Fichtes Schrift über den 'Geschlossenen Handelsstaat' entwirft eine wohlfahrtsdespotische Staatsutopie, die alle Kantischen Intentionen auf den Kopf stellt. Dabei war die vier Jahre ältere Naturrechtslehre noch als dezidiert liberale angelegt, und Fichte war überzeugt, daß sie mit Kants angekündigter Rechtslehre im wesentlichen harmonieren würde. Wie läßt sich diese Diskrepanz erklären? Ulrich Thiele geht davon aus, daß sich eine etatistische Grundtendenz bereits im Naturrecht nachweisen läßt, aber nicht dort, wo die meisten Interpreten sie entdecken. Es ist keineswegs die starke Akzentuierung sozialer Gerechtigkeitsprinzipien in der Eigentumslehre, die unweigerlich in den politischen Despotismus führt; erst die Kombination des materialen Naturrechts mit einem vordemokratischen und letztlich auch vorrechtsstaatlichen Verfassungsgrundriß verursacht diese fatale Kontinuitätslinie in Fichtes Denken. Wieso seine unzeitgemäße Staatslehre keine effektive Gewaltenteilung kennt, sondern eine zugleich gesetzgebende Regierung vorsieht, erklärt sich aus einem Mißverständnis seinerseits: Die Kritik, die Rousseau und Kant gegen die antike Demokratie vorgebracht hatten, richtete sich nicht, wie Fichte glaubt, gegen die demokratische Staatsform, sondern allein gegen die demokratische Regierungsform. Dennoch bekennt sich Fichte ohne Wenn und Aber zur Volkssouveränität: 'Ephorat' und 'Staatsinterdikt' sind nicht nur als vollwertige Surrogate der Gesetzgebungsdemokratie, sondern darüber hinaus auch als Rechtsinstitute des pouvoir constituant des Volkes gedacht. Ihr Manko liegt allerdings darin, daß sie allererst im verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand, aber nicht im Normalfall wirksam werden.
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