Das ist für Sie drin:
Wir „ticken“ auf beiden Ebenen – rational und unbewusst.
Der unbewusste Anteil ist größer.
Manchmal ist unsere Intuition gut und richtig.
Hin und wieder schlägt sie uns auch ein Schnippchen.
Wann sollten wir auf unseren Bauch hören?
Wann sollten wir gezielt rational vorgehen?
2.1 | Ein Irrtum seit Platon: Homo oeconomicus |
Wir „ticken“ oft anders als wirklich rational: In Österreich ist die Energiesteuer spürbar niedriger als der entsprechende Satz in Deutschland. Autofahrer aus grenznahen Orten fahren darum gerne zum Tanken ins Nachbarland. Ein Magazin machte die Rechnung auf: 60 Kilometer hin und her plus warten und tanken kosten ca. 50 Minuten Zeit, dazu die Betriebskosten plus Wertverlust zusätzlich zu den Benzinkosten – im günstigsten Fall legen die Autofahrer fünf Euro obendrauf, meistens mehr (Gerbert 2008). Trotzdem überwiegt das gute Gefühl, beim Tanken gespart zu haben!
Im Supermarkt kaufen wir meist mehr, als auf dem Zettel steht. Schließlich gab es für die Melonen gerade heute ein besonders gutes Angebot – leider nur maximal zwei Stück pro Kunde, da musste man einfach zugreifen.
Wahlmöglichkeiten sind gut, aber es dürfen nicht zu viele Alternativen sein. Kunden wurden entweder sechs oder 24 verschiedene Marmeladensorten angeboten. Bei sechs Alternativen kaufte etwa jeder dritte Kunde, bei 24 Sorten kauften nur noch drei Prozent. Es gibt Grenzen für die Menge an Informationen, die Menschen verarbeiten können und wollen (Iyengar/Lepper 2000). Bei weniger Auswahl wird mehr gekauft.
Beim Kauf einer Aktie oder eines Fonds orientieren sich viele Käufer an der Kursentwicklung der letzten Jahre, wenn das so lange gut läuft, muss die Anlage Hand und Fuß haben. Dann dürfen wir getrost auf diese guten Erfahrungen bauen. Die Fortschreibung vergangener Erfahrungen (auch von Dritten) als scheinbar sichere Voraussetzung für eine Prognose nehmen wir immer vor. Natürlich erlaubt die Performance in der Vergangenheit keine belastbaren Vorhersagen über das zukünftige Geschäft: Denken Sie nur an Schiffsfonds, die massiven Kursstürze bei Aktien im Jahr 2008 oder an die Probleme mit vielen Mittelstandsanleihen, gerade auch in Deutschland (Deutscher Bundestag 2016).
Volkswagen und der Zulieferer Prevent bekriegen sich seit längerer Zeit mit großer Erbitterung – auch vor Gericht –, obwohl jeder der beiden dabei nur verlieren kann (Eckl-Dorna 2018). Die Bereitschaft, es dem anderen so richtig zu zeigen, kostet viel Geld und vernichtet Arbeitsplätze.
Lange war das Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften von dem Modell des Homo oeconomicus geprägt. Der in den Theorien vorausgesetzte und vorhergesagte Mensch handelte vernünftig und war an der Steigerung seines Nutzens orientiert. Entscheidungen traf er, indem er die verfügbaren Informationen sammelte und sorgfältig gegeneinander abwog. Wenn das einmal nicht der Fall war, sprachen Ökonomie und einschlägige Presse von kognitiven Fehlern (Lubin 2013) oder Denkfehlern, die uns Geld kosten (zum Beispiel Johanning/Trossbach 2012). Dabei ist es einfach so, dass wir anders als rein rational „funktionieren“. Unser Verhalten ist im Lauf der Evolution entstanden und nur durch die biologischen Gegebenheiten unserer Spezies zu verstehen. Und vor dem Hintergrund der Umweltbedingungen, die die Entstehung der menschlichen Verhaltensmuster begünstigten. So gesehen, ist unser Verhalten in den meisten Fällen durchaus richtig und vernünftig und keineswegs ein „Fehler“. Es passt halt nur nicht immer zu den Bedingungen, die besonders in den letzten ca. 6000 Jahren durch die Entwicklung der menschlichen Zivilisation mit all ihren Begleiterscheinungen entstanden sind.
Menschen neigen dazu, den Anteil des Rationalen in ihrem Denken und auch in ihrem Verhalten weit zu überschätzen. Bewusstes Denken findet vorwiegend in – linearen – Ursache-Wirkungs-Ketten statt. Wahrgenommen werden vorzugsweise stetige Zusammenhänge. Daraus machen wir uns ein Bild von der „Wirklichkeit“. Rationalisiert wird aus der möglichen Menge von Erkenntnisprozessen vorwiegend der logisch-deduktive Teil. Diese Vorgänge finden hauptsächlich in der linken Hemisphäre unseres Gehirns statt. Und nur dort gibt es eine vollständige Verbindung mit unserem Bewusstsein. Vernetzungen, Nebenwirkungen und Hindernisse werden daher oft ungenügend oder verspätet zur Kenntnis genommen.
