Unternehmen müssen sich ändern
Der Weltraum- und Automobiltitan Elon Musk hat wiederholt vor der existenziellen Bedrohung der Menschheit durch die fortschreitende Entwicklung im Bereich künstlicher Intelligenz gewarnt, insbesondere vor Maschinen, die selbstständig Entscheidungen treffen. Das wird von vielen Studien und Berichten unterstrichen, wie wir in diesem Kapitel sehen werden. Unternehmen müssen sich gut auf die Zukunft vorbereiten und mögliche Fehler frühzeitig erkennen, bevor katastrophale Folgen passieren. Denn es werden viele Menschen von diesen Umstellungen betroffen sein.
Mit der fortschreitenden Automatisierung bisher körperlicher Arbeit, aber auch der Wissensarbeit werden viele Arbeitsplätze neu definiert. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie zwangsläufig eliminiert werden, zumindest nicht kurzfristig.
Das Potenzial künstlicher Intelligenz und fortschrittlicher Robotik für Aufgaben, die einst Menschen erledigten, zeigt sich nicht nur in spektakulären Entwicklungen wie IBMs Watson, Baxter Roboter aus dem Hause Rethink Robotics, DeepMind oder Googles fahrerlosem Auto. Sie brauchen einfach nur zu einem Flughafen zu gehen: Automatische Check-in-Schalter dominieren jetzt die Ticketing-Bereiche vieler Airlines. Piloten fliegen die meisten Flüge aktiv für nur drei bis sieben Minuten, den Rest der Reise übernimmt der Autopilot. Die Sicherheitskontrollen an einigen Flughäfen legen mehr Gewicht auf das Scannen der Körper und der Dokumente als auf das Beobachten der Passagiere.
Wie werden sich solche Automatisierungsbemühungen in der Wirtschaft auswirken? Können wir uns auf enorme Produktivitätsverbesserungen, die Befreiung von langweiliger Arbeit und die Verbesserung der Lebensqualität freuen? Oder sollten wir uns vor Arbeitsplatzvernichtung, Organisationsstörungen und Belastungen für das soziale Gefüge fürchten?
Anfang 2018 habe ich eine Forschungsarbeit gestartet, um diese Fragen zu untersuchen und das Potenzial von Automatisierungstechnologien für Arbeitsplätze, Unternehmen und die Zukunft der Arbeit generell zu untersuchen. Die bisherigen Ergebnisse deuten in erster Linie darauf hin, dass eine Konzentration auf einen bestimmten Beruf für den Einzelnen nicht zielführend ist. Allerdings werden nur sehr wenige Berufe kurz- oder mittelfristig vollständig automatisiert. Vielmehr werden eher bestimmte Aktivitäten automatisiert, sodass ganze Geschäftsprozesse transformiert und bestimmte Aufgabenfelder bzw. Berufsbilder neu definiert werden müssen – so wie der Job des Bankangestellten neu gestaltet wurde, als die Geldautomaten aufkamen.
Genauer gesagt legen die Forschungsergebnisse nahe, dass bis zu 45 Prozent der Tätigkeiten, für die derzeit menschliche Arbeitskraft eingesetzt wird, automatisiert werden können, wenn sie an die Technologien angepasst werden. Die Auswirkungen auf die Unternehmen sind enorm: Führungskräfte und Mitarbeiter auf allen Ebenen werden aufgefordert, Jobs und Prozesse neu zu gestalten, damit ihr Unternehmen das darin liegende Automatisierungspotenzial nutzen kann. Und die Vorteile reichen weit über Zeitersparnis hinaus: Es geht um höhere Leistung und höhere Qualität – zum Teil auf übermenschlichem Niveau – sowie um eine verbesserte Zuverlässigkeit. So lassen sich erhebliche Kosten einsparen, bisweilen sogar auf ein Zehntel reduzieren. Das Ausmaß dieser Vorteile deutet darauf hin, dass die Fähigkeit, zunehmend automatisierte Unternehmen zu managen und zu leiten, zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil wird. Aber: Die Studien zeigen auch, dass es, wie schon erwähnt, eher um die Automatisierung der Aktivitäten geht als darum, einzelne Arbeitsplätze komplett zu ersetzen.
Die Moderne bringt nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch vieles, was uns dazu zwingt, zu handeln: So wird die Einkommenslücke sichtbarer, das niedrige Wirtschaftswachstum die neue Norm, Technologie ist in der Regel bereits jetzt schon wichtiger als Arbeit und zukünftige Technologien können einen Großteil unserer körperlichen und geistigen Arbeit ersetzen. Aber die Welt hat derzeit keine langfristigen Strategien zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme, speziell der potenziell drohenden Arbeitslosigkeit. Einzig auf Bildung in den naturwissenschaftlichen und technologischen Bereichen wird gesetzt.
