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Ein Jahr im Mittelalter

Essen und Feiern, Reisen und Kämpfen, Herrschen und Strafen, Glauben und Lieben

AutorTillmann Bendikowski
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783641180195
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Eine faszinierende, reich bebilderte Alltagsgeschichte des Mittelalters
Die Popularität des Mittelalters ist seit vielen Jahren ungebrochen. Es sind die konkreten Dinge des Lebens, die besonders faszinieren: Wie lebten und starben die Menschen? Wie feierten sie, wie zogen sie sich an und was aßen sie? Was taten sie bei Krankheit, wie schützten sie sich vor Hitze und Kälte? Woran glaubten sie, wovor hatten sie Angst, was machte ihnen Mut? Der Autor beschreibt anschaulich und mithilfe zahlreicher farbiger Abbildungen den thematisch in zwölf (Monats-)Kapitel gegliederten Jahreslauf und ermöglicht dem Leser ein unmittelbares Eintauchen in die fremde Welt vor 1000 Jahren.

Dr. Tillmann Bendikowski, geb. 1965, ist Journalist und promovierter Historiker. Als Gründer und Leiter der Medienagentur Geschichte in Hamburg schreibt er Beiträge für Printmedien und Hörfunk und betreut die wissenschaftliche Realisierung von Forschungsprojekten und historischen Ausstellungen. Seit 2020 ist er als Kommentator im NDR Fernsehen zu sehen, wo er in der Reihe »DAS! historisch« Geschichte zum Sprechen bringt, und zudem regelmäßiger Gesprächspartner bei Spiegel TV. Bei C.Bertelsmann erschienen »Ein Jahr im Mittelalter« (2019), »1870/71: Der Mythos von der deutschen Einheit« (2020), der Bestseller »Hitlerwetter. Das ganz normale Leben in der Diktatur: Die Deutschen und das Dritte Reich 1938/39« (2022) und zuletzt »Himmel Hilf. Warum wir Halt in übernatürlichen Kräften suchen: Aberglaube und magisches Denken vom Mittelalter bis heute« (2023).

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Leseprobe

23. Juli 1164


Die Heiligen Drei Könige kommen

Heute ist kein Tag wie jeder andere: In Köln strömen die Menschen zusammen, niemand kann sie zählen, vermutlich sind es Tausende. Es geht laut zu in den engen Gassen der Stadt, es wird gedrängelt, geflucht und gelacht. Priester und Mönche stimmen fromme Gesänge an, Händler bieten ihre Waren feil, Kinder toben umher, quiekend springen die Schweine zur Seite, die wie immer zwischen den Häusern herumlaufen, Bettler flehen um eine milde Gabe. Es ist laut, und heiß ist es obendrein – ein Hochsommertag am Rhein. Aber es ist eben ein besonderer Tag.

Heute erlebt Köln das größte Spektakel seit Langem, und dafür gibt es einen gewichtigen Grund: In wenigen Stunden werden die Gebeine der Heiligen Drei Könige hier eintreffen. Das hat kein Geringerer als der Erzbischof Rainald von Dassel seinen Untertanen vor sechs Wochen in einem Brief offiziell angekündigt. Der mächtige Kaiser Friedrich Barbarossa, so lässt der Kirchenfürst mitteilen, habe ihm diesen wertvollen Schatz des Christentums geschenkt, damit er ihn seinen Kölnern zeige und fortan in der Stadt bewahre, zum Lobe des Herrn und selbstverständlich zur Mehrung der eigenen Ehre. Denn auf die – und auf seine Macht – legt der Kölner Erzbischof größten Wert. Aber das schreibt er den Kölner Bürgern nicht – abgesehen davon, dass die das ohnehin wissen.

Er selbst, so hat Rainald von Dassel seinem Schreiber diktiert, halte sich derzeit noch in der oberitalienischen Stadt Vercelli in der Nähe von Mailand auf, werde sich aber bald schon mit dem Schatz auf den Weg in die Heimat machen. Und um die Erwartungshaltung zu Hause noch zu steigern, fügt er hinzu, dass der Schatz in seinem Reisegepäck wertvoller sei als alles Gold und alle Edelsteine dieser Welt. Er werde die Kirche und die ganze Bürgerschaft Kölns reich machen und auf ewig zieren. Ein großes Versprechen, das die Kölner gern hören. Dass der Erzbischof deshalb am Tag seiner Rückkehr um einen prunkvollen Empfang am Rhein bittet, braucht er nicht ausdrücklich zu erwähnen. Das versteht sich von selbst: Köln ist die größte aller deutschen Städte, ihr Erzbischof als ihr weltlicher und kirchlicher Herrscher der engste Berater des Kaisers und damit einer der mächtigsten Männer des Reiches.

