Nicht in diesem Ton!
Auch wenn wir miteinander kommunizieren, neigen wir dazu, uns von unseren Gefühlen zu distanzieren, keine Verletzlichkeit zuzulassen, indem wir mit Worten eine Mauer um uns errichten: »Selbstoptimierung« ist so ein Wort. Wir müssen an uns arbeiten und uns selbst »optimieren«. Was soll das heißen? Wann sind wir denn optimal? Wer bestimmt das?
Es geht darum, unsere Fassade zu optimieren, bis wir wie ohne Macken und Kanten wirken, weniger »anfällig« für Emotionen sind sowie leistungsfähig und flexibel, damit wir mehr erreichen, mehr Geld verdienen und andere und uns reich machen. Nur reich an Geld, wohlgemerkt.
Ein besserer Vater sein, eine tollere Liebhaberin, eine gesundheitsbewusstere Köchin, eine schlankere Mutter, ein besserer Sportler – hat das auch irgendetwas mit unseren Mitmenschen zu tun? Geht es darum, für unsere Umwelt »optimal« zu sein? Hahaha! Nein!
Eine weitere, riesige Perversion ist der Begriff »After Baby Body«, den manche Schauspielerinnen oder Models uns stolz präsentieren: Dabei geht es nicht darum, wie man auf gesunde Art und Weise die bei einer Schwangerschaft aufgetretenen körperlichen Veränderungen sanft und in Ruhe zurückbildet, sondern es geht darum, nur schnell zu entbinden und am besten noch im Kreißsaal mit Kraftsport und Ausdauertraining anzufangen, damit man ein paar Tage nach der Geburt genauso gut oder besser aussieht wie/als davor. Ist das das Wichtigste? Man, eher gesagt, frau hat ein Kind geboren! Einen neuen Menschen in die Welt gesetzt! Das ist doch etwas Wunderbares! Und nichts, was man schnell abhakt, um sofort an das Aussehen danach zu denken. Glücklich sieht man bestenfalls aus, vielleicht erschöpft, aber gertenschlank und aufgeräumt?
Was sollen diese Begrifflichkeiten? Dass sie verwendet werden, hilft nicht, freundlich zu uns und anderen zu sein.
Gibt es denn auch den »After Serious Illness Body«? Krebserkrankung erst einmal überwunden, jetzt ist die Hauptsache, ich sehe toll aus! »After Car Crash Body«? Nur noch ein Bein, aber hey, ne Prothese von Prada! Natürlich kann man die Geburt eines Babys nicht mit schlimmen Verletzungen oder Krankheiten vergleichen, aber auch im und nach dem Wochenbett darf man einem weiblichen Körper doch wohl die immensen Veränderungen und Strapazen ansehen. Denn ein »After Baby Body« ist eben erst einmal etwas strapaziert, mal mehr und mal weniger, klar, aber eben strapaziert.
Wie wir sprechen, spiegelt doch wider, wer und wie wir sind – und wie wir denken, über uns und über andere.
»Hui, ich bin ganz gerührt«, sagt keiner mehr. »Alter!«, nuschelt man anerkennend. Aber nicht nur das: Im Urlaub wird mein »Akku aufgeladen«, ich muss erst einmal »runterfahren«, Angst habe ich keine, oh nein, »mir geht die Düse«! Und bei Herzproblemen will »meine Pumpe« nicht mehr.
Wir »stählen« im Fitnessstudio unseren Körper, vergleichen uns mit Maschinen, entmenschlichen uns, um uns nicht mit uns selbst beschäftigen zu müssen, nur keine Schwäche zeigen, immerzu funktionieren (auch so ein Wort), und wenn unser Körper dann nicht mehr spurt, distanzieren wir uns von ihm, als wenn wir das könnten und als wäre er nur eine Maschine, die einfach mal wieder richtig eingestellt werden muss.
Auch in vielen anderen Bereichen spiegelt Sprache unsere Distanz zum Leben wider: Wir sprechen in coolen, lebensfernen Ausdrücken: Termine sind »eng getaktet«, wir treffen uns nicht, sondern haben ein »Meeting«, telefonieren nicht, sondern haben einen »Call«, und für manches scheint es gar keinen deutschen Begriff mehr zu geben, oder wie übersetzt man »einchecken«? Anmelden? Das klingt komisch.
Wenn wir dann »ausgepowert« sind vom Stress, den wir uns selbst gemacht haben, müssen wir uns nicht ausruhen, sondern »chillen und runterkommen«.
Wie viel schöner ist es, zu sagen: »Ich bin erschöpft.« »Ich muss mich erholen.« »Mein Herz ist nicht in Ordnung.« »Ich muss Kraft tanken.« Ach nee, tanken geht auch nicht: »Ich muss Kraft schöpfen.« Oder, weniger am eigenen Körper orientiert: »Die Dame hat schöne Brüste« (und keine Hupen) und tolle Beine (statt ein 1-a-Fahrgestell), »er ist weniger kognitiv begabt« (statt ein geistiger Tiefflieger) und »Ich habe eine Todeslinie für den Text.«
Dass wir durch Flapsigkeit alles, worüber wir sprechen, abwerten, ist uns vielleicht nicht bewusst. Oder wir wollen absichtlich nicht zugeben, dass uns etwas oder jemand wichtig ist.
