So wenig wir über die Zukunft wissen, eines steht jetzt schon fest: Unsere Arbeitswelt steht Kopf. Der Begriff, der die im Vorwort geschilderten Entwicklungen umfasst, ist New Work. Neues Arbeiten also. Das klingt zunächst seltsam, denn es suggeriert, dass es auch »altes Arbeiten« gibt, das nun durch etwas Neues, anderes abgelöst wird. So als führe man nun ein neues Auto, weil das alte es nicht mehr tut. Ganz so ist es natürlich nicht, es gibt kein Umschalten von alt auf neu, keine plötzliche Abschaffung von Verbrauchtem, das seine Gültigkeit verliert, damit das Neue Platz hat. Und dennoch: In dieser Zeit des Umbruchs gewinnen Haltungen, Strukturen, Werte und Methoden an Bedeutung, die für herkömmliche Geschäftsmodelle unwichtig oder sogar schädlich waren. In Zeiten des Umbruchs entpuppen sich Erfolgsgaranten aus der Zeit vor der Digitalisierung beziehungsweise des frühen Internets als Hemmschuhe.
Der Begriff »New Work« ist keine Erfindung aus dem Online-Ökosystem. Seinen Ursprung hat er in den 1970er-Jahren, geprägt vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann. Bergmann beschäftigte sich mit der philosophischen Frage nach der Freiheit des Menschen. Nichts scheint jedoch mehr Potenzial zu haben, Menschen abhängig zu machen, als Arbeit. Mit der Kultur für eine »Neue Arbeit« fand Bergmann schließlich eine praktische Verwirklichung seiner theoretischen Überlegungen, deren Thesen er mit der Überschrift »New Work – New Culture« im Internet veröffentlichte.3 Er beschreibt New Work als einen Aufstand, weil es die Transformation von der industriellen zur gemeinschaftlichen Produktion auf kleinerem Raum zur Folge hat. In neuen technologisch geprägten Arbeitsumgebungen werden Menschen »Neue Arbeit tun, die (sie) nicht auslaugt, sondern ihnen Vitalität und Kraft verleiht, sinnvolle Arbeit, die den Menschen die Überzeugung von einem wirklich gelebten Leben gibt: Arbeit, die die Menschen als ihre Berufung erfahren«. Bergman beschreibt diese neue Arbeit als sozial verträglich, umwelt- und ressourcenschonend, weil sie nicht mehr auf der Idee des Wirtschaftswachstums basiert, sondern auf der Idee von einer neuen Kultur. »Diese neue Kultur wird viel intelligenter sein (weit weniger verschwenderisch), viel menschlicher (mit wesentlich weniger Armut als heute) und auch fröhlicher (weil viel mehr Menschen eine Arbeit tun, die sie wirklich tun wollen – die im Idealfall sogar ihre Berufung ist).«4
Auch heute wird mit New Work eine veränderte Arbeitskultur beschrieben. Sie löst klassische Pyramidenhierarchien auf, wendet sich gegen feste Arbeitszeiten und -orte und konzentriert sich auf Menschen und ihr Wohlergehen während der Arbeit. Im Fokus stehen kundenzentrierte, digital geprägte Geschäftsmodelle, die digitale Hypervernetzung und eine virtuelle, globale Zusammenarbeit von selbst organisierten Teams mit werte- und sinnorientierter Führung. Der Begriff »New Work« im Sinne von Bergmann basiert auf der Utopie von einem Morgen, in dem Menschen, Tiere und Pflanzen es besser haben werden als heute. Diese Sichtweise scheinen auch Arbeitsphilosophen und Innovationsberater, Wirtschaftslenker und Entscheider zu bemühen, wenn sie die digitale Transformation als etwas Fortschrittliches im positiven Sinne anpreisen. Alle tun so, als gäbe es ein klares Zukunftsszenario, auf das wir uns mit bestimmten Strategien vorbereiten könnten – und dann wird alles gut.
In welcher Arbeitswelt möchte ich leben?
Entgegen dieser aufmunternd wirkenden Utopien und Suggestionen wissen wir natürlich nicht, welche Arbeitswelt uns tatsächlich erwarten wird. Selbst künstliche Intelligenzen können die Zukunft nicht zuverlässig berechnen. Aber es zeichnen sich Tendenzen ab, die die künftige Arbeitswelt möglicherweise bestimmen werden. Es wird vielen Menschen nach wie vor darum gehen, möglichst viel Geld zu verdienen und maximal erfolgreich zu sein. Aber es gibt auch andere, die wie Bergmann sagen: »Weniger ist mehr. Lasst uns das, was wir nachhaltig erwirtschaften, gerechter verteilen und mit Freude unser sinnvolles Tagewerk verrichten.« Beide Positionen haben einen starken Einfluss auf die Gestaltung von Arbeit, die Motivation der Beschäftigten und die angewendeten Erfolgsbarometer.
