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ZAHNGESCHICHTEN RUND UM ENTZÜNDUNGEN
Die Zahl der chronisch Kranken steigt nahezu jährlich. Dass ein Zusammenhang zwischen Erkrankungen und der Mundgesundheit bestehen kann, ist dem größten Teil der Menschen allerdings nicht bewusst. Ob ein kranker Zahn, ein entzündeter Kieferknochen oder ein betroffenes Zahnbett eine chronische Entzündung hervorrufen, ist individuell unterschiedlich. Aber wichtig ist: Es kann sein. Besonders tückisch wird dies dadurch, dass diese Entzündung oft an einer ganz anderen Stelle des Körpers entsteht.
Das ist ja ganz schön verzwickt – nein, verzahnt
Dass Wechselwirkungen zwischen einzelnen Zähnen und dem Körper insgesamt bestehen, ist wissenschaftlich durch mehrere Studien bewiesen. Leider sind diese Erkenntnisse noch viel zu wenig bekannt. Dadurch kommt es zu schlimmen Leidensgeschichten, wie etwa die von Herrn Keiler.
Herr Keiler (52) – vom Marathon zu Muskelschmerzen
Herr Keiler (52) war immer sehr sportlich. Jeden Tag fuhr er mit dem Fahrrad zur Arbeit und abends ging er ins Fitnessstudio. Pro Jahr lief er mindestens einen Marathon. Mit diesem Wissen erscheint seine Geschichte noch viel tragischer, denn innerhalb weniger Wochen baute Herr Keiler immens ab. Man konnte ihm fast dabei zusehen, wie er weniger wurde.
Weil auch Herr Keiler nicht verstand, was mit ihm geschah, wurde er immer launischer. Cholerische Tendenzen hatte er schon früher gehabt, nun war es jedoch nicht mehr zum Aushalten. Auch in der Zahnarztpraxis schrie er und beschimpfte das Personal und den Zahnarzt. Was war nur los?
Vor vielen Jahren hatte Herr Keiler einige Implantate erhalten. Damit hatte er keine für ihn merklichen Probleme – alles war seines Erachtens wunderbar. Vom Zahnarzt hörte er zwar immer wieder, er solle öfter zur Reinigung kommen, er müsse dies und müsse das. Aber er hielt sich nicht daran, denn schließlich ging es ihm gut. »Das ist nur Geldschneiderei«, waren seine Worte dazu.
Nun jedoch schien eine Entzündung seinen gesamten Körper befallen zu haben. Wie sich herausstellte, gingen diese Entzündungen von seinen Implantaten aus. Einige Zeit wollte er das nicht glauben und keine dementsprechende Behandlung beginnen. Als er aber ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, akzeptierte auch er die Zusammenhänge. Es ging ihm so schlecht, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Ein einst so starker Mann weinte vor Verzweiflung.
Hintergrundinformationen zu Herrn Keilers Fall
Bei Herrn Keiler hatte sich eine Entzündung im Kieferknochen um die Implantate herum gebildet, die sich über die Blutbahn auf andere Organe ausgebreitet hatte. Deswegen gab es nicht nur einen lokalen Entzündungsherd im Kiefer, sondern eine Sepsis im Körper – umgangssprachlich wird Sepsis auch Blutvergiftung genannt. Eine solche kann lebensbedrohlich werden. Natürlich mussten die Implantate entfernt werden. Herr Keiler erhielt hoch dosierte Antibiotika.
So können Bakterien den Körper »vergiften«
Bakterien dringen in einen Zahn ein und verursachen dort sichtbare Karies. Was wir zunächst nicht sehen und bemerken: Die Bakterien dringen sehr tief vor – nämlich bis zum Nerv und über den Wurzelkanal zum Nerveintrittspunkt. Der Nerveintrittspunkt ist eine Öffnung in der Zahnwurzel, durch die Blutgefäße, Nerven und Lymphgefäße in den Zahn geführt werden und wieder heraustreten. So ist der Zahn mit seiner Außenwelt in Verbindung.
Unbehandelt kommt es in Folge zu einer Streuung der Bakterien und der Toxine (Gifte), die durch diesen Defekt entstehen. Das bedeutet, ein kariöser, mikrobiell besiedelter Zahn wird auf jeden Fall zu einem Streuherd. Von ihm aus gelangen Bakterien in den Blutkreislauf und in die Organe. Dies passiert schubweise. Häufig lösen diese Bakterien und Toxine dann an entfernten Bereichen und Organen entzündliche Krankheitsprozesse aus.
Bakterien dringen in den Zahn und durch ihn in die Blutbahn ein.
