Kapitel 1
Das Arschloch in uns: Den inneren Kritiker im Griff behalten
Du siehst aus wie der Tod.
Süß, dass du glaubst, du könntest befördert werden.
Ein Bikini? Schon klar. Nicht in diesem Leben.
Waren Sie schon mal in einer Beziehung, in der Beleidigungen an der Tagesordnung sind? In der Sie ständig kritisiert werden, nie gut genug sind und sich ständig schlecht fühlen? Eine Beziehung, in der Sie anfangen, an sich selbst zu zweifeln, und allmählich all die Gemeinheiten glauben, die der andere zu Ihnen und über Sie sagt? Vielleicht hatten Sie noch nie so eine Beziehung, aber kennen jemanden, auf den das zutrifft? Und es war furchtbar mit anzusehen?
Oh, wie sehr ich wünschte, ich würde über jemand anderen reden. Aber ich rede davon, wie Sie mit sich selbst sprechen.
Selbst wenn noch nie jemand so mit Ihnen geredet hat, ich wette, dass Sie manchmal (oder ständig) mit sich selbst so reden. Dass Ihr innerer Dialog alles andere als von Liebe geprägt ist. Wie sprechen Sie mit sich, wenn Sie sich im Spiegel sehen? Wenn Sie einen Fehler machen? Wenn Sie bei einer Beförderung übergangen werden? Oder wenn Sie sich mit anderen Frauen vergleichen?
Reden Sie da freundlich mit sich selbst? Mitfühlend? Ist Ihre Zuwendung wie eine warme Decke, die nach Liebe riecht?
Ich habe da meine Zweifel.
Ich fange mit diesem Kapitel an, weil die innere Stimme – oft sehr zutreffend als »innerer Kritiker« bezeichnet – die gängigste Verhaltensweise von Frauen ist, die dafür sorgt, dass sie sich scheiße fühlen.
Nehmen wir mal Valerie, eine einunddreißigjährige Friseurin:
Oft sage ich mir selbst, dass ich fett bin und dass das der Grund ist, warum ich kurz vor meinem zweiunddreißigsten Geburtstag immer noch Single bin. Ich krittele ständig an mir herum wegen der Dinge, die ich esse, und zweifele im Nachhinein ständig an meinen Entscheidungen.
Meine Freundinnen heiraten und bekommen Kinder, ich vergleiche mich mit ihnen und habe das Gefühl, dass ich nicht mithalten kann. Wäre ich dünner, kontaktfreudiger, irgendwas, dann hätte ich jetzt eine erfolgreiche Beziehung.
Zu meinem Job gehört auch gutes Aussehen, und die Leute sagen mir oft, dass ich hübsch bin, aber ich glaube ihnen nie. Es fühlt sich an, als wollten sie nur höflich sein.
Valeries Geschichte ist nicht ungewöhnlich – sie vergleicht sich mit anderen (mehr dazu in Kapitel 4) und glaubt, ihr Glück hänge von etwas außerhalb ihrer selbst ab, was sie erreichen muss.
Manchmal kann der innere Kritiker auch sehr grob sein, wie bei Suzanne:
Ich verbringe mein Leben größtenteils damit, für alle anderen Menschen sorgen zu wollen, scheißegal, was mit mir ist. Ich empfinde mich nie als wichtig genug. Mit mir selbst rede ich in einer Weise, in der ich NIE mit einem anderen Menschen reden würde. Selbstmitgefühl und Selbstliebe kenne ich nicht. Wenn ich etwas versaue (wie es jedem passiert), ist das nicht nur ein Fehler. Ich sage mir selbst, dass ich schrecklich bin, dumm, fett und hässlich; eine totale Versagerin als Mensch, Frau, Ehefrau, Freundin, Schwester – was immer Sie wollen, ich nehme es an. Ich suhle mich geradezu darin und nehme diese Worte als Wahrheit. Mein Gehirn weiß, dass es nicht wahr ist, aber das ändert nichts. Diese schamvollen Gefühle und die selbstzerstörerischen Methoden, mit denen ich sie unterdrücke, sind grauenhaft, und ich schaffe es nicht, da rauszukommen, nicht mal mit meinem Therapeuten.
Fürs Protokoll: Der innere Kritiker spricht nicht immer in tatsächlichen inneren Monologen oder artikulierten Gedanken. Manche Frauen erzählen, dass ihr innerer Kritiker mehr ein allumfassendes Gefühl von »nicht gut genug sein« sei. Ein nagender Verdacht, dass alle anderen ihr Leben im Griff haben, nur sie eben nicht. Der Grundtenor lautet: »Nicht wie die anderen«.
Wenn Sie sich mit diesen Geschichten über innere Monologe nicht identifizieren können, dann läuft es vielleicht so: Wenn Sie darüber nachdenken, etwas Großes zu versuchen, gehen Sie automatisch davon aus, dass es nicht klappen wird, also wagen Sie es gar nicht. Vielleicht vergleichen Sie sich mit anderen Frauen, ohne das in Worte zu fassen oder bewusst wahrzunehmen? Es ist, als gäbe es im Leben ein Aufsichtsgremium, das Sie nie eingesetzt haben, das jedoch ein Meeting über Ihren Wert abhält, und Sie glauben seiner Einschätzung, dass Sie mit anderen nicht mithalten können.
Woher kommt das?
Woher kommt diese Stimme? Aus den Tiefen der Hölle?
Ja, de facto kommt sie aus einer elendig kleinen Stadt in der Hölle mit einem Arschloch als Bürgermeister.
