2.1 Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in den Köpfen
Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen wir ein grundlegendes Umdenken der Manager in den angesprochenen Punkten erreichen. Reinhard Sprenger fordert eine »kopernikanische Wende« im Denken der Führungsriege.1
2.1.1 Wir brauchen ein neues Bild vom Mitarbeiter
Aus der verbalen Huldigung der Mitarbeiter muss echte Überzeugung werden, dass ein Unternehmen in dem Wettbewerbsumfeld nur bestehen kann, wenn es die Potenziale der Mitarbeiter entwickelt und Manager ihnen die Freiräume geben, diese für das Unternehmen einzusetzen. Das setzt ein tiefergehendes, verändertes Bild vom Mitarbeiter voraus (Tab. 2.1).
Altes Bild vom Mitarbeiter | Neues Bild |
Funktionsträger | Potenzialträger/Persönlichkeit |
Interesse am Mitarbeiter in seiner Funktion | Neugier- auf die Person/individuelle Persönlichkeit
- Potenzial/zusätzliche Fähigkeiten
|
Grundeinstellung, dass der Mitarbeiter- sich nicht von allein voll einbringt
- nicht kompetent ist
- zum Erfolg motiviert werden muss
- kontrolliert werden muss
- unfähig ist, Eigenverantwortung zu übernehmen
| Überzeugung, dass Mitarbeiter- von sich aus Leistung erbringen will
- i.d.R. kompetent und kreativ ist
- grundsätzlich motiviert und engagiert ist
- i.d.R. weiß, was erforderlich ist
- Verantwortung übernehmen kann und will
|
Tab. 2.1: Wir brauchen ein neues Bild vom Mitarbeiter
In vielen Managerköpfen herrscht noch das tayloristische Menschenbild2, das den Mitarbeiter als reinen Funktionsträger sieht, sozusagen als »verlängerten Arm der Maschine«. Das Interesse an ihm beschränkt sich darauf, dass dieser in seiner jeweiligen Aufgabe funktioniert, die Person dahinter interessiert nicht. Für Henry Ford war die Persönlichkeit sogar ein Störfaktor: »All I want is a good pair of hands, unfortunately I must take them with a person attached«.3 Seine Grundüberzeugung ist, dass der Mitarbeiter letztlich überwacht, kontrolliert und zur Leistung angehalten werden muss, da er sich von sich aus nicht voll und ganz für das Unternehmen einsetzt. Eine der Manager-Ikonen der 1960er-Jahre, Harold Green, CEO von ITT, drückte es so aus: »Menschen so voraussagbar und kontrollierbar machen wie das Kapital, das sie kontrollieren sollen.«4
Dieses Bild verhindert das Umdenken und es entspricht auch nicht der Wirklichkeit. Denn die meisten, gerade qualifizierten Mitarbeiter, wollen von sich aus Leistung erbringen, sie wollen kompetent sein und selbstständig und eigenverantwortlich Verantwortung übernehmen. Das deckt sich mit ihren Grundbedürfnissen, auf die wir später noch detaillierter eingehen (Kap. 4.1.4). Um diese Bereitschaft und Fähigkeit auszuschöpfen, dürfen die Mitarbeiter nicht mehr nur als Funktionsträger angesehen werden, sondern müssen als selbstständige Persönlichkeiten geachtet werden, an deren Potenzial wir als Manager interessiert sein müssen und die wir als »Unternehmer im Unternehmen« agieren lassen.5 Diese Auffassung muss zu einer echten Überzeugung werden. Arnold Picot, ehem. Leiter des Instituts für Organisation mit dem Schwerpunkt Informations- und Kommunikationsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, beschloss sein Standardwerk über die Grenzenlose Unternehmung mit dem kurzen Fazit, dass der Mensch die wichtigste Ressource in den neuen Unternehmenskonzepten sei, was das ein neues Menschenbild voraussetze.
2.1.2 Wir brauchen ein anderes Bild vom Unternehmen
Genauso brauchen wir ein anderes Bild vom Unternehmen. Auch das ist in den meisten Köpfen noch in der tayloristischen Welt steckengeblieben. Das Unternehmen wird danach als eine Summe von Funktionen und Organisationseinheiten verstanden, die wie das Räderwerk einer Maschine ineinandergreifen und von außen oder oben nach wissenschaftlichen Methoden (Scientific Management) gesteuert werden kann (Abb. 2.1).
