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E-Book

Goethes Lebenskunst

AutorDr. Wilhelm Bode
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783742733948
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Aus dem Inhalt: An die dortigen Professoren dachte er besonders, als er 1818 zum Kanzler v. Müller und zur Julie v. Egloffstein sagte: 'Sehet, liebe Kinder, was wäre ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten umgegangen wäre und von ihnen gelernt hätte? Nicht aus Büchern, sondern durch lebendigen Ideenaustausch, durch heitere Geselligkeit müßt ihr lernen.' Er selber lernte freilich auch aus Büchern, und will hier im Ernste nichts gegen Bücher sagen; nur zog er eigene Anschauung und mündliches Ausfragen vor. 'Es entwickelt und nötigt zur Aufmerksamkeit, und das ist ja doch das Höchste aller Fertigkeiten und Tugenden.' Diese Sachlichkeit war Goethes beständiger Vorsatz, und seine Größe als Mensch rührt namentlich von seinem täglichen Bestreben her: alle Dinge und alle Personen ohne Leidenschaft und Vorurteil zu betrachten, sich selbst zu vergessen, alles Neue ruhig auf sich einwirken zu lassen. Das hielt er auch als Reisender so. Und wenn man seine Genialität rühmte, führte er sie wohl hierauf zurück. 'Ich lasse die Gegenstände ruhig auf mich einwirken, beobachte dann diese Wirkung und bemühe mich, sie treu und unverfälscht wiederzugeben. Dies ist das ganze Geheimnis, was man Genialität zu nennen beliebt.' Goethe wußte freilich, daß die Natur sich ihre letzten Geheimnisse nicht abzwingen läßt, aber dann und wann gelingt es uns, den Schöpfergedanken näher zu kommen. Und eben das war sein Streben bei aller gelehrten Arbeit. Andere wieder verlieren sich, um zu großen Wahrheiten zu gelangen, in metaphysischen Phantasien, im Aufbauen kühner Systeme oder in okkultistischen Träumereien. Dazu war er wieder zu sehr Naturforscher: Erfahrung, Beobachtung, Experiment sollten ihm zur Erkenntnis verhelfen. Man brauche nicht die Natur gesondert und vereinzelt vorzunehmen, sondern könne sie wirkend und lebendig, aus dem Ganzen in die Teile strebend, darstellen. Erstveröffentlichung: 1900, Autor: Dr. Wilhelm Bode 2. E-Book-Auflage 2018 Umfang: ca. 190 Buchseiten, 13 Kapitel

Wilhelm F. Bode war Goethe-Forscher, Lehrer und Schriftsteller.

