KAPITEL 2
Was ist Kommunikation? – Kommunikationsmodelle im Vergleich
„Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Intelligent. Beweglich. Emotional. Liebend. Schaffend. Kreativ. Was für ein wunderbares Wesen. Leider kann er sprechen …“
Michael Ehlers
Sämtliche Lebewesen auf diesem Planeten tragen ein geniales Kommunikationssystem in sich. Auch der Mensch. Oft ist es jedoch beim Menschen so, dass Umstände wie familiäre Prägung, Umwelt, Schule, Ausbildung oder Studium dieses intuitiv funktionierende System irgendwie angreifen. Wie gut diese Systeme in der Natur funktionieren, möchte ich Ihnen anhand des „Wood Wide Web“ zeigen.
In kaum einem anderen Land dieser Welt haben Wälder einen tieferen Einfluss auf Kultur und Leben seiner Bewohner als in Deutschland. Die mythische Verehrung des alten deutschen Waldes mit seinen Buchen- und Eichenbeständen findet sich in zahlreichen Werken aus Literatur und Kunst wieder. Und die Verehrung des Waldes ist aktuell wie nie. Wir lieben den Ausflug ins Grüne und genießen an warmen Sommertagen den Aufenthalt im Schatten der Baumkronen. „Waldbaden“ oder, ganz modern, Shinrin-Yoku ist auf dem Weg, der neueste Trend zu werden. Bäume produzieren Sauerstoff, sind die grünen Lungen unserer Erde. Wälder liefern uns Baustoff und Feuerholz und dienen uns gleichzeitig zur Erholung. Angesichts dieser großen Bedeutung, die der Wald für uns hat, wissen wir noch ziemlich wenig über das Leben der Wälder und der Bäume. Obwohl der Wald seit Jahrtausenden die deutsche Landschaft und Kulturgeschichte prägt, haben wir bislang nur rudimentäre Erkenntnisse von dem komplizierten Zusammenspiel in seinem Inneren und von seiner Funktionsweise. Wussten Sie beispielsweise, dass Bäume miteinander kommunizieren können?
Vom „Wood Wide Web“ zum brillanten Redner
Erst um das Jahr 2010 herum setzte sich unter Wissenschaftlern im Zusammenhang mit pflanzlichem Verhalten mehr und mehr die Sichtweise durch, dass die Bäume im Wald ein intelligentes und lebendiges System bilden und in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Einer breiten Öffentlichkeit wurde diese ganz neue Sichtweise durch das Buch von Peter Wohlleben, Das geheime Leben der Bäume, bekannt. Ganze Wälder verfügen über ein weitverzweigtes, unterirdisches System von Wurzel- und Pilzgeflechten, die auch als „Wood Wide Web“1 bezeichnet werden. In regelmäßigem Austausch liefern Pilze dem Baum Stickstoff und Phosphor, wofür dieser Zucker aus der Fotosynthese abgibt. Durch diesen faszinierenden Austausch sind Bäume in der Lage, sich gegenseitig zu unterstützen und sogar Familien- und Freundschaftsbeziehungen einzugehen. Ein unterirdisches Netz aus Wurzeln und Fäden, das den kompletten Waldboden durchzieht, ermöglicht den Bäumen, Informationen über den Zustand anderer Bäume aufzunehmen. Wie geht es den Nachbarn? Sind sie gesund oder krank? Ist ihre Baumkrone ordentlich ausgebildet oder kämpfen sie noch immer mit dem wasserarmen letzten Sommer? Wer gesund ist und viel Energie hat, versorgt damit die schwächeren Artverwandten in seiner Umgebung. Eigentlich ist es verwunderlich, dass uns diese Entdeckung so sensationell vorkommt. Denn schließlich sind Bäume Lebewesen. Und alle Lebewesen kommunizieren.
Wale übertragen ihre Gesänge per Schallwellen, wobei jede Art andere Frequenzen zu nutzen scheint. Vögel zwitschern und Menschen reden miteinander. Das biologische System auf der Erde ist ein Wunderwerk der Kommunikation. Sie ist wahrhaftig überall und überall ist Kommunikation. Jedes Lebewesen ist von Anfang an dazu in der Lage – nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Pflanzen und Bakterien. Sogar Viren, die noch nicht einmal als Lebewesen gelten, können kommunizieren.2 Neuerdings bringen wir selbst Maschinen bei, ganz ohne unsere Beteiligung miteinander zu kommunizieren. Noch aber ist der Mensch zweifelsohne die Spitze der Kommunikationsevolution.
Aus diesen wenigen Beispielen können Sie bereits ersehen, dass die Natur über großartige Kommunikationsmodelle verfügt. Auch der Mensch, als Teil der Natur, verfügt über große, leider oft verborgene Fähigkeiten auf dem Feld der Kommunikation. Menschliche Kommunikation entwickelte sich seit den ersten Anfängen immer weiter. Und sie wird sich im weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte immer weiter entwickeln. Das ist das Großartige. Leider entwickeln sich die Menschen nicht immer genauso großartig weiter. Nicht von alleine zumindest. Beispiele dafür erlebe ich in meinen Coachings und Trainings immer wieder. Aber ich erlebe auch, wie sich diese Entwicklung in jedem Menschen wieder anschieben lässt.
