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E-Book

Vom Zauber der Freundschaft

Beziehungen besser verstehen und leben

AutorIrmtraud Tarr
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641237813
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Es gibt viele Arten von Beziehungen, doch wirkliche Freunde sind etwas ganz Besonderes. Sie schaffen Vertrauen, geben Sicherheit und schützen uns, besonders dann, wenn das Leben hart zupackt. Mit ihnen reden wir über Dinge, die uns tief im Inneren beschäftigen, und mit ihnen genießen wir im besten Fall sogar die Fähigkeit des gemeinsamen Schweigens. Freunde wirken sich nachweislich positiv auf die Lebensqualität aus und sind die beste Medizin gegen Einsamkeit. Die lebendigen wunderbar erzählten Geschichten dieses Buches bringen uns dazu, wirkliche Freunde zu erkennen, ihre Kraft ernst zu nehmen und neue Menschen zu finden, die uns diesem einen Geheimnis des Glücks näher bringen.
  • Gemeinsam statt einsam: die Kraft der Freundschaft
  • Freundschaften pflegen - ein Lebensthema
  • Wie aus Bekannten Freunde werden
  • Ein Coaching gegen das Alleinsein


Irmtraud Tarr, Dr. phil., Lehrtherapeutin, Musiktherapeutin, Psychotherapeutin für Kinder- und Jugendliche. Konzertorganistin mit internationaler Tätigkeit und Aufnahmen für Tonträger, Funk und Fernsehen. Autorin zahlreicher erfolgreicher Bücher in mehreren Sprachen, seit 2014 Univ. Professorin in Salzburg (Performance Science).

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Leseprobe

Freundschaft schließen

Es war auf einem Spaziergang in der Rhön, als ich hinter mir zwei Frauen sprechen hörte. Plötzlich erwähnte eine von ihnen den Namen »Johann Sebastian Bach«. Wie elektrisiert musste ich mich umdrehen, um zu sehen, wer diese Frau war, die meinen Lieblingskomponisten erwähnte, dessen Musik mich seit Jahrzehnten fast jeden Abend begleitet. Jeden Abend klingt vielleicht übertrieben, aber ich gebe zu, einen Abend ohne Bach empfinde ich so ähnlich wie ein Streichquartett ohne Violinen.

Wir kamen sofort ins Gespräch, fast als würden wir uns schon lange kennen. Von da an wanderten wir täglich zusammen, immer wieder streunend und mäandernd um unseren »Johann Sebastian Bach«, der uns zusammengeführt hatte. Irgendwie fanden wir so den richtigen Rhythmus zwischen Gehen, Sprechen, Lachen, Trällern und Innehalten. Offen für Zeit, die nicht den Uhren gehörte, für Gedanken, die nicht kontrolliert werden müssen, für Lust am neuen Zusammensein.

Im Älterwerden ist es schwieriger, neue Freundschaften zu schließen. So sagt man jedenfalls. Äußere Faktoren mögen dazu beitragen: feste Tagesabläufe, familiäre Belastungen, neue Prioritäten, Überempfindlichkeiten, Unverträglichkeiten oder auch vermeintliche Menschenkenntnis, die dafür herhalten muss, dass man gnadenlose Maßstäbe für andere ansetzt. Eine Politikerin, die es bedauert, offen für neue Begegnungen zu sein, meinte: »Für mich war das Leben als junge Frau wie ein ›blind date‹ oder eine aufregende Riesenparty, weil ich total offen und neugierig war. Heute erschrecke ich, wie pingelig ich geworden bin. Ich ertappe mich, wie ich bei anderen sofort etwas auszusetzen finde, auf höchstem Niveau nörgle und ganz schnell kritisiere.«

Vielleicht ist es schlicht das Nachlassen der Kräfte, das die Offenheit für neue Freundschaftsbündnisse reduziert. Dennoch bleibt bei den meisten das Bedürfnis, anderen näherzukommen. Geht nicht letztlich alle auch noch so überlagerte Sehnsucht dahin, dass man im Herzen eines anderen Menschen wohnen darf?

Sie möchte »nicht allein im Regen stehen«, so drückte es meine Bach-Freundin aus. Wir beide realisierten: Älterwerden kann wie die Jugend auch eine Zeit der Entdeckungen sein. Gewiss nicht mit den gleichen Leidenschaften, Gefühlswallungen, Spannungen, himmelsstürmenden Freuden, Verantwortungen. Was aber bleibt, ist unser unabänderliches Recht auf Veränderung.

