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Trauern mit Leib und Seele (Fachratgeber Klett-Cotta)

Orientierung bei schmerzlichen Verlusten

AutorKlaus Onnasch, Ursula Gast
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2011
ReiheFachratgeber Klett-Cotta 
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783608102505
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Das Buch ist das erste Trauerbegleitungsbuch, das die Erkenntnisse der aktuellen neurobiologischen Forschung nutzt, um den Ausnahmezustand von Körper und Psyche in dieser Situation allgemeinverständlich zu beschreiben. Aus dem Wissen überdiese Vorgänge leiten die Autoren zahlreiche, in der Praxis bewährte Umgangsmöglichkeiten ab. In der 3. erweiterten Auflage ihres Buches »Trauern mit Leib und Seele« setzen die beiden Autoren den besonderen Akzent, dass es in der Trauer nicht nur um harte »Trauer-Arbeit« geht, mit dem schweren Verlust eines sehr nahen Menschen umzugehen; ebenso wichtig sind Ruhe, Entspannung, Erholung und ermutigende Erfahrungen. Neurobiologische Erkenntnisse zeigen, dass unser Leib selbst vielfältige Schutzmöglichkeiten bereitstellt, Leben in der Krise zu bewahren. Das Mitteilen von Gefühlen kann entlasten und befreien. Andererseits machen seelische und oft auch leibliche Schmerzen immer wieder darauf aufmerksam, dass eine Bearbeitung des entsetzlichen Verlustes notwendig ist. Spiegelsysteme, die in der Zeit gemeinsamen Lebens entstanden sind, ermöglichen einen Dialog mit dem Verstorbenen über den Tod hinaus. Es gibt bewährte Methoden, die die Umschaltung vom  Stress-System auf das Entspannungs-System fördern: Zu diesen Methoden gehören Unterbrechung, Meditation, Gebet, Vorstellen innerer Bilder, ebenso vielfältige Weisen, Trauer zum Ausdruck zu bringen und mitzuteilen. Oft kann auf Weinen Lächeln folgen; Trauer kann mit Freude verbunden sein. Insbesondere Symbole und Rituale können dazu beitragen, ein Übermaß an Emotionen zu regulieren und neue Bahnungen zu entwickeln. Insgesamt können sich so die Prozesse in einem Spielraum von schmerzlicher Auseinandersetzung sowie Erholung und Neuorientierung vollziehen. Dieses Verständnis von Trauer als Kraft zum Leben hat sich auch in der Begleitung von Trauernden sehr bewährt. Das Buch versteht sich als Orientierungshilfe für die schwere Zeit der Trauer: Die Trauer beim Verlust eines nahen Menschen drückt sich bei vielen in einem tiefgehenden leib-seelischen Schmerz aus. Trauernde verstehen sich in ihren widersprüchlichen Emotionen oft nicht mehr; gleichzeitig reagiert der Körper meist mit verschiedenen Symptomen und mit Schmerzen. Das Buch überträgt die Erkenntnisse der Neurowissenschaften erstmals auf Trauerprozesse und vermittelt diese allgemeinverständlich. Es vertritt einen ganzheitlichen Ansatz: Trauer betrifft Körper und Psyche. Die Autoren bringen ihre Erfahrungen aus mehr als 30 Jahren Trauerbegleitung ein: Sie geben Anregungen, den eigenen Weg durch die Trauer zu gehen. Zielgruppe: - Trauernde - Männer und Frauen - Alle, die Trauernde begleiten - Alle, denen in der beruflichen Praxis Trauernde begegnen: Ärztinnen und Ärzte, PsychotherapeutInnen, Seelsorger und Seelsorgerinnen.

Dr. Klaus Onnasch, Pastor i.R., Aus- und Fortbildung in Klinischer Seelsorge sowie Bibliodrama/Psychodrama, lebt und arbeitet in Kronshagen; Aktiv in Partnerschaften mit Regionen in Uganda und in der Türkei. Seit 1977 ist er in der Trauerbegleitung praktisch tätig; erfolgreicher Buchautor zum Thema 'Trauer'.

