IM TAKT DER INNEREN UHR
Sie tickt oft nicht ganz richtig … weil wir dieses Wunderwerk der Natur, das um Welten komplexer ist als ein menschengemachtes Uhrwerk, ständig durcheinanderbringen. Je mehr wir uns von der Natur entfernen, desto schwerer hat es unser innerer Taktgeber, den gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus aufrechtzuerhalten.
WIE VIELE STUNDEN UND MUSS ICH AM STÜCK?
Muss man überhaupt schlafen? Und wenn, muss das unbedingt nachts sein? Wir Menschen sind doch frei in unseren Entscheidungen, heißt es immer. Und wir haben uns ja von den Bürden und Bedingtheiten der Natur so gut emanzipiert! Wir haben künstliches Licht, wir haben genug Läden und Lokale, die die ganze Nacht geöffnet sind, wir haben es geschafft, uns aus den ganzen Abhängigkeiten zu befreien. Ist Schlaf nicht doch nur ein lästiger Zustand, in dem wir nix auf die Kette kriegen, kein Geld verdienen, nicht in Krawatte und Kostüm glänzen können, nichts produzieren, nicht joggen, keine Hanteln stemmen, uns anderen nicht moralisch überlegen fühlen, ja uns nicht mal »bewusst« entspannen, weil unser Bewusstsein ja abgemeldet ist im Schlaf? Was ist das alles für ein überkommener Quatsch mit dem Nachtschlaf? Und was sagen wir den ganzen Nachtwachen, den Nachtarbeitern, den Schichtdienstlern, die wir alle brauchen, damit unsere hochgezüchtete Gesellschaft gut funktioniert? Wir brauchen die Polizei, die Feuerwehr, den Rettungsdienst, Ärzte und Pflegekräfte, die Bäcker und Großmarkthändler, wir brauchen die Nachtschicht am Band, die Leute im Kraftwerk, die Piloten, Flugbegleiterinnen und Fluglotsen, die Lokführer und die vielen LKW-Fahrer, die allesamt nachts arbeiten, damit jeder sein Brötchen und seine Sojamilch jederzeit im Ladenregal findet. Alles hat seinen Preis.
WENN WIR DIE NACHT ZUM TAGE MACHEN
Die Entscheidung, wann wir schlafen wollen, bei Nacht, am Tag oder gar nicht, ist uns heute im Prinzip freigestellt – mehr oder weniger zumindest, je nach Job. Allerdings verlangt unser Körper zumeist irgendwann vehement nach Schlaf. Es gibt eine angeborene Neigung zu schlafen, und das auch vornehmlich in der biologischen Nacht. Wir schlafen am besten, wenn Nachtphase und Dunkelheit zusammenfallen. Natürlich können wir uns wehren und gegen unsere »Neigungen« leben. Glücklich werden wir dabei aber meistens nicht.
Auf Dauer machen durchwachte Nächte viele krank
Selbst wenn wir die Nacht (auch ohne Alkohol) durchgemacht haben, also richtig müde sind, und den Raum total abdunkeln, schlafen wir tagsüber trotzdem meist nicht so lange, so gut, so tief und so erholsam wie nachts. Denn Nacht bedeutet nicht nur Dunkelheit, Nacht bedeutet auch eine eigene biologische Phase im Körper. Zig Hormone und andere Botenstoffe unterliegen einem uralten, stabilen Tag-Nacht-Rhythmus, der nicht mal eben in ein paar Hundert Jahren genetisch und epigenetisch an die modernen Zeiten adaptiert werden kann. So schön das wäre. Es klappt immer nur bedingt und meist nur für einige Zeit. Irgendwann meckert bei fast jedem, der nachts wacht, eines der vielen Körpersysteme – seien es Magen, Darm, Leber, Herz oder Kreislauf, auch der Rücken oder die Psyche. Von Schlafstörungen einmal ganz abgesehen.
Ging es den Menschen besser, als es noch kein künstliches Licht gab und sie mit Einbruch der Dunkelheit müde wurden? Studien legen nahe, dass sie zu Steinzeit-Zeiten eine gute Mütze mehr Schlaf bekamen als heutzutage. Aber ob der immer so erholsam war? Auf die frühen Jäger und Sammler lauerten zahllose Gefahren im Dunkeln: Nachtaktive Raubtiere, Myriaden stechender Insekten und sonstige Viecher störten den Schlaf oder machten dem Leben gleich ein Ende. Damals hielt immer irgendwer Wache bei Nacht. Man wechselte sich ab und schlief in Etappen. Das Feuer durfte nicht ausgehen und auch nichts in Brand stecken.
