Die Voraussetzungen
In 12000 Meter Höhe allein in einem sechssitzigen Privatjet zu sitzen, hat etwas ausgesprochen Friedliches. Ich verfiel in Meditation und mein Geist wurde sehr still. Als ich die Augen öffnete, ließ ich den unglaublichen Unterschied in der Umgebung zwischen diesem Moment und jener Zeit, da ich mich das erste Mal in die Wälder zurückgezogen hatte, um allein zu sein und zu meditieren, auf mich wirken. Obwohl ich immer noch in denselben Wäldern lebte, war an meinem einsamen Wohnort inzwischen eine blühende Yoga-Gemeinschaft entstanden, und ich war zum Generaldirektor einer Aktiengesellschaft geworden, die das Leben auf wundervolle Weise um mich herum manifestiert hatte. Es war mir jetzt vollkommen klar, dass all diese unterschiedlichen Lebenserfahrungen – wozu auch gehörte, ein Unternehmen auf diesem Niveau zu führen – ebenso viel zu meiner spirituellen Befreiung beitrugen wie meine Jahre einsamer Meditation. So wie Herkules zwei Flüsse nutzte, um die Ställe des Augias zu säubern, so war die machtvolle Strömung des Lebens dabei, das, was noch von mir übrig war, wegzuspülen. Ich fuhr einfach fort, loszulassen und mich in Widerstandslosigkeit zu üben, ob ich das, was geschah, nun mochte oder nicht. In dieser Geistesverfassung war ich auf dem Weg nach Texas, um eine milliardenschwere Fusion zu verhandeln, die ein machtvoller Generaldirektor, dem ich bisher noch nicht einmal begegnet war, mir angeboten hatte.
– Meine Betrachtungen, Mai 1999
Das Leben entfaltet sich selten genau so, wie wir uns das wünschen. Und wenn wir einmal innehalten und darüber nachdenken, ist das auch überaus sinnvoll. Der Rahmen des Lebens ist universell, und es versteht sich von selbst, dass wir nicht wirklich die Kontrolle über die Ereignisse des Lebens haben. Das Universum existiert bereits seit 13,8 Milliarden Jahren, und die Prozesse, die den Fluss des Lebens um uns herum bestimmen, begannen nicht, als wir geboren wurden, und sie werden auch nicht enden, wenn wir sterben. Was sich in jedem einzelnen Moment vor uns manifestiert, ist tatsächlich etwas ganz und gar Außergewöhnliches – es ist das Endresultat all der Kräfte, die seit Milliarden von Jahren miteinander interagieren . Wir sind auch nicht für den kleinsten Bruchteil dessen, was sich um uns herum entfaltet, verantwortlich. Dennoch laufen wir herum und versuchen unablässig, das zu kontrollieren und festzulegen, was in unserem Leben geschieht. Kein Wunder, dass es so viel Spannung, Angst und Furcht gibt. Jeder von uns glaubt tatsächlich, die Dinge müssten so sein, wie wir sie uns wünschen, und sie sollten nicht das natürliche Resultat aller Kräfte der Schöpfung sein.
Tag für Tag geben wir den Gedanken unseres Geistes den Vorzug vor der Realität, die sich vor unseren Augen entfaltet. Wir sagen immer wieder Dinge wie «Es sollte heute besser nicht regnen, denn ich will einen Campingausflug machen» oder «Ich sollte unbedingt die Gehaltserhöhung bekommen, denn ich brauche wirklich dieses Geld». Beachten Sie, dass all diese kühnen Forderungen in Hinsicht auf das, was geschehen oder nicht geschehen sollte, nicht auf wissenschaftlichen Belegen basieren, sondern einzig auf persönlichen Vorlieben, die wir uns in unserem Geist zurechtgelegt haben. Ohne uns dessen bewusst zu werden, tun wir dies mit allen Dingen in unserem Leben – es ist so, als glaubten wir tatsächlich, die Welt um uns herum müsse sich in Übereinstimmung mit unseren eigenen Wünschen und Abneigungen manifestieren. Geschieht dies nicht, dann läuft bestimmt etwas schief. Es ist äußerst schwierig, auf diese Weise zu leben, und das ist die Ursache für unser Gefühl, ständig mit dem Leben kämpfen zu müssen.
Es ist allerdings auch wahr, dass wir den Ereignissen gegenüber, die sich um uns herum entfalten, nicht völlig machtlos sind. Wir sind mit Willenskraft begabt. Tief aus unserem Inneren heraus können wir bestimmen, wie wir etwas haben wollen, und wir können die Kräfte unseres Geistes, unseres Herzens und Körpers in dem Versuch nutzen, uns die Außenwelt gefügig zu machen. Doch das führt zu einem unablässigen Kampf zwischen dem, was wir wollen, und den Umständen, wie sie sich frei von unserer Einmischung entwickeln würden. Dieser Kampf zwischen unserem individuellen Willen und der Realität des Lebens, die sich um uns herum entfaltet, verzehrt letztlich unser Leben. Gewinnen wir den Kampf, dann sind wir glücklich und entspannt; gewinnen wir ihn nicht, sind wir verstört und gestresst. Da sich die meisten von uns nur dann gut fühlen, wenn alles nach ihrem Willen läuft, versuchen wir ständig, unser gesamtes Leben zu kontrollieren.
