#willkommen
Im vergangenen Jahr erhielt ich einen dieser Anrufe, vor denen wir uns alle fürchten.
Mein Mentor Hal war bei einem tragischen Motorradunfall ums Leben gekommen. Er war erst siebenundvierzig. Ich kämpfte mit den Tränen und bekam deshalb nicht viel von dem mit, was mir am Telefon gesagt wurde. Alles um mich verstummte, und das Leben lief plötzlich wie in Zeitlupe ab. Als ich auflegte, klangen mir nur noch die Worte im Ohr: „Steve, es tut mir so unendlich leid.“
Was tut man, wenn man einen Menschen verliert, der im eigenen Leben eine wichtige Rolle gespielt hat und schlichtweg unersetzlich ist? Ich konnte mir keine Welt vorstellen, in der es Hal nicht mehr gab – und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wie sich zeigte, ging es vielen anderen ebenso. Mehr als fünfzehnhundert Menschen aus aller Welt kamen zu Hals Beerdigung, um ihm das letzte Geleit zu geben. Während die Menschen in die Halle strömten, spielte die Band ein Medley mit Hals Lieblingssongs. Dann eröffnete sein bester Freund aus Kindertagen den Trauergottesdienst mit den Worten: „Willkommen. Willkommen hier und heute. Willkommen – dieses Wort bringt Hals Leben sehr gut auf den Punkt. #willkommen – das wäre ein wirklich geeigneter Hashtag dafür. Jeder Einzelne von euch ist heute hier, weil Hal euch in seinem Leben willkommen geheißen und in die Arme geschlossen hat. So war er eben.“
Während ich den zahllosen Beiträgen lauschte, in denen Menschen ihre Erinnerungen an Hal teilten oder beteten, wurde mir erst richtig bewusst, dass Hals Wirkungskreis riesig gewesen war. Als ich meinen Blick durch den überfüllten Raum schweifen ließ, merkte ich, wie unterschiedlich die Menschen waren, die hierhergeflogen oder -gefahren waren, um an diesem Gottesdienst teilzunehmen. Hier saßen Konservative neben Liberalen, Atheisten und Agnostiker, Evangelikale und Mennoniten, Heterosexuelle und Homosexuelle, Kirchenmitglieder und Kirchenferne. Der Imam der muslimischen Gemeinde vor Ort gestaltete den Gottesdienst ebenfalls mit. Er brachte seine Trauer und seinen Dank für einen Menschen zum Ausdruck, der sich unermüdlich dafür eingesetzt hatte, dass die unterschiedlichen Menschen und Religionen in seiner Stadt einträchtig zusammenleben konnten.
Hals Erfolgsrezept? An seinem Tisch war jeder willkommen.
Viele Jahre lang hatte Hal mit den Menschen gelebt, hatte mit ihnen gegessen, Kaffee getrunken, Konzerte und Sportveranstaltungen besucht und humanitäre Projekte ins Leben gerufen. Dabei hatte er erkannt: Überall ist heiliger Boden, und jeder Augenblick bietet Gott die Möglichkeit, die Menschen zu erreichen. Alle Menschen.
Hal war die Verkörperung dessen, was es heißt, ein einladendes Leben zu führen. Sein Leben fußte auf dem Bewusstsein, wie sehr Gott ihn und jeden Einzelnen liebt. Wenn er irgendwo auftauchte, konnte man sofort sehen, was Gott in seinem Leben tat. Er begegnete Menschen auf eine Weise, dass sie sich einfach mit ihm anfreunden wollten. Ihm war das wichtig, was auch Gott wichtig ist. Er wagte es, andere einzuladen, Jesus kennenzulernen.
Als ich im Anschluss an die Trauerfeier nach Chicago zurückflog, fragte ich mich, was für eine bunt gemischte Menge von Menschen wohl bei meiner eigenen Beerdigung zusammenkommen wird. Werden die Menschen, deren Leben ich irgendwie positiv beeinflusst habe, eine homogene Gruppe aus Personen sein, die so denken, so wählen und sich so anziehen wie ich? Menschen, die dasselbe glauben wie ich? Oder wird mein Leben für etwas stehen, das mehr der Lebensweise von Jesus und seinen Jüngern entspricht?
Und wie sieht es bei Ihnen aus? Wie offen ist Ihr Leben für Menschen, die völlig anders sind als Sie? Wer ist an Ihrem Tisch willkommen?
Sehnsucht nach Zugehörigkeit
Heute leben fast 7,7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten.1 Millionen, wenn nicht sogar Milliarden davon sind einsam und sehnen sich danach, irgendwo dazuzugehören. Sie hungern danach, auf bedeutungsvolle Weise mit anderen verbunden zu sein. Sie wollen lieben und geliebt werden, und sie wollen einen Sinn für ihr Leben. Sie sehnen sich nach einer Einladung zu etwas Wesentlichem, an dem sie beteiligt sein können. Sie werden Mitglied in Klubs, Gangs, Sekten, Religionen oder Initiativen jeder Art, nur, um irgendwo akzeptiert und angenommen zu sein.