Warum sagen wir: »Ich steh auf dich!« und nicht: »Du gefällst mir!«, warum: »Die Alte würde ich auch gerne mal flachlegen«, statt: »Mich erregt die Gestalt der schönen Frau«, warum: »Da hab ich Pipi in den Augen«, statt: »Mir quillt die Zähre«? All dies zeigt doch deutlich, dass wir uns von unseren eigentlichen Emotionen abgrenzen, dass wir versuchen, cool zu sein und durch mehr oder weniger flotte Sprüche uns weniger verletzlich und weniger angreifbar zu zeigen.
BFF (Best Friend Forever) klingt zwar moderner als »meine engste Vertraute«, macht die Freundschaft aber eher zu einem Spiel, in dem nichts ernstgenommen wird und in dem es hauptsächlich um die besten Bikini-Selfies geht.
Wenn wir bei uns sind, wirken wir authentisch, und indem wir uns öffnen, signalisieren wir den anderen: So bin ich, ohne Panzer.
Wenn wir sagen, wie es ist, ist das oft am einfachsten, auch wenn es uns erst schwer vorkommt. Wir müssen unsere Angst davor, was die anderen wohl über uns denken, überwinden und das sagen, was wir fühlen, ohne dabei abgeklärt und hart wirken zu wollen. Es geht darum, bei uns zu sein. Und wenn wir im Büro zum allerersten Mal vor unsere neuen Kollegen treten und uns vorstellen und wir deshalb sehr aufgeregt sind, können wir sagen: »Ich bin aufgeregt. Diese Situation jetzt und hier macht mich sehr nervös, denn ich bin eigentlich sehr schüchtern und spreche nicht gern vor vielen Menschen.« So oder so ähnlich können wir unsere Scham überwinden und sagen, wie es ist. Dazu brauchen wir keine witzigen Umschreibungen oder Metaphern, die uns entspannter wirken lassen, im Gegenteil: Meist merkt man uns unsere Unsicherheit dann erst recht an und findet uns noch zusätzlich nicht sehr sympathisch.
Und das wird honoriert, denn kaum einem geht es in solchen Situationen anders. Wir mögen es, wenn andere ehrlich sind. Und wir mögen uns, wenn wir uns nicht verstellen. Es fühlt sich gut an, wenn wir unsere Scham überwunden haben.
Ich traf unlängst ein paar ehemalige, zehn Jahre jüngere Nachbarn und fragte sie, ob sie noch im schönen Eimsbüttel wohnen. »Oh ja, hier gehen wir nicht weg – wir lieben dieses Viertel hart!« war ihre Antwort. Das klang für mich gleichermaßen nach Stahlbau wie auch pornoesk. Etwas »hart lieben« ist doch eigentlich ein Widerspruch in sich, oder bin ich einfach zu alt? Liebe hat doch etwas mit Bindung zu tun, mit Weichheit, mit Verletzlichkeit. »Verknallt sein« geht gerade noch, der Knall spiegelt die Wucht der Gefühle wider, diese Intensität, mit der alles andere in den Hintergrund geschubst wird, wenn wir uns Hals über Kopf in wen verguckt haben; die Plötzlichkeit und das Wundern darüber werden deutlich an diesem Wort.
Aber »hart lieben«? Das klingt viel eher nach »Rohr verlegen«, »warum liegt hier Stroh rum?« und »wenn der Wildbach durch das Dirndl rauscht«.
AUS DEM TAKT
Spätestens, wenn zur groben Ausdrucksweise auch noch mangelndes Feingefühl im Umgang mit anderen hinzukommt, werden Mitmenschen verletzt. Dazu fällt mir eine kleine Anekdote aus meinem reichhaltigen Bühnenlebensschatz ein: Einmal trat ich auf einer Gala in einem Schlosshotel auf, eher gesagt war das eine alte Burg irgendwo im Sauerland, die zum Hotel umgebaut worden war. Um mir als Künstlerin etwas besonders Gutes zu tun, hatte man mich in der zweistöckigen Hochzeitssuite untergebracht. Nach dem Auftritt trottete ich also müde auf mein Zimmer und sah mich um: Es standen ein paar Rosen herum, alkoholische Getränke in Karaffen gab es und einen riesigen Fernseher nebst VHS-Rekorder. Videorekorder. Also ein Gerät zum Filme-Angucken.
Ich öffnete die Schublade des Schränkchens, auf dem der Fernseher stand, um mir einen Film auszusuchen. Als Erstes fiel mein Blick auf eine Kassette mit der Aufschrift: »Mitten ins Gesicht«. Och nee, dachte ich, auf ein Sozialdrama habe ich keine Lust, und wollte die Kassette wieder zurücklegen, als ich des Untertitels gewahr wurde: »Sperma ist gut für die Haut«.
Leider waren die anderen Filme auch alle aus diesem Genre. Puff statt Arthouse. Und das in der Hochzeitssuite! Und ich war ein junges Mädchen von Mitte zwanzig! Und hatte dieses Apartment über zwei Stockwerke mit Whirlpool mitten im Wohnzimmer, und die Geschichte ist noch nicht zu Ende!
Das Telefon klingelte, und eine freundliche Frauenstimme meldete sich: »Guten Abend, hier ist Tollvitzc vom Empfang, entschuldigen Sie die Störung, ich möchte Ihnen nur kurz die Nummer vom Hotelchef geben. Haben Sie was zu schreiben?«
Verdattert suchte ich Zettel und Stift und notierte die Nummer. Dann war ich schlau genug zu fragen: »Warum?«
»Naja, falls irgendetwas ist heute Nacht«, war die wenig erhellende Antwort.
»Rufen Sie alle Gäste an und geben denen die Nummer?«
»Nein, nur Ihnen. Sie sind heute Nacht...