So zeigen Studien3 zwar einen gewissen Reflexionsprozess an, der sich in der Förderung der MINT-Fächer (Fächer aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) wie auch im früheren Schul- bzw. Studienabschluss andeutet. Aber das reicht bei Weitem nicht aus, um zukünftige Arbeitslosigkeit durch künstliche Intelligenz, Robotik, 3-D- bzw. 4-D-Druck, synthetische Biologie, Drohnen, Nanotechnologie, Cloud-Analytik sowie mögliche Synergien zwischen diesen zu bekämpfen.
Eine Delphi-Studie des Millennium Project
Das Millennium Project, ein weltweiter Think Tank, hat eine globale Studie durchgeführt, um eine Reihe von langfristigen Strategien zu entwickeln, mit denen der Themenkomplex Dynamik der Arbeitstechnologie bewusst angegangen werden kann (Daheim, 2016). Dazu wurden Fragen an ein Expertengremium gerichtet. Über 450 Zukunftsforscher und andere Experten, die sich mit der Zukunft von Arbeit und Technologie befassen, teilten ihre Urteile in vier Echtzeit-Delphi-Fragebögen mit.
Die Delphi-Befragung ist ein Entscheidungsverfahren, bei dem Experten in mehreren Befragungswellen um ihre Einschätzung gebeten werden. Das Ziel ist es, dass zukünftige Ereignisse, Trends und Lösungen für komplexe Probleme erarbeitet werden oder neue Ideen generiert, weitreichende Entscheidungen getroffen oder einfach Meinungen über einen unklaren Sachverhalt ermittelt werden.
Die Verwendung dieses Befragungsansatzes der Delphi-Methode soll auf die antike Orakelstätte im griechischen Delphi im 8. Jahrhundert v. Chr. zurückzuführen sein. Das Orakel von Delphi galt als Pilgerstätte für Könige wie Bauern, die nach Antworten bei dem neutralen Weissager suchten. Viele Legenden herrschen rund um das Orakel von Delphi. So soll es u. a. König Laios vorausgesagt haben, dass sein Sohn Ödipus ihn töten und schließlich seine Frau heiraten werde. Das Geheimnis des Orakels lässt sich heute recht einfach erklären: Während dem gemeinen Fußvolk einfache Ja-Nein-Antworten von Priestern mitgeteilt wurden, die eine Bohne aus einem Tongefäß zogen (eine weiße Bohne bedeutete »Ja«, eine schwarze Bohne »Nein«), durften Reiche und Adelige ihre Fragen direkt an Pythia richten, die in Form von Reimen antwortete. Auf der Suche nach Antworten verrieten nun sowohl Könige als auch Feldherren und andere einflussreiche Personen ihre Geheimnisse und Pläne. Diese Informationen nutzten die Priester, um logische Schlussfolgerungen über zukünftige Entwicklungen in Griechenland zu ziehen.
Erste Hinweise auf die Nutzung des Ansatzes in der neueren Zeit stammen aus dem Jahr 1948. Damals wurde die Methode eingesetzt, um die Ergebnisse eines Hunde- oder Pferderennens vorauszusagen. In den 1970er-Jahren fand die Delphi-Methode dann auch eine breitere Öffentlichkeit.
Bei der Delphi-Befragung (auch Delphi-Studie oder Delphi-Verfahren) handelt es sich, wie gesagt, um ein systematisches Entscheidungsverfahren, bei dem Experten in mehreren Befragungswellen um ihre Einschätzung gebeten werden. Sie kann zu den strategischen Analyse-Tools gezählt werden.
Die Vorgehensweise lässt sich in folgende Schritte gliedern:
1.Zu Beginn sollten Sie definieren, was Sie eigentlich erreichen wollen: Was ist das Ziel Ihrer Befragung? Zu welchen Themen suchen Sie eine Einschätzung oder welche Lösungen sollen erarbeitet werden?
2.Erstellen Sie einen Fragebogen, den Sie entweder qualitativ, quantitativ oder als eine Mischung aus beiden Vorgehensweisen aufsetzen.
3.Danach wählen Sie die geeigneten Experten zu einem jeweiligen Fachgebiet aus. Ein gewisses Mindestmaß an Fachwissen zum untersuchenden Gegenstand ist für das Gelingen einer Delphi-Befragung absolut notwendig. Ebenso ist die Anonymität der Experten untereinander wichtig. Dadurch können Meinungsführerschaften und ein nachträgliches Revidieren der eigenen Urteile vermieden werden. Je nachdem ob die Delphi-Befragung qualitativ und / oder quantitativ angelegt ist, variiert der in der Literatur empfohlene Umfang der Expertengruppe. Es gibt zwar keine empfohlene Obergrenze – diese ist immer auch abhängig von dem jeweiligen Thema –, allerdings sollten es aus Zeit- und Kostengründen nicht zu viele Experten sein. Die Anzahl der Befragungswellen ist zwar vom jeweiligen Ziel der Studie abhängig, es sollte jedoch eine minimale Anzahl von drei Befragungswellen geben, um eine gewisse Genauigkeit zu garantieren.
4.Nun wird der vorher erarbeitete Fragebogen den teilnehmenden Experten am besten elektronisch zugeschickt. Eine Delphi-Befragung wird meistens in mehreren Wellen...