Damals gab es zwar vermutlich keine »Zivilisationskrankheiten« wie Diabetes, Reizdarm oder Burn-out. Aber die Menschen wurden auch gar nicht alt genug, um diese zu bekommen. Sie wurden vorher ermordet, gefressen oder starben an einer banalen Verletzung oder Grippe.
Die Nacht war und blieb die Zeit der Bedrohung und der Angst. Auch in den letzten Jahrhunderten patroullierten noch Nachtwächter durch die Städte, schlossen sogar die Häuser von außen ab, nahmen die Schlüssel mit und gaben sie den Hauseigentümern erst morgens wieder zurück, damit niemand rein- oder rauskonnte. Denn die Finsternis war die Zeit der Diebe, Mörder und anderen Gesindels, und wer nachts auf der Straße erwischt wurde, galt automatisch als suspekt. – So hat jede Zeit ihre Probleme. Machen wir das Beste aus unserer/n. Denn: As long as you stay, you pay in any way …
INFO
DIE GROSSELTERN-HYPOTHESE
Anthropologen fanden heraus, dass unterschiedliche Schlafbedürfnisse für die frühen Jäger und Sammler einen Vorteil hatten. Sie dokumentierten den Schlaf-Wach-Rhythmus des Volks der Hadza in Tansania, die in größeren Gruppen unter Bedingungen leben, die wahrscheinlich den unsrigen ähneln, bevor wir sesshaft wurden. In der Gruppe leben alte und junge Menschen mit unterschiedlichen Schlaf-/Wachzeiten zusammen. Die älteren haben eher einen kürzeren und unterbrochenen Schlaf als die jungen, die morgens rausmüssen zum Jagen und Sammeln. So ist dafür gesorgt, dass nachts nie alle gleichzeitig schlafen, und der unstete Schlaf der Älteren ergibt Sinn durch die »Nachtwächterfunktion« für die Gruppe.
Demnach wäre dieses Schlafmuster heute einfach ein Relikt aus grauer Vorzeit (siehe >, >).
RICHTIG SCHLAFEN HEIßT TYPGERECHT SCHLAFEN
Neben der Frage, wann, ist da auch die bange Frage, wie lange wir denn wohl schlafen sollen/müssen/können, um wach, gesund, frisch und fit das Tagewerk des modernen Leistungsträgers abrocken zu können. Sind es die berühmten acht Stunden, die unser Körper braucht, um nicht dem Schlafmangelsiechtum, ausgelaugt und faltig, anheimzufallen? Und ist der Schlaf vor Mitternacht, früher über Generationen von der Oma an die Mutter an die Tochter tradiert, wirklich die conditio sine qua noctem, ohne die man auch gleich ganz wach bleiben könnte? Nun, die Antwort lautet: Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall (respektive Lerche). Will heißen: Man muss bei der Frage nach Schlafdauer und Schlafzeitpunkt die Chronobiologie, den Chronotypus (griechisch chronos: Zeit) des Einzelnen berücksichtigen – also welchen individuellen inneren Rhythmen der Organismus folgt. Dies ist zum Großteil genetisch vorprogrammiert – ebenso wie die Anfälligkeit für Schlafprobleme. Pauschalierungen, wie man sie sich oft gern wünscht, um Dinge zu vereinfachen, sind hier nicht angebracht. Zumal neben der Dauer des Schlafs auch die Qualität des Schlafs wichtig ist, also seine Tiefe und Erholsamkeit.
Sieben bis acht Stunden Schlaf brauchen die meisten
Etwa 80 Prozent aller Menschen brauchen sieben bis acht Stunden Schlaf. In Deutschland schlafen wir inzwischen aber nur noch durchschnittlich 6: 54 Stunden pro Nacht (laut dem Beurer Schlafatlas 2017) und liegen damit erstmals unter sieben Stunden. Die restlichen 20 Prozent der Menschen brauchen entweder tatsächlich weniger als sieben oder aber mehr als acht Stunden Schlaf, um langfristig erholt, erfrischt und fit zu sein und um dauerhaft gesund zu bleiben. Wer mehr Schlaf braucht, soll und darf auch dafür sorgen, dass er ihn bekommt!
Neuere Zahlen aus den USA und Japan zeigen, dass Erwachsene dort nachts nur noch 6:30 Stunden oder weniger schlafen.
Entscheidend dafür, ob wir ausgeschlafen sind oder nicht, ist unter anderem der Zeitpunkt, wann wir ins Bett gehen. Wir unterscheiden zwei konträre Chronotypen: die Lerche und die Eule. Die meisten Menschen sind jedoch Mischtypen, die eher morgens fit und abends müde sind (siehe Grafik >).
Ohne äußere Zwänge sind ideale Schlafenszeiten ganz individuell. Der statistische Mittelwert (Median) zeigt jedoch, dass die...