2.2 | Emotionen: gerne verleugnet, aber dennoch zentral |
Ein kleiner Exkurs in die Biologie des menschlichen Gehirns: Legen Sie einmal Ihre beiden geballten Fäuste aneinander. Ungefähr so groß ist Ihr Gehirn. Das Gehirn macht ungefähr zwei Prozent von unserem Körpergewicht aus, verbraucht aber schon im „Normalbetrieb“ etwa 20 Prozent der gesamten Energie. Es besteht aus den Elementen Hirnstamm (Ursprungssystem der meisten Hirnnerven, Koordinationssystem für Körperfunktionen wie Atmung und Kreislauf, Umschalt- und Koordinationszentrum des – extrapyramidalen – motorischen Systems), Kleinhirn (Feinabstimmung präziser Körperbewegungen, Wachheit) und Mittelhirn (Koordination akustischer und optischer Impulse). Das Großhirn – der Kortex – ist die (nur fünf Millimeter!!! dicke) Hirnrinde. Dieser Kortex ist in zwei Hälften unterteilt, die Hemisphären. Sie funktionieren unterschiedlich und nehmen auch unterschiedliche Aufgaben wahr. In der linken Hemisphäre ist vorwiegend das begriffliche und sprachliche Denken angesiedelt – Analyse, Logik, Organisation und Kontrolle. Die rechte Hirnhälfte leistet vorwiegend das bildhafte, assoziative Denken – Gefühle, Fantasie und Intuition. Verbunden sind die Hemisphären durch den Balken, das Corpus callosum. Der Balken koordiniert die Aktivität der beiden Hälften und sorgt für den Austausch von Informationen.
Eine andere wichtige Gehirnstruktur, die teilweise zum Zwischenhirn, teilweise zum Endhirn zählt, ist das limbische System. Bis in die 1990er-Jahre herrschte weitgehend Übereinstimmung, dass das Großhirn der Sitz von Verstand und Vernunft ist. Dem limbischen System wurden die Emotionen zugeordnet und dem Stammhirn die niederen Instinkte. Man nahm an, dass die verschiedenen Bereiche des Gehirns relativ unabhängig arbeiteten. Diese Theorie ging auf den Neurobiologen Paul McLean (1990) zurück. Der Neokortex wurde als das Zentrum gesetzt, hier wurden die bewussten, vernünftigen, rationalen Entscheidungen getroffen. Der Einfluss von Emotionen oder Instinkten wurde eher als Störung des vernünftigen Denkens bewertet. Der Grundgedanke von dem „oben“ angesiedelten klaren Verstand und den „unten“ liegenden – und darum „niederen“ – Instinkten geht auf Platon zurück. Im Kopf sah er das „Logistikon“, in der Brust „Thymoeides“ (die Gefühle) und im Bauch das „Epithymetikon“, die Instinkte und die pure Lust (Häusel 2014). Auch Abraham H. Maslows Pyramide basiert auf diesem Schichtenmodell und ist deshalb zutiefst platonisch angelegt.
Obwohl dieses „Wissen“ mehr als 2000 Jahre alt ist, müssen wir doch festhalten: Hier irrten alle, auch Platon. Seit den 1990er-Jahren macht die Hirnforschung gewaltige Fortschritte. Wir wissen nun, dass wir weniger rational handeln und entscheiden, als wir uns das vielleicht wünschen. Das erwähnte limbische System – und damit die Emotionen – spielt bei unserem neuen Verständnis von Gehirn und Denken eine entscheidende Rolle. Tatsächlich besteht dieses System aus einer Reihe von Elementen – beispielsweise dem Mandelkern und dem Hypothalamus, auch der präfrontale Kortex, also Teile der Großhirnrinde, gehören dazu. Keine Sorge – hier ist Schluss mit der Anatomiestunde.
Die traditionelle Vorstellung von der Funktionsweise unseres Gehirns ist nachweislich falsch.
Wichtiger sind die Erkenntnisse aus der Erforschung speziell dieser Funktionen. Wir wissen mittlerweile, dass diese Teile des Gehirns einen sehr großen Einfluss auf unser Verhalten ausüben – auch auf die Entscheidungen, die wir oft als rational erleben und einschätzen. Im limbischen System werden innere und äußere Reize integriert, Lernerfahrungen verarbeitet, soziale Bewertungen vorgenommen und moralische Entscheidungen getroffen. Nur unsere Emotionen ermöglichen uns, überhaupt Entscheidungen zu treffen, Handlungsplanungen vorzunehmen und dann unser Verhalten mit den Möglichkeiten und Grenzen unserer Umwelt zu synchronisieren. Schädigungen in den Gefühlszentren des Gehirns – nach Krankheiten oder einem Unfall – führen zur Unfähigkeit, sich zu entscheiden. Unser Gedächtnis funktioniert nur, weil wir Inhalte emotional bewerten und mit schon vorhandenen Erinnerungen verknüpfen. Gefühle sind entscheidend dafür, wie wir uns entscheiden und wie wir mit unserem sozialen Umfeld interagieren.
Das limbische System und damit unsere Emotionen spielen eine wesentliche Rolle für das Funktionieren des Gehirns.
Denken und Fühlen sind miteinander verbunden. Jederzeit ist unser ganzes Gehirn aktiv. Die bunten Bilder aus den Tomografen mit unterschiedlichen Farben für verschiedene Hirnareale zeigen nur, welche Hirnareale in der...