ERLEBNISPÄDAGOGIK IM CHRISTLICHEN KONTEXT DER KONFIRMANDENARBEIT UND FIRMARBEIT
Der klassische Unterricht hat einen breiten Transformationsprozess hinter sich.4 Die jahrhundertelange kognitive Engführung, von der das viel zu lang im Vordergrund stehende Auswendiglernen nur die Spitze des Eisbergs war, ist zumindest theoretisch längst überwunden. Im Rahmen der Übernahme erfolgreicher Arbeitsformen aus der Jugendarbeit und der engeren Kooperation z. B. bei Konfi-Camps, haben sich viele kleine und große erlebnispädagogische Elemente etabliert; besonders dort, wo Hauptamtliche und Ehrenamtliche aus der Jugendarbeit verantwortlich mitwirken.
Warum erlebnispädagogische Elemente sinnvoll, vielleicht sogar notwendig sind
Konfirmanden- und Firmarbeit ist eine besonders anspruchsvolle Form von Gruppenarbeit. So bereitet z. B. der Konfirmandenunterricht auf die einzige echte Gruppenkasualie der evangelischen Kirche vor. Diese Gruppen sind allerdings auch besonders heterogen. Die Jugendlichen kommen aus verschiedenen Schularten und haben sehr unterschiedliche Motivationen, sich auf die Konfirmation bzw. Firmung vorzubereiten. Ohne eine laufende Gruppe läuft in der Konfirmanden- und Firmarbeit nichts oder alles gegen die Leitung. Hier braucht es ein gutes Instrumentarium, zu dem Spiele genauso gehören wie erlebnispädagogische Übungen. Positive Gruppenerfahrungen sind gerade in der Pubertät besonders wichtig, wo die Bestätigung stärker als in der Kindheit vorwiegend bei den Peers, den Gleichaltrigen, gesucht wird. Gemeinsam bewältigte Herausforderungen können eine solche Bestätigung sein. Auch der Segen, der bei der Konfirmation und Firmung sehr persönlich zugesprochen wird, ist eine solche sinnlich spürbare Bestätigung und der Zuspruch, dass Gott den Weg der/des Jugendlichen schützend und stärkend begleiten wird.
Die Zeit des Konfirmanden- und Firmunterrichts dient dazu, sich persönlich mit Glaubensfragen zu beschäftigen, aber auch dazu, Kirche konkret kennenzulernen. Deshalb ist die Kultur des Umgangs miteinander in der Gruppe für viele Jahre prägend für das eigene Bild von Kirche. Sie bildet nicht zuletzt auch selbst so etwas wie „Gemeinde auf Zeit“.
Konfis, Firmlinge und mit ihnen auch alle anderen Jugendlichen leben heute in einer digitalisierten und dadurch erstaunlich erlebnisarm gewordenen Welt. Während in Actionfilmen ständig größte Gefahren inszeniert und überwunden werden, kommt dies im Alltag kaum vor. Viele heutige Gefahren wie Cybermobbing oder Misserfolg in der Schule sind merkwürdig abstrakt und irreal. Unsere psychische Ausstattung stammt aus einer Zeit, in der Weglaufen bei Gefahren noch half. Deshalb braucht auch der moderne Mensch archaische Erlebnisse, die ihm Adrenalin in die Adern pumpen und ihn echte Kooperation erfahren lassen. Wir leben heute so radikal anders als zu früheren Zeiten, dass wir besondere, extra arrangierte Erlebnisse brauchen, um Anschluss zu finden an den Erfahrungsschatz früherer Generationen. Überlebensangst und Vertrauen sind solche Themen. Die Angstreaktion mit dem Impuls zum Weglaufen passt bei der Begegnung mit einem Tiger; wenn man auf WhatsApp einen dummen Kommentar abbekommt, ist sie eher dysfunktional. David wusste noch, was Angst vor einem Löwen ist und hat Vertrauenspsalmen sicher anders gebetet und verstanden als wir heute. Deshalb hilft es, solche Erfahrungen einmal selbst zu machen und sie dann reflexiv auf Situationen unseres Alltags zu übertragen.
Zwei Phänomene, die in jeder Gruppe auftreten, lassen sich mit Hilfe von Erlebnispädagogik besonders gut erleben und reflektieren: Risikoschub und Anpassungsdruck. Eine Gruppe ist gemeinsam mutiger, geht riskantere Aufgaben eher an als die Summe aus Einzelpersonen. Gleichzeitig gibt es in Gruppen einen hohen Anpassungsdruck. Wer gelernt hat, diesen bei speziellen Übungen zu spüren, mit ihm umzugehen und auch einmal Nein zu sagen, kann auch im echten Leben besser damit umgehen. Auch in Glaubensfragen gibt es diese Erfahrung: Es stärkt den Glauben, andere neben sich zu haben, die ebenfalls glauben. Aber es gibt auch Situationen, in denen man spürt: Das ist nicht die eigene Art zu glauben, da gehört man nicht hin, da will man lieber Abstand haben. Für solche Situationen braucht es Mut zur Neuorientierung.
Lange Zeit war die Konfirmanden- und Firmarbeit ähnlich wie die Schule von einer kognitiven Didaktik geprägt. Der zentrale Stoff – ideal zusammengefasst im jeweiligen Katechismus der Evangelischen bzw. der Katholischen Kirche – sollte vermittelt werden. Dies geschah über Texte, Schreibaufgaben und Gespräche. Besonders benachteiligt sind bei solchen Arbeitsformen lernschwache Jugendliche. Wenn man hingegen erlebnispädagogisch arbeitet oder Elemente daraus aufgreift, wird meist ein größerer Teil der Gruppe angesprochen und die Kompetenzen sind oft völlig anders verteilt als in unserer stark selektiven Wissensgesellschaft üblich.
