Die Durchführung einer Sanierung bzw. eines Turnarounds ist langjährige gängige Praxis und wird bei Unternehmen angewendet, die in eine akute Schieflage geraten sind. Für das Verständnis der Vorgehensweise bei einem IT-Turnaround ist es zunächst hilfreich, die wesentlichen Grundprinzipien des Turnarounds eines Unternehmens zu betrachten.
1.1 | Restrukturierung und Turnaround-Management zur Bewältigung von Unternehmenskrisen |
Sanierung, Turnaround, Restrukturierung, Transformation – was ist der Unterschied?
Die Restrukturierung von Unternehmen wird als Reaktion des Managements auf Bedrohungen durch eine Krisensituation verstanden und unterscheidet sich dementsprechend von normalen, evolutionären Veränderungsvorgängen in Unternehmen. Jedes Unternehmen verändert sich im Laufe der Zeit, aber nicht jedes Unternehmen befindet sich in einer Krisensituation. Krisen bezeichnen Situationen, die für ein Unternehmen problematisch sind sowie den Erfolg und im Extremfall den Fortbestand eines Unternehmens akut bedrohen.
Für den Begriff „Restrukturierung“ werden in der Literatur häufig zwei ähnliche Begriffe verwendet: Turnaround und Sanierung. Der Turnaround bezeichnet die – möglichst schnelle – Wende des Unternehmens aus der Krise heraus und ist damit das englischsprachige (und modischere) Pendant zum Begriff „Restrukturierung“ (z. B. bei Faulhaber/Grabow 2009, S. 13). Dagegen wird mit einer Sanierung eines Unternehmens gelegentlich die Abwendung einer materiellen Insolvenz bezeichnet und ist dementsprechend im engeren Sinne erst im fortgeschrittenen Krisenstadium relevant.
In der Praxis (und auch in diesem Buch) werden die Begriffe Restrukturierung, Turnaround und Sanierung auch im IT-Kontext zumeist synonym verwendet.
Die Transformation hingegen ist ein Umbau des Unternehmens, der im Vorfeld oder ggfs. nach einer akuten Krisensituation durchgeführt wird und häufig einen längeren Zeitraum umfasst als etwa Restrukturierungen, Sanierungen und Turnarounds (siehe Bild 1.1). Diese sind regelmäßig durch das Vorhandensein einer akuten Krise und einem dementsprechend höheren Zeit- und Handlungsdruck gekennzeichnet. Die Transformation beinhaltet im Allgemeinen also einen mittel- bis langfristigen Kurswechsel durch Anpassung der Unternehmensstrategie. Sie ist ein Mittel zur Krisenvermeidung, während Restrukturierungen, Sanierungen und Turnarounds tendenziell eher auf die Krisenbewältigung abzielen.
Bild 1.1 Unternehmens-Lebenszyklus und entsprechende Reaktionsmöglichkeiten (in Anlehnung an Slatter/Lovett 1999, S. 7)
Bei Unternehmensrestrukturierungen steht nicht selten das Überleben des Unternehmens auf dem Spiel. Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerk in der frühen Phase eines Turnarounds auf der Realisierung von schnell wirksamen Verbesserungen. Hierbei geht es um Monate, manchmal Wochen, die über Insolvenz oder (zumindest vorläufigem) Überleben entscheiden. Dementsprechend handeln auch Restrukturierungsfachleute: Der Fokus liegt auf Stabilisierungsmaßnahmen und kurzfristigen Resultaten; die (längerfristige) Transformation wird dann oft nachfolgenden Führungskräften übertragen (Slatter u. a. 2006, S. xii).
Restrukturierungen haben u. a. durch ihre zeitliche Begrenzung Projektcharakter. Unternehmensrestrukturierungen dauern in der Regel zwölf bis 18 Monate, mitunter kürzer (Falckenberg/Dony 2009, Rn. 62). Vielfach wird jedoch auch dafür plädiert, Restrukturierung als Daueraufgabe des Managements zu begreifen, die nach der Überwindung einer Krise in eine Unternehmenstransformation übergeht. Ziel ist die Rückkehr zu alter Stärke bzw. die rechtzeitige Bekämpfung einer erneuten Krise (Slatter u. a. 2006, S. xi).
Die Abgrenzung von Restrukturierung und Transformation gilt auch für die Bewältigung von IT-Krisen: IT-Restrukturierungen bzw. IT-Turnarounds zielen auf eine möglichst rasche Abwendung einer krisenhaften Situation in der IT ab.