Für Teilnehmende in dieser Arbeitswelt bedeutet das, dass sich jeder Mensch selbst darüber Klarheit verschaffen muss, was er tun muss, um in seinem Sinne erfolgreich zu sein – ganz gleich ob als Angestellter, Freelancer, Chef oder Gründer. Alle sollten sich fragen: »In welcher Arbeitswelt möchte ich leben? Ist es die, in der ich aktuell tätig bin? Und wenn nicht, was kann und muss ich tun, damit es besser wird für mich?«
Im Rahmen dieser Überlegungen zeichnen sich folglich zwei organisationale Phänomene ab, die der einflussreiche Trendforscher Sven Gábor Jánszky u.a. auf seiner Website trendforscher.eu als »fluide Unternehmen« und »Caring Companies« bezeichnet. Die Grundannahme für diese Entwicklung ist, dass gut qualifizierte Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels überall gesucht werden. Dieser Arbeitnehmermarkt führt zu einer Machtverschiebung zu den Arbeitskräften, die sich aussuchen können, in welchem organisatorischen System sie leben wollen. Wollen sie als Angestellte möglichst lebenslang in einer Kultur arbeiten, die beständig ist, oder gleiten sie lieber als Projektarbeiter fluide von einem Projekt zum nächsten? Unternehmen mit einer fluiden Arbeitskultur beschäftigen nur noch wenige fest angestellte Mitarbeiter, die für die Stabilität des Systems sorgen. Die notwendige Produktivität wird von Freelancern und anderweitig unabhängig arbeitenden Arbeitskräften und Organisationen dann geleistet, wenn sie notwendig ist. Damit entfallen Leerzeiten und nicht genutzte Kapazitäten, die ein Unternehmen teuer zu stehen kommen können. Im fluiden System haben die festen Mitarbeiter das Ziel, die guten Kräfte auf dem freien Markt nachhaltig an sich zu binden, auch wenn sie gerade nicht gebucht werden können. Auch die Freelancer haben ein Interesse daran, von einer Firma mit einer aus ihrer Sicht angenehmen Firmenkultur immer wieder angefragt zu werden. Loyalität basiert im fluiden System demzufolge auf guter Leistung, die aus einem globalen Netzwerk von Freien abgerufen werden kann. Damit verschwimmen die Grenzen von Unternehmen, da ihre Unternehmung, die zu leistende Arbeit, nur durch die Vernetzung mit anderen Unternehmungen verrichtet werden kann. Wenn wir uns dann noch vor Augen führen, dass die zunehmende Digitalisierung mit den Möglichkeiten des Internet of Things zu einer globalen Hypervernetzung von allem mit allem führen wird, dann sind in Zukunft viele uns heute bekannten Grenzen infrage gestellt.
Unternehmen mit hohen »Caring«- oder Fürsorge-Anteilen dagegen werden sich bewusst für die Arbeit in einem fest umrissenen Kosmos entscheiden, um den dort arbeitenden Menschen eine möglichst hohe soziale Sicherheit zu bieten. Diese Unternehmen arbeiten – so wie früher das alles bestimmende Familienunternehmen in einer Region – weiterhin mit zahlreichen fest angestellten Mitarbeitern, die sie möglichst langfristig an sich binden wollen. Damit das gelingt, ziehen sie ganz bewusst das private Umfeld ihrer Mitarbeiter in ihre Firmenkultur mit ein. Sie schaffen ein familienfreundliches Umfeld, das zum Beispiel Kinder- und Elternbetreuung, eine gesunde Verpflegung, attraktive Sportangebote und Ähnliches bietet. Hier geht es darum, die Mitarbeiterfluktuation möglichst klein zu halten und das Unternehmen immer wieder neu für seine Mitarbeiter attraktiv zu gestalten.
Heute tragen die meisten größeren Unternehmen Anteile beider Unternehmensstrukturen in sich. Es gibt namhafte Global Player, die sich einerseits durch hohe »Caring«-Anteile positionieren und gleichzeitig aus unternehmenspolitischen Gründen »fluide« HR-Prozesse verwenden.
Sicherheit durch langfristige Arbeitsverhältnisse schwindet
Wer sich in der sich ständig verändernden Arbeitswelt von heute verorten möchte, sollte sich fragen, welche Aspekte ihm bei der Gestaltung von Arbeit wichtig sind. Bin ich eher freiheitsliebend oder eher sicherheitsorientiert? Lebe und arbeite ich gern situationsabhängig und lasse ich mich gern von Impulsen ziehen? Oder stehen Loyalität, Langfristigkeit und Zugehörigkeit bei mir im Fokus? Oder bin ich ein Mensch, der je nach Lebensphase den Wechsel zwischen einer fluiden und einer »Caring«-Umgebung bevorzugt? Vielleicht müssen wir ja auch komplett neu denken? Sind denn Arbeitsplätze in Caring Companies tatsächlich sicherer? Betriebsbedingte Entlassungen gibt es heute überall. Vielleicht bin ich morgen im fluiden System sicherer, weil ich vielseitige Talente besitze, gern dazulerne und ein guter menschlicher Umgang bin? Tatsächlich können schon heute talent- und wertorientierte Projektarbeiten mehr Sicherheit verschaffen als unbefristete Arbeitsverträge in ehemals blühenden Traditionsunternehmen. Wer also stetig in Kontakt mit der eigenen Arbeitsmotivation ist und sich und seinen Antrieb zum Arbeiten kontinuierlich hinterfragt, anstatt sich auf Vertragsklauseln zu verlassen, der wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einer für ihn persönlich stimmigen Arbeitswelt leben.
Mit dem vorliegenden Buch möchten wir Menschen, die sich bisher nicht in die fluide Welt getraut haben, ermuntern, sich diese genauer anzusehen. Denn New Work steht für viel Abwechslung im Alltag, die mit einer klaren Haltung und Wertorientierung sehr gut zu bewältigen ist. Wie das zukünftig aussehen kann, hat uns Daniel Barke, einer der Gründer von WorkGenius in einem anregenden Gespräch verraten.
Daniel Barke und WorkGenius
Daniel Barke, der zusammen mit seinem Studienfreund und...