täglichen Aktivitäten durch den Mund?
- Atmen Sie im Tiefschlaf durch den Mund? (Falls Sie sich nicht sicher sind: Wachen Sie morgens mit trockenem Mund auf?)
- Schnarchen Sie oder halten Sie im Schlaf den Atem an?
- Können Sie Ihre Atmung im Ruhezustand sichtbar wahrnehmen? Um das herauszufinden, wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit jetzt gleich Ihrer Atmung zu: Nehmen Sie sich eine Minute Zeit und beobachten Sie die Bewegungen Ihrer Brust oder Ihres Bauchs während jedes Atemzuges. Je mehr Bewegung Sie sehen, desto tiefer atmen Sie.
- Wenn Sie Ihre Atmung beobachten, nehmen Sie dann in Brustbereich oder am Bauch mehr Bewegung wahr?
- Seufzen Sie den Tag über regelmäßig? (Ein gelegentlicher Seufzer ist kein Problem. Regelmäßiges Seufzen führt jedoch zu chronischem Überatmen.)
- Hören Sie im Ruhezustand manchmal Ihren Atem?
- Leiden Sie an Symptomen, die durch gewohnheitsmäßiges Überatmen hervorgerufen werden, wie z. B. eine verstopfte Nase, verengte Atemwege, Erschöpfung, Schwindel oder Benommenheit?
Wenn Sie eine oder mehrere der oben genannten Fragen mit Ja beantwortet haben, deutet dies auf eine Tendenz zum Überatmen hin. Die beschriebenen Merkmale sind typisch, wenn wir mehr Luft einatmen, als wir brauchen. Ebenso wie bei der täglichen Versorgung mit Wasser und Nahrung gibt es auch bei der Atemluft ein Optimum. Überatmen kann ebenso schlecht für die Gesundheit sein, wie zu viel zu essen.
Die unbewusste Gewohnheit der Überatmung hat in allen Teilen der industrialisierten Welt epidemische Ausmaße erreicht. Das ist äußerst schädlich für unsere Gesundheit. Chronisches Hyperventilieren führt zu Krankheiten, mangelnder Fitness und Leistungseinbußen. Es befördert zahlreiche Beschwerden, darunter Angstzustände, Asthma, Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Herzprobleme und sogar Fettleibigkeit. Es mag seltsam erscheinen, dass ein Spektrum so unterschiedlicher Probleme durch Überatmung verursacht oder verstärkt wird. Aber der Lebensatem beeinflusst buchstäblich jeden Aspekt unserer Gesundheit.
Ziel dieses Buches ist es, Sie in einen Zustand zu versetzen, in dem Sie wieder leben und atmen, wie es von der Natur vorgesehen ist. Ich werde Ihnen einfache Methoden zeigen, die schlechten Atemgewohnheiten entgegenwirken, die eine neue Basis für Ihre kardiovaskuläre Fitness legen und die Ihre Gesundheit und Ihr allgemeines Wohlbefinden steigern. Profisportler werden ein höheres Leistungsniveau erreichen, Fitnessbegeisterte bisher unerreichte Potenziale ausschöpfen. Und all diejenigen, die einfach versuchen, ihr Befinden zu verbessern, werden ihre Schwierigkeiten überwinden und zu einer gesünderen Lebensweise gelangen.
Aber um ein Leiden zu heilen, muss man es erst einmal verstehen.
Wie Sie im Alltag atmen, so atmen Sie auch bei körperlicher Betätigung. Wenn Sie täglich, in jeder Stunde und in jeder Minute, zu viel atmen, werden Sie beim Training mit Atemnot zu kämpfen haben. Denn wenn unsere Atmung schon im Ruhezustand miserabel ist, wäre es unsinnig zu erwarten, dass sie sich während körperlicher Anstrengung von selbst korrigiert. Die scheinbar harmlose Neigung, tagsüber oder nachts durch den Mund und im Ruhezustand sichtbar zu atmen, macht Sie beim Training kurzatmig und schränkt Ihr Vermögen ein, Ihre Leistung zu verbessern.
Diese schlechten Atemgewohnheiten können den Unterschied zwischen einem gesunden, dynamischen Leben und einem kränklichen, schwachen ausmachen. Überatmen führt zu einer Verengung der Atemwege. Das schränkt die Fähigkeit des Körpers ein, sich mit Sauerstoff aufzuladen, und die Verengung der Blutgefäße führt zu einer verminderten Durchblutung des Herzens und anderer Organe sowie der Muskeln. Diese systemischen Auswirkungen beeinträchtigen Ihre Gesundheit, egal ob Sie ein Profisportler sind oder Ihre Hauptübung darin besteht, die Treppen in Ihrem Haus zu erklimmen. Überatmen kann Sportkarrieren stagnieren lassen oder sogar verkürzen. Übermäßiges Atmen fordert seinen Tribut: Die Lungen lassen ihren Besitzer im Stich, unabhängig davon, wie stark der Rest des Körpers ist. Wie die meisten Sportler wissen, versagen unsere Lungen lange vor unseren Armen und Beinen.
Alles, was wir brauchen, ist die unsichtbare, aber entscheidende...