Mein Freund Joe hatte einen schwierigen Start ins Leben. Vom alkoholbedingten Tod seines Vaters, als Joe zwei war, über den Tod eines Cousins an einer Überdosis Heroin bis zum tragischen Mord an seiner Freundin – die Menschen, die Joe am nächsten standen, wurden ihm genommen. Joe reagierte auf seine Weise auf den Schmerz des Verlassenwerdens: Er tat alles, um sich einen Platz in einer Gemeinschaft zu sichern, die ihn nie im Stich lassen würde. Mit der Zeit setzte sich ein abgrundtiefer Zorn in ihm fest und bestimmte mehr und mehr sein Verhalten. Joe hatte mittlerweile keinen festen Wohnsitz mehr und war Teil einer Chicagoer Straßengang. Er hatte sich die Haare abrasiert und auf die Fingerknöchel die Worte Liebe und Hass tätowiert. Und er hatte auch keine Skrupel, andere zu verletzen, was ihn eines Abends vor das Hauptquartier einer verfeindeten Gang führte. Als Joe und andere Mitglieder seiner Gang vorfuhren, fielen plötzlich Schüsse aus dem Haus. Joes Leute erwiderten das Feuer und rannten dann um ihr Leben. Während er lief, spürte Joe eine Hand auf seiner Schulter. Im nächsten Moment hatte er den Angreifer auch schon zu Boden geworfen und prügelte mit der Pistole auf ihn ein. Panisch, übernervös und völlig außer sich vor Zorn traktierte er sein Opfer, bis er erkannte, dass der „Angreifer“ die Freundin seines besten Freundes war.
Joe wurde wegen versuchten Mordes und unerlaubten Schusswaffengebrauchs zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Dort begann er, darüber nachzudenken, was ihn wirklich in diese acht Quadratmeter große Zelle gebracht hatte. Die Antwort war einfach: ein tiefes Verlangen danach, irgendwo dazuzugehören, eine Sehnsucht danach, dass ihn jemand wirklich durch und durch kannte, und ein Hunger nach einem Sinn im Leben. Nach seiner Entlassung lud ein Freund Joe in die Willow Creek-Gemeinde ein. Joe hatte nichts mit Gott am Hut, aber er ging trotzdem mit. In diesen anderthalb Stunden am Sonntagmorgen fand er, wonach er sein Leben lang gesucht hatte: Gnade, Frieden, Liebe, Sinn und Zugehörigkeit.
Ich glaube, wir Christen wünschen uns alle, ein Leben zu führen, das etwas für das Reich Gottes bewegt. Wir möchten ein riskantes, mutiges Leben führen und auch bereit sein, uns auf jede Sprache, Gruppe und Nation einzulassen. Wir wünschen uns, ein Leben zu führen, das anderen vermittelt: „An meinem Tisch sind alle willkommen.“ Aber oft hält uns irgendetwas davon ab, auch tatsächlich so zu leben, dass unser Glaube an Christus ganz praktisch wird. Irgendetwas hält uns davon ab, etwas Entscheidendes im Reich Gottes zu bewirken. Ich denke, manchmal übersehen wir einfach, wie groß das Geschenk unserer eigenen Erlösung ist. Wir vergessen, wie sehr jeder Einzelne Gott am Herzen liegt. Manchmal machen wir uns Sorgen darüber, was die Leute wohl sagen werden. Wir fürchten die Ablehnung der anderen. Wir wollen keiner dieser „langweiligen, engstirnigen Christen“ sein, um die jeder einen Bogen macht. Wir machen uns so sehr Gedanken um unser eigenes soziales Überleben, dass wir die verlorenen und einsamen Menschen in unserem nächsten Umfeld übersehen. Was wäre aber, wenn wir alle mehr wie Hal wären?
Unruhestifter
Es war mein erster Tag am Grand Rapids Community College in Michigan. Ich schlenderte allein über den Campus; zu diesem Zeitpunkt kannte ich noch keine Menschenseele. Von irgendwoher drang gedämpft eine Megafonstimme herüber. Ich ging in diese Richtung und traf auf einen Typen mit einem riesigen Schild, von dem mich die Worte „Du wirst in der Hölle landen!“ regelrecht ansprangen. Ich blieb wie angewurzelt stehen und war völlig perplex darüber, mit welcher Leidenschaft und mit welchem Zorn dieser Typ den vorbeikommenden Studenten die Botschaft entgegenbrüllte, dass sie wegen ihrer Sünden unweigerlich an diesem heißen Ort landen würden.
Eine junge Frau brach in Tränen aus, als er sie direkt ansprach und darüber schwadronierte, wie sündig und verdorben sie sei. Ich studierte damals Filmwissenschaft und hatte keinerlei Ambitionen, Pastor, Prediger oder irgendeine andere Art von Geistlichem zu werden. Aber in diesem Moment war es, als würde ein Schalter umgelegt. Ich rastete aus.
Ich stürmte auf den Typen zu, riss ihm Schild und Megafon aus den Händen und rannte weg. Das Schild warf ich gleich auf den Gehsteig, dann sprang ich auf eine Parkbank in der Nähe und sprach selbst in das Megafon. Ich hatte weder Plan noch Konzept für eine Predigt, aber ich glühte nur so vor heiliger Empörung und jeder Menge Adrenalin. Ich wandte mich an das Mädchen und fing an, von Gottes Liebe zu reden. „Gott liebt dich! Du bist gut! Du kannst frei und heil werden und in seinen Augen ganz in Ordnung sein!“ Plötzlich kamen drei Polizeiwagen mit schrillendem Martinshorn vorgefahren. Bevor ich von der Bank springen konnte, hatten mich schon zwei stämmige Polizisten heruntergezerrt und mir verkündet, ich sei verhaftet – wegen Unruhestiftung.
Und ich hoffe, dass ich noch heute ein Unruhestifter bin! Wirklich. Denn das ist wahrscheinlich die höchste Auszeichnung, die ich je bekommen habe.
Warum hat mich diese Szene nur so bewegt? Als ich sah, wie dieser Typ andere im Namen Gottes erniedrigte und beschämte, hatte ich...