1 Von der Printanzeige zum Jobportal
Erst war die gedruckte Stellenanzeige bei der Personalbeschaffung jahrzehntelang das Maß aller Dinge – ab 1995 wanderten die Stellenmärkte dann nach und nach ins Internet ab. Deutschland war eines der europäischen Länder, die diesen Trend rasch aufgriffen. Heute gibt es hierzulande bereits über 2.000 Jobbörsen und Jobsuchmaschinen – was kein Wunder ist, da Online-Stellenanzeigen flexibler, schneller und kostengünstiger als die Veröffentlichung in Printmedien sind.
Doch haben die Bewerbungen per Mausklick auch ihre Kehrseite, da so mancher Arbeitgeber von Bewerbungen überflutet wird, aber Masse eben nicht automatisch Klasse bedeutet. Längst nicht jede Bewerbung, die im Posteingang der HR-Manager landet, passt auch zum ausgeschriebenen Stellenprofil. Statt mühsam und zeitaufwendig immer wieder die Spreu vom Weizen zu trennen, sollten die Unternehmen Recruiting-Ansätze wählen, die gezielt zwischen den Bedürfnissen der Kandidatinnen und Kandidaten und den eigenen Anforderungen vermitteln.
1.1 Recruiting in Deutschland – die harten Fakten
Eine Studie der ManpowerGroup bringt es an den Tag: 49 Prozent der Arbeitgeber haben Probleme, Vakanzen zu besetzen (ManpowerGroup 2016). Als Gründe für die Rekrutierungsschwierigkeiten werden genannt:
- zu wenige oder keine Bewerber – 33 Prozent
- unzureichende Fachkenntnisse – 30 Prozent
- Bewerber fordern zu viel Geld – 10 Prozent
- fehlende soziale Kompetenzen – 9 Prozent
- unternehmensspezifische Gründe – 5 Prozent
Diese Zahlen belegen, dass sich der Arbeitgebermarkt radikal in einen Arbeitnehmermarkt verwandelt hat. Besonders hoch ist der Fachkräftemangel in technischen Berufen, wie im »MINT-Frühjahrsreport 2018« des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu lesen ist (Institut der deutschen Wirtschaft 2018). So gab es im April 2018 mehr als 314.000 offene Stellen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, was einem Anstieg von rund 13 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat entspricht. In die Berechnung flossen Ausbildungsberufe, Meister, Techniker und akademische Berufe ein; händeringend werden vor allem IT-Fachkräfte gesucht. Eklatant verschärft hat sich der Personalengpass auch in der verarbeitenden Industrie – hier lag die Zahl der offenen Stellen im ersten Quartal 2018 laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei rund 160.000 und damit um 38 Prozent über dem Vorjahresniveau (Eric Heymann, Constantin Pracht 2018).
1.1.1 Handwerk – Ade, goldener Boden?
Auch das Handwerk in Deutschland klagt über fehlendes Personal. Dies hat zum einen branchenspezifische Gründe, wie eine extrem schwache Handwerkskonjunktur zwischen 1995 und 2005, eine geringere Attraktivität handwerklicher Berufe, die schwache Lohnentwicklung und die damit einhergehenden geringen Ausbildungsquoten, der Strukturwandel des Arbeitsmarktes sowie die Rente mit 63 (Robert Geselle 2018).
Fachkräftemangel im Handwerk
Hinzu kommen Ursachen, die neben dem Handwerk auch den anderen Branchen in Deutschland zu schaffen machen, allen voran der Geburtenrückgang. Obwohl die Geburtenrate seit 2010 wieder leicht steigt, tickt die demografische Zeitbombe.
1.1.2 Bremser für Wirtschaftswachstum
Die Zahl der offenen Stellen in Deutschland lag im ersten Quartal 2018 nach IAB-Angaben insgesamt um 12 Prozent über dem Wert des Vorjahres. Knapp 1,2 Millionen Stellen waren nicht besetzt – so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Dabei mehren sich die Indizien, dass sich der Fachkräftemangel in Deutschland immer mehr zu einem Engpass für das Wirtschaftswachstum entwickelt. Im ersten Quartal 2018 lag die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Deutschland bei 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Dies war deutlich weniger als 2017, als das BIP im Durchschnitt noch um 0,7 Prozent pro Quartal zulegte. Während die Ursachen zum Teil in temporären Einflüssen zu suchen sind, ist im Wesentlichen der Fachkräftemangel dafür verantwortlich zu machen, wie auch die Konjunkturumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) von Anfang 2018 belegt (DIHK 2018). Danach sehen 60 Prozent der befragten Unternehmen Personalengpässe als das größte Geschäftsrisiko an. Anfang 2010 lag dieser Wert noch bei 16 Prozent.
