Die Alchemie
Wenn man die Vokabel „Alchemie“ hört, laufen wieder bei den meisten Menschen die verschiedensten Mechanismen ab. Man erinnert sich an weitere „Fachvokabeln“, an „mystische Formulierungen“ und irgendwie auch an die klassische Chemie aus der Schulzeit. Alles zusammen genommen ergibt dies ein interessantes Gebräu, doch leider keine Klarheit. Da das Thema der Alchemie sehr groß und sehr komplex ist, verlassen die meisten Menschen wieder schnell dieses „undurchsichtige Gebräu“ um sich einfacheren Themengebieten zuzuwenden. Verständlich, doch gleichzeitig auch sehr schade, denn das Themengebiet der Alchemie hat nicht nur altes und historisches Wissen zu bieten, nein, es kann auch Wege zur Selbsterkenntnis aufzeigen, auf denen man sich selbst Werkzeuge erschaffen kann, die bei der eigenen Evolution essenziell sind. Daher will ich jetzt einmal eine Klärung des eigenen Gebräus anbieten, sodass man Stück für Stück erkennen kann, was die Alchemie war, was sie ist und wie man die verschiedenen Lehren, Philosophien, Dekrete und experimentellen Gedankengänge im Einzelnen verwenden kann. Gut, einfach wird das nicht werden, denn wenn man schon in die Schreibweise des Wortes Alchemie eintauchen will, wird man mit verschiedenen Buchstabenkombinationen konfrontiert. Im Normalfall findet man die Schreibweise „Alchemie“ in der literarischen Welt, doch des Öfteren stößt man auch auf die Schreibweisen „Alchimie“, „Alchiemie“ bzw. „Alchymie“. Zwar erkennt man immer noch den Kern des Wortes – die Chemie – doch ist es schon manchmal befremdlich, wenn alltägliche Wörter verfremdet werden.
Wenn man nun versucht, die Herkunft des Wortes zu bestimmen, wird es nicht einfach werden. Es gibt hier keine klaren Aufzeichnungen mehr, sodass die verschiedenen Quellen, die es in der Literatur oder auch im Internet gibt, natürlich primär ihre eigenen Aussagen als „richtig“ und „korrekt“ anpreisen.
Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass die Alchemie im Grunde schon immer existent war. Egal, ob man nun ins Mittelalter geht, in das alte Griechenland, zu den Ägyptern oder weiter zurück in der Zeitgeschichte reist und die Babylonier und Sumer betrachtet. Das grundsätzliche Wirken der Alchemie – das Arbeiten mit Stoffen aus der Natur – existierte schon immer. Daher kann man nur Vermutungen anstellen und sich auf Sprachen beziehen, die noch gesprochen werden und die noch so lebendig sind, dass man hier keine Gedankenexperimente wagen muss, um eine Aussprache zu kreieren. Daher fallen die Sprachen aus Sumer, Babylonien und Ägypten weg, auch wenn es hier viele Texte, Steintafeln und Stelen gibt. Da hier aber keine Lautschrift existiert, kann kein lebender Mensch mit einer 100%igen Sicherheit sagen, wie die verschiedenen Wörter ausgesprochen wurden und wie sie klangen. Wenn man diesen leidigen Punkt berücksichtigt, stößt man irgendwann auf die arabische Sprache. Hier gibt es ausreichend Aufzeichnungen und auch ausreichend Menschen, die diese Sprache sprechen. Daher wird meist vermutet, dass das aktuelle Wort „Alchemie“ sich von dem arabischen Wort الخيمياء (al-ḫīmiyāʾ) oder auch الكيمياء (al-kīmiyāʾ) ableitet. Im gleichen Atemzug muss dann aber auch wieder die griechische Sprache genannt werden, bzw. das griechische Wort "χυμεία" (chymeia). Wenn man dann in die Übersetzung geht, muss die arabische Silbe „al“ als einfacher Artikel (der, die, das bzw. ein, eine, einer, eines etc.) gedeutet werden und das Wort ḫīmiyāʾ bzw. kīmiyāʾ als „Kemet“ bzw. „Chemi“, welches man mit „das Schwarz“ oder auch „schwarze Erde“ übersetzen kann, welches wieder in der ägyptischen Welt (kmt; also Kamit oder Kemit) stammt. Der griechische Begriff "χυμεία" (chymeia) kann hier mit der Übersetzung „Vermischung“ versehen werden, sodass man sich vorstellen kann, dass die heute Alchemie eine Fusion der „Vermischung der schwarzen Erde“ (mit schwarzer Erde ist der fruchtbare Mutterboden gemeint, speziell im Nilbecken) ist.
Aus diesem Kontext heraus ist es einfach, dass man die Alchemie als „Kunst der Vermischung“ bzw. „Gewandtheit des Stoffwechsels“ betitelte, und ihr noch weitere Würdigungen wie „die königliche Kunst“, „Lehre des Gießens“, „Mischung der Essenzen“ oder „Arbeit der Weisen“ gab. Wenn man sich dann noch das europäische Mittelalter anschaut, ist es auch wirklich passend, denn gerade in dieser Zeit erlebte die Alchemie eine echte Blütephase, die sich nachdrücklich auf unsere Zeit aktuelle übertrug. Sie übertrug sich auf unsere Zeit? Natürlich, denn die „Kunst der Vermischung“ bzw. „Gewandtheit des Stoffwechsels“ ist nichts anderes als die Chemie und die daraus resultierende Pharmazie. Hierbei muss man natürlich sofort erwähnen, dass es letztlich schon immer Chemiker und Pharmazeuten gab, egal, ob man nun in die Vergangenheit Sumers, Babylonien, Ägyptens oder Griechenlands geht, oder in andere Zeitepochen bzw. kulturelle Denkfabriken.
