Über dieses Buch
»Viele Jahrzehnte lang fanden die Faszien als ›Aschenputtel der Orthopädie‹ so gut wie keine Beachtung – bis jetzt.«
Robert Schleip,
weltweit führender Faszienforscher
Meine Arbeit als Myofascial-Release-Therapeutin
Ich bin als Myofascial-Release-Therapeutin komplementärmedizinisch tätig. Zunächst habe ich eine Ausbildung zur Massagetherapeutin absolviert und dann zur Sportmassagetherapeutin, um mich anschließend über viele Jahre hinweg in weiteren Massagetechniken und der Faszienanatomie weiterzubilden.
In den letzten zehn Jahren habe ich mich in meiner Praxis in London ausschließlich mit Myofascial Release befasst und bin durch die ganze Welt gereist, um diese Technik zu studieren und mich eingehend mit der waschsenden Anzahl wissenschaftlicher Forschungsprojekte, die den Erfolg dieser Methode erklären, zu befassen.
Myofascial Release ist eine sanfte manuelle Behandlungsmethode, mit der sich zuverlässig Ergebnisse bei der Behandlung schwer therapierbarer chronischer Schmerzkrankheiten erzielen lassen, bei denen andere Techniken nicht anschlagen.
Chronische Schmerzpatienten
Der Begriff Myofascial Release bekommt immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Besonders stark macht sich das im Bereich des Sports bemerkbar. Die Leute bekommen mit, dass Elitesportler Myofascial-Release-Techniken im Rahmen ihrer Trainings- und Rehabilitationsprogramme einsetzen.
Auf jeden sportlichen Menschen, der immer noch der Überzeugung anhängt, dass Training weh tun muss, wenn es effektiv sein soll, kommen zehn, wenn nicht gar Hunderte von ganz normalen Leuten, die an verschiedenen chronischen Schmerzkrankheiten leiden und nicht den geringsten Wert darauf legen, sich zusätzliche Schmerzen zuzuziehen. Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um Sportler, sie sind nicht unbedingt superfit, und ihre Schmerzen haben sich nicht entwickelt, weil sie vorsätzlich an ihre körperlichen Grenzen gegangen sind. In der Regel sind ihre chronischen Schmerzen eine Folge einer Kombination folgender Sachverhalte:
- Unfälle und Versetzungen
- Operationen und Narbengewebe
- Bewegungen mit Wiederholungscharakter in Beruf und Freizeit (zum Beispiel bei der Arbeit am Computer oder im Garten)
- Körperhaltung
- Stress
Genau diese Menschen kommen als Patienten in meine Praxis, und ihnen hilft Myofascial Release. Sie alle haben Erfahrungen mit chronischen Schmerzen, sind aber unterschiedlich alt – die Bandbreite reicht von Teenagern, die plötzlich lähmende Kopfschmerzen bekommen bis zu Achtzigjährigen, die nach einem chirurgischen Eingriff nicht mehr richtig gehen können. Unter ihnen sind Büroangestellte, Musiker, Yogalehrer, Ingenieure, Gärtner, Bankmitarbeiter und Vollzeitmütter. Manche treiben regelmäßig Sport oder gehen anderen körperlichen Aktivitäten nach, andere haben so starke Schmerzen, dass sie nichts mehr von dem tun können, was ihnen früher Freude bereitet hat.
Auch im Hinblick auf die medizinische Behandlung haben sie häufig einen langen Leidensweg hinter sich: Sie waren bei ihrem Hausarzt, bei Fachärzten und Spezialisten. Alle Arten von diagnostischen Untersuchungen wurden bei ihnen durchgeführt. Sie haben einen Medikamentencocktail verschrieben bekommen, der die Schmerzen teilweise eindämmt, aber auf der anderen Seite diverse unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringt. Sie haben ein ganzes Bündel an Standardtherapien durchlaufen, von Physiotherapie bis Osteopathie, und haben die Behandlungen häufig als unerträglich schmerzhaft empfunden.
Fast jedem von ihnen wurde an irgendeinem Punkt dieses Ablaufs gesagt, es gebe nichts mehr, das man für ihn tun könne. Manche mussten sich auch anhören, dass ihr Schmerz psychische Ursachen hat und sie sich alles nur einbilden, was nur dazu führt, dass sich zu ihren Schmerzen auch noch Schuldgefühle und Scham gesellen.
Oft erzählen mir Klienten, dass die Verzweiflung sie in meine Praxis treibt, weil sie schon alles andere versucht haben. Diese Aussage überrascht mich weder, noch kränkt sie mich: Darin kommt lediglich ihre bisherige Erfahrung und ihre Frustration zum Ausdruck. Sie haben den Eindruck, dass die Medizin sie aufgegeben hat, sie sind verwirrt und von den Schmerzen erschöpft.