Okay, das war ein Witz. Aber lesen Sie weiter und erfahren Sie, was die häufigsten Auslöser für Selbstkritik sind.
Familie
Die erste Quelle des inneren Kritikers ist häufig die eigene Familie. Für manche sind Kindheit und Jugend ein Friedhof voller schmerzvoller Erinnerungen, andere erinnern sich vielleicht nicht an Leid, das in die Knie zwingt, sondern eher an subtilere Erlebnisse.
Ich bin selbst Mutter und weiß, woher das kommt. Wir wollen, dass unsere Kinder dazugehören. Dass sie etwas erreichen. Wir wollen, dass sie selbstbewusst sind. Wir möchten, dass sie möglichst wenig Leid im herausfordernden und harten Prozess des Erwachsenwerdens erfahren. Oder? Wir wachen nicht auf und denken: »Hey, wie kann ich dafür sorgen, dass mein Kind sich nicht gut genug fühlt?«
Nein, wir meinen es gut, und am Ende geben wir ihnen beim Versuch, ihnen dabei zu helfen, sich anzupassen und Schwierigkeiten zu vermeiden, ungewollt das Gefühl, dass sie nicht in Ordnung sind, so wie sie sind. Lesen Sie zum Beispiel Heathers Geschichte:
Mein innerer Kritiker konzentriert sich auf mein Körperbild und mein Aussehen. Damit kämpfe ich, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der das äußere Erscheinungsbild sehr wichtig war. Ich habe meinen Körper schon mit sieben Jahren gehasst. Meine Mutter (ich werfe ihr nichts vor, sie hat es so gut gemacht, wie sie es eben konnte) wollte mich anziehen, mir die Haare schneiden, eine Dauerwelle machen (ja, das war in den Achtzigern), und ich habe sie gelassen, obwohl ich das nicht wollte. Ich war sehr unsicher in Bezug auf mein Äußeres und sehr kritisch mit mir selbst. Selbstkritik war definitiv ein Faktor, als ich ins Teeniealter kam, und rückblickend ist mir klar, dass mein Selbstwert völlig von meinem Äußeren abhing. Ich labte mich an der Aufmerksamkeit von Leuten, die mich attraktiv fanden – vor allem Jungs. Wenn mich jemand hübsch fand, dann war ich liebenswert. Es war wie eine Droge – dieses Gefühl, etwas wert zu sein.
Ich kämpfe noch jetzt in meinen Vierzigern damit. Wenn mein innerer Kritiker sich meldet, dann sagt da eine furchtsame Stimme: »Du solltest besser fünf Pfund abnehmen und was gegen deine Falten unternehmen, sonst bist du nicht gut genug.« Ich weiß, dass mein Äußeres nicht meine Person ausmacht, aber diese Ängste und Gefühle sitzen so tief in mir drin, dass ich mich täglich daran erinnern muss, diese Gedanken und Verhaltensweisen zu ändern.
Ich möchte diesen letzten Satz hervorheben, in dem Heather sagt, dass sie vom Verstand her weiß, dass ihr Äußeres nicht ihre Person ausmacht, sie aber täglich daran arbeiten muss, das nicht zu glauben, weil ihre Ängste und Gefühle so tief sitzen. Da haben Sie’s. Der innere Kritiker sitzt tief. Darum betone ich immer und immer und immer (und immer) wieder, dass man hier vor einer Aufgabe steht, die ständige, tägliche Anstrengung erfordert. Das ist kein One-Night-Stand. Es braucht viel Übung, so etwas zu verändern.
Neben dem ganzen Familienmist, oder vielleicht auch stattdessen, rühren Kritikerstimmen aus vergangenen (oder aktuellen) Beziehungen. Beziehungen, in denen man Beleidigungen ausgesetzt war, können einen noch lange nach der Trennung beeinträchtigen. Vielleicht war der Partner auch nicht direkt beleidigend, machte aber abfällige Kommentare über Ihr Äußeres, Ihre Intelligenz oder anderes. Vielleicht hat er oder sie diese Kommentare als Witze oder Neckerei getarnt und dennoch haben sich diese Äußerungen im Glaubenssystem eingenistet.
Kultur
Ein zweiter Herkunftsort des inneren Kritikers kann der kulturelle Hintergrund sein. Das ist so ein Thema, von dem ich besser nicht anfangen sollte, da ich kein Ende finde. Doch es muss angesprochen werden. Es ist zu übermächtig, um es zu ignorieren.
Letztendlich profitiert unsere Kultur davon, dass Frauen sich nicht gut genug, schön genug, dünn genug, irgendwas genug fühlen. Große Firmen verdienen damit viel Geld. Es lässt die Wirtschaft brummen. Viele sagen, dass auch manche Religionen Frauen gerne das Gefühl geben, minderwertig und nicht gut zu sein, um sie kleinzuhalten.
Manchmal ist es auch eine Frage der sozialen Herkunft. In meinen frühen Zwanzigern war ich mit einem Mann zusammen, der in einer gutsituierten Stadt in meiner Nähe aufgewachsen war, da, wo die »reichen Kinder« wohnten. Er hatte seinen Abschluss an der University of California in Berkeley gemacht und studierte jetzt auf seinen MBA. Als das Thema Arbeit und Zukunftswünsche aufkam, erwähnte ich meinen Abschluss in Modemarketing. Er lachte und sagte nonchalant: »Ist das überhaupt ein richtiger Abschluss?«
Auf meinen entsetzten Blick hin ruderte er schnell zurück und entschuldigte sich, aber die Message war klar: Ich war nicht gut genug für ihn oder überhaupt. Auch...