Einführung
Chemie kann man anscheinend nur lieben oder hassen. Dieses Buch soll dazu beitragen, Ihr Interesse an diesem Fach zu wecken oder zu vertiefen. Wahrscheinlich ist Ihnen ja bereits klar, dass eigentlich alles Chemie ist und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Stellen Sie sich ein Leben ohne Chemie vor: Staubsauger, Acrylbadewannen, atmungsaktive Outdoor-Kleidung, Schrauben, Anstreichfarben, Kabelisolierungen, Tapetenkleister, Klebstoffe, Waschmittel, Kosmetika, Arzneimittel, DVDs, Kerosin für Ihre Urlaubsflüge, Silvesterraketen, Vanillepudding … das alles gäbe es nicht. (Selbst damit zwei Menschen miteinander auskommen können, muss die Chemie stimmen. Das ist seit geraumer Zeit nicht bloß eine Redensart, sondern durch Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Neurochemie belegt.)
Wenn da nur nicht dieses Komplizierte, Schwierige wäre, das bei vielen allein bei der Vorstellung der Chemie als Schreckensfach Nummer 1 aus der Schule einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Chemie – ach, du meine Güte! Das kann doch gar keiner verstehen!
Doch. Das geht. Und eigentlich ist es auch gar nicht so schwer. Durch ein paar Dinge dürfen Sie sich einfach nicht irritieren lassen:
- In der Chemie gibt es eine Vielzahl verschiedener Modelle. Manche dieser Modelle scheinen einander auf den ersten Blick zu widersprechen; Sie müssen also einen Blick dafür entwickeln, wann denn nun welches Modell sinnvoll ist (und wann eben nicht).
- Auf den ersten Blick mögen die immer wieder verwendeten Formeln gänzlich unverständlich oder zumindest unübersichtlich erscheinen. Keine Panik! Wenn Sie erst einmal verstanden haben, wie das Ganze funktioniert (und das ist einfacher, als Sie vermutlich denken!), erkennen Sie bislang ungeahnte Zusammenhänge – und zwar nicht erst irgendwann kurz vor Ende der Studienzeit, sondern schon im ersten Semester.
- Viele lassen sich dadurch abschrecken, dass die Naturwissenschaften nun einmal nicht ohne Mathematik (oder zumindest ohne Rechnen) auskommen. Nun mag zwar manche mathematische Formel auf den ersten Blick wirklich etwas verwirrend aussehen, aber dazu seien gleich zwei Dinge erwähnt: Zum einen haben wir uns bemüht, die für das Verständnis der Chemie erforderliche Mathematik auf das absolute Mindestmaß zu beschränken (und die allerallerwichtigsten Grundlagen finden Sie in Kapitel 6 noch einmal zusammengefasst); zum anderen arbeiten Sie selbst doch den ganzen Tag über ständig mit Mathematik, ohne sich dessen bewusst zu sein: Wenn Sie mit dem Auto zwanzig Minuten lang mit einer Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometern fahren, welche Strecke haben Sie in dieser Zeit dann zurückgelegt? – So, wenn Sie das hinbekommen haben, dann wissen Sie schon einmal, dass Sie den »Dreisatz« beherrschen – und der ist, wenn in der Chemie gerechnet werden soll, das Wichtigste von allem. (Warum haben bloß so viele Menschen keinerlei Schwierigkeiten, in km/h zu denken, steigen aber bei g/mL sofort aus? Wo ist der Unterschied?)
- Jegliche (Natur-)Wissenschaft speist sich (fast ausschließlich) aus Neugier. Sicher, Faktenwissen kann dabei helfen, größere Zusammenhänge deutlich früher zu erkennen, aber hinter allem sollte immer Die Eine Große Frage des Lebens stehen: »Warum?«
Ziel dieses Buches ist es, Neugier zu wecken, Fragen aufzuwerfen und zu beantworten (und zu zeigen, dass die Antworten oft wieder zu neuen Fragen führen, auf die vielleicht auch heute noch nicht unbedingt eine Antwort gefunden wurde: Die Naturwissenschaften sind noch nicht »fertig«). Sehr schön auf den Punkt gebracht hat das der französische Mathematiker Henri POINCARÉ:
»Der Wissenschaftler beschäftigt sich nicht mit der Natur, weil sie nützlich ist; er beschäftigt sich mit ihr, weil sie ihm Spaß macht, und sie macht ihm Spaß, weil sie schön ist. Wäre die Natur nicht schön, wäre es wertlos, sie zu kennen, und wäre es wertlos, die Natur zu kennen, wäre das Leben nicht lebenswert.«
