3. Weltbejahung und die künftige Rolle Asiens
Für ein Zeitalter, das für den asketischen Geist keine Sympathie hat, und über die gesamte restliche Welt hin, darf die Stunde des Anachoreten wohl als vergangen oder vergehend angesehen werden; und es ist leicht, jene große Tendenz darauf zurückzuführen, daß dieser alten Rasse vitale Energie fehle, da sie unter ihrer Last, durch ihren gewaltigen Anteil an der allgemeinen Entwicklung ausgemüdet sei, erschöpft durch ihren vielseitigen Beitrag zu der Summe menschlicher Leistung und menschlichen Wissens. Wir haben aber gesehen, daß auch der asketische Geist einer Wahrheit der Existenz entspricht, einem Status bewußter Realisation, die einen direkten Gipfel unserer Möglichkeit bezeichnet. Auch praktisch ist der asketische Geist ein unaufgebbares Element im Zuge menschlicher Vervollkommnung, und sogar seine gesonderte Bejahung ist unvermeidlich, so lange die Menschheit, im Blick auf das andere Extrem, ihren Intellekt und ihre vitalen Gewohnheiten nicht von der Knechtschaft eines immer bedrängenden Animalismus befreit hat.
Gewiß aber suchen wir eine umfassendere und vollständigere Affirmation. Wir gewahren, daß das asketische Ideal in Indien die große Formel des Vedānta ‹Das Eine ohne ein Zweites› nicht hinreichend im Lichte der anderen großen Formel ‹Alles dies ist Brahma› gelesen hat, die ebenso wichtig ist. Das leidenschaftliche Aufwärtsstreben des Menschen dem Göttlichen entgegen ist nicht genügend zu der herabkommenden Bewegung des Göttlichen in Beziehung gesetzt worden, mit der dieses sich herabneigt, um seine Manifestation auf ewig zu umarmen. Seinen Sinn im Stoff hat man nicht so wohl verstanden wie seine Wahrheit im Geist.
Eine allgegenwärtige Realität ist das Brahmā, nicht eine allgegenwärtige Ursache beharrlicher Täuschungen. Wenn wir also eine positive Basis unserer Harmonie annehmen – worauf sonst könnte Harmonie gegründet werden? –, dann müssen die mannigfachen formulierten Konzeptionen über das Unwißbare, deren jede eine in keine Konzeption eingehende Wahrheit repräsentiert, so weit wie möglich in ihrer Beziehung aufeinander verstanden werden, und ebenso in ihrer Wirkung auf das Leben, nicht aber dürfen sie gesondert und exklusiv verstanden, nicht so bejaht werden, daß sie alle anderen Bejahungen zerstören oder über alles Maß hinaus verkleinern. Der wahre Monismus, der wahre Advaita ist der, der alle Dinge als das eine Brahmā anerkennt und nicht versucht, seine Existenz in zwei Wesenheiten zu zerspalten, die nicht miteinander bestehen können, in eine ewige Wahrheit und eine ewige Lüge, in Brahmā und Nicht-Brahma, in Selbst und Nicht-Selbst, in reales und nicht reales Selbst, das, obgleich nicht real, doch fortgesetzte Täuschung ist. Wenn es wahr sein soll, daß das Selbst allein existiert, dann muß es ebenso wahr sein, daß alles Existierende das Selbst ist. Und wenn dieses Selbst, Gott oder Brahmā, nicht ein Zustand der Hilflosigkeit ist, nicht eine eingegrenzte Macht, nicht eine begrenzte Persönlichkeit nur, sondern das sich selbst bewußte Ganze, dann muß es auch einen guten und ihm selbst innewohnenden Grund für seine Manifestation geben. Und um den zu entdecken, müssen wir eine Potenz, eine Weisheit, eine Wahrheit des Seins in allem, was existiert, annehmen. Der Zwiespalt und das offensichtliche Übel in der Welt müssen an ihrem Platz zugegeben werden, aber sie sind nicht als die Sieger über uns hinzunehmen. Der tiefste Instinkt der Menschheit sucht immer und sucht mit Recht Weisheit als das letzte Wort der universalen Manifestation, nicht eine ewige Narretei und Illusion, ein verborgenes und schließlich triumphierendes Gutes, nicht ein allschöpferisches und unbesiegbares Übel, einen endgültigen Sieg und eine endgültige Erfüllung, nicht den enttäuschten Rückzug der Seele von ihrem großen Abenteuer.
Wenn denn also die Welt ein Traum oder eine Illusion oder ein Fehler ist, dann ist sie ein Traum, der in seiner Ganzheit vom absoluten Selbst herstammt und von ihm gewollt ist, und nicht nur von ihm herstammt und gewollt ist, sondern auch von ihm getragen und ständig unterhalten wird. Überdies ist es ein Traum, der in einer Wirklichkeit existiert, und der Stoff, aus dem er gewoben ist, ist diese Wirklichkeit, denn Brahmā muß sowohl das Material der Welt sein wie ihre Basis und ihr Umfang. Wenn das Gold, aus dem das Gefäß gemacht ist, wirklich ist, wie können wir annehmen, daß das Gefäß selbst eine Fatamorgana sei? Wir sehen, daß Worte wie Traum und Illusion Fallen sind, die unsere Sprechweise uns stellt, Gewohnheiten unseres nur bedingten Bewußtseins. Sie repräsentieren eine gewisse Wahrheit, eine große Wahrheit sogar, ebenso aber mißrepräsentieren sie dieselbe. So wie Nicht-Sein etwas anderes ist als bloße Nullität, so ist der kosmische Traum etwas anderes als ein bloßes Phantasma oder eine Halluzination unseres Geistes. Ein Phänomen ist nicht ein Phantasma, ein Phänomen ist die substantielle Form einer Wahrheit.