Die Natur hat jedem von uns die Fähigkeiten mitgegeben, die wir als guter Kommunikator benötigen. Was uns daran hindert, diese Fähigkeiten auszuspielen, sind oft unsere inneren oder die äußeren Rahmenbedingungen. Faktoren wie familiäre Prägung oder das Publikum, das uns einschüchtert, können uns daran hindern, unsere Redekunst zu entfalten. Aber genau dafür gibt es die Lehre der angewandten Rhetorik. Sie werden beim Lesen dieses Buches Werkzeuge kennenlernen, die Ihnen helfen, diesen Herausforderungen zu begegnen. Dabei ist es egal, wie Ihre individuellen Voraussetzungen sind. Ob Sie Talent haben. Oder ob Sie ein Trauma aus Ihrer längst vergangenen Schulzeit mit sich tragen. Mit den Werkzeugen, die ich Ihnen in diesem Buch an die Hand gebe, werden Sie unabhängig von „Talent“ und „Prägung“ zu einem brillanten Kommunikator und Redner.
Es ist mir zunächst ein wichtiges Anliegen, mich zum Beginn einem Thema zu widmen, ohne das es keine Rhetorik geben würde. So wie wir seit Jahrhunderten die Welt erforschen und vermessen, um sie besser zu verstehen, beschäftigen wir uns auch mit der Erforschung der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Aber was ist Kommunikation? Nehmen Sie sich an dieser Stelle gerne etwas Zeit und überlegen Sie für sich: Wie definiert sich Kommunikation?
Gar nicht so einfach, oder?
Wir könnten beispielsweise sagen: „Wenn wir uns unterhalten, dann kommunizieren wir!“ Aber natürlich wäre das zu kurz gegriffen. Kommunikation ist ein höchst komplexes Konstrukt, das aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden kann. So legt ein Kommunikationswissenschaftler völlig andere Maßstäbe an als ein Psychologe – und ein Medienwissenschaftler nähert sich dem Thema verständlicherweise mit anderen Methoden als ein Neurophysiologe.
Gerade weil unser Alltag von Kommunikation bestimmt ist, fällt es der Wissenschaft schwer, eine eindeutige Definition zu finden. Was unter Kommunikation zu verstehen ist, kommt auf unseren Zugang zum Thema an. Kommunikation ist beispielsweise einerseits die Unterhaltung mit einem anderen Menschen, meint aber andererseits auch „das einseitige Rezipieren von Werbeinhalten über Massenmedien“.3 Kommunikation findet also sowohl face to face mit anderen Personen statt als auch ganz alleine vor dem Fernseher. Durch diese verschiedensten Zugänge sind im Laufe der Kommunikationsforschung zahlreiche Methoden, Begriffe und Modelle entstanden. So viele, dass wir uns zwangsläufig beschränken müssen. In diesem Buch konzentriere ich mich auf zwischenmenschliche Kommunikation, die auf Produktion und Rezeption von Sprache und/oder Mimik und Gestik ausgelegt ist. Auch dieser Teilbereich eröffnet unterschiedlichste Betrachtungs- und Herangehensweisen.
Kommunikation, in unserem Sinne, bedeutet den Austausch und die Übertragung von Information und ist durch verschiedene Eigenschaften definiert. Sie ist gleichzeitig intentional, partnerorientiert und symbolisch. Dass es kompliziert sein kann, erkennen Sie daran, dass es auch nicht-intentionale Kommunikation gibt. Dazu gehört beispielsweise unwillkürliche Mimik oder Gestik. Wir lernen diese Mikroexpressionen später kennen. Aber unser erstes Begriffstrio entwirren wir am sichersten anhand von Beispielen. Bitte folgen Sie mir in die Welt der Rhetorik:
Beschimpfen wir – wild mit dem Mittelfinger gestikulierend – über den Gartenzaun hinweg unseren Nachbarn, weil er während der Mittagsruhe Rasen mäht, so ist dies eine intentionale, partnerorientierte und symbolische Handlung.
Intentional bedeutet, dass das Verhalten mit einer Absicht (Intention), einer Erwartung und einem Ziel verbunden ist. Würden wir, anstatt zu meckern, wutentbrannt Dinge durch unsere Wohnung werfen, wäre dies bezogen auf unser Lärmproblem zwar intentional, weil wir uns davon versprächen, dass es uns danach besser ginge. Es entstünde aber keine Kommunikation mit dem Nachbarn.
Partnerorientiert heißt, dass wir mit einem Gegenüber interagieren. Dieses Gegenüber ist natürlich der Nachbar. Ein nicht-partnerorientiertes Handeln wäre also, den röhrenden Rasenmäher entspannt seine Arbeit machen zu...