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Leseprobe
Vorwort Mit diesem Buch wenden wir uns an alle, die einen nahen Menschen verloren haben und die unter diesem schweren Verlust leiden. Das Buch will ermutigen, einen eigenen Weg durch die Trauer zu finden. Weiterhin möchten wir diejenigen ansprechen, die Trauernden begeg nen: Angehörige, Freundinnen und Freunde, Nachbarn. Schließlich wollen wir auch denen Informationen und Anregungen geben, die in ihrem Beruf in der ärztlichen, psychologischen oder seelsorgerlichen Praxis mit Trauernden zu tun haben. Aus der Perspektive der Trauernden wird dargestellt, wie Trauer erlebt wird: Was wird in dieser Situation von ihnen selbst als einfühlsam und bestärkend empfunden? Das Besondere dieses Buches liegt darin, dass es auf die Zusammenhänge von Leib und Seele in der Trauer ausführlich eingeht. Vielen Trauernden schmerzen der Rücken, der Bauch, das Herz . Dann wieder brechen seelische Schmerzen auf, die oft kaum auszuhalten sind. Erst in den letzten Jahren hat die Hirnforschung zeigen können, wie Leib und Seele in äußerster Not reagieren, wie wir uns selbst schützen und uns dann doch wieder mit den schweren Verletzungen auseinandersetzen. Was durch den Verlust in uns abgeschnitten und zerrissen ist, kann im Prozess der Trauer langsam heil werden. Die neurobiologischen Prozesse, die dabei ablaufen können, möchten wir verständlich und praxisnah darstellen, immer auf die Situation von Trauernden ausgerichtet. Wir beziehen uns dabei auf unser erstes gemeinsames Buch »Trauma und Trauer«, in dem wir wissenschaftliche Erkenntnisse neurobiologischer Forschung eingehender beschrieben haben (Gast et al. 2009). Im Unterschied dazu geht es in diesem zweiten Buch direkt um die Situation von Trauernden: Wie kann ich besser verstehen, was in meinem Schmerz vor sich geht? Wie kann ich mich schützen und gut auf mich selbst achten? Manche wichtigen Phänomene in der Trauer werden in dem Buch an mehreren Stellen beschrieben. Dazu gehört das Wechselspiel von Schutz und Auseinandersetzung mit dem Schmerz (vgl. 1.2., 3.2., 4.2., 11.). Auch die Leitfrage »Was tut mir gut in meiner Trauer?« taucht immer wieder auf. Dabei geht es nicht um Wiederholungen, sondern um Weiterentwicklungen, die der Figur einer Spirale entsprechen. Solche Spirale kennzeichnet oft den Verlauf eines Trauerprozesses. Wir gelangen nach einiger Zeit zu bestimmten Erfahrungen, die wir bereits kennen; aber inzwischen haben sie sich vertieft und erweitert. Wir können sie aus neuer Perspektive wahrnehmen. Bei uns beiden sind es persönliche Erfahrungen, die uns dazu gebracht haben, so intensiv der Trauer nachzugehen, Trauernde und Traumatisierte zu begleiten und schließlich dieses Buch zu schreiben. Ich, Klaus Onnasch, will von dem Ereignis berichten, das mein Leben zuerst zerrissen und dann von Grund auf verwandelt hat. Vor sechzehn Jahren bekam ich die Nachricht, dass mein Sohn im Alter von 28 Jahren plötzlich gestorben war. Wie konnte ich weiterleben, wenn mein Sohn vor mir aus dem Leben schied? Dann erhielt ich fast zwei Jahre lang eine sehr einfühlsame Trauerbegleitung: Hier konnte ich mich aussprechen mit meinem Chaos an Gefühlen. Ganz langsam konnte ich wieder Perspektiven meines Lebens entdecken und schließlich einen neuen Lebensabschnitt gestalten. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde ich gefragt, ob ich selbst Trauernde in Gruppen begleiten wollte. Nach längerem Zögern sagte ich zu. Unterstützung erhielt ich darin von Ursula Gast, die ich bereits vom Studium her kannte. Später - Chefärztin eines Trauma-Krankenhauses - machte sie mich mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung vertraut. Das führte dazu, dass ich Prozesse in mir, die ich anfangs als »verrückt« empfand, viel besser verstehen konnte. Auch sprachen wir gemeinsam darüber, welche Bedeutung religiöse Symbole und Rituale in Trauerprozessen angesichts solcher Forschungen haben können. Als ich von meiner Frau im Jahr 2006 Abschied nehmen musste, trugen solche