Die älteren Völker Asiens sind beharrlich am Leben geblieben und können nun, wie wenn sie unsterblich wären, ihr Angesicht einem neuen Morgen entgegen heben, denn sie sind wohl in Schlaf gefallen, aber sie sind nicht zugrunde gegangen. Es ist wahr, daß sie zeitweilig dort im Leben versagt haben, wo die europäischen Völker in ihrem Glauben an das Fleisch und den Intellekt erfolgreich sind. Aber ein solcher Erfolg mag der blendenden Erscheinung nach vollständig sein, er ist es aber nur eine Zeitlang und hat dann immer in einer Katastrophe geendet. Gleichwohl, Asien versagte im Leben, es fiel in den Staub, und wenn auch der Staub, in dem es lag, heilig war, wie der moderne Dichter Asiens erklärt hat, so mag doch solche Heiligkeit angezweifelt werden, und im Staub hingestreckt zu liegen, ist auch nicht die rechte menschliche Haltung. Asien hat nicht deswegen zeitweilig versagt, weil es den geistigen Dingen nachging, wie manche sagen und sich trösten – als ob der Geist überhaupt eine Sache der Schwachen und eine Ursache der Schwachheit sein könnte –, sondern deswegen, weil es dem Geist nicht genügend folgte, weil es nicht lernte, ihn ganz und gar zum Meister des Lebens zu machen. Asiens Geist schuf entweder einen Abgrund und eine Spaltung zwischen Leben und Geist oder ruhte auf einem Kompromiß zwischen ihnen aus, so zu ruhen ist aber gefahrvoll. Denn der Ruf des Geistes fordert mehr als jeder andere von uns, daß wir ihm stets bis zum Ende folgen, und das Ende ist niemals eine Scheidung und ein Aufgeben und auch kein Kompromiß, sondern die ganze Eroberung durch den Geist und jene Herrschaft der Sucher nach Vollendung, die, mit einem religiösen Symbol des Hindu zu sprechen, der letzten Avatār zu verwirklichen hat.
Wenn ein Gegensatz zwischen dem spirituellen Leben und dem der Welt besteht, dann ist es dieser Abgrund, den zu überbrücken er da ist, dieser Gegensatz, den er in eine Harmonie zu wandeln hat. Wenn die Welt vom Fleisch und vom Teufel regiert wird, um so mehr Grund, daß die Kinder der Unsterblichkeit da sein müssen, um sie für Gott und den Geist zu erobern. Wenn das Leben ein Irrsinn ist, dann gibt es so viele Millionen von Seelen, denen das Licht göttlichen Sinnes gebracht werden muß. Wenn es ein Traum ist, dann ist dieser doch wirklich in sich für so viele Träumende, die dazu zu bringen sind, entweder edlere Träume zu träumen oder aufzuwachen. Oder wenn es eine Lüge ist, dann muß die Wahrheit den Betörten gebracht werden. Wenn es aber heißt, daß wir der Welt nur durch das leuchtende Beispiel der Flucht aus der Welt helfen können, dann können wir dieses Dogma auch nicht annehmen, denn das gegenteilige Beispiel großer Avatāre ist da und zeigt, daß wir nicht nur dadurch helfen können, daß wir das Leben der Welt, so wie es ist, verwerfen, sondern auch und noch mehr dadurch, daß wir es annehmen und emporheben. Und wenn es ein Spiel der All-Existenz ist, dann wollen wir ruhig zustimmen, unsere Rolle in demselben mit Haltung und Mut zu spielen und uns des Spieles zusammen mit unserem göttlichen Spielpartner getrost auch erfreuen.
Vor allem aber, die Ansicht von der Welt, die wir uns gebildet haben, verbietet uns, der Existenz in der Welt zu entsagen, solange wir für Gott und Menschen bei der Ausgestaltung ihrer Absichten mit der Welt etwas bedeuten können. Wir sehen die Welt nicht als eine Erfindung des Teufels an, oder als eine Selbstbetörung der Seele, sondern als eine Manifestation Gottes, wenngleich sie erst noch eine teilweise, weil progressive und in der Evolution begriffene Manifestation ist. Dem Leben zu entsagen kann darum für uns nicht das Ziel des Lebens sein, noch Verwerfung der Welt das Ziel, für das die Welt geschaffen ward. Wir suchen unsere Einheit mit Gott zu realisieren, diese Realisation schließt aber für uns die völlige und absolute Anerkennung unserer Einheit mit den Menschen ein, und dies beides kann man nicht auseinanderspalten. Um christliche Sprache zu gebrauchen: der Sohn Gottes ist auch der Menschensohn, und beide Elemente sind notwendig, um die Christusschaft zu vollenden. Oder um eine indische Denkform anzuwenden: der göttliche Nārāyana, von dem das Universum nur ein Strahl ist, offenbart sich und erfüllt sich im Menschen. Der vollständige Mensch, das ist Nara-Nārāyana, und in dieser Vollständigkeit symbolisiert er das höchste Mysterium der Existenz.
Es gehört nicht zu meinem Yoga, nichts mit der Welt oder dem Leben zu tun zu haben, oder die Sinne abzutöten, oder ihre Funktion gänzlich zu unterbinden. Es ist das Ziel meines Yoga, das Leben zu transformieren, indem ich das Licht, die Kraft und die Seligkeit der...