Einleitung
Nicht weniger als ein Paradigmenwechsel vollzieht sich derzeit in den Unternehmen. Die vierte industrielle Revolution bringt bahnbrechende Veränderungen mit sich. Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sind auf dem Vormarsch. Durch die Kombination digitaler Technologien entstehen neue digitale Geschäftsmodelle. Mitarbeiter arbeiten vernetzt – über zeitliche, räumliche und unternehmensbezogene Grenzen hinweg. Dies führt in einer bisher noch nicht erlebten Geschwindigkeit zu massiven Veränderungen am Arbeitsplatz. Neue Ansprüche an die formale Organisation von Arbeit, an die Zusammenarbeit von Menschen in Unternehmen, an das Verständnis von Führung, an den Umfang und die Bedeutung von Selbstorganisation, an die Vergütung, an die zeitliche und räumliche Flexibilisierung, an den gesunden Einklang von Arbeit und Freizeit stehen bei vielen Unternehmen auf der Agenda.
Grundlegend verändert werden muss einmal die Arbeitsorganisation: Starre Hierarchien weichen flexibleren Ansätzen, die sehr stark vom Netzwerk-Denken geprägt sind. Flachere, effizientere Organisationen mit besseren Informationsflüssen und hoher Transparenz lösen hierarchische Organisationen mit kaskadierender Information und Silo-Denken ab. Da flexibles Arbeiten immer gebräuchlicher wird, reduzieren Unternehmen ihre physische Präsenz und passen ihre Organisationsform an die neuen Rahmenbedingungen an.
Das schreibt sich einfacher als es in der Unternehmensrealität umsetzbar ist. Denn auf Weisung und Kontrolle ausgerichtete Organisationen waren und sind das Rückgrat der industriellen Massenproduktion. Anfang des 20. Jahrhunderts waren ein geringer Automatisierungsgrad und schlecht ausgebildete Arbeitskräfte die Norm. Die Führung basierte auf detaillierten Anweisungen und deren penibler Kontrolle. In einer streng hierarchischen Organisation traf eine Unternehmensspitze die strategischen Entscheidungen, das Mittelmanagement gab diese nach unten an die weniger gebildeten Untergebenen weiter. Diese wurden durch materielle Anreize motiviert, einfache Tätigkeiten möglichst effizient zu erledigen.
Dieses System hat die industrielle Wirtschaft des 20. Jahrhunderts geprägt. Und es war erfolgreich. So erfolgreich, dass es letztlich die Bedingungen zu seiner Überwindung selbst schaffte. Einmal durch eine ständig steigende Automatisierung, eine effizientere Produktion und das Zusammenwachsen der Märkte, zum anderen durch gut ausgebildete Mitarbeiter, kollektiv erkämpfte soziale Sicherheitsnetze und wachsenden Wohlstand. Beides zusammen mündete in die vierte industrielle Revolution, deren technische und soziale Folgen nun bewältigt werden wollen.
Unternehmen erkennen zunehmend, dass sie auf die Realität der wachsenden Komplexität und des ständig zunehmenden Innovationstempos nicht nur mit marginalen Anpassungen reagieren können. Organisationen, die in einer volatilen Arbeitswelt wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen sich mit demokratischer Führung, sich selbst steuernden Teams auseinandersetzen. Erfolg wird nur haben, wer alle existierenden Arbeitsprozesse einer Neubewertung und umfassenden Neuorganisation unterzieht.
Dieser schnelle, komplexe und disruptive Wandel der Arbeitswelt bringt vor allem für Führungskräfte neue Herausforderungen in der Personalführung mit sich. Ziele, Visionen, Arbeitskonzepte, die heute noch gelten, können morgen schon wieder obsolet sein. Entscheidungen müssen schnell getroffen und möglicherweise ebenso schnell revidiert werden. In einer Welt voller Unwägbarkeiten und steigender Komplexität bedarf es eines nie dagewesenen Maßes an Anpassungsfähigkeit von Managern und Mitarbeitern. Eine Entwicklung, die einhergeht mit einem völlig veränderten Rollenverständnis von Führenden und Geführten.
Eine mögliche Lösung für diese Spannungssituation heißt: agile Führung. Die Führungskraft gibt die Rolle des einsamen Entscheiders auf und trifft Entscheidungen gemeinsam mit dem Team. Sie agiert als Moderator und Mentor, der berät und koordiniert. Sie greift nicht in das operative Geschäft ein, sondern vertraut der Selbstorganisationsfähigkeit ihres hochkompetenten Teams. Hierarchieebenen werden eingeebnet, Weisung und Kontrolle wird zugunsten von Diskussion und gemeinsamer Verantwortung aufgegeben.
Beides ist eine logische Konsequenz aus der Arbeitswelt 4.0. Doch die Umstellung auf das agile Führungsmodell setzt bei allen Beteiligten einen erheblichen Veränderungswillen voraus. Denn die Einführung der neuen Methoden geht mit massiven Eingriffen in die Organisation und das Selbstverständnis von Führungskräften einher. Wenn Verantwortlichkeiten weg vom Vorgesetzten hin zu den Mitarbeitern verlagert werden, stellt sich (zumindest den Betroffenen) irgendwann die Frage, wofür Führungskräfte in einem agilen Umfeld überhaupt benötigt werden.