Es stellt sich die Frage, ob dies so sein muss. So vieles weist darauf hin, dass das Leben auch ohne unsere Einmischung gut funktioniert. Die Planeten bleiben auf ihrer Umlaufbahn, winzige Samen wachsen zu riesigen Bäumen heran, die entsprechenden klimatischen Bedingungen haben die Wälder auf dem ganzen Globus seit Millionen von Jahren mit Wasser versorgt, und eine einzige befruchtete Zelle wächst zu einem wunderschönen Baby heran. Nichts von diesen Dingen wird als bewusster willentlicher Akt von uns geleistet; sie kommen alle durch die unbegreifliche Vollkommenheit des Lebens selbst zustande. All diese erstaunlichen Ereignisse und zahllose mehr werden von den Kräften des Lebens herbeigeführt, die bereits seit Milliarden von Jahren existieren – und es sind diese Kräfte des Lebens, denen wir uns Tag für Tag ganz bewusst mit unserem Willen entgegenstellen. Wenn die natürliche Entfaltung des Lebensprozesses das gesamte Universum erschaffen und für es sorgen kann, ist es dann wirklich vernünftig, dass wir annehmen, es könne nichts Gutes geschehen, ohne dass wir es herbeizwingen? Das vorliegende Buch ist der Erkundung dieser faszinierenden Frage gewidmet.
Könnte es denn eine wichtigere Frage geben? Wenn das Leben von sich aus das DNS-Molekül zu manifestieren vermag,und nicht ganz nebenbei auch das menschliche Gehirn, wieso haben wir dann das Gefühl, dass wir unsererseits alles unter Kontrolle haben müssen? Es muss doch eine andere, vernünftigere Herangehensweise an das Leben geben. Was würde zum Beispiel geschehen, wenn wir den Fluss des Lebens respektieren und unseren freien Willen dazu benutzen würden, zu dem, was sich entfaltet, beizutragen, statt dagegen anzukämpfen? Welche Art von Lebensqualität würde sich dann entfalten? Käme es nur zu zufälligen Ereignissen ohne Ordnung oder Sinn, oder würde sich dieselbe vollkommene Ordnung und Sinnhaftigkeit, die sich im Rest des Universums manifestiert, auch im Alltagsleben um uns herum entfalten?
Diese Frage ist die Grundlage eines erstaunlichen Experiments. Im Kern des Experiments steht eine einfache Frage: Bin ich besser dran, wenn ich mir in meinem Geist eine andere Wirklichkeit ausmale und dann mit der Wirklichkeit ringe, um sie meinen Vorstellungen anzupassen, oder geht es mir besser, wenn ich loslasse, was ich mir wünsche, und den Kräften der Wirklichkeit diene, die in der Lage waren, die ganze Vollkommenheit des Universums um mich herum zu schaffen? Das Experiment bestünde nicht darin, sich aus dem Leben zurückzuziehen, sondern darin, sich in das Leben hineinzustürzen, es so zu leben, dass wir nicht mehr von unseren persönlichen Ängsten und Begierden kontrolliert werden. Da mir keine bessere Bezeichnung einfiel, habe ich dies das «Experiment Hingabe» genannt, und ich habe die vergangenen vierzig Jahre meines Lebens darauf verwandt, mit anzusehen, wohin der Fluss der Ereignisse des Lebens mich ganz von selbst trägt. Was im Lauf dieser vier Jahrzehnte mit mir geschah, ist geradezu sagenhaft. Die Dinge sind nicht nur nicht auseinandergefallen, es geschah das genaue Gegenteil. Indem ein Ereignis ganz natürlich auf das andere folgte, nahm mich der Fluss des Lebens mit auf eine Reise, wie ich sie mir vorher nicht hätte vorstellen können. In diesem Buch erzähle ich von dieser Reise, sodass Sie erfahren können, was geschieht, wenn jemand es wagt, loszulassen und auf den Fluss des Lebens zu vertrauen.
Ich möchte allerdings von vornherein klarstellen, dass diese Art von Hingabe nicht bedeutet, sein Leben zu leben, ohne den Willen zur Geltung zu bringen. Meine Geschichte dieser vierzig Jahre ist einfach die Geschichte dessen, was geschah, während die Äußerungen meines Willens von dem gelenkt wurden, was das Leben tat, und nicht von dem, was es meiner Meinung nach hätte tun sollen. Meine persönliche Erfahrung hat gezeigt, dass es zu eindrucksvollen Resultaten führen kann, wenn man seinen eigenen Willen mit den natürlichen Kräften, die sich um uns herum entfalten, in Einklang bringt.
Die einzig effektive Weise, die Resultate dieses großen Experiments mit Ihnen zu teilen, besteht darin, Sie sehen zu lassen, wie ich in diese Lebensweise hineingezogen wurde, und Ihnen dann zu erlauben, diese Reise so zu erfahren, wie ich sie erfahren habe. In diesem Buch werden Sie einer Reihe von Lebenserfahrungen begegnen, die sich sehr wahrscheinlich sehr stark von Ihren eigenen unterscheiden. Ich berichte Ihnen nur deshalb davon, weil wir Menschenwesen die außerordentliche Fähigkeit besitzen, von den Erfahrungen anderer zu lernen. Sie müssen nicht so leben, wie ich gelebt habe, um sich von dem beeindrucken zu lassen,...