So spürte ich bei dieser Bach-Begegnung etwas von der Kraft des Frühlingsanfangs. Es tat mir gut zu merken, dass Älterwerden nicht vor neuen Freundschaften schützt. Sondern umgekehrt: Neue Freundschaften schützen vorm vorzeitigen Älterwerden. Früher gab es eine Zeit, da brauchte es eine neue Liebe oder ein neues Projekt, um mich in Hochstimmung zu versetzen. Heute geschehen andere Wunder, die ich früher wahrscheinlich übersehen hätte, ein Baum mit einer Narbe, ein altes Gesicht, ein schlummerndes Kind oder eben jemand, der singt oder abends auch Musik hört.

Wir fanden uns leicht. Und die zurückgelegten Wanderungen, die Gerüche der Blätter und Blüten, die Erfahrung dieses vielsprachigen, atmenden Waldes trugen dazu bei, dass wir uns aufgehoben fühlten und irgendwie immer vertrauter wurden.

Ähnlich wie die Musik oder die Liebe ist solch ein Anfang unverfügbar. Er lässt sich nicht beschließen und begründen. Freundschaft lässt sich nicht verordnen oder analysieren. Allenfalls im Nachhinein, wenn die freundschaftlichen Bahnen Formen angenommen, sich gefestigt haben oder sich verlieren. Aber dieser Zauber, der am Anfang steht, lässt sich nicht in Erklärungen, Beschreibungen von Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten einfangen, die ohnehin nur nachgeschobene Begründungen oder Symptombeschreibungen bleiben. Am Anfang steht das Staunen, das Sprachlose, das Überraschende, eben weil es geschieht, weil es einen berührt und hineinnimmt und weil Freundschaft den Grund in sich selbst trägt und ein Geschenk ist, das sich nicht fordern, begründen oder ablehnen lässt.

Kleine Verschwörungen

Wenn Menschen von ihren Freunden sprechen, geraten sie leicht ins Schwärmen: von der Leichtigkeit, der Offenheit, der Gemeinsamkeit, dem Humor, der Freiheit, der Unkompliziertheit und den kleinen Verschwörungen. Ich mag sie, diese kleinen Verschwörungen gegen das, was andere für vernünftig halten. Das Augenzwinkern unter Freunden gehört für mich zu einer der Königsdisziplinen des Freundschaftsalltags. Dieses »ich weiß Bescheid, du weißt Bescheid« bereitet in der Tat Vergnügen. In dieser vertrauten Übereinkunft steckt etwas Subversives, nämlich die Weigerung, eine Bestimmte sein zu müssen, die Erwartungen der anderen zu erfüllen oder ihren Wünschen zu entsprechen. Manchmal möchte man einfach keine Bestimmte sein, nicht beobachtet, taxiert oder bewertet werden, weil man durch den Blick der anderen automatisch seine Unbefangenheit verliert. Diese Erfahrung hat jeder schon gemacht. Wenn einem beispielsweise jemand beim Treppensteigen oder Tanzen zuschaut, verliert man plötzlich seine Unbefangenheit oder Grazie und wird so merkwürdig angespannt, verkrampft oder hölzern. Intuitiv spüren wir, dass der fremde Blick stets auch mit Erwartungen angefüllt ist, auf eine bestimmte Art sein zu sollen. Manchmal möchte man einfach nur »Ich selbst« sein.

Es gibt nicht viele Orte, wo das möglich ist. Wenn man Glück hat, vielleicht im engen Familienkreis. Oder eben mit guten Freunden in diesen vertrauten Momenten, wenn sich das Gefühl einstellt: Hier kann ich einfach sein, da sein und so sein, wie mir gerade zumute ist. Hier kann ich bestimmen, wer ich bin, weil ich es bin, der das Bild von mir bestimmt. Man muss sich weder aufplustern noch unterwerfen. Statusansprüche oder Statusängste verflüchtigen sich, weil Freundschaft ein Band unter Gleichen ist, das sich nicht einfach zerreißen lässt, wenn etwas Besseres oder Attraktiveres auftaucht. Grafisch könnte man dieses Band als eine waagrechte Linie darstellen, weil Freunde einander als Gleiche in die Augen schauen.