Abb. 2.1: Wir brauchen ein neues Bild vom Unternehmen
Die typische Manager-Sprache gibt dieses Bild auch wieder mit den knackigen Phrasen wie »der Laden läuft rund/wie geschmiert«, »da ist Sand im Getriebe«, »da müssen wir mal den Hebel umlegen/nachjustieren«, »da greift ein Rad in’s andere«, »wir greifen in den Werkzeugkasten/Toolbox«.6 Auch dieses Bild ist überholt und gefährdet das Überleben der Unternehmen unter den heutigen Umfeld- und Wettbewerbsbedingungen. Es ist höchste Zeit, sich von der mechanistischen Sicht zu lösen. Pfläging stellt lapidar fest: »Die Maschine Organisation« funktioniert nicht mehr.7 Wir müssen das Unternehmen als eine lebendige, soziale Einheit begreifen, die von Menschen gebildet wird, deren Verhalten und Aktionen sich nicht nach mechanischen, sondern nach sozialen Gesetzen richten.8 Was das bedeutet, kann mit der Polarisierung der beiden Begriffe »Organisation« und »Organismus« beschrieben werden. Um das Unternehmen als lebendigen Organismus zu verstehen, müssen wir uns mit den Erkenntnissen der Systemtheorie und Evolution vertraut machen. Demzufolge besteht jedes System seinerseits aus einzelnen Systemen und ist gleichzeitig Teil eines übergeordneten Systems. Systeme sind einerseits nach außen geschlossen und klar definiert, andererseits stehen sie in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis und in einem permanenten Informationsaustausch untereinander und mit der Außenwelt (Rückkoppelung). Ihr Ziel ist die Sicherung der eigenen Existenz, d.h. des Überlebens als System. Das gelingt auf zwei unterschiedlichen Weisen: Jedes System strebt danach, stabil und im Gleichgewicht zu bleiben, indem es Einflüsse von außen (»Störungen«) soweit wie möglich innerhalb des Systems absorbiert. Erst wenn das nicht mehr möglich ist, weil der Einfluss zu stark ist, verändert es sich und stabilisiert sich auf einem neuen Niveau. Dadurch wächst und entwickelt es sich permanent weiter und erreicht eine langfristige Selbststabilisierung. Zum Erhalt der Existenz durchläuft das System organische Veränderungsprozesse, die über die Zeit zu strukturellen Veränderungen (Mutationen) führen.
Genauso funktionieren auch Unternehmen. Das erklärt die zentrale Bedeutung von Kommunikation (Kap. 7) innerhalb des Unternehmens und mit der Außenwelt sowie die Abhängigkeit der einzelnen Unternehmensteile voneinander, vor allem auch des Topmanagements von allen Bereichen des Unternehmens. Ebenso bedeutsam sind die Hinweise für die Gestaltung von Veränderungsprozessen, mit denen sich große Unternehmen so schwertun (Kap. 9). Das zwingt zur Anerkennung von Widerstand als natürliche Reaktion auf Veränderungen, die als »Störungen« wahrgenommen werden und absorbiert werden wollen. Das gilt für jeden einzelnen Mitarbeiter bis zur Organisation als Ganzes. Gleichzeitig erklärt dieses Verhalten die Überlegenheit permanenter, inkrementeller Veränderungen gegenüber den großen, spektakulären Veränderungsprojekten (»Bombenwürfen«). Wenn wir uns auf dieses Verständnis vom Unternehmen einlassen, führt das zu völlig neuen Unternehmensformen, was John P. Kotter schon 1997 prophezeite: »[…] if environmental volatility continues to increase, the standard organization of the 20th century will likely become a dinosaur.«9 Und schon Macchiavelli wußte: »[…] alles, was wir tun, ist eine Nachahmung der Natur.«10
2.1.3 Wir brauchen ein neues Führungsverständnis und Bild von der Führungskraft
Dieses Bild vom Mitarbeiter und dem Unternehmen als lebendigen Organismus verlangt ein neues, verändertes Führungsverständnis.
Führungsverständnis
Dies lässt sich gut anhand der Polarisierung der beiden Begriffe Management und Führung (Tab. 2.1)11 illustrieren. Management und Führung sind völlig unterschiedliche Konzepte und erfordern unterschiedliche Persönlichkeiten.
Manager/Macher | Führungskraft/Coach/Trainer |
Instrumentale Führung | Personale Führung |
Über Instrumente = indirekt | Über Mitarbeiter = direkt |
Rational, analytisch | Emotional, persönlich |
»objektiv«, auf Zahlen... |