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Die Geheimnisse nonverbaler Kommunikation
Jedes Mal, wenn ich mich mit anderen Menschen über das Thema Körpersprache austausche, fällt zwangsläufig irgendwann die Frage: »Joe, wie bist du überhaupt darauf gekommen, dich mit nonverbalem Verhalten zu befassen?« Nun, das war nichts, was ich mir speziell vorgenommen oder langfristig geplant hätte. Mein Interesse erwuchs vielmehr aus einer praktischen Notwendigkeit heraus – der Notwendigkeit, sich erfolgreich an eine neue, fremde Lebensart anzupassen. Als ich acht Jahre alt war, kam ich als Flüchtling aus Kuba in die USA. Wir verließen die Insel nur wenige Monate nach der Schweinebucht-Invasion und waren damals zunächst überzeugt, wir würden nur kurze Zeit in den Vereinigten Staaten bleiben.
Am Anfang konnte ich kein Wort Englisch und so tat ich das, was auch Tausende anderer Immigranten taten, die ins Land kamen. Wenn ich zu meinen neuen Schulkameraden dazugehören wollte, so wurde mir schnell klar, dann musste ich mich auf die »andere« Sprache konzentrieren, die mir leichter zugänglich war: die Sprache nonverbalen Verhaltens. Und ich stellte fest, dass ich diese Sprache sofort übersetzen und verstehen konnte. In jener Zeit betrachtete ich den menschlichen Körper als eine Art Schautafel, auf der die Gedanken eines Menschen bildlich dargestellt sind – anhand von Mimik, Gestik und anderen Bewegungen konnte ich sie ablesen. Mit der Zeit lernte ich natürlich Englisch – und büßte sogar einige Fähigkeiten in meiner Muttersprache ein –, aber die nonverbale Sprache des Körpers blieb für mich immer wichtig, denn ich hatte schon in jungen Jahren gelernt, dass ich mich auf die nichtsprachlichen Kommunikationssignale meiner Mitmenschen fast immer verlassen konnte.
Anfangs nutzte ich Körpersprache, um dahinterzukommen, was meine Klassenkameraden und Lehrer mir zu vermitteln versuchten und welche Haltung sie mir gegenüber einnahmen. Eines der ersten Dinge, die ich bemerkte, war, dass Schüler oder Lehrer, die mich wirklich mochten, ihre Augenbrauen hoben, wenn ich den Raum betrat. Andererseits kniffen diejenigen, die mir nicht sonderlich freundlich gesinnt waren, ihre Augen leicht zusammen, wenn ich auf der Bildfläche erschien – ein Verhalten, das man nie wieder vergisst, wenn man es einmal beobachtet hat. Wie so viele andere Immigranten vor mir verwendete ich diese nonverbalen Informationen, um Freundschaften schnell einschätzen und aufbauen zu können, um trotz der Sprachbarriere in Kontakt mit anderen zu treten, Konflikten aus dem Weg zu gehen und gute Beziehungen zu pflegen. Viele Jahre später half mir das Wissen um diese Besonderheit der Mimik dabei, als Special Agent beim Federal Bureau of Investigation (FBI) Verbrechen zu lösen (siehe Kasten 1).
Ausgehend von dem, was ich in meinem Leben lernte, und meiner besonderen Ausbildung möchte ich Ihnen beibringen, wie man die Welt aus Sicht eines FBI-Experten für nonverbale Kommunikation wahrnimmt: Es offenbart sich ein lebendiges, dynamisches Umfeld, in dem jede menschliche Interaktion eine Vielzahl von Informationen in sich birgt. Und diese Informationen in Form von lautlosen Signalen können Sie dazu nutzen, um mehr darüber zu erfahren, was Menschen denken, was sie fühlen und was sie zu tun beabsichtigen. Wenn Sie es schaffen, dieses Wissen in der Praxis anzuwenden, dann wird Ihnen das in allen Lebenslagen enorme Vorteile verschaffen. Es kann Sie aber auch schützen, weil Sie Einblicke in menschliche Verhaltensweisen erhalten werden, die Ihnen sonst verborgen geblieben wären.
Was versteht man unter nonverbaler Kommunikation?
Nonverbale Kommunikation, die oft auch als nonverbales Verhalten oder Körpersprache bezeichnet wird, ist – ebenso wie das gesprochene Wort – eine Form der Informationsvermittlung, nur dass sie mithilfe von Mimik, Gestik, Berührungen, Körperbewegungen, Haltung, Körperinszenierung (Kleidung, Schmuck, Frisur, Tätowierungen und so weiter) und sogar mithilfe von Tonfall, Klangfarbe und Lautstärke der Stimme umgesetzt wird.
Mit einem Wimpernschlag
Kasten 1
Wir weichen einem Blick aus, wenn wir uns unwohl fühlen oder etwas sehen, das uns nicht gefällt. Das Zusammenkneifen der Augen (wie im Fall meiner Klassenkameraden) und das Schließen oder Zuhalten unserer Augen sind Verhaltensweisen, die wir entwickelt haben, um uns vor dem Anblick unerwünschter Dinge zu schützen, aber auch, um unsere Geringschätzung anderen gegenüber zum Ausdruck zu bringen.
