2. Kapitel
Verrückte Tatsachen
»Es scheint, als ob ganz Nordostbayern mit einem Netz solcher Luftlinien überzogen ist …« Dieser Satz stammt von Karl Bedal, der einem kuriosen Liniennetz in seiner Heimat nachging und dabei wieder das Staunen lernte. 26 »Vor Jahrtausenden«, so der gründliche Karl Bedal, »war das östliche Oberfranken, also Fichtelgebirge und Frankenwald, mit undurchdringlichem Urwald überzogen.« Erst in nachchristlicher Zeit kamen Bauern und Mönche und begannen mit den Rodungen. Also kann in jenem hügeligen, bayrischen Urwald gar kein Liniennetz existieren, das steinzeitliche Punkte miteinander verbindet. Logisch? Es existiert dennoch.
Karl Bedal: »Es sind unerklärbare geradlinige, sich kreuzende und überschneidende Verbindungen … die immer die Maßeinheit von 6,75 Kilometer enthalten oder ein Mehrfaches davon, also 13,5 Kilometer, 27 Kilometer bis zu 54 und 81 Kilometer und so weiter.« 27
Da liegt, im oberfränkischen Landkreis Bamberg (Bundesland Bayern, Deutschland) die kleine Stadt Scheßlitz. Man nennt sie auch »das Tor zur Fränkischen Schweiz«. Nordwestlich davon steht ein altes Holzkreuz, »Rotes Kreuz« genannt. Am selben Punkt stand früher ein heidnischer Kultstein. Vom »Roten Kreuz« aus ziehe man eine schnurgerade Linie in nordöstlicher Richtung zum Schloss Peesten, 27 Kilometer entfernt. Nichts Besonderes: Zwei Punkte lassen sich stets mit einer geraden Linie verbinden. Von Peesten aus verläuft die Strecke weiter nach Tennersreuth: 27 Kilometer entfernt. Und nochmals 27 Kilometer zum »Schönwalder Stein« bei Schönwald. Bis zu diesem Punkt wurden drei mal 27 Kilometer in Luftlinie angemessen. Insgesamt 81 Kilometer. Dies in hügeligem, ehemaligem Urwald. Der Startpunkt war Scheßlitz. Ringsherum lassen sich strahlenförmig folgende Punkte anpeilen: Peesten (nordöstlich), Hoher Kreuzberg (östlich), der Druidenhain bei Ebermannstadt (südöstlich), Auerberg (südlich), die »Rote Marter« bei Kaiserpfalz (südlich), Pommersfelden (südwestlich) und Hummelmarter (westlich). Jeder Punkt liegt exakt 27 Kilometer von Scheßlitz entfernt.
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Was wie eine dumme Spielerei aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als vorgeschichtliche Planung. Da liegt nördlich von Bamberg die Stadt Bad Staffelstein und kurz davor der Staffelberg. Von hier aus ergeben sich Strahlenfinger von jeweils 27 Kilometern Länge nach Rotheul, Haig, zur Veste Rosenberg, nach Burghaig, Schloss Thurnau, Hoher Kreuzberg, Schloss Unteraufseß, Heiligenstadt, Rothof (nördlich von Bamberg) und Burgpreppach. Das sind allein elf Positionen um den Staffelberg herum, allesamt 27 Kilometer entfernt. Doch damit habe ich das unerklärliche Raster, das definitiv über der Landschaft liegt, gerade mal angekratzt. Karl Bedal belegt in seiner Broschüre, die übrigens vom Historischen Verein für Oberfranken herausgegeben wurde 28 , blitzsauber ein ganzes Gitternetz uralter Punkte, die allesamt mit schnurgeraden Strecken untereinander verbunden sind. Die Distanzen betragen immer 27 Kilometer, die Hälfte (13,5 Kilometer) oder ein Viertel (6,75 Kilometer) davon. Zitat Karl Bedal: »Das ganze Liniensystem ist verzahnt und verbunden, alle Kreuzungs- und Knotenpunkte sind durch irgendwelche Querverbindungen zusammengehängt.«
Alles nur Spielerei? Hat Herr Karl Bedal einfach Linien auf der Landkarte gezogen und zufälligerweise lagen irgendwelche Ortschaften darunter? Definitiv nicht. Die geraden Strecken und gleichen Distanzen machen jeden Zufall absurd. Was Herr Bedal und andere in Deutschland entdeckten, fand Monsieur Xavier Guichard genauso in Frankreich. Dieser Herr Guichard amtierte zuerst als Polizeidirektor von Paris, studierte dann Philologie, also Sprachwissenschaft, avancierte zum Vizepräsidenten der Französischen Gesellschaft für Prähistorie und begann sich zu fragen, wie viele Ortschaften mit demselben Wortstamm es wohl in Frankreich geben möge. So fahndete er nach Orten, die das Wort »Bourg« enthielten, nach solchen mit dem Wortstamm »Flora« oder »Calais«. Beim Wörtchen »Alaise« begann sein Herz schneller zu schlagen. Sage und schreibe 382 Ortsnamen enthielten denselben Wortstamm, und weitere 47 Orte gingen auf »Calais« zurück. Das war nicht mehr normal. Monsieur Guichard griff zur Landkarte und zum Lineal. Viele der Orte lagen unter einer schnurgeraden Linie von den Britischen Inseln über die Alpen bis nach Sizilien: Calais – Mont Alix – Mont Alet – L’Allet – Anxon – Aisey – Alaise – L’Allex – Alzano – Calesi – Cales etc. Dabei kreuzen sich im Dorf Alaise 24 Linien aus allen Richtungen der Windrose.