Die meisten von uns haben ein intuitives Verständnis davon, was Freundschaft ist. Auch wenn die Theoretiker aller Jahrhunderte komplett verschieden über Freundschaft geschrieben haben, so ist das Band der Freundschaft im Kern doch im Wesentlichen gleich geblieben. Behält man eine Definition, so bliebe wohl die, auf die sich Aristoteles beruft: »In einer Freundschaft kann keiner besser sein als der andere.« Vergleichbar mit der Geschwisterbeziehung, in der wir voneinander einfach zu viel wissen, als dass wir einander noch von oben herab begegnen können.

Wie in allen engen Beziehungen geht es um unsere Liebesfähigkeit und die innere Bewohnung unseres Daseins, auch wenn sie in der Freundschaft eher im Schatten der Sinnlichkeit angesiedelt ist und mehr von seelischen Kräften gespeist ist. Es gibt auch verwandte Spielregeln und Rituale zur Ehe, aber keine einklagbaren Rechte oder Gesetze. Deswegen ist die Freundschaft freier, unbestimmter, unkomplizierter. Freundschaft – eine anwendungsfreundliche, verschleißfreiere Variante der Liebe – könnte man salopp sagen.

Aber was nun Freundschaft ist, was man von ihr erwarten kann, wozu sie gut ist, was sie bedeutet, da verfällt man plötzlich in philosophisches Grübeln. Ähnlich muss es wohl Augustinus gegangen sein, als man ihn fragte, was Zeit sei. Und so geht es mir. Wenn man mich nicht fragt, was Freundschaft ist, weiß ich es; fragt man mich, weiß ich es nicht mehr. Freundschaft – diesen so unersetzlich einfachen wie vielschichtigen Begriff, in dem so vieles mitschwingt, was mit Leben, Zuneigung, Liebe, Vertrauen, Teilen, Mitteilen, Glücksgefühl, Melancholie, Verlust und Tod assoziiert wird. Freundschaft hat keine scharfen Grenzen und lässt sich nicht von einer Außenposition her definieren, dafür ist sie schlichtweg zu komplex und zu groß, um als Gegenstand der Selbstreflexion fungieren zu können. Freundschaft ist eine gelebte Praxis und kein durchdachtes, kalkuliertes Gefühl. Deswegen beschränke ich mich darauf, Freundschaft als Chiffre für die Einmaligkeit einer vertrauten, gewachsenen Beziehung zu verwenden und deren innerer, individueller Zusammengehörigkeit im Denken und Fühlen.

Wenn die abstrakten, philosophischen Freundschaftsgedanken Gesichter und Geschichten bekommen, dann spürt man, dass Freundschaft im Kern ganz schlicht ein Bejahen der Art und Weise ist, wie der andere sein Leben lebt. So sind beide dem Leben ohne viele Worte näher, weil sie einander bejahen. Und das hat mit Gefühlen zu tun, die ständig im Fluss sind. Ein Tanz der Kommunikation, der sich ständig neu bewegt und formt. Ein Tanz, in dem sich mein Raum und dein Raum ständig neu aufeinander beziehen und gestalten. Ein Tanz, bei dem die Distanzen zueinander immer neu vermessen werden. Deswegen braucht Freundschaft einen geschützten Raum als Grundlage, auf dem sich die Sprache der seelischen Bewegungen ungestört ausdrücken und entfalten kann.

Ein eindrückliches Erlebnis hatte ich auf einem Geburtstagsfest, als ich irgendwann zur Musik einer Band zu tanzen begann. Meine Freundin Anna stand spontan auf und gesellte sich zu mir. Plötzlich entstand das, was Tänzer benennen: »Es tanzt uns!« Wir waren nicht mehr die Macher, sondern durchlässig für das, was der Moment uns schenkte. In einem Raum jenseits von Falsch und Richtig, in dem es nur noch uns und die Musik gab. Nur noch Hier und Jetzt. Die Gäste machten uns Platz und bildeten einen Kreis um uns herum, in dem wir uns umgeben und geschützt fühlten. Die Zeit wurde weiter, dehnte sich aus, weil wir in diesem Raum waren, in dem wir spürten: »Wir sind der Tanz.« Dieses Ineinander von Imagination und Bewegung eröffnete uns einen Spielraum, in dem wir gutes Gespür und Bewegungsausdruck...

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