Als Ermittler machte ich mir dieses Wissen einmal zunutze, als ich im Fall eines verheerenden Hotelbrands in Puerto Rico ermittelte, bei dem 97 Menschen ums Leben gekommen waren. Schnell geriet ein Wachmann unter Verdacht, weil das Feuer just in seinem Zuständigkeitsbereich ausgebrochen war. Eine der Methoden, mit denen wir schließlich herausfanden, dass er das Feuer nicht gelegt hatte, war, ihm eine Reihe präziser Fragen zu stellen: Wo er sich vor Ausbruch des Feuers befunden habe. Wo er zum Zeitpunkt des Ausbruchs gewesen sei. Und schließlich, ob er das Feuer gelegt habe oder nicht. Bei jeder Frage beobachtete ich sorgsam, ob er Anstalten machte, meinem Blick auszuweichen. Nur einmal wandte er die Augen ab, nämlich bei der Frage, wo er sich bei Ausbruch des Feuers befunden habe. Seltsamerweise schien ihn die Frage »Haben Sie das Feuer gelegt?« nicht weiter zu beunruhigen. Dies sagte mir, dass das eigentliche Problem nicht seine mögliche Beteiligung an der Brandstiftung war, sondern vielmehr sein Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Katastrophe. Die leitenden Ermittler hakten diesbezüglich nach und schließlich gab er zu, seinen Posten verlassen zu haben, um seiner Freundin einen Besuch abzustatten, die ebenfalls in dem Hotel tätig war. Bedauerlicherweise drangen die Brandstifter genau während dieser Zeit in den Bereich ein, den er hätte bewachen sollen, und legten das Feuer.
Der ausweichende Blick des Wachmanns gab uns den notwendigen Hinweis, um ganz gezielt einer bestimmten Frage weiter nachzugehen, die schließlich zur Lösung des Falls führte. Kurz darauf wurden die drei für das tragische Feuer verantwortlichen Brandstifter verhaftet und zur Rechenschaft gezogen. Der Wachmann hatte zwar grob fahrlässig gehandelt, weswegen er unter starken Schuldgefühlen litt, aber er war nicht der Täter.
Nonverbale Verhaltensweisen machen etwa 60 bis 65 Prozent der gesamten zwischenmenschlichen Kommunikation aus – eine Quote, die beim Liebesakt sogar auf 100 Prozent ansteigen kann (Burgoon, 1994, 229–285).
Nonverbale Kommunikation kann auch die wahren Gedanken, Gefühle und Absichten einer Person offenbaren. Aus diesem Grund werden nichtsprachliche Verhaltensweisen manchmal auch als Tells bezeichnet (Pokerfreunde wissen: Diese sagen etwas über die wahre Gemütsverfassung eines Menschen aus). Weil man sich normalerweise der Tatsache nicht bewusst ist, dass man auch mit nonverbalen Mitteln kommuniziert, ist Körpersprache in der Regel authentischer als verbale Äußerungen, die der Sprecher bewusst formuliert, um bestimmte Ziele zu erreichen (siehe Kasten 2).
Jedes Mal, wenn Ihre Beobachtung der nonverbalen Verhaltenweisen eines anderen Menschen dazu beiträgt, seine Gefühle, Absichten oder Handlungen zu verstehen – oder seine sprachlichen Äußerungen besser zu deuten –, dann wissen Sie: Sie haben seine lautlosen Signale erfolgreich entschlüsselt und einen eindeutigen Nutzen daraus gezogen.
Was bringt das Wissen um nonverbales Verhalten?
Durch ausführliche Forschungsarbeit konnte belegt werden, dass Menschen, die nonverbale Kommunikation wirkungsvoll lesen und deuten können – und die außerdem noch steuern können, wie andere sie selbst wahrnehmen –,
Taten sagen mehr als Worte
Kasten 2
Ein denkwürdiges Beispiel dafür, um wie viel ehrlicher Körpersprache sein kann als gesprochene Sprache, ist die Ermittlung in einem Vergewaltigungsfall im Parker-Indianerreservat in Arizona. Ein Tatverdächtiger wurde zum Verhör aufs Revier bestellt. Seine Worte klangen überzeugend und sein Alibi plausibel. Er behauptete, er sei dem Opfer nicht begegnet, sondern sei bei seiner Arbeit auf dem Feld eine Reihe Baumwollpflanzen abgeschritten, nach links abgebogen und dann geradewegs nach Hause gegangen. Während meine Kollegen sich Notizen dazu machten, wandte ich meinen Blick keine Sekunde von dem Verdächtigen ab. Dabei bemerkte ich, dass er, während er sagte, er sei nach links abgebogen und nach Hause gegangen, mit der Hand nach rechts deutete – also in die Richtung, die zum Tatort führte. Hätte ich ihn nicht beobachtet, wäre mir die Abweichung zwischen seinem verbalen (»Ich ging nach links«) und seinem nonverbalen Verhalten (die nach rechts zeigende Hand) niemals aufgefallen. So aber keimte in mir der Verdacht, dass er womöglich log. Ich wartete eine Zeit lang und konfrontierte ihn dann mit diesem Widerspruch. Nach einer Weile gestand er schließlich.
mehr Erfolg im Leben haben als Menschen, denen diese Fähigkeit fehlt (Goleman, 1995, 13–92). Mit diesem Buch habe ich mir zum Ziel gesetzt, Ihnen beizubringen, wie Sie die Welt um sich herum exakt beobachten und nonverbale Signale in jeder beliebigen Situation richtig interpretieren können. Dieses wertvolle Wissen wird Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen verbessern und Ihr Leben ebenso bereichern, wie dies bei mir der Fall war.
Besonders faszinierend ist, dass Sie dieses Wissen um nonverbales Verhalten universell einsetzen können. Es funktioniert überall da, wo...