Einleitung
In der Krise des modernen Gesundheitswesens suchen immer mehr Menschen nach anderen, nach alternativen und für sie persönlich angemessenen Wegen der Heilung. Anliegen vieler ist dabei zunächst, eine sanftere Heilmethode für sich zu finden, deren mögliche Nebenwirkungen nicht gefährlicher sind als die zu heilende Erkrankung. Anderen geht es darum, im Heilungsprozess die Verantwortung für sich, ihre Gesundheit und ihr Leben nicht vollständig abgeben zu müssen. Sie wollen nicht nur Symptome beseitigt oder Organe kuriert haben, sondern auch einem so schweren Lebensabschnitt wie einer Krankheit einen Sinn abgewinnen und daran innerlich reifen.
Zahlreiche ganzheitliche Heilweisen aus unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen bemühen sich heute, diesem Anliegen gerecht zu werden. Sie alle haben neben den offensichtlichen Unterschieden vieles gemeinsam, was für ein umfassendes Verständnis der heutigen medizinischen Entwicklung wichtig ist. Das vorliegende Buch stellt auf neue Art einen Weg dar, der sich auf die eigenen inneren Heilungskräfte des Menschen stützt und diese fördert: die klassische Homöopathie, seit zweihundert Jahren die bedeutendste Alternative zur vorherrschenden mechanistischen Medizin.1
Ganzheitliche Heilweisen sind nicht nur Methoden zur Heilung, wenn man krank ist, sondern Teil eines Weltbildes, das uns auch in gesunden Tagen leben hilft. In vielen Lebensfragen gibt ein ganzheitliches Weltbild Orientierung und Sinn und hilft uns dabei, gesund, kreativ und im Gleichgewicht zu bleiben. Dieser Aspekt ist für vielen Menschen ebenso wichtig wie die Möglichkeit, im Falle von Beschwerden Heilung zu erfahren.
Die Homöopathie ist zugleich bekannt und unbekannt. Viele Menschen sind über eigene Leiden oder die Krankheiten ihrer Kinder damit in Berührung gekommen. Sie haben die Homöopathie in der Praxis kennengelernt und wissen, dass es eine wirksame Methode ist. Fast alle sind aber darauf gestoßen, dass ihnen niemand erklären kann, warum und wie die Homöopathie wirkt. Es gibt die vielen positiven Erfahrungen; aber dahinter bleibt das große Fragezeichen, worauf denn die Erfolge beruhen. – Placebo sagen manche, Einbildung oder Scharlatanerie andere, und manche wollen nicht näher bestimmbare Schwingungen oder Energien als Wirkfaktoren herbeiziehen.
Die homöopathische Wirkung so erklären zu wollen, wie man sich allgemein die Wirkung eines Medikamentes vorstellt, führt aber nicht zu einem wirklichen Verständnis. Außerdem verhindert die falsche Blickrichtung auf das Wesen der homöopathischen Heilung oftmals, das ganze Potential dieser Methode auszuschöpfen. Es reicht nicht, die Homöopathie bloß als eine praktische Methode wahrzunehmen. Eine Heilmethode und die ihr zugrundeliegenden Gesetze können nur dann ernst genommen werden, wenn sie in ein Weltbild passen, das nach den gleichen Gesetzen funktioniert. Die Homöopathie fordert ihren PatientInnen und der Öffentlichkeit oft noch ab zu akzeptieren, dass die Wirkungsweise der Homöopathie außerhalb der allgemein angenommenen Wirklichkeit liege, ohne ein alternatives Weltbild angeben zu können, in dessen Rahmen sie passt. Die erfahrbare Tatsache, dass die homöopathische Behandlung wirkt und heilt, überzeugt viele. Doch bleibt ein Unbehagen, sich auf ein System einzulassen, das allen alltäglichen Annahmen über unsere Welt widerspricht oder zumindest keine klare Auskunft über diese Zusammenhänge geben kann.
Deshalb werden viele mehr oder auch weniger wissenschaftliche Scheinerklärungen zusammengebastelt, die dann seitens der etablierten Wissenschaft immer wieder zurückgewiesen werden. Alle Versuche, sich an die derzeitige Schulwissenschaft anzulehnen, werden scheitern müssen, weil diese nicht die passende Weltanschauung ist. Vielmehr steht hinter der Homöopathie ein für viele zunächst sehr ungewohntes Weltbild. Die Homöopathie2 ist Teil einer alten europäischen Geistestradition, die sich vom mechanistischen Denken der aktuell etablierten Naturwissenschaften grundlegend unterscheidet. Nur aus dem Gedanken- und Erfahrungsschatz der Hermetik und Alchemie, ja hinüberreichend bis in die Welt des Schamanismus, ergeben die Prinzipien und Vorgehensweisen der Homöopathie einen erkennbaren Sinn. Haben wir das Wesen dieser alten Überlieferungen, dieses die ganze Menschheit verbindenden Wissensschatzes einmal verstanden, lösen sich auch die Rätsel der Homöopathie auf einfache Weise. Und wir können darauf vertrauen, dass eine sich stetig weiter entwickelnde Naturwissenschaft dabei ist, sich auf ihren eigenen Wegen den Einsichten dieser Philosophia perennis, der ewigen Philosophie, anzunähern. In einem späteren Kapitel werden wir darauf eingehen.