Erkenntnisse, verbunden mit spirituellen Erfahrungen, dazu bei, dass ich einen guten Weg durch meine Trauer finden konnte. Es wurde mir möglich, manche Einsichten anderen Trauernden zu vermitteln. Durch diese Anregungen konnten auch sie sich in ihrer Situation besser orientieren. Mich, Ursula Gast, haben Trauma- und Verlusterlebnisse der Eltern und deren ungelebte Trauer geprägt, wie es in der Nachkriegszeit wohl eher die Norm in Deutschland war. Die Schwierigkeiten, Gefühle als bedeutsam anzuerkennen und mitzuteilen, umgaben die Eltern mit einer Aura der Unerreichbarkeit. Ihre Emotionen konnten sie noch am ehesten in religiösen Bildern und Ritualen erleben und gestalten - diese haben daher für mich bis heute eine wichtige Bedeutung. Im Dialog mit Klaus On-nasch hat sich mir ein Weg erschlossen, Bilder, Symbole und Rituale vor Erstarrung, Einengung und Vereinnahmung zu schützen und sie im Alltag und in therapeutischen Prozessen immer wieder neu zu entdecken und zu beleben. Bei einem Besuch in Kiel in seinen Trauergruppen zeigte sich zudem, dass die Vermittlung von neurobiologischen Erkenntnissen - eingebettet in eine einfühlsame Begleitung - von den Trauernden als sehr entlastend angenommen wurde. Die Idee zum Buch entspringt aus dem gemeinsamen Austausch dieser Erfahrungen und dem Wunsch, die daraus gewonnene Zuversicht auch anderen mitzuteilen. Wir beide haben alle Texte dieses Buches miteinander durchgesprochen. Das 10. Kapitel und einen Teil des Vorworts hat Ursula Gast verfasst. Alle anderen Texte hat Klaus On-nasch geschrieben. In diesem Buch beschränken wir uns auf die Darstellung der Trauer nach dem Tod eines nahen Menschen. Viele Empfindungen und Erkenntnisse, die hier beschrieben werden, lassen sich jedoch auch auf andere schwere Verluste und Trennungen beziehen. Bei der Trennung in der Partnerschaft zeigen sich besonders bei der verlassenen Partnerin / dem verlassenen Partner Trauererfahrungen, die dem Schmerz bei dem Verlust eines nahen Menschen durch Tod entsprechen. Allerdings gibt es leider bei diesen Abschieden viel zu wenige gesellschaftlich akzeptierte Symbole und Rituale, die die Gestaltung eines solchen Trauerprozesses fördern. Viele Anregungen dieses Buches lassen sich auch auf andere schwere Verlustsituationen übertragen. Wir danken allen, die dieses Buch ermöglicht haben. Dazu gehören Mitglieder der Trauergruppen in der Fa. Flenker, Kiel, die ihre Trauer zum Ausdruck brachten; manche ihrer Aussagen, Symbole, Rituale und Träume sind (anonymisiert) in diesem Buch aufgenommen. Einige Mitglieder haben auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen das Entstehen des Buches kritisch und bestärkend begleitet. Beim Abschnitt zu dem Kapitel »Trauer in den Weltreligionen« haben Mitglieder des Interreligiösen Arbeitskreises Kiel wichtige Anregungen gegeben, so Nejla Yilmaz zum Islam, Alf Bartholdy zum Buddhismus, Walter Pannbacker zum Judentum, zu dieser Religion außerdem Reinhild Draeger-Muenke aus Philadelphia, USA. Danken möchten wir auch Elke Heinen vom Landesverband Verwaiste Eltern Schleswig-Holstein e.V. für die Durchsicht der Internetadressen im Anhang. Besonders danken wir Ev Pagel, die uns bei der Arbeit an diesem Buch mit Rat und Tat zur Seite gestanden und Korrektur gelesen hat. Sie hat die Bilder für dieses Buch gezeichnet; sie können dazu anregen, den unterschiedlichen Gefühlen Ausdruck zu geben. Der Lektorin des Verlags Klett-Cotta, Dr. Christine Treml, sagen wir Dank für alle Ermutigung und Unterstützung. Kiel und Havetoftloit, März 2011 Dr. Klaus Onnasch Privatdozentin Dr. Ursula Gast 1.Einführung 1.1. Der unsagbare Schmerz Ein sehr naher Mensch ist gestorben. Es tut so weh. Viele Trauernde haben nach dem Tod des vertrauten Menschen das Gefühl, »verrückt« zu werden. Gefühle reißen sie hin und her: Wut, Sehnsucht, Verzweiflung, Ohnmacht. Sie verstehen sich selbst nicht mehr. Es quält sie auch, dass sie kaum Worte finden, um sich anderen in ihrer Not mitzuteilen. Oft spüren sie, wie von innen her der Körper Signale gibt: Vieles tut so furchtbar weh: der Kopf, der Rücken, der Bauch, das Herz ... Es ist kaum auszuhalten. Manchmal erleben sie Träume, die sie schwer begreifen, und Albträume, die sie aufschrecken. Bilder vom verstorbenen Menschen kehren wieder, manche Erinnerungen trösten sie, andere überfallen sie plötzlich und lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Dann wieder steigen Vorstellungen auf, die weiterführen: ein Ufer am Meer, wo sich der Blick bis zum Horizont öffnet, oder eine Kerze im Zimmer, die leuchtet und Wärme gibt. Wie können wir verstehen, was in uns vor sich geht, in unserem Leib und in unserer Seele? Die neurobiologische Forschung, die sich mit den Zusammenhängen von Körper und Psyche beschäftigt, hat in den letzten Jahren wichtige Erkenntnisse gewonnen, die in dieser Frage weiterführen. Im Blick auf den unsagbaren Schmerz und die anderen verwirrenden Gefühle gibt es in dieser Forschungsrichtung Hinweise auf folgende Zusammenhänge: In der ersten Zeit der Trauer ist es normal, dass das Sprachzentrum nicht voll funktionsfähig ist und Trauernde Schwierigkeiten haben, Worte zu finden. Die Schmerzen sind zunächst unfassbar. Am Anfang werden sie noch durch körpereigene Stoffe betäubt, um so das Überleben zu ermöglichen. Sie brechen später immer wieder auf und machen so deutlich, dass es notwendig ist, sich mit dem unbegreiflichen Verlust auseinanderzusetzen. Die Schmerzen zeigen sich in Leib und Seele. Werden sie »weggesteckt«, treten sie häufig verstärkt im Körper auf. Trauernde finden oft einen besonderen Zugang zu Bildern und Symbolen - in Tagträumen, manchmal auch in Nachtträumen, in spontanen Einfällen wie in persönlichen oder auch gemeinsamen Ritualen. Manche dieser Symbole bieten die Möglichkeit, dem Stress, der durch den Verlust entsteht, entgegenzuwirken. Diejenige Seite unseres Gehirns, die für solche Bilder und Symbole besonders zuständig ist, behält auch in der Trauer ihre Funktion und kann verstärkt werden. Über Bilder kann das zum Ausdruck kommen, was sonst unsagbar ist. Durch Symbole können Trauernde wieder ihre Sprache finden. Indem sie einfühlsamen Menschen ihr Erleben mitteilen, wird das Sprachzentrum wieder gestärkt. Durch Symbolbildung und Mitteilung kann das schreckliche Geschehen, das zum Schutz vor Überflutung in der Trauer zunächst abgespalten wurde, wieder als Teil des eigenen bewussten Lebens verstanden werden. Damit der vorher unsagbare Schmerz mitteilbar wird, müssen neue Verbindungen im Gehirn aufgebaut und stabilisiert werden. Dafür braucht es notwendigerweise Zeit. In dem Buch wird dargestellt, wie sich dieser Prozess in der Trauer vollziehen kann. 1.2. Trauer als heilende Kraft Der Schutz in der Trauer Der plötzliche Abschied von einem Menschen, der unser eigenes Leben bisher stark bestimmt und geprägt hat, würde meist zum Zusammenbruch führen, wenn uns dieser Verlust mit allen Konsequenzen sofort voll bewusst würde. Durch unseren Leib werden wir davor geschützt. In solcher Situation werden körpereigene Betäubungsmittel (Endorphine, Opiate) ausgeschüttet. Manche Menschen fühlen sich dann » wie in Watte gepackt «. » Es ist wie ein Film, bei dem ich von außen zuschaue. Oder wie ein böser Traum, aus dem ich endlich aufwache - und alles ist wie früher .« Viele erwarten, dass der vertraute Mensch doch wieder wie früher zur Tür hereinkommen muss. Mit unserem Verstand wissen wir dann zwar, dass er verstorben ist. In unseren Gefühlen jedoch ist er bei uns und hat uns keineswegs verlassen. Oft sind wir auch durch viele Tätigkeiten davon abgelenkt, uns mit der Wirklichkeit des Todes auseinanderzusetzen. Das alles können wir als einen notwendigen Schutz verstehen, der trotz der Katastrophe unser Leben bewahrt. Mit der Zeit aber lässt die Betäubung nach. Es können sich seelische und körperliche Schmerzen einstellen. Sie lassen uns fühlen, dass die unerträgliche Erfahrung des Verlustes noch zu bearbeiten ist. In der Zwischenzeit sind auch die Kräfte gewachsen, die solche Verarbeitung ermöglichen. So gehört beides zusammen zur Trauer; der notwendige Schutz wie auch die allmähliche Auseinandersetzung. Die Bedeutung der Schmerzen Schmerzen machen uns darauf aufmerksam, dass etwas mit uns nicht stimmt, in unserem Leib, in unserer Seele oder in beidem. »Was fehlt Ihnen?