1.1.3 Recruiting als Chefsache
Auf vielen Wegen gehen Politik, Bund, Bundesländer, Gemeinden, Körperschaften des öffentlichen Rechts, etwa die Bundesagentur für Arbeit, sowie Selbstverwaltungseinrichtungen wie die Industrie- und Handelskammern (IHK) und Handwerkskammern gegen den Fachkräftemangel vor. Mit der zunehmenden Integration von Menschen mit Behinderung, Arbeitslosen und Studienabbrechern, Migranten und Flüchtlingen in Ausbildung und Beruf konnten zwar erste Erfolge verzeichnet werden, doch müssen sich die Arbeitgeber zunehmend der Herausforderung stellen, dass sich der Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt gewandelt hat. Jahrzehntelang erfolgreiche Recruiting-Methoden zünden längst nicht mehr.
Das heißt konkret: Recruiting muss zur Chefsache und strategischen Unternehmensaufgabe werden. Es muss den gleichen Stellenwert erhalten, wie ihn bereits seit Jahren der Vertrieb einnimmt. Obwohl viele Unternehmen dies bereits erkannt haben, sind sie nur ungenügend auf die künftigen Anforderungen eingestellt. Oft fehlen schlichtweg die Ideen, wie ein modernes Recruiting aussehen könnte. Andere wiederum empfinden den Personaldruck als gar nicht so hoch, da sie kein weiteres Wachstum planen. Und wieder andere arrangieren sich mit dem aktuellen Fachkräftemangel, weil sie meinen, es handele sich um einen bloßen Trend, der sich aussitzen lässt.
Wie stark viele Arbeitgeber den Recruiting-Trends hinterherhinken, zeigt ein Blick auf folgende Grafik, aus der ich einige Beispiele wähle:
Recruiting-Trends in Deutschland
1.1.4 Chatbots
Wie in der Grafik zu sehen ist, würden 50 Prozent der befragten Kandidatinnen und Kandidaten in den Bewerbungsverfahren gerne Chatbots nutzen, also Dialogsysteme, die dank künstlicher Intelligenz zunehmend selbstständig mit ihnen »sprechen«. Für die oft völlig überlasteten HR-Manager böte dies den Vorteil, dass sie die Beantwortung von Standardfragen an die elektronischen Assistenten delegieren könnten, zum Beispiel nach der Höhe des Reiseanteils im neuen Job oder der Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Umso erstaunlicher ist es, dass Chatbots nur in 3 Prozent der Unternehmen tatsächlich zum Einsatz kommen. Diese Diskrepanz ist erschreckend und bietet zugleich enormes Optimierungspotenzial.
Tipp
Nutzen Sie Chatbots
Candidate Experience lässt grüßen: Setzen Sie auf Chatbots, damit es Ihre Kandidaten so einfach wie möglich haben und Sie Ihre Bewerbungsprozesse beschleunigen können!
1.1.5 Mobiles Recruiting und Job Recommender (Apps und Empfehlungsdienste)
66 Prozent der Kandidaten wünschen sich eine App mit Push-Nachrichten zu neuen Jobangeboten von Unternehmen. Diese Kandidatenanforderung wird durch zahlreiche Statistiken bestätigt, die besagen, dass das Recruiting der Zukunft mobil ist. Im Gegensatz dazu haben erst 5 Prozent der Unternehmen eine App mit Stellenanzeigen entwickelt und zur Verfügung gestellt. Daher mein Tipp an Sie als Arbeitgeber:
Tipp
Digitalisieren Sie Ihr Recruiting schnell
Starten Sie schnell mit der Digitalisierung des Recruitings, um Ihre Bewerber gezielt auf dem gewünschten Weg zu erreichen!
1.1.6 Active Sourcing
Wie die Grafik weiter zeigt, wollen 59 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber aktiv von den Firmen auf neue, passende Stellenangebote angesprochen werden. Da sich der Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt gewandelt hat, müssen sich die Unternehmen bei den Kandidaten bewerben – nicht umgekehrt. Doch zeigt sich auch hier das Missverhältnis zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Lediglich 28 Prozent der Unternehmen nutzen Active-Sourcing-Methoden im Recruiting. Doch Vorsicht, liebe Arbeitgeber:
Tipp
Nutzen Sie alle Kanäle
Die Direktansprache darf sich nicht auf das Anschreiben von Kandidaten in den Social Media – wie XING oder LinkedIn – beschränken, sondern muss alle zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen.
Dazu jedoch später mehr.