Erlebnispädagogik braucht Teamerinnen und Teamer
Leider findet man immer noch häufig das klassische Bild, dass eine Pfarrerin oder ein Pfarrer einer Gruppe gegenübersteht. Das ist keine gute Ausgangslage für Erlebnispädagogik. Viele Übungen brauchen Vorbereitung, gute Absicherung und jemanden, die/der schon weiß, wie das Ganze funktioniert. Konfi- und Firmarbeit mit Teamerinnen und Teamern ist eine erhebliche Verbesserung des traditionellen Unterrichts, weil die Jugendlichen am Modell der Teamerinnen/Teamer viel flexibler lernen können, weil diese in der Regel vom Alter und der Lebenswelt her sehr viel näher dran sind und oft auch selbst gute Ideen einbringen können. Erlebnispädagogische Übungen führen nicht automatisch dazu, dass sich das Gruppenklima bessert und es weniger Disziplinprobleme gibt. Oft ist – zumindest wenn die Gruppenleitung selbst noch nicht so erfahren ist – eher das Gegenteil der Fall. Deshalb sollte man bestimmte Übungen auf keinen Fall ohne Team durchführen, das auch beim Feedback wertvolle Hinweise geben kann, warum etwas nicht wie gedacht geklappt hat und was man beim nächsten Mal besser machen kann.
Falls man keine Teamerinnen/Teamer hat, kann man sich die Experten auch holen. Viele Gruppen machen gute Erfahrungen mit einem erlebnispädagogischen Tag, der oft auch für mehrere Gruppen gemeinsam organisiert wird.
Zum Verhältnis von Spiel und Erlebnispädagogik
Gerade wenn erlebnispädagogische Übungen kürzer sind als üblich und weniger materialaufwendig, stellt sich die Frage: Was unterscheidet sie dann noch von einem Spiel oder einem Warm-up? Sicherlich gibt es viele Überschneidungen und Grenzfälle. Auf jeden Fall ist aber klar, dass Erlebnispädagogik einen inhaltlichen Anspruch hat, zu dem ausdrückliches Reflektieren gehört. Ein Spiel steht für sich, macht einfach Spaß, muss keinen tieferen Sinn haben. Eine erlebnispädagogische Übung hingegen muss pädagogisch passen, inhaltlich etwas austragen, muss in ihren Erlebnissen und Ergebnissen durch Reflexion so ins Bewusstsein gehoben werden, dass sie weiter im Gespräch und Thema bleibt. Von daher ist sie wesentlich nachhaltiger als ein Spiel.
Erlebnispädagogik und Theologie
Erlebnispädagogische Übungen, besonders wenn sie lang und intensiv sind, können Glaubenserfahrungen anstoßen und diese stimulieren. Sie dürfen aber nie mit der Glaubenserfahrung selbst verwechselt werden, diese ist unverfügbar und allein Sache Gottes, dessen Geist wirkt, wann und wo er will.
Der Glaube muss sich außerdem im Alltag bewähren; nicht alle Sondererlebnisse sind da unmittelbar übertragbar. Oft braucht es Reflexionsarbeit, manchmal gelingt die Übertragung auch gar nicht. Der Glaube ist unverfügbar, er ist ein Geschenk Gottes und nicht jedermanns Ding. Intensive Erlebnisse in der Erlebnispädagogik sind analogiefähig, aber nicht die Sache selbst. Eberhard Jüngel beschreibt den Glauben als eine besondere „Erfahrung mit der Erfahrung“5. Diese Formulierung finde ich sehr hilfreich.
Die Frage ist auch, wo bestimmte Übungen am besten passen. Im christlichen Glauben gibt es zwei zentrale Richtungen: die horizontale und die vertikale, Nächstenliebe und Gottesliebe.
Nächstenliebe konkretisiert sich – wie Jesus das im Gleichnis vom barmherzigen Samariter anschaulich erklärt hat – in unmittelbarer Hilfe und Not wendender Kooperation. Viele Kooperationsübungen bieten hier gute Anregungen. Wir leben heute immer mehr als Einzelkämpfer und erziehen unsere Kinder zu Individualisten. Unser Wohlstand erlaubt es uns, Dinge und Dienstleistungen zu kaufen, statt andere um Hilfe zu bitten. Hier kann eine Erlebnispädagogik, die gelingende Kooperationserfahrungen ermöglicht, ein wichtiges Korrektiv sein.
Schwieriger ist es hingegen, die vertikale Ebene erlebnispädagogisch zu inszenieren. Erfahrungen mit dem Gebet liegen nahe, wirklich gefährliche Situationen sollten allerdings nicht heraufbeschworen werden, das wäre fahrlässig. Leichter ist es vermutlich, im Rahmen von Andachten, Stilleübungen und performativen Elementen das Hören auf die Stimme Gottes einzuüben.
Dr. Thomas Ebinger
Literaturempfehlungen
- Lütz, Sven-Olaf / Quattlender, Andreas: Erlebnisorientierte Konfirmandenarbeit. Konzeption und Gestaltung, Patmos, Düsseldorf 1999
- anKnüpfen Update 6. Erlebnisorientierte Konfirmandenarbeit, Pädagogisch-Theologisches Zentrum, Stuttgart 2011
- Keßler, Hans-Ulrich / Nolte, Burkhardt: Konfis auf Gottsuche. Praxismodelle für eine handlungsorientierte Konfirmandenarbeit, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009
- Ebinger, Thomas / Haller, Judith / Sohn, Stephan: Tool-Pool. 180 bewährte und neue Methoden für die Konfi- und Jugendarbeit, buch+musik, Stuttgart 22018
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