2. Mit gutem Erscheinungsbild blenden
Körpersprache zählt 55 Prozent. Stimme zählt 38 Prozent. Inhalt zählt nur 7 Prozent.
Der Mehrabian-Mythos
Wie wichtig ist eigentlich ein gutes Erscheinungsbild? Viele Rhetoriktrainer weltweit zitieren an dieser Stelle den amerikanischen Psychologen Albert Mehrabian und seine zwei Studien aus den 1960er-Jahren.2 Vielleicht hast auch du diese drei Prozentzahlen schon mal irgendwo gehört, nach denen der Inhalt nur 7 Prozent zählen und Stimme und Körpersprache zusammen ganze 93 Prozent ausmachen sollen. Wenn das wahr wäre, dann sollten wir alle sofort Schauspielunterricht nehmen, unsere Gestik, Mimik und Intonation perfektionieren – und könnten Argumentation und Fakten getrost vergessen. Das »postfaktische« Zeitalter des Donald Trump lässt freundlich grüßen.
Zählt Inhalt wirklich nur 7 Prozent?
Wenn Mehrabian auf sein eigenes Experiment angesprochen wird – und das geschieht nicht selten –, dann zuckt er immer zusammen und sagt, jeder Mensch mit nur etwas Verstand müsse doch leicht begreifen, dass der Inhalt unmöglich nur 7 Prozent ausmachen könne. Er selbst bringt dazu ein beredtes Beispiel: »Wenn ich dir sagte, dass der Bleistift, den du suchst, oben im ersten Stock in der Schlafzimmerkommode ist, dritte Schublade von oben, dann kann man das mit Worten sehr präzise beschreiben, während ich das Gleiche allein mit Körpersprache nur schwerlich ausdrücken könnte.«3 Man darf hinzufügen: »Und schon gar nicht mit der Intonation der Stimme.«
Und noch ein Beispiel: Wenn Inhalt wirklich nur 7 Prozent zählte, dann könnte ich auch einen Japaner oder Chinesen zu 93 Prozent verstehen, ohne auch nur ein Wort seiner Sprache zu kennen.
Was Mehrabian mit den beiden Experimenten in Wirklichkeit herausgefunden hat, ist für den professionellen Manipulanten dennoch von großer Wichtigkeit: Sobald Mimik oder Intonation in Widerspruch zum Inhalt stehen, dann glauben die Menschen nämlich eher der Körpersprache beziehungsweise der Stimme als dem gesprochenen Wort. Die 55-38-7-Regel gilt also nicht per se, sondern nur bei Inkongruenz der verbalen und non- beziehungsweise paraverbalen Ebene.
Intuitiv wissen wir das ja auch längst. Wenn jemand den Kopf hängen lässt und dir dabei mit monotoner Stimme mitteilt, ihm ginge es wirklich blendend, dann wirst du das kaum für glaubwürdig halten. Oder wenn einer gelangweilt sagt, die gestrige Party sei »geil« gewesen, hegst du auch gewisse Zweifel. Wir stoßen uns von Natur aus an Widersprüchen zwischen dem Inhalt einer Botschaft und der Körpersprache sowie der Stimme des Sprechenden und messen beiden Letzteren dann größere Bedeutung zu, wohl weil sie meist unkontrolliert, somit unverfälscht und ehrlich sind.
Merke: Um glaubwürdig zu erscheinen, müssen Körpersprache, Stimme und Inhalt also widerspruchsfrei (konsistent) sein.
Heißt das nun, dass Körpersprache und Stimme nun doch nicht so wichtig sind wie die rein verbale Information? Keineswegs! Denn es gibt da ja auch noch den unglaublich starken »Halo-Effekt«, dank dessen wir mithilfe eines gekonnten Erscheinungsbilds unsere Gesprächspartner für uns einzunehmen vermögen.
Die täuschende Wirkung des Halo-Effekts
Der Halo-Effekt ist eine kognitive Verzerrung, ein sozialpsychologisches Phänomen, bei dem eine auffällige positive Eigenschaft – zum Beispiel Attraktivität – alle anderen Eigenschaften der Person überstrahlt und wir sie deswegen wie unter einer Aureole sehen und insgesamt positiv bewerten (vom englischen halo [»Heiligenschein«]).4 So ist ein typisches Beispiel für den Halo-Effekt, dass die fachliche Kompetenz eines nach allgemeinen Kriterien hübschen Schülers vom Lehrer objektiv überbewertet werden kann. Das Gleiche gilt etwa auch für einen großgewachsenen und männlich-gutaussehenden Soldaten, dessen Leistungen von seinen Vorgesetzten aufgrund seiner höheren Attraktivität im Vergleich zu dessen eher durchschnittlich aussehenden Kameraden überbewertet werden.5 Sogar die Frage, für wie kompetent ein Politiker im Vergleich zu seinem Mitstreiter gehalten wird und ob er sich gegen diesen bei der anstehenden Wahl durchsetzen wird, ist wesentlich von seinem Äußeren bestimmt.6
Erstaunlich dabei ist, dass dieser »Heiligenschein« gar nicht echt sein muss. Ausreichend ist schon die »manipulierte Reputation«. In einer in Fachkreisen berühmten Studie, dem Rosenthal-Experiment,7 hat man Lehrern erzählt, dass einige Schüler besonders begabt seien. In Wirklichkeit waren diese »Hochbegabten« zufällig von den Forschern ausgewählt worden. In der Folgezeit wurden die vermeintlichen Überflieger vom Lehrer unbewusst besser gefördert als andere Schüler (sie wurden häufiger gelobt, bekamen mehr Zeit zum Antworten und erhielten mehr persönliche Zuwendung). Interessanterweise ist der gemessene IQ dieser pseudohochbegabten Schüler im Vergleich zu »normalen« Schülern mit der Zeit tatsächlich überproportional angestiegen. Und auch der Charakter der attraktiven Schüler wurde besonders positiv bewertet.