Davon zu unterscheiden ist die IT-Transformation, die den Umbau der IT in einem längeren Zeitraum zum Ziel hat und dabei oft auch Hand in Hand mit einer Transformation des gesamten Unternehmens geht. Gleichwohl sind zahlreiche der in diesem Buch vorgestellten Methoden und Hebel des IT-Turnarounds auch bei einer IT-Transformation relevant bzw. sind Grundlage für diese.
Was sind typische Symptome und Ursachen für Unternehmenskrisen?
Krisenursachen sind mannigfaltig und kaum verallgemeinernd darstellbar. Grob kann man marktindizierte von wettbewerbsindizierten Ursachen abgrenzen, sowie endogene von exogenen Ursachen. Folgende Kategorien von Krisenursachen lassen sich nennen (Kraus/Buschmann 2009, Rn. 6f):
Nachfrage-Rückgang, bedingt z. B. durch konjunkturelle Einbrüche, Branchenkrisen oder allgemein durch ein verändertes Nachfrageverhalten (z. B. Trend zum Online-Shopping),
Veränderungswettbewerb, z. B. durch neue Wettbewerber, Technologien oder Geschäftsmodelle (z. B. Entwicklung auf dem Markt für Smartphones nach dem Markteintritt von Apple),
Überexpansion oder andere gescheiterte Großvorhaben und -projekte und die daraus resultierenden finanziellen Verluste und Komplexitätserhöhungen,
Ineffizienzen, die zu nicht mehr wettbewerbsfähigen Kostenstrukturen und unzureichenden Prozessen und Systemen („Blindflug“) führen,
schwaches Management, d. h. wenn die vorgenannten typischen Krisenursachen auf ein unzureichend oder gar nicht reagierendes Management treffen ist eine Krise oft unausweichlich.
Die aus den Ursachen resultierenden Krisen-Symptome sind ebenfalls vielfältig und umfassen beispielsweise:
Symptome im Finanzbereich wie Bankenprobleme, Kündigung von Kreditlinien, Liquiditätsengpässe, Gewinnwarnungen, wiederholte Nichteinhaltung von Vereinbarungen mit Kreditgebern (Covenants Breach), „kreative“ Buchhaltungspraktiken etc.
Auf der Mitarbeiterseite unüblich hohe Fluktuation und Probleme bei der Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter, häufiger Wechsel des Managements, schlechte Mitarbeiterstimmung, Paralysierung oder Aktionismus des Topmanagements usw.
Auf der Marktseite Verlust von wichtigen Kunden, Verfehlen von Absatzzielen, Einbruch von Marktanteilen, nicht (mehr) marktfähige Produkte und Dienstleistungen, Qualitätsprobleme, misslungene oder mehrfach verschobene Produktneueinführungen usw.
Einzelne Symptome weisen viele Unternehmen auf, ohne gleich als Krisenunternehmen zu gelten. Ein Befund mit mehreren der typischen Krisensymptome im Zeitverlauf betrachtet, wird jedoch als Anlass für unmittelbaren Handlungsbedarf gesehen, insbesondere dann, wenn Liquiditätsprobleme hinzukommen.
Welche Handlungsfelder stehen im Vordergrund?
Es gibt offenbar keine Patentrezepte oder den berühmten „Silver Bullet“, mit dem eine Unternehmenskrise mit einem Schlag bewältigt werden kann. Vielmehr ist zur Bekämpfung einer Krise ein professionelles Vorgehen gefragt, das auf Basis eines umfassenden Turnaround-Konzepts und mit einem situationsadäquaten Krisenmanagement eine wirksame Umsetzung geeigneter Maßnahmen verfolgt.
Als Beispiel für eine praxiserprobte Vorgehensweise bei Unternehmensrestrukturierungen kann das von Slatter und Lovett (1999, S. 76ff) entwickelte Rahmenwerk dienen. Es umfasst die folgenden sieben Bestandteile mit den entsprechenden generischen Handlungsfeldern für typischerweise vorliegende Probleme in Krisenunternehmen:
(Finanzielle) Stabilisierung (z. B. Cash Management, Sicherstellung der kurzfristigen Finanzierung, erste Kostensenkungsmaßnahmen). Ziel ist es, eine oftmals akut drohende Insolvenz zu vermeiden. Dies schafft einen zeitlichen Spielraum, um einen Restrukturierungsplan entwickeln zu können. Ziel ist auch, wieder Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und den Stakeholdern des Unternehmens damit Vertrauen zu geben.
Etablierung von Leadership (z. B. Wechsel in der Unternehmensführung und im Management sofern erforderlich). Fast alle Unternehmenskrisen sind letztendlich Resultat von Managementfehlern. Auch deswegen geht...