«, werden wir gefragt. »Er fehlt mir so sehr. Wie kann ich ohne ihn leben? Es tut so weh.« Manche wollen sich dann »zusammenreißen«, aber damit tun wir unserer ohnehin so verletzten Seele Gewalt an. Andere versuchen, die Schmerzen »wegzustecken«. Aber wohin sollen wir sie stecken? Sie sind dann in unserem Körper versteckt und melden sich dort plötzlich wieder. Oft sind es die Schwachstellen, die uns vorher zuweilen Beschwerden machten: Wir zerbrechen uns den Kopf, nehmen uns alles zu Herzen, vieles liegt uns unverdaut im Magen. Oft zeigen uns auch die Beine, dass es uns wirklich nicht »gut geht«. 1. einführung Wir können versuchen, mit den Körperteilen, die uns weh tun, ins innere Gespräch zu kommen. Wir können hinhören, was sie uns zu sagen haben. So klagte eine Witwe in einer Trauergruppe über starke Halsschmerzen, ihre Kehle war ganz eingeengt und kratzte: »Es ist, als säße ein Frosch darin.« Ich schlug ihr vor, sich vorzustellen, dass - wie im Märchen - dieser Frosch aus ihrer Kehle auf den Tisch springt. Diese Verbildlichung gelang ihr. Sie konnte mit ihm über ihr tiefes Leid sprechen, das in ihr steckte und das sonst kaum jemand wahrnahm. Nach diesem Gespräch waren die Halsschmerzen vergangen, ihre Kehle wurde frei. Allerdings spürte sie das Fehlen ihres Mannes in ihrer Seele umso stärker. Doch dieses Leid konnte sie mitteilen. Sie konnte offen aussprechen, was sie innen bewegte. So konnte sie neuen Atem schöpfen. Wir konnten ihr den Schmerz der Trauer nicht nehmen. Doch insgesamt fühlte sich die Witwe nachher sehr erleichtert. So lassen uns Schmerzen immer wieder den entsetzlichen Verlust spüren. Sie zeigen uns dadurch, wie notwendig eine weitere Trauerarbeit ist. Indem wir mitteilen, was wir erleiden, können wir Wege finden, mit diesem schmerzhaften Verlust zu leben. Orientierung in der Trauer Für Trauernde ist die vertraute Welt, die durch den Verstorbenen weitgehend bestimmt und geprägt war, in dieser Weise nicht mehr vorhanden. Ohne ihn scheint alles fremd zu sein. Was vorher selbstverständlich erschien in Beziehungen und Regelungen, das besteht alles nicht mehr. Hinzu kommt, dass nach einem schweren Verlust das System im Gehirn, das uns die Orientierung in Raum und Zeit ermöglicht, meist nicht mehr so funktioniert wie vorher. In solcher Situation verirren sich die Menschen oft. Ein Witwer kommt sehr verspätet zur Trauergruppe: »Ich hatte mich total verfahren und war falsch eingebogen; beinah wäre ich zum Geisterfahrer geworden.« Kennzeichnend ist auch folgende Situation: Eine Trauernde hat den Schlüssel auf den Wohnzimmertisch gelegt, dann die Tür zugezogen und so sich selbst ausgesperrt. Oft entspricht das auch der seelischen Situation: » Alles ist mir fremd geworden, ich bekomme auch zu mir selbst keinen richtigen Zugang.« Wie kann ich es lernen, mich trotzdem zurechtzufinden? Besonders wichtig ist es, dass ich mir bewusst mache, dass diese Desorientierung ein ganz natürlicher Prozess ist. Tatsächlich ist vieles ganz anders geworden, und ich brauche Zeit, bis durch die Trauer hindurch wieder eine neue vertraute Welt entstehen kann. Ich nehme es mir nicht übel, wenn ich etwas verlege und mich verirre. Ich bin großzügig zu mir. Ich lerne bei all den Verwirrungen, etwas langsamer und achtsamer zu sein. Ich suche nach Regelungen, die mir guttun. Im Prozess der Trauer können Strukturen entstehen, die neuen Halt und Stabilität geben. 