Hier ist das Personalmanagement gefragt – und zwar in seiner ureigensten Aufgabe als Enabler, als Möglichmacher. In der Arbeitswelt 4.0 sind Kompetenz und Entscheidungsgewalt im Unternehmen neu verteilt worden. Mitarbeitergespräche werden agil und situativ. Gesprächspartner und -zyklen wechseln individuell. Mitarbeiter können sich Kompetenzen zuweisen und gegenseitig einschätzen. Teams stellen sich selbst zusammen und bestimmen ihre Vorgehensweise. Führungskräfte müssen in ein neues Rollenverständnis begleitet werden, der digitale Umgang mit Technologien und Strukturen will gelernt werden.
HR kann hier Instrumente bereitstellen und mit fachlicher Kompetenz begleiten, muss intensiv mit allen Beteiligten kommunizieren und immer wieder Brücken bauen für die eigentlichen Träger des Personalmanagements - die Führungskräfte und die Mitarbeiter selbst - indem es eine Plattform im Unternehmen schafft und betreibt, die eine aktive Beteiligung aller an sämtlichen HR-Prozessen ermöglicht.
Die Umstellung auf agile Organisationsformen ist kein Selbstläufer. Sie bedarf einer feinfühligen Steuerung. Wenn Unternehmen diesen Prozess zu schnell in Angriff nehmen, laufen sie Gefahr, sich selbst und ihre Kultur zu zerstören. Wenn sie zu langsam agieren, steigt das Risiko, hinter den Erwartungen der Kunden zurückzufallen. Der Coach in eine agile, vernetzte, autonome und digitalisierte Unternehmenswelt kann HR sein.
Die folgenden Beiträge zeigen auf, wie die Unternehmen und insbesondere das Personalmanagement durch Agilität, die Entwicklung innovativer Lernwege und neue Führungskonzepte die Arbeit 4.0 gestalten:
Prof. Dr. Simon Werther, Professor für Innovationsmanagement an der Hochschule der Medien in Stuttgart, beschreibt Agilität und Demokratie als neue Erfolgsmodelle.
Dr. Rebecca Ray, Executive Vice President, und Marion Devine, Senior Researcher (The Conference Board, New York & Brüssel), referieren über die Ergebnisse der weltweiten Umfrage „C-Suite Challenge 2018”.
Prof. Dr. Gunther Olesch, Geschäftsführer bei der Phoenix Contact GmbH & Co. KG in Blomberg, schreibt über die Humanzentrierte Industrie 4.0 und Mitarbeiter als Mitgestalter.
Angelika Kambeck, Head of Group HR bei Klöckner & Co SE in Duisburg, Britt A. Wrede aus Düsseldorf und Karin Wiesenthal aus Köln, beide als Coach tätig, erörtern die neue Rolle von Personalentwicklung.
Dr.-Ing. Nils Drecoll, Head of Project „New Work” bei Lufthansa Technik AG in Hamburg, und Daniela Mayrshofer, Gründerin und geschäftsführende Partnerin der Hamburger Consensa Projektberatung GmbH & Co. KG, sehen für HR neue Chancen durch gestärkte Projektkompetenz.
Anja Zerbin, Postbank Bonn, und Jan Oßenbrink, Managing Director der Eigenland GmbH in Haltern am See, betrachten HR-Strategie und digitale Transformation.
Peter Gerstmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Zeppelin GmbH in Garching bei München, sieht Unternehmenswerte als Leitplanken im digitalen Wandel.
Ursula Schwarzenbart, Senior HR-Managerin, und Sabrina von Eynatten (beide Daimler AG, Stuttgart), berichten über Leadership 2020, den Aufbruch in eine neue Führungskultur.
Prof. Dr. Karlheinz Schwuchow, Center for International Management Studies, Hochschule Bremen, diskutiert die Notwendigkeit, Personalentwicklung neu zu positionieren.
Arbeit 4.0, Agile Führung und die Rolle des Personalmanagements finden auch ihren Niederschlag in der aktuellen Fachliteratur. Besonders hervorgehoben seien dabei die Arbeiten von Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen, Dr. Peter Ittermann und Jonathan Niehaus, die in ihrem Herausgeberband „Digitalisierung Industrieller Arbeit” (Nomos) die Herausforderungen und Konsequenzen von Industrie 4.0 erörtern. Ferner das von Dr. Heike Surrey und Dr. Dr. Victor Tiberius herausgegebene Buch „Die Zukunft des Personalmanagements” (vdf Hochschulverlag), das zahlreiche Aspekte einer proaktiven Zukunftsgestaltung im Personalmanagement diskutiert. Mit „Organisationskultur und Leadership” des MIT-Professors Edgar Schein (Vahlen) liegt darüber hinaus ein Standardwerk zum organisationalen und kulturellen Wandel nunmehr in einer deutschen Neuausgabe vor.
Verweise auf weitere Bücher zum Thema, Internetlinks sowie zahlreiche Studien, die im Serviceteil zum Download zur Verfügung stehen, finden Sie am Ende dieses Kapitels.
Dabei vermittelt u. a. der „Global Leadership Forecast”, ein Gemeinschaftsprojekt von DDI, The Conference Board und EY vielfältige Einblicke in die Zukunft von Führung und Personalmanagement. Die Unternehmensberatung Hays stellt in dem gemeinsam mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) erstellten...