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Leseprobe

II. Äußere Erscheinung und Verhalten gegen Fremde.


Wir haben von Goethe viele Bilder, aber sie sind sehr unähnlich untereinander. Und ebenso verschieden sind die Schilderungen derer, die ihm in seinem Stadthause aufwarteten. Die einen fanden ihn sehr groß, die andern „keineswegs von hervorragender Größe“22 die einen erblickten ein Ideal männlicher Schönheit, die andern wissen davon nichts zu berichten; den einen erschien er überaus sympathisch, mit einem einzigen Blicke Liebe und Verehrung erweckend, den andern war er „ein langer, alter, eiskalter Reichsstadtsyndikus“23 und sie atmeten auf, wenn sie seine Eisluft hinter sich hatten. So verschieden sehen die Menschen durch ihre Gefühle hindurch, aber Goethe war auch nicht immer der Gleiche. Groß erschien er, wenn er sich recht steif und gerade hielt und würdig auftrat, und das pflegte er Fremden gegenüber zu tun; in Wirklichkeit war er nicht so groß, wie wir ihn uns gern denken. Nach einer Marke im Gartenhause, die für sein Maß gilt, würden wir ihm heute 1,77 m zuschreiben. Und seine Schönheit hing sehr von den Stimmungen ab; in erhöhten Stunden sahen seine Freunde in ihm einen Apollo oder Jupiter, kritische Betrachter dagegen bemerkten einige Pockennarben im Gesicht und fanden, daß seine Beine zu kurz seien. Ein Bild des jungen Mannes entwarf ein langjähriger Kammerdiener: „Als ich bei ihm kam, mochte er etwa siebenundzwanzig Jahre alt sein; er war sehr mager, behende und zierlich, ich hätte ihn leicht tragen mögen.“24 Gleim bemerkte um die gleiche Zeit „außer einem Paar schwarzglänzender italienischer Augen, die er im Kopfe hatte,“ nichts Auffallendes. Schiller spürte 1788 noch Neid gegen den vom Glück so sehr Bevorzugten. „Er trägt sich steif, geht auch so, sein Gesicht ist verschlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksvoll, und man hängt mit Vergnügen an seinem Blicke. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel Wohlwollendes und Gutes. Er ist brünett und schien mir viel älter auszusehen, als er es sein kann. Seine Stimme ist überaus angenehm.“ Der junge Assessor Müller, der später als erster Justizbeamter des Landes den Titel „Kanzler“ führte und Goethes Freund und schließlich auch sein Testamentsvollstrecker wurde, zeichnet ihn nach der ersten Begegnung 1801: „Goethe spricht sehr ruhig und gelassen, wie etwa ein bedächtiger kluger Kaufmann; sein Auge ist scharf; er war recht artig und gesprächig.“ Den älteren Mann scheint C. E. v. Weltzien 1820 sehr unparteiisch zu zeichnen: „Sein Gesicht hat ungeachtet der tiefen Furchen und Runzeln, die zweiundsiebzig Lebensjahre hineingegraben haben, einen außerordentlichen Ausdruck, den ich aber ganz anders fand, als ich erwartete: nichts von Arroganz, nichts von Menschenverachtung, sondern etwas ganz Unnennbares, wie es Männern eigen zu sein pflegt, die durch vielfältige Erfahrungen und Schicksale und gleichsam im Kampf durch das Leben gegangen sind und nun im Gefühl ihrer wohlerhaltenen Integrität mit beneidenswerter Gemütsruhe der Zukunft entgegensehen. In diesem Ausdrucke mischt sich bei Goethe ein unverkennbarer Zug von Herzensgüte und zugleich ein andrer von besiegter ehemaliger Leidenschaftlichkeit, welche noch in dem unsteten Wesen seines Blicks sich offenbart. Diesem Ganzen verleiht das graue Haar einen noch größeren Zauber.“ Ganz ähnlich scheint Goethe selbst über sein Aussehen gedacht zu haben, denn 1818 schreibt er in dem Aufsatze „Antik und modern“: „Ein geübter Diplomat, der meine Bekanntschaft wünschte, sagte, nachdem er mich bei dem ersten Zusammentreffen nur überhin angesehn und gesprochen, zu seinen Freunden: Voilà un homme qui a eu de grands chagrins! Diese Worte gaben mir zu denken. Der gewandte Gesichtsforscher hatte recht gesehen, aber das Phänomen bloß durch den Begriff von Duldung ausgedrückt, was er auch der Gegenwirkung hätte zuschreiben sollen. Ein aufmerksamer guter Deutscher hätte vielleicht gesagt: „Das ist auch einer, der sich's hat sauer werden lassen!“

In den Tagebüchern des Grafen Platen finden wir eine Schilderung von 1821: „Er ist sehr groß, von starkem, aber garnicht ins Plumpe fallenden Körperbau. Bei seiner Verbeugung konnte man ein leichtes Zittern bemerken. Auch auf seinem Angesichte sind die Spuren des Alters eingeprägt. Die Haare grau und dünn, die Stirn ganz außerordentlich hoch und schön, die Nase groß, die Formen des Gesichts länglich, die Augen schwarz, etwas nahe beisammen, und wenn er freundlich sein will, blitzend von Liebe und Gutmütigkeit. Güte ist überhaupt in seiner Physiognomie vorherrschend.“ Imponierend erschien er wohl den allermeisten Gästen. Platen fährt fort: „Bei der Feierlichkeit, die er verbreitet, konnte das Gespräch nicht erheblich werden“, und der Theologe Stickel berichtet von seinem Besuche 1827: „Unwillkürlich verneigte ich mich so tief, wie sonst noch vor keinem Sterblichen; eine innere Gewalt beugte mich nieder.“

Ebenso wie in Haltung und Auftreten, so war Goethe auch in der Kleidung das volle Gegenteil Friedrichs des Großen, von dessen verschabtem blauen Rock und buckliger Gestalt er einmal spricht. Zwar in jungen Jahren legte auch er wenig Wert auf seine Kleidung und namentlich fragte er nicht nach Mode oder Sitte und erregte dadurch in Frankfurt oft Anstoß. Wo alle andern in feierlichen Kleidern erschienen, war er nachlässig gekleidet, „er ist ganz sein, richtet sich nach keiner Menschen Gebräuche“, schreibt der Maler Kraus 1775 von ihm; daß er im Hause der vermeintlichen Schwiegermutter Schönemann elegant und modisch auftreten sollte, um zu ihrem Vermögen, ihrer Geselligkeit und ihren Möbeln zu passen, behagte ihm gar nicht; lieber ließ er sich von den Freunden Bär oder Hurone oder Westindier schelten. Am liebsten ging er in grauem Biberfrack mit lose geschlungenem braunseidenen Halstuch. Als er dann im Frühjahr 1775 mit den Grafen Stolberg seiner Braut und ihrer Mutier entfloh, trugen sie alle „Werther-Uniform“, d. h. blauen Frack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, Lederhose und Stulpenstiefel; namentlich die Stiefel waren ganz gegen die damalige Kleiderordnung, die in besserer Gesellschaft seidene Strümpfe und Schuhe vorschrieb. Auch nach Weimar kam er in dieser Kleidung und entzückte die „Miesels“, d. h. die zum Kokettieren bereiten jungen Damen. Auf einer Silhouette von 1779 sehen wir ihn mit Haarbeutel, Spitzenkrause, eng anliegendem Rock, der bis zum Knie reicht, und hohen Stiefeln mit Sporen. Matthisson schildert ihn 1783 als „stattlichen Mann in goldverbrämtem blauen Reitkleid“.