1.3. unterschiedliche Verluste - unterschiedliche Trauer Jede Trauer ist anders. Deswegen ist es notwendig, jeweils auf die besondere Situation der einzelnen Trauernden zu achten. Der Verlust der Tochter oder des Sohnes bedeutet für die Eltern eine außerordentliche Belastung. Alle Ordnung scheint außer Kraft gesetzt, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben. Die Zukunft scheint mit diesem Tod oft für die Eltern zerstört zu sein. Für manche ist auch die Hoffnung zunichte geworden, in dem eigenen Kind weiterleben zu können. Es braucht meist sehr lange Zeit, bis sie für sich eine neue Lebensperspektive finden. Der Verlust des Partners oder der Partnerin wird auch deshalb als schwerer Einschnitt erlebt, weil die Beziehung zu ihm oder zu ihr bisher das eigene tägliche Leben geprägt hat. Das gilt auch für solche Situationen, in denen viele Konflikte die Partnerschaft bestimmt haben. Es ist eine schwere Herausforderung und Aufgabe, mit der Zeit neue Strukturen zu finden, in denen das Leben ohne diesen Partner gestaltet werden kann. 1. einführung Eine zusätzliche Belastung stellt es dar, wenn der Tod ganz plötzlich eingetreten ist. Es gab dann keine Zeit, sich auf den Abschied innerlich einzustellen. Wenn kein gemeinsames Gespräch über die Möglichkeit, durch den Tod getrennt zu werden, stattgefunden hatte, wird das häufig schmerzlich vermisst. Selbsttötung kann den Abschied und den gesamten Trauerprozess erheblich erschweren. Oft quälen belastende Fragen: Was hat dazu geführt, dass er sich das Leben genommen hat? Hätten wir spüren können, was in ihm vor sich ging? Hätten wir die Tat verhindern können? Bezeichnungen wie »Selbstmord« oder »Freitod« halte ich für unangemessen. Dieser Schritt aus dem Leben geschieht meist in verzweifelter Not, wo kein anderer Ausweg mehr möglich erscheint. Manchmal kann ein Sog entstehen, dem Toten nachfolgen zu wollen. Umso wichtiger ist es dann, zwischen dem Weg des anderen und dem eigenen Weg zu unterscheiden und einfühlsame Begleitung zu suchen. Der Verlauf der Trauer hängt auch davon ab, welche Vorerfahrungen Trauernde in ihrer eigenen Lebensgeschichte mit schwereren Verletzungen, Krisen und Tod hatten. Oft haben sie schon längere Zeit vorher einen vertrauten Menschen verloren; manchmal ist es zu zwei, drei oder mehr schweren Verlusten gekommen, ohne dass ein wirklicher Abschied möglich gewesen wäre. So bietet die Trauer um den jetzt gestorbenen Menschen die Chance, auch die früheren Verluste zu betrauern. Das braucht Zeit, weil das nicht alles gleichzeitig geschehen kann und in den Gefühlen doch zusammenhängt. Der Trauerprozess wird entscheidend durch die Wertvorstellungen bestimmt, die die jeweiligen Trauernden haben. So galt in der Kriegsgeneration besonders für Männer die Regel, tapfer zu sein, sich zusammenzunehmen und die Schmerzen nicht zu zeigen. In der Trauergruppe sagte ein Witwer: » Ich bin wie in einem Panzer eingeschlossen. Erst hier in der Trauergruppe lerne ich es langsam, mich mit meinen Gefühlen zu öffnen.« Die Norm, stark sein zu müssen und Schwächen zu verbergen, wurde oft unbewusst an Kinder und Enkel weitergegeben. Vielleicht liegt darin ein Grund dafür, dass in der 1.3. Unterschiedliche Verluste - Unterschiedliche Trauer Regel Männer nur eine Minderheit in Trauergruppen bilden (ca. 10 - 20% aller Teilnehmenden). Wer sich auch in seinen Schmerzen geborgen fühlt und darauf vertraut, dass Verstorbene auch jenseits der Todesgrenze aufgehoben sind, kann sich eher in der Trauer öffnen und neue Perspektiven gewinnen. Kinder finden besondere Wege durch ihre Trauer. Meist hat das Spielen bei der Bearbeitung des Verlustes eine besondere Bedeutung. Es ist sehr wichtig, dass die Äußerungen, Fragen und Gefühle der Kinder achtsam wahrgenommen werden. Häufig geschieht das viel zu wenig. Wir gehen auf die Situation von trauernden Kindern in einem besonderen Abschnitt ein (5.1.). Die Unterschiedlichkeiten in all diesen Trauererfahrungen machen deutlich, dass es keine festgelegten Normen und immer gleich ablaufende Phasen in der Trauer geben kann. Sehr hinderlich ist es, wenn wir uns selbst und andere unter zeitlichen Druck setzen: » Man müsste eigentlich schon viel weiter sein.« Die Trauer braucht so lange Raum und Zeit, wie Leib und Seele sie benötigen. Das ist bei jedem und jeder verschieden. Die Gefühle geben uns darüber Auskunft, was uns gerade jetzt guttut. Trauernde können die Äußerungen in diesem Buch auf ihre jeweilige Situation beziehen. Sie können die Aussagen in diesem persönlichen Zusammenhang sehen, verstehen und auch relativieren. 