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Dieser Ort Alaise liegt im östlichen Jura, nördlich von Salins-les-Bains. Gerade mal 70 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt. Eigentlich im Herzen Europas. Die 24 Linien, welche sich hier kreuzen, verlaufen von Schottland bis Korsika, von Großbritannien bis Griechenland, von Portugal bis Deutschland. Dabei taten sich immer mehr Parallellinien auf. Eine darunter durchschnitt Carlisle und Ely in England, Calais und acht weitere von Alaise abgeleitete Namen in Frankreich über Alasio und Calice in Italien bis Aliso auf Korsika. Ursprünglich meinte Xavier Guichard, das ganze Liniensystem beruhe auf den alten »Windrosen«. Bevor nämlich die Längen- und Breitengrade eingeführt worden waren, entstanden Landkarten nach dem »Windrosensystem« Dabei wurde ein Punkt, meistens auf der Spitze eines Hügels, festgelegt, und von dort aus wurden Linien in verschiedene Richtungen gezogen. Die ritt man dann ab und hielt fest, wie lange der Ritt von einem zum nächsten Punkt auf der Linie dauerte. Dabei waren auch Querverbindungen zwischen den Linien möglich. Doch bald merkte Guichard, dass viele Linien älter sein mussten als jedes »Windrosensystem«. Die Punkte lagen nämlich oft nicht nur gleich weit voneinander entfernt, sondern sie berührten auch Orte, die im Frühmittelalter gar nicht bekannt gewesen waren. So etwa eine steinzeitliche Siedlung unter dem Seewasser des Zürichsees beim Städtchen Meilen. Dort waren im Winter 1854 morsche Pfähle, Knochen, Keramik und Stein einer Jahrtausende alten Siedlung gefunden worden. Xavier Guichards Linie lief exakt darüber. Zudem könnte das »Windrosensystem« Linien von England bis Sizilien nicht erklären. Die Luftlinie beträgt rund 2000 Kilometer. Auch existierten die vorgeschichtlichen Heiligtümer mit den gemeinsamen Wortstämmen … L’Allet … Alaise … L’Allex etc., lange bevor das »Windrosensystem« eingeführt wurde. Der Philologe Guichard kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und konstatierte: »Es muss irgendwann eine homogene Kultur gegeben haben, die auf beträchtlichen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhte.« 29
Übrigens war das Dorf Alaise, der Kreuzungspunkt aller Linien, noch in römischer Zeit ein heiliger Ort der Druiden. Im Jahre 47 besiegte Julius Cäsar hier den Keltenführer Vercingetorix. (Der kommt sogar bei Asterix und Obelix vor.) Offensichtlich war den Druiden die Heiligkeit dieses »Sternpunktes Alaise« bekannt.
Xavier Guichard leitete den Wortstamm von »Alaise« auf das griechische Elysion zurück. Das Elysion (Griechisch) oder Elysium (Lateinisch) gilt in der griechischen Mythologie als die Insel der Seligen. Zum Elysion werden die von den Göttern geliebten Helden entrückt – unsterblich für die Ewigkeit. Und heute? Das Elysium wird in der Europahymne besungen. 1972 beschloss der Europarat und 1986 auch die Europäische Gemeinschaft, die »Ode an die Freude« zur Europahymne zu erheben. Immerhin stammt der Text von Friedrich Schiller (1759 –1805) und die Musik von keinem Geringeren als Ludwig van Beethoven (1770 –1827):
»Freude schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium.
Wir betreten feuertrunken
Himmlische dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.«
Das heutige Dorf Alaise besteht aus gerade mal 20 Häusern und einer Kirche aus dem 11. Jahrhundert. Ein verschlafenes Bauerndörfchen im Französischen Jura.
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Auf den stark bewaldeten Hügeln um Alaise finden sich Reste von Befestigungsanlagen aus gallischen Zeiten.
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Was gab es in Alaise eigentlich zu verteidigen? Der Historiker des Dorfes, Monsieur Louis Courlet, erklärte mir, schon seit Jahrtausenden liegen alte Gräber aus der Eisen- und Bronzezeit um Alaise, die von den früheren Bewohnern oft ausgeraubt worden seien. Die Gräber enthielten Werkzeuge und Schmuck – wertvolle Grundlagen für die Herstellung von Waffen. Die heutigen Bewohner von Alaise und den umliegenden Orten wissen über die Einzigartigkeit des »Sternenpunktes« Alaise Bescheid, sie kennen die Linien, die von allen Seiten auf das Dörfchen zulaufen – doch keiner hat eine Erklärung für das Mysterium. Monsieur Louis Courlet, der die Geschichte des Dorfes mit unglaublichem Fleiß und akribisch niederschrieb 30 , meinte in einem persönlichen Gespräch, das Geheimnis der Linien müsse wohl zu den vorgeschichtlichen Rätseln gezählt werden. Immerhin unterhält Monsieur Courlet in Alaise in zwei Zimmern eine kleine Ausstellung, die er Touristen gerne zeigt. Doch Touristen finden selten nach Alaise. Unsichtbare Linien sieht man nicht.
Seit der...