In der Chemie werden zahlreiche Disziplinen unterschieden: Allgemeine Chemie, Anorganische Chemie (die »AC«), Organische Chemie (die »OC«), Physikalische Chemie, Technische Chemie oder Biochemie. Diese Einteilung in separate Teilgebiete hat sicherlich auch ihre Berechtigung: Sie finden sie in den Curricula der Studiengänge oder wenn Sie bei einschlägigen Online-Portalen ein gebrauchtes Buch suchen – aber auch im Konzept der meisten Lehrbücher. Leider jedoch führt das häufig dazu, dass Studierende überhaupt nicht auf die Idee kommen, das in den verschiedenen Teildisziplinen Gelernte miteinander zu verknüpfen. So gibt es beispielsweise einige Aspekte aus dem Teilgebiet der Organischen Chemie (etwa die Farbigkeit konjugierter Systeme), die sich nur dann erklären lassen, wenn dazu auf Modellvorstellungen zurückgegriffen wird, die meist in Lehrveranstaltungen der Allgemeinen oder Anorganischen Chemie behandelt werden. Wird das dann im Rahmen einer OC-Vorlesung wieder aufgegriffen, führt das nur allzu leicht zu erstauntem Kopfschütteln: »Darf man das denn? Das ist doch AC!«
Die strikte Unterteilung in übermäßig streng voneinander getrennte Fachgebiete kann also durchaus den Blick auf »das große Ganze« verstellen; in jeder Wissenschaft ist es möglich, sich im Fachdschungel zu verlieren. Deswegen wurde für dieses Buch ein etwas anderer Ansatz gewählt: Hier geht es vor allem darum, die verschiedenen Prinzipien der Chemie anschaulich zu beschreiben, und dann Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Aspekten herzustellen. Deswegen werden Sie immer wieder Hinweise oder Querverweise finden, die Ihnen genau diese Zusammenhänge aufzeigen sollen. Ausufernde Tabellen oder dergleichen werden Sie in diesem Buch hingegen vergeblich suchen. Gerade weil die Chemie nicht nur ein optisch ansprechendes (weil experimentelles) Gebiet ist, sondern auf zahlreichen abstrakten, teilweise zugegebenermaßen nicht ganz unkomplizierten Modellvorstellungen basiert, geht es hier eben nicht um aufgereihtes Faktenwissen, sondern vor allem um die Erkenntnis, dass die Welt – und auch die Chemie – mehr ist als die Summe ihrer Teildisziplinen. Noch einmal POINCARÉ:
»Wissenschaft besteht aus Fakten wie ein Haus aus Backsteinen, aber eine Anhäufung von Fakten ist genauso wenig Wissenschaft, wie ein Stapel Backsteine ein Haus ist.«
Sollten Sie auf der Suche nach einer Art »Enzyklopädie der Chemie« sein, halten Sie gerade das falsche Buch in der Hand. (Dann steht zu hoffen, dass Sie zu den Menschen gehören, die in einem Buchladen ihrer Wahl erst einmal das Vorwort von Büchern lesen, bevor sie sich zum Kauf entscheiden.) In diesem Buch geht es nicht um eine nackte Faktensammlung: Es geht um Verständnis.
Törichte Annahmen über den Leser
Es gibt verschiedene gute Gründe, warum Sie dieses Buch zur Hand nehmen:
- Sie wollen (oder müssen) sich mit der Chemie auseinandersetzen, haben aber keine Lust, den Stoff innerhalb kürzester Zeit mit ganz viel Auswendiglernerei nur in sich hineinzustopfen (um ihn dann, unmittelbar nach Bestehen der zugehörigen Prüfung unwiederbringlich wieder zu vergessen), sondern wollen tatsächlich etwas verstehen.
- Sie suchen den sprichwörtlichen roten Faden, der Ihnen zeigt, wie die einzelnen Teilbereiche der Chemie (oder sogar der Naturwissenschaften an sich) miteinander zusammenhängen, statt nur Faktenwissen pauken zu wollen.
- Eigentlich wollten Sie aus reiner Neugier schon immer wissen, was es mit der Chemie so auf sich hat, aber das fachsprachliche Kauderwelsch (eine bunte Mischung aus Latein, Griechisch und sprachlichen Neuschöpfungen) hat Sie davon abgehalten. Deswegen suchen Sie ein Buch zu diesem Thema, das Sie tatsächlich einfach lesen können. Wie einen Roman. Von vorne bis hinten.
- Es stört Sie, wie heutzutage im Alltag mit den Naturwissenschaften umgegangen wird: Das Thema wird nicht nur aus der sogenannten Allgemeinbildung völlig ausgeklammert, nein: Manche brüsten sich sogar damit, davon nichts zu verstehen: »Chemie? Das war für mich schon in der Schule immer ein Buch mit sieben Siegeln!« (Wobei das hin und wieder auch am Lehrer gelegen haben mag …) Allgemein wird der Eindruck erweckt, zum Naturwissenschaftler müsse man geboren sein (und schon als Kleinkind am liebsten Mehrfachintegrale gelöst haben), denn »ein ganz normaler Mensch kann so etwas doch gar nicht verstehen!« Dieser zur Schau getragenen Ignoranz wollen Sie etwas entgegensetzen. Einfach so.
Zu diesem Buch
Chemie für Dummies. Das Lehrbuch ist für Leser geschrieben, die sich einigermaßen umfangreiche Grundkenntnisse der Chemie aneignen wollen, sollen oder müssen. Der Grund kann reines Interesse sein oder aber auch die Notwendigkeit, die ersten Semester eines Chemiestudiums (oder eines Studiums mit Nebenfach Chemie) erfolgreich zu bewältigen. Es ist als Lehrbuch gedacht und konzipiert, in dem alle grundlegenden Prinzipien der Chemie nachvollziehbar dargestellt sind. Obwohl sich in Hochschul-Bibliotheken...