1 Einführung
Die geistlichen Ritterorden des Mittelalters und der Neuzeit, Templer, Johanniter, Deutscher Orden und all die anderen, könnten auf den ersten Blick als längst überholte Institutionen erscheinen, als Relikte eines fernen Zeitalters, das nicht nur durch zahlreiche Kriege, sondern auch durch intensiven Glauben geprägt war, als Gemeinschaften, deren Geschichte uns heute wenig vermitteln kann und nur ein Randgebiet der Forschung bildet, nur ein »Anhängsel« der ungleich intensiver öffentlich wahrgenommenen Kreuzzugsgeschichte. Dieser Eindruck wäre falsch. Als ein im gesamten lateinischen Europa und darüber hinaus wirkender Ordenszötus, als eigene Kategorie geistlicher Institutionen, kommt den Ritterorden eine für das Verständnis der mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und modernen Geschichte wesentliche Bedeutung zu. Das betrifft zum einen jene Regionen und Epochen, in denen die Orden und ihre Mitglieder den Gang der Ereignisse und die Ausbildung grundlegender Strukturen beeinflussten, zum anderen auch die von ihnen ausgehenden Impulse, die bis heute in gewissem Rahmen vorbildhaft wirken könnten.
Der Zötus der Ritterorden entstand mit der Gründung des Templerordens in den 1120er Jahren im Heiligen Land. Die Mitglieder verband mit den älteren monastischen Gemeinschaften, dass sie ebenfalls die drei Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams abzulegen hatten. Sie lebten also wie Mönche ohne Frauen, ohne persönlichen Besitz und in Unterordnung unter die Ordensoberen gemeinschaftlich und mit festem Tagesablauf in eigenen Häusern zusammen. Dazu mussten sie sich aber einer vierten Verpflichtung unterwerfen, dem »Heidenkampf«, d. h. der Verteidigung der Christenheit gegen ihre äußeren Gegner, und mussten stets darauf vorbereitet sein, sich dieser Aufgabe zu stellen.
Für die Kriegführung galten für die Brüder dieselben Normen, die der Kirchenvater Augustinus am Anfang des 5. Jahrhunderts formuliert hatte, um Christen generell die Teilnahme am Krieg zu ermöglichen. Krieg durfte danach nur geführt werden, wenn es dafür einen gerechten Grund gab, also zum Beispiel, um verlorenen Besitz wieder zu erlangen, verlorene Rechte wiederherzustellen oder um Personen der eigenen Gruppe, Verwandte oder Landsleute, zu schützen oder zu befreien. Weiter bedurfte es für den Aufruf zu einem gerechten Krieg einer rechtmäßigen Autorität, eines Fürsten oder – in späterer Zeit – einer geistlichen Autorität. Drittens wurde die richtige Einstellung der Kämpfer gefordert. Sie sollten sich insbesondere mit ihrem Sold begnügen und nicht auf Beute ausziehen, rauben und plündern.
Die im Heiligen Land, später in Spanien und im Baltikum gegründeten Institutionen erhielten bald Schenkungen und Verstärkungen aus allen Teilen Europas. Die Erfüllung ihrer Stiftungsaufgaben, zu denen auch die Hospitalität, die Pflege von Kranken, Armen und Alten, gehörte, erforderte einen intensiven personellen, finanziellen und materiellen Austausch zwischen den Regionen, in denen die Orden vertreten waren. Insbesondere mussten Brüder und finanzielle und materielle Ressourcen aus den Herkunftsregionen in die Einsatzgebiete gebracht werden. Das stellte eine neue Herausforderung dar. Die alten monastischen Gemeinschaften hatten sich wesentlich auf einen Ort oder ihre Region beschränkt. Nun entstanden noch vor den ähnlich organisierten Bettelorden des 13. Jahrhunderts übergreifende, flexible Strukturen, die eine Verwaltung des europäischen wie des außerhalb gelegenen Besitzes ermöglichten.
Die bis zum Ende des 12. Jahrhunderts gegründeten geistlichen Ritterorden gewannen nicht nur in der Verteidigung der mehr und mehr reduzierten christlichen Stützpunkte im Heiligen Land stetig an Bedeutung. Sie waren im christlichen Königreich Armenien und auf Zypern präsent, beteiligten sich auf der Iberischen Halbinsel an der Reconquista, der Eroberung der islamischen Reiche durch die christlichen Königreiche des Nordens, und prägten die religiöse und politische Entwicklung im südöstlichen Ostseeraum. In der Frühen Neuzeit beteiligten sie sich an den Abwehrkämpfen gegen das Osmanische Reich, im Mittelmeer wie in Ungarn.
