402. Effiziente Innovation mit dem 5C-Prozess
Kaum ein Unternehmen bestreitet noch, dass Innovation ein strategisch entscheidendes Thema ist. In einer Innovationsstudie von Accenture unter 500 US-Unternehmen stimmten 84 Prozent der Topmanager zu, dass ihr langfristiger Erfolg von Innovationen abhängig ist.75 Innovation ist damit zu einem der strategisch wichtigsten Faktoren für die Zukunft von Unternehmen geworden. Und zu einer ihrer größten Herausforderungen – wie bereits ausführlich im ersten Kapitel beschrieben wurde.
Denn: Erfolgreiche bzw. „effiziente“ Innovation verlangt nach der Kombination zweier Faktoren, die sich mit den aktuell bekannten Innovationsansätzen nicht ausreichend kombinieren lassen: Kundenfit und Traktion. Im Gegenteil: Je höher der Kundenfit desto geringer die Traktion und umgekehrt.
Doch die Kombination aus Kundenfit und Traktion ist möglich – mit dem 5C-Prozess für effiziente Innovation. Die nachfolgenden Abschnitte sollen eine detaillierte Betrachtung der einzelnen Schritte des praxisbewährten 5C-Prozesses ermöglichen und somit neue Ansätze und Impulse für den erfolgreichen Umgang mit Innovationen im eigenen Unternehmen liefern. Doch zuvor soll kurz erläutert werden, warum effiziente Innovation bei der Verwendung aktueller Innovationsansätze nicht gelingt. Und: Warum die aktuellen Strategien großer Unternehmen dies auch nicht lösen werden.
Der direkte Weg zur effizienten Innovation bleibt Unternehmen meist verschlossen, wenn aktuell bekannte Innovationsansätze zur Anwendung kommen. Wie in Abbildung 9 ersichtlich ist, verläuft der einfachste (und erfolgversprechendste) Weg eines Großunternehmens zu einer effizienten Innovation direkt „nach oben“. Das heißt: Wenn etablierte Unternehmen es schaffen, Innovationen zu entwickeln, bei denen sie zwar auf ihre bestehenden Stärken aus dem Kerngeschäft aufbauen (hohe Traktion!), dabei aber gleichzeitig die Bedürfnisse der Kunden optimal befriedigen (hoher Kundenfit!), sind die Chancen am größten, eine effiziente Innovation zu erreichen – sprich: einen signifikanten Wertbeitrag für das Unternehmen zu erzielen (siehe Kapitel 1.3).
Doch herkömmliche Innovationsansätze umgehen diesen Weg stets: Wird z. B. durch Ideenmanagement, Stage-Gate-Prozesse oder Forschungsabteilungen im Bereich mit hoher Traktion innoviert, so ergeben sich im Normalfall inkrementelle Innovationen, d. h. evolutionäre Verbesserungen bestehender Angebote. Diese beinhalten, trotz oder gerade wegen der laufenden Verbesserungen, immer das Risiko, aktuelle und zukünftige Kundenbedürfnisse gar nicht mehr zu befriedigen und neue Wege, um diese zu erfüllen, zu ignorieren. Somit sinkt der Kundenfit trotz der laufenden Verbesserungen immer weiter, da „am Kunden vorbei“ entwickelt wird. Und Unternehmen laufen genau in die von Christensen beschriebene Gefahr, dass sie irgendwann von Unternehmen mit neuen, innovativen Angeboten mit höherem Kundenfit überholt werden (siehe Kapitel 1.2).76
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Abbildung 9: 5C-Prozess als direkter Weg zur effizienten Innovation
Wird dagegen mit kundenzentrierten Innovationsmethoden wie Design Thinking oder Lean Startup im Bereich mit hohem Kundenfit innoviert, kann dies nur auf der grünen Wiese geschehen. Entsprechend problematisch ist dann die Umsetzung im Brownfield des Unternehmens und damit auch die Traktion der Innovation. Denn der Traktionsraum bzw. die Umsetzungsrestriktionen des Unternehmens werden bei diesen Methoden nicht ausreichend berücksichtigt. Schließlich sollen die Bedürfnisse der Kunden im Mittelpunkt stehen (siehe Kapitel 1.2).
Um dieses „Innovationsdilemma“, das bei der Verwendung der bestehenden Innovationsansätze entsteht, zu lösen, verwenden Unternehmen aktuell meist einen der drei folgenden Lösungsansätze:
1. Anpassung der Ideen: Die Ideen werden in der Umsetzung solange angepasst, bis sie in die bestehenden Strukturen und Prozesse des Unternehmens passen und somit Traktion bekommen. Sie haben dann aber meist ihren Kundenfit verloren. Der Versuch, „das, was nicht passt, passend zu machen“, führt zudem meist zu großer Frustration. Und dies sowohl bei den ursprünglichen Ideengebern, deren Ideen immer stärker verändert werden, als auch bei den Umsetzern, die gezwungen sind, immer weitere 42Anpassungen an der ursprünglichen Idee durchzuführen, um den vielfältigen Restriktionen des Unternehmens bei der Umsetzung Rechnung zu tragen.77
2. Anpassung des Unternehmens: Das Unternehmen wird „transformiert“, um sich den neuen Ideen anzupassen bzw. deren Umsetzung zu ermöglichen. Durch die Veränderung erhöht sich das Gesamtrisiko für das Unternehmen signifikant, denn nur 26 Prozent aller Transformationen sind tatsächlich erfolgreich.78 Zudem geht dabei in der Regel ein Großteil der ursprünglichen Traktion verloren. Dazu kommt: Ein etabliertes Unternehmen kann nicht für jede neue Idee umgebaut werden. Folglich lässt sich das Umsetzungsproblem zwar in die Zukunft verlagern, aber nicht dauerhaft beseitigen. Obwohl eine Transformation aufgrund strategischer Entscheidungen langfristig notwendig sein kann (z. B. zur Einführung digitaler Prozesse), ist diese somit keine langfristige Lösung für Innovationen und sollte nicht mit dieser verwechselt werden.