Unser vorauseilender Ruf und unsere Attraktivität bestimmen in hohem Maße, wie unsere Intelligenz und Überzeugungskraft eingeschätzt werden. Man mag das ungerecht finden. Wer gewieft manipulieren will, hat sich diese Information jedenfalls längst zunutze gemacht und die Konsequenz gezogen, überall möglichst gut auszusehen und sich verstärkt um seine Reputation zu kümmern.
Souveräne Körpersprache und selbstbewusste Stimme
Doch geht es nicht nur um Renommee und attraktive Optik. Menschen werden auch als glaubwürdiger wahrgenommen, wenn sie konstant Blickkontakt halten und mit selbstbewusster Stimme sprechen – egal, was sie sagen. Bei einem Experiment in einem Gerichtssaal fanden Forscher heraus, dass Zeugen, die dem Fragesteller direkt in die Augen schauten und beim Sprechen nicht wegsahen, als glaubwürdiger wahrgenommen wurden.8
In einem anderen Experiment ging es um die Wirkung der Stimme auf die Glaubwürdigkeit des Sprechers: Hier haben Versuchspersonen zwei Zeugen zugehört. Der eine sprach selbstbewusst und zügig – der andere zögerlich und stotternd. Du kannst es dir schon denken: Derjenige mit der selbstbewussten Stimme wurde von den Versuchspersonen als signifikant ehrlicher und kompetenter eingestuft.9
Eines der berühmtesten Beispiele für die riesige Bedeutung von Körpersprache und Stimme ist das erste TV-Duell der Geschichte im Jahr 1960 zwischen den US-Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy und Richard Nixon. Kennedy sah besser aus, schaute mehr in die Kamera, sein Anzug saß besser, seine Körperhaltung war entspannter – mit dem Ergebnis, dass er mehr Stimmen der Zuschauer auf sich vereinen konnte als sein Kontrahent.
Doch nun kommt eine interessante Wendung: Diejenigen, die das TV-Duell nicht im Fernsehen, sondern im Radio verfolgt haben, fanden, dass Nixon deutlich gewonnen hätte. Wie kann das sein?
Nun, die Radiohörer konnten Kennedys coole Körpersprache ja nicht wahrnehmen. Und stimmlich hatte Nixon klare Vorteile. Seine Tonlage war tiefer, er sprach langsamer und strahlte so mehr Autorität aus. Dagegen war Kennedys Stimme höher, er sprach im Durchschnitt schneller und wurde so von den Hörern als unsicherer wahrgenommen.
Idealerweise solltest du deshalb sowohl an deiner Körpersprache als auch an deiner Stimme arbeiten.
Schon erstaunlich: Der Kandidat mit der besseren Körpersprache gewinnt im Fernsehen – der Kandidat mit der besseren Stimme im Radio! Auch wenn die 55-38-7-Regel von Mehrabian nicht allgemeingültig ist, so zeigt das TV-Duell sehr klar, dass ein gutes Erscheinungsbild den entscheidenden Ausschlag geben kann.
Die suggestive Wirkung von Kleidung und Statussymbolen
Wenn jemand gut gekleidet ist, dann wirkt er auf andere kompetenter und kann seine Interessen besser durchsetzen. So hatten in einem Experiment Teilnehmer in Anzügen in einer Verhandlungssituation viel bessere Deals gemacht als solche in gewöhnlichem Alltagsoutfit.10
In einem anderen Experiment ging es darum, wie viele Menschen wohl einem Mann folgen würden, der bei einer roten Ampel die Straße überkreuzt. Im ersten Versuchsdurchlauf trug er einen Anzug – im zweiten ganz gewöhnliche Kleidung. Verblüffendes Ergebnis: Im Businessdress folgten ihm dreieinhalb Mal mehr Unbekannte.11
Und schließlich kurz noch etwas zu Statussymbolen. Bleiben wir doch im Straßenverkehr. In einem Experiment stand einmal ein luxuriöses Auto vor einer Ampel und fuhr bei Grün nicht los. Ein anderes Mal war es ein typischer Mittelklassewagen. Dreimal darfst du raten, in welchem Fall mehr gehupt wurde. Natürlich bei Letzterem! Fast alle Fahrer hinter ihm haben getutet – und das gleich mehrmals. Drei der verärgerten Huper haben sogar leicht seine Stoßstange touchiert, um den Fahrer zum Starten zu animieren. Bei dem Luxusschlitten hupten nur 50 Prozent – und natürlich ist niemand aufgefahren.12
Intuitiv haben wir all das schon längst gewusst. Seit Jahrzehnten wird dieses Wissen von der Sozialpsychologie aber auch wissenschaftlich in immer neuen Experimenten nachgewiesen.
Wer...