Gerade die Ausbildung von Landesherrschaften der Ritterorden erwies sich vielerorts als folgenreich. War die Übernahme Zyperns durch die Templer (1192) noch zu kurz, um bleibende Spuren zu hinterlassen, trugen die Eroberungen des Schwertbrüderordens in Alt-Livland und Estland nach 1207 zur Entstehung eines komplexen Herrschaftsgebildes bei, das bis heute in den souveränen Staaten Lettland und Estland nachwirkt. Für die deutsche Geschichte erwies sich die Herrschaftsbildung des Deutschen Ordens in Preußen (ab 1230) als besonders folgenreich. Es entstand eine neue, durch den Austausch zwischen Prußen, Deutschen, Polen und Litauern geprägte Region Preußen, die 1466 zwischen dem Königreich Polen und dem Orden geteilt wurde, aber als ideelle Einheit weiterlebte. Mit der Säkularisierung des Ordenslandes ging der östliche Teil Preußens an die Hohenzollern über, der schließlich nach der Krönung Kurfürst Friedrichs III. (I.) zum König in Preußen (1701) namensgebend für den gesamten Besitz der Familie wurde. Das Königreich Preußen entwickelte sich schließlich im 18. und 19. Jahrhundert zu einem führenden deutschen Teilstaat, bis die Alliierten 1947 seine staatliche Existenz beendeten.
Bei den Johannitern hatte die Landesherrschaft auf Rhodos und dem Dodekanes nur insofern politische Nachwirkungen, als Italien 1912 die Schwäche des Osmanischen Reiches nutzte, um Rhodos und die Nachbarinseln zu besetzen (bis 1946). 1928 wurde dann auch eine Versammlung der Malteserritter in der Stadt Rhodos abgehalten, und dem Orden wurden die Schlüssel zum Großmeisterpalast übergeben. Größere Bedeutung erlangte die Übergabe Maltas und Gozos an die Johanniter durch Karl V. im Jahr 1530. Darauf gründet nicht nur die Souveränität des modernen, heute in Rom residierenden Malteserordens, sondern letztlich auch die Eigenstaatlichkeit Maltas. Die eigenen Landesherrschaften der spanischen Ritterorden im Süden der Iberischen Halbinsel sind dagegen ebenso ohne größere Nachwirkung geblieben wie die kleineren Territorien des Deutschen Ordens im Süden des Heiligen Römischen Reiches.
Vielfach lassen sich in der Geschichte der geistlichen Ritterorden »moderne« Züge entdecken, die gleichwohl in den Kontext der Zeit eingeordnet werden müssen. Als erstes überrascht vielleicht, dass die Orden trotz der Stiftungsaufgabe des »Heidenkampfes« keineswegs in erster Linie auf Krieg und Unterwerfung aus waren, sondern in der Regel einen pragmatischen Weg suchten und die christlichen Stützpunkte und Gebiete sowie ihre Bewohner mit allen, also auch mit diplomatischen, Mitteln zu verteidigen suchten. So stritten Templer und Johanniter im 13. Jahrhundert im Heiligen Land nicht nur über mögliche Angriffsziele, sondern auch über die richtigen Bündnispartner, den Emir von Damaskus oder den Sultan von Ägypten. Der Deutsche Orden übertrug den Prußen 1249 für ihre Christianisierung umfangreiche persönliche Freiheitsrechte und schloss trotz der zahllosen Feldzüge gegen die Litauer mit diesen immer wieder Verträge, die an erster Stelle der Christianisierung dienen sollten. Auch die Johanniter vereinbarten im 15. Jahrhundert mehrfach Waffenstillstände oder Friedensverträge mit den Mamluken-Sultanen in Ägypten oder dem Osmanischen Reich, selbst unmittelbar nach mamlukischen oder osmanischen Angriffen auf Rhodos oder Zypern. Die von den Ritterorden geschlossenen Waffenstillstände und Friedensverträge, ihre Verhandlungsführung wie die Formen der Konfliktbeilegung müssten noch intensiver erforscht werden.
Manches Andere bedarf ebenfalls der Aufmerksamkeit. Die Johanniter entwickelten für ihren Konvent auf Rhodos ein Modell für internationale Zusammenarbeit, das auch für die Europäische Union und vergleichbare Institutionen Anregungen vermitteln könnte. So wurden die Zungen als Vertretungen der Herkunftsregionen am Ende weitgehend gleichberechtigt an den Entscheidungen beteiligt, auch wenn sie zahlenmäßig sehr unterschiedlich im Konvent präsent waren. Beim Deutschen Orden reagierten die Hochmeister, die sich seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts als gute Landesherren in Preußen darstellen ließen, mit ihrer Landesgesetzgebung gelegentlich überraschend auf Probleme der Zeit. So legte Konrad Zöllner von Rotenstein 1386 einen Höchstsatz für Zinsforderungen fest (8,33 %), der lange seine Gültigkeit behielt, und Ulrich von Jungingen verzichtete 1408 bei der »Entführung von...