1.4. neue Wege in der Trauer So verschieden Trauersituationen auch sein mögen, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Es geht darum, mit der Zeit neue Wege zu finden. In diesem Buch gehen wir neuen Wegen in verschiedener Hinsicht nach: Durch den Tod des vertrauten Menschen erscheint uns die Welt, in der wir uns bisher eingerichtet hatten, fremd. Die Wohnung ist ganz anders geworden, der Tagesablauf funktioniert nicht mehr wie früher, nachts finden wir nicht wie sonst den ruhigen Schlaf, die Arbeit fällt uns schwerer, wir können uns kaum konzentrieren, vieles erscheint uns farblos, öde, leer und sinnlos. Wir spüren: Wir müssen uns ganz neu orientieren. - Aber wie? Es braucht dann Zeit, bis wir jetzt allein einen Weg finden, die Wohnung neu zu gestalten, mit Schmerzen alte, nun nicht mehr gebrauchte Sachen auszuräumen und allmählich die Räume so zu gestalten, dass sie der neuen Situation entsprechen. Es braucht Zeit, die Menschen zu finden, die mit uns in unserer Trauer achtsam umgehen und sich in uns einfühlen können. Es braucht auch Zeit, bis wir wieder einen Zugang zu uns selbst finden können und mit unseren oft chaotischen Gefühlen einigermaßen zurechtkommen. Diese neuen Wege sind notwendig, damit wir langsam zu einem neuen Abschnitt unseres Lebens gelangen können. Die neurobiologische Forschung der letzten Jahre hat neue Wege eröffnet, das zu verstehen, was in der Trauer in Leib und Seele vor sich geht. Wir sehen dann bestimmte Reaktionen nicht mehr als »verrückt« an, sondern begreifen sie etwa als notwendige Maßnahmen unseres Körpers, um in äußerster Bedrohung unser Leben vor dem Zusammenbruch zu schützen. Wir gehen großzügig mit uns um, wenn wir etwas vergessen und verlegen. Wir verlieren nicht den Mut, wenn wir nicht mehr wie bisher Worte finden, sondern gewinnen einen neuen Zugang zu der Sprache der Symbole, Bilder und Gefühle. Wir suchen Wege der Entspannung und Erholung, weil wir wissen, welchen Stress und welche ungeheure Belastung die Trauerarbeit bedeutet. Neurobiologische Erkenntnisse geben uns Hinweise, wie wir mit unserer Trauer besser zurechtkommen. Noch ist in der Hirnforschung vieles im Fluss und längst nicht alles erkundet. So ist noch nicht entschlüsselt, wie die verschiedenen Felder und Kräfte im Gehirn sich zu gleicher Zeit aufeinander einspielen und zusammenwirken. Bei dem Gefühl der Trauer sind weit auseinander liegende Zentren und unterschiedliche, teils hemmende, teils fördernde Übertragungsstoffe beteiligt. Doch gibt es inzwischen Modelle, die auf dem neuesten Stand der Forschung Zusammenhänge verstehbar machen. Solche Modelle sind immer nur Annäherungen an die Wirklichkeit; sie lassen sich durch neue Erkenntnisse und Fragestellungen immer wieder überprüfen und verändern. Dazu gehört das Modell der »Synergetik« (Zusammenwirken): In biologischen Systemen können einzelne Teile in Selbstorganisation räumliche, zeitliche und funktionale Strukturen bilden. Dabei entstehen Ordnungen, die das Verhalten vieler Teile bestimmen können. Besonders untersucht wird dabei der Übergang von der einen in die andere Ordnung. So kann gezeigt werden, wie es aus einem Zustand von Verletzung und Erstarrung zum Fließen der Trauer kommen kann. Ein Modell, das für Trauernde wie für Begleitende fruchtbar und hilfreich sein kann, stellen wir in diesem Buch vor. Es hat sich in der Trauerbegleitung bereits vielfach bewährt und Trauernden ermöglicht, die Prozesse, die in ihnen ablaufen, besser zu verstehen. Sie lernten dabei, Signale des Körpers aufmerksamer wahrzunehmen und stärker auf ihre Gefühle zu achten. Viele wurden dadurch auch ermutigt, diese Prozesse mit der Zeit bewusster zu steuern und zu gestalten. Selbstverständlich bedarf es bei einem solchen Modell der ständigen Überprüfung und Weiterentwicklung - sowohl im Blick auf die Theorie wie auch auf die Praxis von Trauerarbeit und