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Kinderzeichnung, Sandspiel und Gestaltung

Verstehen und Anwenden in der psychodynamischen Therapie von Kindern und Jugendlichen

AutorChristiane Lutz, Gabriele Wurster
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl260 Seiten
ISBN9783170308527
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Unter dem Blickwinkel der Psychologie C. G. Jungs bietet das Buch einen Überblick über die Vielfalt symbolischer Gestaltungsmöglichkeiten in der psychodynamischen Therapie von Kindern und Jugendlichen. Es wird die Entwicklung des kindlichen Zeichnens beschrieben und anhand von reichem Bildmaterial in seiner konflikthaften Thematik interpretiert. Daneben findet das therapeutische Sandspiel als zentrales therapeutisches Angebot unter entwicklungspsychologischer Perspektive Raum. Schließlich wird auf die kindliche Fähigkeit einer freien Gestaltung mit geformtem und ungestaltetem Material eingegangen. Insgesamt machen kurze Fallvignetten und Abbildungen die dargestellten Möglichkeiten einer symbolischen Konfliktverarbeitung anschaulich.

Christiane Lutz ist als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin sowie als Paar- und Familientherapeutin in eigener Praxis in Stuttgart tätig. Sie ist Herausgeberin der Reihe 'Psychodynamische Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen'. Gabriele Wurster ist als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in eigener Praxis in Stuttgart tätig.

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Leseprobe

2          Malen in den verschiedenen Altersstufen


 

 

Bilder von Kindern in verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen ermöglichen dem Laien wie dem Fachmann/der Fachfrau ein vertieftes Verstehen von Kindern und Jugendlichen in ihren unterschiedlichen Fühl- und Erlebnisweisen. Dabei wird sichtbar, dass seelische Erkrankungen als Ausdruck eines inneren Ungleichgewichtes zu verstehen sind. Im therapeutischen Malen kann sich ein harmonischer Gefühlszustand entfalten. Staunend vor dem eigenen Werk zu stehen und zu wissen, das bin ich, das habe ich geschaffen, damit habe ich mich von Komplexen gelöst, lässt in zunehmendem Maß auf die Gewissheit vertrauen, eine innere Stabilität zu erreichen. Das Kind malt nicht primär was es sieht, sondern vermittelt uns wie es wahrnimmt. Dabei ist äußerer Eindruck und inneres Erlebnis noch eng verbunden.

2.1       Malen des Kleinkindes


Wenn das Kleinkind zum Stift greift, gestaltet es in einem ersten Schritt sogenannte Kritzelbilder. Auch sie haben bereits eine Aussage. Das Kind versucht seine Eindrücke auszudrücken und damit für die eigene Person verständlich zu machen. Die für unsere Wahrnehmung scheinbar wahllosen Striche enthalten Botschaften, die sich erst über die begleitenden Worte erschließen. Es kann ein Auto sein, das fährt, damit wird die Erfahrung von Bewegung verarbeitet. Von einem bekannten zu einem unbekannten oder zumindest weniger bekannten Ort zu kommen schließt eine Fülle von Bildern ein, für die das Kind in seinen Kritzelbildern Ausdruck und Verarbeitung sucht. Es kann aber auch die Beziehung zu einem älteren Geschwister gemeint sein. Die roten, gelben und orangen Striche kommentierte eine Zweijährige: »Momi rennen, ganz schnell weg«. Damit ist der 5-jährige Bruder Moritz gemeint, der sich am Morgen eilig von Mutter und kleiner Schwester trennte und in den Kindergarten zu seinen Freunden lief.

2.1.1     Die Gestaltung des Urknäuels


Der nächste Entwicklungsschritt im Malen ist die Gestaltung des sogenannten Urknäuels. In lustvoller kreisender Bewegung scheinen Außenwelt und Innenwelt in einem ganzheitlichen Umkreisen zusammengefügt zu werden. Hierbei ist es nicht ein einziger Kreis, sondern es wird das umrundende Prinzip einer gefühlten oder gewünschten Einheit in ständiger Wiederholung dargestellt. Bereits dieser erste Versuch, innen und außen in Gemeinsamkeit und wechselseitiger Bedingtheit aufs Papier zu bannen, verrät viel über die Befindlichkeit des Kindes. Kann es den Raum ergreifen, den Stift in die Faust nehmen, sich in die Bewegung vertiefen und in die lustvolle Wiederholung eintauchen? Kann es sich mit seinem Tun verbinden, sich dem Erleben der Ganzheit vertrauensvoll annähern oder verlangt es nach der helfenden Hand des Erwachsenen? Unterscheidet es schon in einem ersten Schritt zwischen den Farben oder greift es wahllos zu den Stiften?

Im Bild eines Dreijährigen dominiert das »Große Runde«, wie er es bezeichnet ( Bild 2). Aus einem noch diffusen Ich-Kern, der vom Farbeindruck noch eher blass und zurückhaltend wirkt, entwickelt sich ein klarer grüner Kreis, der wiederum vom Gelb umhüllt ist. Wenn diese Farbe den Aufbruch in eine wachsende Selbstbestimmung symbolisiert, könnte sich hier eine altersspezifische Bereitschaft abbilden, den mütterlichen Schutz, das Enthaltensein zu verlassen. Dies wird durch die Farbwahl unterstrichen. Grün, Blau und Braun sind farbpsychologisch dem Mütterlichen zuzuordnen. Dass dieser Aufbruch sich nicht ohne familiäre Dramatik abspielt, könnte durch das wirre Braun einerseits, aber auch die farbkräftigen senkrecht gestalteten Bereiche rechts und links vermutet werden. Orange als Ausdruck von Vitalität und Kraft scheint hier die Gegenposition zum schützenden Runden zu besetzen. Tatsächlich berichtete die Mutter im Gespräch, dass sie mit ihrem geliebten und umsorgten Sohn gerade »massive Kämpfe ausficht«, wie sie sagt. Wir verstanden das notwendige Aufbegehren als leicht verspätetes Trotzalter. »Ich dachte, ich könnte das umschiffen«, äußerte die Mutter etwas wehmütig, »aber es muss wohl sein!«