Somit ist es vollkommen legitim zu sagen, dass die Alchemie eine frühe Form der Naturwissenschaft war, die sich wortwörtlich mit den Vorgängen in der Natur befasste. Dass es hierbei irgendwann einmal um die Herstellung von Gold ging, hat eher damit etwas zu tun, dass die Alchemisten Sponsoren brauchten, um ihre Forschungen voranzutreiben. Da war es nur verständlich, dass man dem reichen Adel eine Aussicht präsentierte, wie dieser noch viel, viel reicher werden könnte, ohne ein großes Risiko einzugehen. Doch die Verwandlung „Blei in Gold“ darf nicht als realer Akt gesehen werden. Hier war eher der Akt der Selbstevolution betitelt, sodass man aus einem unedlen Gemüt – einem bleiernen Geist – einen edlen Charakter – eine goldene Seele – erschuf. Nebenbei waren die Alchemisten daher eher bemüht, alltägliche Dinge zu transformieren, sodass Stoffe für den täglichen Bedarf entstanden. Hierbei wurde im Grunde kein Bereich ausgelassen, was bedeutet, dass man sich um Lebensmittel kümmerte, genauso wie um Metallverbindungen oder andere chemische Stoffe.
Wenn man so will, kann man die Transformation der Milch in Joghurt, Butter oder Käse als einen alchemistischen Prozess sehen, der von einem alchemistischen Gemüt entdeckt wurde. Gleiches würde dann auch für die Haltbarmachung von anderen Lebensmitteln gelten, egal, ob es nun gepökeltes Fleisch oder eingelegter Fisch ist. Gut, die jeweiligen Fachkräfte in der Landwirtschaft bzw. die Fischer auf dem Meer, haben diese „Haltbarmachungen“ bzw. „Transformationen“ definitiv nicht unter dem Titel „Alchemie“ geführt, doch ein Schmied, der sich auf besondere Metallverarbeitungen und mögliche Trennungsgänge von Metallen verstand – vielleicht sogar Legierungen und andere Metallvermischungen erschuf – wird sich selbst auch nicht unbedingt als Alchemist gesehen haben. Wobei man hier noch nicht einmal einen Unterschied zwischen Kunstschmieden, Waffenschmieden oder Haus- und Hofschmieden machen muss. Selbst die Kräuterfrauen oder die „Weisen Männer“, die mit verschiedenen Heilpflanzen gearbeitet haben, um hier pharmazeutische Besonderheiten zu erforschen bzw. Extrakte, Tinkturen oder spezielle Auszüge zu kreieren, werden nicht sofort einen Brückenschluss zum Themengebiet der Alchemie gemacht haben. Zwar wurden hier auch Farbstoffe und andere Besonderheiten erschaffen bzw. erkannt, dennoch muss man hier nicht sofort auf die Alchemie schließen. Doch möglich ist es, denn selbst ein reiner Winzer (oder auch ein Obstbauer) hat sehr viel mit der Alchemie zu tun, da auch hier besondere Prozesse verwendet werden, um aus den geernteten Trauben einen guten Wein zu machen.
Man sieht also, dass die Alchemie im Grunde in allen möglichen Dingen und Handwerken steckt, auch wenn man sie dort nicht sofort erwartet oder sucht. Natürlich geschahen sehr viele Entdeckungen aus reinem Zufall, sodass man hier nicht einfach sagen kann, dass der Alchemist XY dies oder jenes erfunden hat. Doch auch wenn es Zufallsfunde immer gegeben hat und auch immer geben wird, die Alchemie hat die verschiedenen naturwissenschaftlichen „Zufallsfunde“ kategorisiert, kanalisiert und dann auch reproduziert.
Ob es nun das berühmte Schießpulver war, das Porzellan, Metalllegierungen oder die Mineralkunde selbst, wodurch wieder neue Stoffe und chemische Verbindungen entdeckt wurden – sie alle haben alchemistische Fragmente in sich. Natürlich gab es dann irgendwann auch „den Alchemisten“ als Berufsstand, wobei sich meist hier die adligen bzw. gut situierten Menschen mit dieser Thematik befassten, da die Alchemie neben Zeit auch ein entsprechendes Laboratorium benötigt. Wenn man kein Geld hatte, dafür aber den passenden Verstand, der die jeweiligen alchemistischen Ideen „produzierte“, musste man sich einen Sponsor suchen.
Daher kann man erst einmal oberflächlich und lapidar sagen, dass sich die Alchemisten mit allem und alles befassten. Wenn man es etwas umgrenzen will, dann kann man die Bereiche der Mineralogie, der Metallurgie und letztlich auch der Geologie finden. Gleichzeitig aber auch einen großen Teil der Biologie, sodass es um Farbstoffe und andere Möglichkeiten der Einfärbung ging, was dann aber auch zu der allgemeinen Farbenlehre führte. Da sie aber nicht nur die Stoffe auf Farbe, Gewicht, Aussehen und oberflächlichen Eigenschaften untersuchten, sondern auch hier in die Tiefe gingen, muss man natürlich ganz klar die Chemie und die Physik mit benennen. Dass hierbei wieder und wieder die Idee der Transformation von „unedlen Metallen“ (egal ob es nun Eisen oder Blei...