Goethe wechselte offenbar gern zwischen sehr schlichten und sehr feinen Anzügen. Die Freunde sahen ihn im Alter zuweilen in Hemdsärmeln sitzen, wenn der Tag heiß war, oder im Winter im dicken wollenen Wams behaglich an seinem geliebten breiten Ofen stehen. Er empfing auch wohl Fremde im weißen flanellenen Schlafrock, und wenn ihn in diesem Kostüm gerade ein Bruder Napoleons überraschte, brachte ihn das auch nicht in Verlegenheit. Aber in der Regel trat er Fremden doch in der Kleidung entgegen, die zu seinem Range paßte. Weltzien notiert 1820: „Ganz in Gala, schwarzer feiner Frack, worauf der große Stern des Falkenordens prangte, schwarze Pantalons nebst Stiefeln, eine weiße Weste und sehr feine Manschetten, so daß ich nicht begreifen konnte, wie ein Mann in solchem Alter sich zu Hause solchen Zwang antut.“ Gustav Carus erwähnt 1821: „blauen Zeugüberrock, kurzes, etwas gepudertes Haar“. Der Pole Odyniec sah 1829 „einen dunkelbraunen, von oben herab zugeknöpften Überrock, auf dem Halse ein weißes Tuch, das durch eine goldene Nadel kreuzweis zusammengehalten wurde, keinen tragen.“ In zwei verschiedenen Gestalten erschien er 1826 dem Dichter Grillparzer. Zuerst in einer großen Gesellschaft: „schwarz gekleidet, den Ordensstern auf der Brust, gerader, beinahe steifer Haltung trat er unter uns, wie ein Audienz gebender Monarch.“ Ein paar Tage später gingen sie im Hausgarten auf und ab, und Goethe war viel gemütlicher und herzlicher. „Sein Anblick in dieser natürlichen Stellung, mit einem langen Hausrock bekleidet, ein kleines Schirmkäppchen auf den weißen Haaren, hatte etwas unendlich Rührendes. Er sah halb wie ein König aus und halb wie ein Vater.“

* *

*

„Und schreien kann er wie 10000 Streiter,“ schreibt Felix Mendelssohn in der Übertreibung, die die Jugend liebt, „einen ungeheuren Klang der Stimme hat er.“25 Alle Berichte sagen, daß Goethes Stimme ein sehr wohlklingender Baß gewesen sei, und daß er rezitierend oder deklamierend großen Eindruck machte. Uns Heutige würde es freilich sehr stören, daß der berühmte Dichter ebenso wie Schiller und fast alle Zeitgenossen seinen Heimatdialekt sein Leben lang beibehielt; eine Schulsprache gab es ja noch nicht und ebenso wenig hatte das Theater die Deutschen in dieser Hinsicht schon einiger machen können. So sprach Goethe „frankfortsch“, und dem Berliner, der sich über das Berlinische seiner Landsleute nicht wunderte, fiel das natürlich auf. Auch dem Dr. Parthey der am 28. August 1827 mit dem jungen Goethe nahe der Tür eines Zimmers stand, in dem der Dichter die Fürstlichkeiten, die ihm zum Geburtstag gratulierten, empfing. Goethe trat plötzlich heraus und sagte eilig zu seinem Sohne im echtesten Frankfurter Dialekte: „August, der König von Bayern will ä Glas Wasser habbe!“26

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*

Wir haben schon bemerkt, daß Goethe im Umgang mit den Menschen sehr verschieden sein konnte; sein vorhin genannter junger Freund Felix Mendelssohn war von dieser wandelbaren und reichen Natur so betroffen, daß er meinte, man werde in Zukunft gar nicht an einen Goethe, sondern an eine Schar Goethiden glauben. Über seine Verkehrsformen gingen schon bei seinen...

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