2.1.2     Die Gestaltung des Kopffüßlers


Die nächste zeichnerische Entwicklungsstufe ist die der so bezeichneten »Kopffüßler«. Das zentrale Erleben repräsentiert der Kopf, der groß und mächtig als das beherrschende Runde das Bild dominiert. Bezeichnend ist, dass die Kinder in der Regel viel Wert darauf legen, dass der Kopf zwei Augen, einen Strich als Nase und einen Mund erhält. An den Kopf werden zwei lange Striche als Beine senkrecht angefügt. Die Arme wachsen aus dem Kopf, so dass sich insgesamt nahezu eine Kreuzform ergibt ( Abb. 1). Für ein kleines Kind hat der Kopf des Gegenübers eine zentrale Bedeutung: Im Kopf repräsentiert sich für seine Wahrnehmung das Gegenüber, der ganze Mensch ( Abb. 2).

»Das Kind meint mit dem Kopf die Gesamtgestalt des Menschen […] in ihm verdichtet sich ein Grossteil der Erfahrungen mit den anderen Menschen.« (Seitz, 1980)

Als weitere Wahrnehmung kommt für das Kind hinzu, dass der Mensch sich bewegen und dass er greifen kann. So wachsen aus dem Kopf Arme und Beine. Und schließlich ist das Hören fürs Kind von besonderer Bedeutung. Wie tönt die Welt, was ist Sprache, was muss ich hören, oder was soll ich nicht hören. Aus dieser Sicht ist verständlich, dass die meisten Kinder ihrem Kopf noch riesige Ohren anfügen ( Abb. 2).

Abb. 1-4: Monster unter verschiedener Akzentsetzung

2.1.3     Eindruck wird zum subjektiven Ausdruck der menschlichen Gestalt


Die Malserie eines knapp Fünfjährigen ( Abb. 1–4) unterstreicht die Weiterentwicklung in Wahrnehmung und Gestaltung der menschlichen Figur. Beeindruckend ist das erste Bild, in dem er Arme und Beine gestaltet. Wichtig waren ihm die Finger und die Füße, die selbstbewusst Schritte nach rechts in die Progression wagen. Interessant ist die Wahrnehmung von senkrechten und waagrechten Linien, die jedoch noch keinen Körper abbilden. Augen und Mund haben eine zentrale Bedeutung. Das Beißen im Sinne einer Erkenntnis, Biss zu entwickeln, könnte damit gemeint sein ( Abb. 3). Begeistert über seine Gestaltungsfähigkeit, sicher auch angeregt durch mein gespanntes Beobachten, folgten nun weitere Menschbilder, die als Monster bezeichnet werden. Im dritten Bild wird erstmals die Nase dargestellt. Die beiden Öffnungen waren dem kleinen Zeichner dabei besonders wichtig. Der über dem Bauch hängende Halbkreis soll die ausgestreckte Zunge darstellen. Die Arme werden nun selbstverständlich am Bauch befestigt ( Abb. 4).

2.1.4     Abbildung des Menschen in seinen Körperfunktionen


Und schließlich nehmen die Körperfunktionen einen wichtigen Raum ein: So entstand das »Pipimonster« ( Abb. 4). Die Eltern berichteten von ihrem Sohn, dass er im Kindergarten dadurch auffiel, dass er sich und anderen Kindern gern Perlen in alle Öffnungen des Körpers steckte. Es schien, als ob er damit in besonderer Weise wahrnehmen wollte. Im Gespräch konnten die beunruhigten Eltern erkennen, dass ihr Sohn seine und die Körperlichkeit anderer Kinder erfassen wollte. So auch die geschlechtliche Unterschiedlichkeit, die sich in seiner Frage ausdrückte, warum die Mädchen ein Loch hätten, in das man etwas hineinstecken könnte und die Jungen nicht.

Es war offensichtlich, dass der Junge nach Informationen hinsichtlich der geschlechtlichen Unterschiedlichkeit suchte. Mit Hilfe von Büchern und bezogenen Gesprächen war es möglich, die Grundtatsachen von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt zu beschreiben und dem Jungen über die Information seine über das Perlenspiel symbolisch geäußerten Fragen zu beantworten. Die Eltern erkannten, dass ihr Sohn Sicherheit in seiner männlichen Rolle suchte. In der Folge wagte er immer wieder, ein kleines Monster zu sein. Die Perlenspiele dagegen hörten wie selbstverständlich auf.

2.2       Malen im Vorschulalter


Im letzten Kindergartenjahr wird zunehmend die Bedeutung des Leibes erkannt. Kinder setzen nun an den Kopf den zumeist kugelrunden Bauch, der gern mit einem Bauchnabel versehen wird. Jetzt werden auch Farben bewusst eingesetzt. Das Kind ist wählerisch und sucht »seine« Farben aus.

In der Abbildung eines Menschen ( Bild 7) legt die Sechseinhalbjährige...

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