Der Mensch als System von Regelkreisen
Der menschliche Organismus wird durch eine Vielzahl an Regelkreisen gesteuert. Dieses Bild macht deutlich, wie unser Körper arbeitet. Kommt es zu einer Störung in einem Regelkreis, wird diese zunächst einmal ausgeglichen, denn jeder Regelkreis in sich enthält zusätzliche Auffangmechanismen. Wir sind demnach mehrfach abgesichert. Oder, um es einfach zu formulieren, unser Körper folgt dem Motto: »Wenn ich durch die Nase nicht atmen kann, dann öffne ich den Mund.«
Bis ein Regelkreis zusammenbricht, müssen bereits etliche Mechanismen ausgereizt worden sein, mit denen der Körper das Problem auszugleichen sucht. Zwar versucht der Körper zwar immer einen Ausweg zu finden, aber unbegrenzt kann er dies auch nicht tun. Wenn eine bestimmte Anzahl an Störungen erreicht ist, bricht das System zusammen und Krankheitssymptome treten auf. Wann dies der Fall ist, ist bei jedem unterschiedlich. Genauso wie der eine Mensch zwei Minuten die Luft anhalten kann, kann ein anderer dies sieben Minuten lang tun. Bei Menschen mit konstitutionellen Schwächen bricht ein System schneller zusammen als bei kerngesunden Menschen. Weiterhin ist es individuell sehr unterschiedlich, welcher Regelkreis zusammenbricht und zu Symptomen führt. Deshalb lässt sich keine Aussage darüber machen, welches Toxin und welche Störung welche Erkrankung hervorruft.
Einzig und allein lässt sich mit Bestimmtheit sagen: Die eigentliche Ursache einer Erkrankung ist die Summe der verschiedenen Reize, die auf den Organismus wirken.
Es geht immer um die Balance – die innere und die äußere
In unserem Organismus – und eigentlich im ganzen Leben – funktioniert alles in Regelkreisen. Ob ein Mensch gesund oder krank ist, hängt davon ab, inwieweit sein System im Gleichgewicht ist. Im Körper verläuft alles in Kettenreaktionen. Jede Störung wirkt sich auf das Ganze aus.
Die Balance ist das Entscheidende, um die es scheinbar im ganzen Leben geht.
Kein Mensch kann vermeiden, Gifte zu sich zunehmen, weil wir vielen Umweltgiften ausgesetzt sind, ob wir das wollen oder nicht. Schaffen wir es, den Giften und Stressoren, die uns umgeben, genügend entgegenzusetzen?
Es gibt Belastungen, denen wir uns nicht entziehen können. Diese müssen wir hinnehmen. Es gibt jedoch viel mehr Belastungen und Stressoren, die wir uns selbst antun, ob bewusst oder unbewusst. Wir haben zum Beispiel selbst in der Hand, was wir essen, welche Kleidung wir tragen, ob wir Sport treiben oder nicht. Und: Wir haben auch selbst in der Hand, welchen Gedanken wir nachgehen. Dieser Satz mag vielleicht für den einen oder anderen unbequem klingen und nicht passend, dennoch ist es so. Jeder kann sich in negative Gedanken hineinsteigern und darauf mit körperlichen Symptomen reagieren.
Bei meinen Patienten spreche ich gerne vom »Fass der Belastungen«. Als Behandlerin weiß ich nie, wie weit dieses Fass bei meinem Patienten bereits gefüllt ist. Was der eine verträgt und toleriert, kann für einen anderen eine unzumutbare Belastung sein. Ich möchte das am Beispiel einer leicht zu hohen Füllung deutlich machen:
Befindet sich ein Mensch gesichert in der Balance, wird er mir nach einigen Tagen sagen: »Am Anfang fühlte sich die Füllung komisch an, aber nach zwei Tagen war alles in Ordnung.« Ein anderer, der sich bereits an der Grenze seiner Belastung befindet, wird bereits am nächsten Tag kommen und erklären, dass er die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Was hat dieser Mensch getan? Ganz genau, er hat geknirscht und gepresst. In der Folge taten ihm der Zahn und die Muskeln weh. Zudem war er zermürbt, weil ihm die Nachtruhe fehlte.
In beiden Fällen ist die Füllung leicht zu hoch. Doch während der eine Mensch dies kompensierte, konnte der andere es nicht mehr tolerieren. Bei fast allem, was wir tun, sind wir auf unsere Kompensationsmechanismen angewiesen.
Es ist selbstverständlich die Aufgabe des Zahnarztes zu ermitteln, wen er vor sich hat: Ist es ein Mensch, dessen Fass randvoll gefüllt ist, oder hat er noch Ressourcen?
Ich kann als Zahnärztin den schönsten Zahnersatz fehlerfrei eingliedern und es kann trotzdem sein, dass der Patient mit diesem nicht zurechtkommt. Sein Regelkreis hat in dem Augenblick nicht die Ressourcen, um ihn zu akzeptieren und »sich daran zu gewöhnen«. Andersherum kann ich viele Fehler machen bei der Herstellung eines Zahnersatzes und dem Patienten fällt das gar nicht auf. Er würde nahezu alles akzeptieren, weil sein System noch viel Puffer hat.
Die Aufgabe eines jeden
Es ist die Aufgabe eines jeden, sein eigenes Fass immer schön zu leeren und die Balance zu halten. Bei uns verhält es sich wie bei einer Wippe, die auf der einen Seite alle vorkommenden Belastungen trägt und auf der anderen Seite alles, was dem entgegenwirkt. Je nachdem, auf welcher Seite wir mehr aufgeladen haben, sind wir gesund oder eben nicht. Es ist unsere tägliche Angelegenheit, dem Körper und seinen Signalen mit Achtsamkeit zu begegnen....