Worauf die Kölner sich an diesem Tag freuen dürfen, ist im Grunde genommen allerdings mehr oder weniger eine Kriegsbeute. Aber das erwähnt der Erzbischof in seinem Schreiben nicht; womöglich ist es allen Beteiligten auch egal, woher dieser Schatz nun letztlich stammt. Hauptsache, er kommt nach Köln. Und der Kirchenfürst selbst (das mag in der Natur seines Amtes liegen) hat ja auch ein gutes Gewissen: Im wahrsten Sinne des Wortes fürstliche Belohnungen nach einem siegreichen Feldzug sind im 12. Jahrhundert wie im gesamten Mittelalter etwas völlig Selbstverständliches. Wer sich erfolgreich an einem Kampf beteiligt, wer seinem Lehnsherrn tapfer Waffendienst leistet, erweist sich als treuer Vasall und bekommt auch etwas von der Beute ab. Das ist nur recht und billig. In diesem Fall verteilt kein Geringerer als Kaiser Friedrich Barbarossa die Gaben. Und ein solches Geschenk darf man selbstverständlich nicht zurückweisen!

Die Gebeine der Heiligen Drei Könige treffen 1164 in Köln ein – so stellte man sich im 18. Jahrhundert das große Spektakel vor. Kupferstich von J. B. Bergmüller.

© Johann Baptist Bergmüller, Übertragung der Heiligen Drei Könige in den Dom, 1746/1755. Köln, Stadtmuseum. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln/Wolfgang F. Meier

Kaiser Friedrich hatte auf seinem jüngsten Italienfeldzug schon seit geraumer Zeit die Stadt Mailand belagert, die sich zu seinem großen Ärger seinen politischen Widersachern angeschlossen hatte. Wieder einmal musste der Monarch seine Truppen sammeln, um seine Autorität im Reich zu wahren. Als das kaiserliche Heer schließlich die Stadt erobert hat, gibt Barbarossa den Befehl, Mailand teilweise zu zerstören und zu plündern. Auch das ist zu dieser Zeit zwar kein unbedingt notwendiges, aber ein durchaus übliches Verfahren. Wer auf der Seite des Siegers steht, erhält jetzt seinen Anteil an der Beute. So eben auch Rainald von Dassel, der als Kanzler des Kaisers den Monarchen nicht nur auf diesem Feldzug durch Italien begleitet, sondern auch politisch und diplomatisch die Fäden zieht. Der Kölner erhält jetzt unter anderem große Ländereien nordwestlich von Mailand sowie die Reliquien verschiedener Heiliger, die zuvor in den Kirchen der geplünderten lombardischen Stadt verehrt wurden und nun großzügig verteilt werden.

Zu diesen Reliquien gehören auch die Gebeine der drei »Magier«, jener Sterndeuter, die im Matthäus-Evangelium erwähnt wurden: Sie seien einst dem Stern bis zur Krippe nach Bethlehem gefolgt und hätten dort dem neugeborenen Jesus Gold, Weihrauch und Myrrhe dargebracht. Als »Heilige Drei Könige« sind sie bekannt, als Caspar, Melchior und Balthasar. Aber noch gibt es hierzulande keinen Kult der Verehrung, noch sind ihre Gebeine sozusagen Reliquien neben anderen, durchaus etwas Besonderes und fraglos ein Schmuck für die Stadt Köln, aber viel mehr zunächst wohl nicht. Doch Erzbischof Rainald von Dassel ist ein kluger und weitsichtiger Mann, er scheint schon ziemlich genau um die hohe religiöse und symbolische Bedeutung dieser sterblichen Überreste zu wissen. Sein Köln, ohnehin eine der mächtigsten Städte in Europa, plant er mithilfe der Drei Könige noch einflussreicher zu machen. Pilger, das weiß der Fürst nur zu gut, bringen nicht nur Gebete und fromme Gedanken in seine Stadt, sondern auch Geld!

