2. Strategie
Bringen Sie Ihr eigenes Wetter mit
Hatten Sie schon mal das Gefühl, dass andere Menschen, die Umstände oder Ihre eigenen Kurzschlussreaktionen Ihr Verhalten gesteuert haben?
Dann ist unsere 2. Strategie vielleicht etwas für Sie:
Bringen Sie Ihr eigenes Wetter mit.
Solange Sie Ihr eigenes Wetter nicht mitbringen, fühlt sich Ihr »Raum« möglicherweise wie Sartres Hölle an, weil …
• das Leben mit Ihnen macht, was es will.
• die Rolle des Märtyrers Ihr Markenzeichen wird.
• Ihre positiven Einflussmöglichkeiten auf andere stark begrenzt sind.
»Musstest du schon mal jemanden entlassen, der bei allen im Unternehmen total beliebt war?«
Die Frage erwischte mich unvorbereitet. Ich stellte mein Glas ab und schaute mir den Mann, der mir gegenübersaß, genau an. Wir hatten gelegentlich beruflich miteinander zu tun. Im Laufe der Zeit sind wir Freunde geworden. Hin und wieder war er in der Stadt und dann trafen wir uns zum Mittagessen.
»Ich überlege, ob da vielleicht eine Frage hinter der Frage steckt?«, setzte ich an. Mein Freund nickte. Dieses Nicken strahlte eine gewisse Müdigkeit aus.
»Gestern habe ich Stunden damit verbracht, mit den Kollegen eines Mitarbeiters zu sprechen, den ich entlassen musste. Alle regten sich mächtig darüber auf. Um ehrlich zu sein: Mir geht das Ganze auch extrem an die Nieren! Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich versucht habe, diesem Mitarbeiter zu helfen.«
Natürlich gibt es viele Gründe, warum es unvermeidbar sein kann, sich von einem Mitarbeiter zu trennen. Ich wollte mich bestimmt nicht in persönliche Details einmischen. Aber offensichtlich lag meinem Freund etwas auf der Seele.
»Auch ich musste schon Mitarbeitern kündigen«, erwiderte ich mitfühlend. »Das ist nie leicht.«
Mein Freund nickte. »Ich hatte ihn wirklich gern und habe viel für ihn getan. Und er hat auch kein Geld veruntreut oder so. Das macht die Sache für mich allerdings noch schlimmer.«
»Schlimmer? Was meinst du damit?«
»Er hat in seiner Freizeit für eine Konkurrenzfirma gearbeitet. Aber das hat er nie gesagt. Das zeigt, wie wenig er von mir und dem Unternehmen hält, das ihn so sehr unterstützt hat«, erwiderte er mit zunehmender Empörung. »Unfassbar, dass er das alles praktisch für nichts aufs Spiel gesetzt hat!«
»Und wie wurde aus einem Gespräch dann eine Entlassung?«
»Ein Gespräch hat nicht wirklich stattgefunden. Als ich erfahren habe, was da läuft, habe ich ihn sofort gefeuert. Aber jetzt stellt sogar der CEO meine Entscheidung infrage und alle halten mich für den Buhmann in der Geschichte.«
Ich versuchte, meine wachsenden Zweifel zu verbergen. Womöglich lag der CEO gar nicht so falsch? Aber vielleicht steckte ja auch noch mehr dahinter?
»Sieh mal, Loyalität ist mir extrem wichtig. Zudem weiß jeder, dass ich meine Entscheidungen nicht auf die lange Bank schiebe«, fuhr mein Freund fort. »Ich hatte also gar keine andere Wahl.«
Ich bin überzeugt, dass es immer eine Alternative gibt. Natürlich geschehen Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben. Und natürlich sind unsere Möglichkeiten manchmal stark begrenzt. Vom Neurologen, Psychiater und Holocaust-Überlebenden Viktor Frankl wissen wir, »dass man dem Menschen … alles nehmen kann, nur eins nicht: die letzte menschliche Freiheit, seine Einstellung zu den gegebenen Umständen selbst zu wählen«.4
Einer meiner Kollegen erzählt gerne von einem seiner Professoren. Wenn dieser kleine, ein wenig korpulente Herr mit einem Kaffee in der Hand über den Campus ging, schien er gar nicht anders zu können, als gute Laune auszustrahlen. Der Professor grüßte die Studenten herzlich und blieb oft stehen, um mit ihnen zu plaudern. Er gehörte zu den beliebtesten Professoren an der gesamten Universität. Eines Morgens schüttete es wie aus Eimern. Der Professor hatte keinen Schirm dabei. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, wie üblich zu Fuß zum Vorlesungssaal zu gehen. Als er dort ankam, war er genauso fröhlich wie immer. Im Gegensatz dazu schauten die Studenten wegen des unerwarteten Wolkenbruchs äußerst mürrisch drein. Obwohl er klitschnass war und aussah wie ein begossener Pudel, strahlte der Professor übers ganze Gesicht. Da fragte einer der Studenten: »Macht Ihnen der Regen denn gar nichts aus?«
Der Professor antwortete grinsend: »Doch, doch. Aber mein Vorteil ist, dass ich so klein bin. Da dauert es viel länger, bis der Regen mich erwischt!«
Natürlich hatte keiner auf dem Campus irgendeinen Einfluss auf das Wetter. Die meisten reagierten auf den unverhofften Wolkenbruch mit schlechter Laune. Sie beschwerten sich über den plötzlichen Temperatursturz und jammerten, weil sie nass geworden waren. Die Studenten ließen zu, dass die dunklen Wolken ihre Stimmung beeinflussten und ihnen aufs Gemüt schlugen. Sie warteten nur darauf, dass die Sonne wieder zum Vorschein kam und sie aufheiterte. Doch so fällt man ganz schnell in die Opferrolle und glaubt, dass man der Welt um sich herum hilflos ausgeliefert ist. Wenn wir denken, dass andere die Ursache für unser Unglück und unsere Hilflosigkeit sind, schieben wir ihnen gerne die Schuld in die Schuhe. Wir jammern und klagen und fühlen uns als Opfer.