Vieles, was hier für die Homöopathie gesagt wird, gilt sinngemäß auch für andere ganzheitliche Heilverfahren. Die ganzheitlichen Heilweisen sind weder Überbleibsel aus einer „vorwissenschaftlichen“ Epoche, deren halbverstandenes Erfahrungsgut noch wissenschaftlich aufgearbeitet werden muss; noch sind es Formen einer „Komplementär“medizin, die die eigentliche und hauptsächliche Medizin ergänzen können, wo es sich um weniger problematische Leiden handelt. Vielmehr handelt es sich um vollständige und eigenständige Wissensbereiche und Methoden, mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen, die für die Heilung im Prinzip aller menschlichen Leiden eingesetzt werden können.
Sie sind damit nicht nur als Methoden zur Behandlung von Krankheiten eine Alternative, sondern sie stehen auf dem Boden eines Weltbildes, das in den heutigen Krisen wegweisend sein kann. In dieser Kombination von Eigenschaften liegt die Herausforderung und die große Chance dieses Heilsystems, von dem viele bislang nur einen kleinen Aspekt kennengelernt haben.
Indem wir die Heilweise der klassischen Homöopathie mit dem schamanischen Heilen in Verbindung bringen und die Zubereitung ihrer Heilmittel als ein alchemistisches Vorgehen sehen, ist es möglich, diese bislang unbefriedigend erklärte Heilmethode vollständig und tiefgründig zu begreifen. In diesem Verständnis kann sie sowohl von TherapeutInnen als auch von PatientInnen als ein faszinierender gemeinsamer Weg beschritten werden, Zugang zu den eigenen Heilkräften zu finden, Heilung in der vertieften Begegnung zwischen Menschen und zwischen Mensch und Welt zu finden und dadurch ein erweitertes Verhältnis zu sich selbst, den Mitmenschen und der Umwelt zu gewinnen.
Damit verabschiedet sich die Homöopathie aus dem Ringen um die sogenannte wissenschaftliche Anerkennung und die Einordnung in ein Weltbild, welches nicht zu den ganzheitlichen Heilverfahren passt. Tatsächlich ist es innerhalb der schulwissenschaftlichen Bedingungen bisher zwar gelungen, das Vorhandensein homöopathischer Wirkungen nachzuweisen; aber es gibt gute wissenschaftstheoretische Gründe dafür, dass eine Erklärung dieser Wirksamkeit im gegebenen Rahmen nicht befriedigend möglich sein wird. Es ist jedoch ein gedanklicher Kurzschluss, dass etwas, das sich nicht mechanistisch erklären lässt, generell nicht erklärbar sei.
Die Homöopathie ist gut erklärbar und verstehbar, aber eben nicht im Rahmen der heutigen mechanistischen Naturwissenschaft. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich den Versuch machen, den geistigen Hintergrund dieser Heilweise zu beleuchten und die Wirkung homöopathischer Medizin in diesem zu ihr passenden Zusammenhang verständlich zu erklären.
Die Homöopathie wurde vor gut zweihundert Jahren geboren, als auch die modernen Naturwissenschaften in ihrer frühen Entwicklung waren; und eine Medizin ähnlich unserer heutigen war noch nicht in Sicht. Mit seinem neuen System griff ihr Begründer, Samuel Hahnemann, zwar auf die alten Geistestraditionen des Abendlandes zurück, aber er war schon ein Kind der Aufklärung und versuchte seine Entdeckung in den neuen Begriffen zu formulieren. Er hegte sogar die Vorstellung, mit Hilfe der Homöopathie könne die Medizin einmal so exakt und vorhersagbar werden wie die Mathematik. Diese Vorstellungen Hahnemanns lassen sich aus seiner Zeit heraus gut verstehen, denn mathematische Vorstellungen, Rationalität und Messbarkeit waren das intellektuelle Programm dieser Epoche. Doch helfen sie uns heute nicht mehr weiter, den Menschen, die Medizin oder die Homöopathie zu verstehen. Wir wissen heute unendlich viel mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der modernen Wissenschaft, als Hahnemann es konnte. Und wir können heute erkennen, dass die Homöopathie viel besser auf der Grundlage desjenigen Weltbildes zu verstehen ist, das in Europa und der ganzen Welt vor der Zeit des Materialismus vorgeherrscht hat und mit dem die Menschheit schon immer die Welt und ihr eigenes Dasein, ihr Leben und Sterben, ihr Glück und ihr Leiden zu begreifen versucht hat.
Dieser Weg zu einem klareren Verständnis der Homöopathie und des Heilens überhaupt wird uns weit zurückführen über die Alchemie bis zum Schamanismus unserer sehr frühen Vorfahren, zu den Heilweisen der Naturvölker und den esoterischen Ansätzen, das Wesen des...