Die Menschen am Rhein müssen sich im Juli 1164 allerdings ein wenig gedulden, denn noch sind der Erzbischof und die Gebeine der »Magier« im fernen Norditalien, über eintausend Kilometer weit weg. Um eine solche Strecke zurückzulegen, benötigt ein geübter Reiter mit einem Pferd schon über drei Wochen – ohne Ruhetage und auf ebener Strecke! Von Italien kommend gilt es zudem noch die Alpen zu überqueren, ein beschwerliches, wenngleich im Sommer vergleichsweise gut zu bewältigendes Unterfangen. Die Rückkehr an den Rhein verzögert sich noch zusätzlich, weil der Erzbischof die Reise auch zu politischen Zwecken nutzen will und deshalb nicht den direkten Weg nehmen wird. So macht er noch einen Abstecher in die französische Stadt Vienne bei Lyon, wo er die burgundischen Bischöfe auf die Unterstützung des Kaisers Barbarossa einschwören will.

Aber wird alles gut gehen? Der Erzbischof muss sich in Acht nehmen, wenn er Köln überhaupt lebend erreichen will. Dabei geht die Gefahr weniger von den üblicherweise umherstreunenden Räuberbanden aus, denn die werden den gut bewaffneten Tross eines solchen Kirchenfürsten wohl eher meiden. Vielmehr hat der Erzbischof sich schon lange politische Feinde gemacht. Er ist bei allem Respekt nun einmal ein machtbewusster grober Klotz, auf den nach Ansicht seiner Gegner eben auch ein grober Keil gehört. Warum den Mann nicht einfach entführen oder gar beseitigen? So etwas geschieht entlang der großen Fernstraßen Europas immer wieder mal …

Feinde hat sich Erzbischof Rainald als Vertrauter des Kaisers auch dadurch gemacht, dass mit seiner Unterstützung ein Gegenpapst gewählt wurde. Es gibt also derzeit zwei Päpste, was die Kirche in eine tiefgreifende Krise stürzt und nicht nur innerkirchlich zu heftigen Reaktionen führt. Die beiden Päpste und ihre jeweiligen Anhänger bekämpfen sich keineswegs nur theologisch, sondern recht handfest auch mit Waffen. In Rom wird der Kölner Erzbischof von seinen Gegnern auch schon mal wenig schmeichelhaft als »Homo perversus« bezeichnet.1 Und einer der beiden Päpste, Alexander III., fordert in diesem Sommer 1164 den Erzbischof von Reims auf, seinem Widersacher vom Rhein bei der Heimkehr nach Köln den Weg abzuschneiden und ihn gefangen zu nehmen.

Rainald von Dassel ist deshalb auf der Hut und schlägt sich samt Gefolge und Knochen der Heiligen Könige unbeschadet Richtung Heimat durch. Durch Burgund zieht er weiter bis an den Rhein, auf dem die Reise stromabwärts bis nach Köln geht. Insgesamt legt er in genau sechs Wochen durchschnittlich 33 Kilometer pro Tag zurück. Da er allerdings an Versammlungen wie in Vienne teilnimmt und auch einige Tage Pause macht, ist das tägliche Pensum im Durchschnitt wohl noch höher; über die Alpenpässe geht es langsamer, auf dem Rhein sehr viel schneller voran.2 Doch für das 12. Jahrhundert ist diese Reisegeschwindigkeit eine enorme Leistung. Ohne Frage: Hier hat es jemand eilig, nach Hause zu kommen. Wobei dieser Begriff vielleicht etwas an der Wirklichkeit vorbeigeht: Rainald von Dassel verbringt nur wenig Zeit in seinem Erzbistum, die Reichspolitik treibt ihn immer wieder in die Welt hinaus, vor allem zu Friedrich Barbarossa und nach Italien. Dort, fernab von Köln, sollte er auch drei Jahre später im Jahr 1167 sterben.

Die Menschen in Köln warten jedenfalls gespannt darauf, dass die Reliquien – und ihr selten gesehener Erzbischof – endlich in der Stadt eintreffen. Manche von denen, die sich an diesem 23. Juli 1164 versammelt haben, wollen vielleicht nur das Spektakel miterleben, wenn der Kirchenfürst mit seinem üppigen Gefolge den Einzug in die Stadt zelebriert. Da darf man in der Tat ein großes Schauspiel erwarten. Andere wiederum wissen vielleicht gar nicht, welcher religiöse Schatz da aus Oberitalien heranzieht, lassen sich aber von den Gerüchten in Bann schlagen, die auf den Straßen kursieren. Denn erzählt wird dort viel. Und die Geschichten...

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