Der Professor jedoch entschied sich anders. Er reagierte nicht auf die äußeren Umstände und das Wetter. Im Gegenteil: Er brachte einfach sein eigenes Wetter mit in die Vorlesung! Er schaute nicht nach außen, sondern nach innen. Dieser gut gelaunte Mann bestimmte selbst, was er denken und wie er sich fühlen wollte. Ein Wolkenbruch konnte ihn nicht davon abbringen. Diese Freiheit zeichnet die Menschen aus, die ihr eigenes Wetter machen und ihren Werten treu bleiben. Ganz anders sieht es da bei denjenigen aus, die lediglich auf die äußeren Umstände »reagieren« und sich mit der Opferrolle begnügen. Der Professor war glücklich, dass er zum Vorlesungssaal gehen und das tun könnte, was ihm am Herzen lag: eine positive Atmosphäre zu schaffen, in der seine Studenten gut lernen konnten, und Samen zu säen, die später reiche Früchte tragen würden. Was war im Vergleich dazu ein kurzer Regenschauer?
Der angesehene, für seine Radio- und Fernsehauftritte bekannte Bischof Fulton J. Sheen formulierte es so: »Jeder Mensch schafft sich sein eigenes Wetter – er wählt selbst die Farbe des Himmels in dem von ihm bewohnten Universum.«
Um uns unser eigenes Wetter schaffen zu können, müssen wir in der Lage sein, zwischen Reiz und Reaktion eine Pause einzulegen. Kampf oder Flucht? Die Steinzeitmenschen mussten auf vermeintlich lebensbedrohliche Situationen in Sekundenschnelle reagieren. Nur das sicherte ihr Überleben. Heute aber müssen die wenigsten von uns tagtäglich um ihr Überleben fürchten. Was uns im 21. Jahrhundert Stress bereitet, sind ganz andere Dinge. Dennoch neigen wir noch immer dazu, auf äußere Reize mit schnellen, unüberlegten Entscheidungen zu reagieren. Und diese Entscheidungen sind häufig nicht die besten.
Zum Glück ist die unreflektierte Sofort-Reaktion nicht alles, wozu unser Gehirn imstande ist. Wir Menschen haben die einzigartige Fähigkeit der Selbstwahrnehmung. Das heißt: Wir können unser eigenes Denken und Handeln reflektieren. Jeder von uns kann innehalten, einen Schritt zurücktreten und sich ein Bild von sich selbst und den Paradigmen machen, die seine Sicht der Dinge, sein Denken, Fühlen und Handeln prägen. Das gibt uns letztlich die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie wir reagieren wollen.
Mein guter Freund und Kollege Aaron, der in unserer Organisation als Chef-Recruiter tätig ist, ist ein Beispiel für dieses Prinzip. Die besten Recruiter investieren viel Zeit und Energie in die Suche nach den richtigen Kandidaten und in ihre Präsentation bei den Personalverantwortlichen. Aaron ist da keine Ausnahme. Ich erinnere mich an eine Kandidatin, um die sich Aaron bereits mehrere Monate bemüht hatte. Sie hatte Angebote von verschiedenen Unternehmen. Doch Aaron scheute keine Mühe, eine Beziehung zu ihr aufzubauen und ihr unsere Organisation schmackhaft zu machen. Ich weiß noch, dass Aaron sogar bereit war, sich an einem Samstag mit ihr zu treffen. Dafür opferte er Zeit, die er sonst mit seiner Familie hätte verbringen können. Aber es war der einzige Tag, an dem die Kandidatin einen Termin frei hatte – und sie war wirklich ein Ausnahmetalent. Unter allen...