3. Anpassung der Rahmenbedingungen: Die Ideen werden in separaten Einheiten außerhalb des Unternehmens umgesetzt. In der Folge haben diese aufgrund fehlender Traktion nur eine sehr geringe Erfolgswahrscheinlichkeit. Wird diese Strategie im Sinne einer separaten Innovationseinheit, wie einem Innovation Hub, Lab etc., dauerhaft etabliert, werden auf Dauer auch die Stärken des Kerngeschäfts ignoriert. Und so müssen sich diese separaten Einheiten im offenen Wettkampf mit anderen Start-ups behaupten. Hier scheitern jedoch die meisten dieser Einheiten bzw. erzielen nicht den für Großunternehmen benötigten Wertbeitrag (siehe Kapitel 1.3).
Somit eignet sich keine der aktuellen Lösungsstrategien dazu, systematisch effiziente Innovationen mit Kundenfit und Traktion zu entwickeln. Natürlich kann es vorkommen, dass eine Idee zufällig auf Anhieb Kundenfit und Traktion hat. Doch wie groß ist die Wahrscheinlichkeit? Nicht groß genug, als dass Unternehmen sich auf diesen Zufall verlassen sollten. Ziel sollte es vielmehr sein, einen Innovationsansatz zu verwenden, bei dem sowohl die Unternehmensperspektive zur Sicherstellung der Traktion als auch die Kundenperspektive für den Kundenfit während des gesamten Innovationsprozess gleichermaßen berücksichtigt werden. Wenn dies gelingt, wird die geforderte prozessuale Ambidexterität erzielt, die es dem Großunternehmen ermöglicht, so nah wie möglich am Kerngeschäft und so disruptiv wie für den Kunden nötig zu innovieren (siehe Kapitel 1.4). Und das Unternehmen ist befähigt, systematisch erfolgreiche bzw. effiziente Innovationen zu produzieren.
Der klassische Innovationsprozess eignet sich nicht zur Erarbeitung von effizienten Innovationen. Dies gilt sowohl für die „klassische“ Variante, die insbesondere aus der Unternehmensperspektive arbeitet, als auch für deren heutzutage oftmals verwendete Anpassung für die iterative, kundenzentrierte Innovation, bei der die Ideen vorrangig aus der Kundenperspektive statt aus dem Unternehmen abgeleitet werden.
43Der klassische Innovationsprozess beginnt im Normalfall bei einem Problem oder einer Opportunität. Je nach Prozessvariante verläuft er dann linear (klassisch) oder iterativ (kundenzentriert), die Bausteine bleiben jedoch ähnlich.79 Daher genügt uns hier die Betrachtung des linearen Prozesses. Die einzelnen Bausteine unterscheiden sich in ihrer Granularität, sind jedoch grundlegend die Folgenden:
1. Problem: In der kundenzentrierten Innovation ergibt sich das Problem oder die Opportunität (meistens innerhalb eines breit gefassten Opportunitätsfeldes) entweder aus konkreten Kundenbedürfnissen/Anfragen oder allgemeineren Konsumententrends („Pull“). In der unternehmensorientierten Innovation sind hingegen neue Marktchancen, Ergebnisse aus der Forschung & Entwicklung oder neue Technologien und Verfahren der Ausgangspunkt („Push“). Eine Kombination beider Perspektiven zur Identifikation der größten Potenziale aus Unternehmens- und Kundensicht findet an diesem Punkt im Normalfall nicht statt.
2. Ideen: Zur Lösung des Kundenproblems oder Ausnutzung der Unternehmens-Opportunität werden mithilfe von Kreativmethoden möglichst viele Ideen generiert oder z. B. von Mitarbeitern bzw. außerhalb des Unternehmens von der Crowd gesammelt. Die Ideen basieren somit immer entweder auf der Kunden- oder der Unternehmensperspektive, abgeleitet aus der jeweiligen Problemstellung. Weiterhin werden einzelne Ideen in dieser Phase auch bereits iterativ entwickelt und mit dem Kunden getestet, was die Kundenperspektive nochmals verstärkt, die Traktion des Unternehmens jedoch außer Acht lässt.
3. Bewertung: Die generierten Ideen werden (ggf. nach Iteration mit dem Kunden) nach bestimmten Unternehmens- und Marktkriterien bewertet. Somit ergibt sich hier erstmals die Chance, beide Perspektiven einfließen zu lassen und sowohl den Kundenfit als...