Mein Ansatz
Obwohl viele der Menschen, die ich behandle, mit einer fixen Diagnose zu mir kommen, arbeite ich ganzheitlich und mit engem Bezug zu ihren Symptomen mit ihnen – und nicht auf der Grundlage irgendeines Etiketts, das ihnen angeheftet wurde. Das liegt ganz einfach daran, dass meiner Erfahrung nach eine bestimmte Einzeldiagnose dem, womit der jeweilige Patient konfrontiert ist, meist in keiner Weise gerecht wird.
Zum Beispiel arbeite ich mit vielen Menschen, bei denen Fibromyalgie diagnostiziert wurde. Fibromyalgie ist eine systemische Erkrankung – das bedeutet, dass sie sich auf das gesamte körperlich-seelische System auswirken kann. Die Diagnose folgt einem standardisierten Ansatz, und dennoch habe ich Patienten, die nach einem Fünf-Minuten-Termin bei ihrem Hausarzt mit dem Label Fibromyalgie zu mir kommen, und andere, die diese Diagnose nach einer gründlichen Konsultation durch einen Spezialisten erhalten. Manche von ihnen haben das gesamte Spektrum der Symptome, die mit dieser Krankheit in Verbindung gebracht werden, und sind nicht mehr in der Lage, einer Arbeit nachzugehen oder ein eigenständiges Leben zu führen, während andere an fordernden Jobs festhalten und regelmäßig Langstreckenläufe absolvieren, bei denen sie nur ein gelegentlich auftretender, nagender Schmerz in den Hüften stört.
Selbsthilfe und Selbstermächtigung
Wissen ist Macht – darum spreche ich mit meinen Patienten sehr eingehend über ihre Schmerzen und biete ihnen Erklärungen aus einer Perspektive an, die die Faszien miteinbezieht. Oft melden sie mir zurück, wie viel Sinn diese Erläuterungen für sie ergeben und dass allein schon dieses neue Wissen über ihren Körper und seine Zusammenhänge dazu beiträgt, ihre Ängste und Schmerzen zu lindern.
Wenn sie es wollen (und manchmal auch, wenn sie es nicht wollen), gebe ich meinen Patienten Empfehlungen für ein einfaches tägliches Selbsthilfeprogramm aus Faszientechniken und -übungen, um ihnen zu helfen, die Kontrolle über ihren Körper zurückzugewinnen und ihren Genesungsprozess zu beschleunigen.
Ich persönlich habe großen Nutzen aus den vielen Hunderten Patientengesprächen gezogen, die ich über die Jahre führen durfte. Der Austausch hat mir geholfen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Informationen ihnen weiterhelfen und welche Selbsthilfetechniken sie am wirkungsvollsten finden. Vieles davon lege ich in diesem Buch dar, in der Hoffnung, dass auch viele andere Menschen von diesem Wissen profitieren.
An wen sich dieses Buch richtet
Ich habe dieses Buch für alle Menschen geschrieben, die an chronischen Schmerzerkrankungen leiden und denen gesagt wurde, dass es für sie keine Heilung gibt. Außerdem wendet es sich an deren Familien, Partner, Kinder, Eltern, Freunde, Arbeitgeber und jeden, der Interesse an der myofaszialen Sichtweise auf die Ursachen chronischer Schmerzen hat und effektive Möglichkeiten der Selbsthilfe kennenlernen will – sei es aus eigener Betroffenheit, oder um Angehörige zu unterstützen.
Kapitel 1: Was chronische Schmerzen für Betroffene bedeuten
In Kapitel 1 richten wir den Blick auf die Verbreitung von chronischen Schmerzen und ihre Ursachen. Ich skizziere, was alle Betroffenen meiner Erfahrung nach gemeinsam haben, und schildere die Auswirkungen auf ihr Leben.
Kapitel 2: Der Brückenschlag zwischen Schulmedizin und ganzheitlichem Ansatz
In Kapitel 2 erkläre ich die schulmedizinische Auffassung von chronischen Schmerzen, diskutiere kurz die Grenzen dieses Ansatzes und stelle ihm die ganzheitliche Betrachtungsweise gegenüber.
Kapitel 3: Die ganzheitliche Perspektive im Aufwind
In Kapitel 3 erkunde ich die Möglichkeiten eines holistischen (ganzheitlichen) Ansatzes und gehe näher auf die ihm zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ein.
Kapitel 4: Was sind Faszien?
In Kapitel 4 betreten wir die faszinierende Welt der Faszien. Wir befassen uns mit der Anatomie der Faszien und ihrer Funktionsweise im Körper.
Kapitel 5: Geschädigte Faszien
In Kapitel 5 geht es darum, wie Faszienschädigungen entstehen und wie diese sich auf die Faszien und alle Körperfunktionen auswirken.
Kapitel 6: Wie chronische Schmerzen entstehen
In Kapitel 6 wenden wir uns den Körpervorgängen bei Schmerzen zu. Wir befassen uns mit »normalen« Schmerzen und wie diese chronisch werden können unter Einbeziehung des Zusammenhangs zwischen Faszien und chronischen Schmerzen.
Kapitel 7: Was ist Myofascial Release?
In Kapitel 7 stelle ich Ihnen die manuelle Therapietechnik Myofascial Release vor...