Trauerbegleitung. Eine wichtige Erkenntnis in der Hirnforschung besteht darin, dass durch ständige bewusste wie unbewusste Gewohnheiten und Übungen Bahnungen zwischen den einzelnen Nervenzellen entstehen. Bei ständig sich wiederholendem Verhalten und intensivem Training werden diese Bahnungen erheblich verstärkt. Will ich zum Beispiel lernen, mich nachhaltig zu entspannen, durch Meditation, durch autogenes Training oder andere Methoden, so braucht es zumindest etwa 28 Tage bei dreimaliger Durchführung jeden Tag, bis sich eine ausreichende Bahnung bildet. Über die Kontaktstellen der Nervenzellen (Synapsen) kommt es zu einer Verbindung mit anderen Bahnen, es bildet sich eine dichte Vernetzung in dem entsprechenden Teil des Gehirns. In der Neurobiologie wird häufig das Bild vom Wegesystem gebraucht: Bei geringer Übung entsteht zunächst ein kleiner Pfad, dann bei häufiger Nutzung ein Weg, schließlich eine Straße. Bei ständigem intensivem Gebrauch wird schließlich daraus eine Art »Autobahn«: Zur Kommunikation und zur Lösung von Problemen wird immer wieder dieser sehr schnelle, vertraute Weg genommen, dadurch wird er noch weiter ausgebaut. Was aber geschieht, wenn nun durch den Tod des Partners dieses gewohnte Wegesystem abgeschnitten und zerrissen wird? Im Gehirn laufen zunächst noch die gewohnten Verbindungen weiter. Ein Witwer erzählte: » Morgens beim Aufwachen reiche ich immer meinen Arm zu der Seite des Bettes, wo meine Frau gelegen hatte. Dann spüre ich mit Erschrecken, dass diese Seite leer ist.« Wir merken voller Schmerzen, dass der alte gewohnte Weg nicht mehr weiterführt. Manche geraten dann auf eingefahrene »Autobahnen« und quälen sich dabei immer wieder. Das kann sich im schlechten Gewissen äußern, das ihnen sagt: »Hättest du dich anders verhalten, wäre sie vielleicht so nicht gestorben. Dann wäre sie jetzt noch hier.« Nach mehrfachem Kreisen in diesem Grübeln wachen wir dann in die Wirklichkeit hinein auf und merken, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind. Wie können wir die Fahrt auf der bisherigen »Autobahn« unterbrechen? Wie können wir den Weg in eine neue Ordnung hinein finden, die unserer jetzigen Lebenswirklichkeit entspricht? 1.5. leitfrage: Was tut mir gut in meiner Trauer? Wer durch den Verlust so viel Schweres zu durchleben hat, steht vor einer besonderen Aufgabe: Es geht darum, gerade in der Krise für sich selbst achtsam zu sorgen und sich selbst Gutes zu tun. Wir geben hier einige Anregungen und nennen das, was uns selbst und auch anderen in Trauer und Trauerbegleitung wohlgetan hat: Ich gestalte mein Zuhause so, dass ich mich darin wohlfühlen kann. Wenn ich abends nach Hause komme, habe ich schon vorher Licht angemacht, so dass ich mein Zimmer erleuchtet vorfinde. Ich habe mir auch schon vorher Blumen hingestellt. Ich überfordere mich nicht. Ich rechne mir aus, wie viel meiner Zeit und Kraft die Trauer in Anspruch nimmt. Wenn ich all meine normale Arbeit und Tätigkeiten hinzurechne, wird mir deutlich, warum ich oft so erschöpft bin. Ich gönne mir Ruhe und Erholung. Durch regelmäßige Entspannung gewinne ich mehr Gelassenheit. Wenn ich meine Trauer einfühlsamen Menschen gegenüber äußere, spüre ich, dass manchmal auch etwas Freude in mein Leben einkehren kann. Trauer und Freude schließen einander nicht aus. Wenn das eine Gefühl freien Lauf hat, kann das andere auch fließen. Ich spüre meine Grenzen. Ich sage rechtzeitig »Stopp«, wenn ich merke, dass ich von den eigenen Gefühlen oder von den Gefühlen anderer total überschwemmt werde. Ich atme tief aus und stelle meine Füße fest auf den Boden. So finde ich wieder Grund. Oft fühle ich mich hin-und hergerissen. Ich versuche dennoch eine Balance zu halten. Laufen und bewegen tut mir gut. Ich achte auf die ermutigenden Zeichen, die mich trotz allem erfreuen können. Ich entdecke Bilder und Symbole, die mich weiterführen. Manchmal schreibe ich auf, was ich erlebe; auch probiere ich vielfältige Ausdrucksweisen wie z.B. das Malen
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