Vorwort
Wer mich nach einer Lebensweisheit fragt, dem antworte ich: Nimm dir die Zeit zum Kochen. Das ist die Quelle des Glücks. Für mich persönlich ist der Herd das Instrument, an dem ich meine Kunst zelebriere.
Ich glaube fest daran, dass uns die Zubereitung von Nahrung glückselig machen kann. Und wenn wir andere an dem eigenen Glück teilhaben lassen, steigt unser Glückspegel umso mehr.
Allen Lesern dieses Buches wünsche ich ein ebensolches Erlebnis. Volker Mehl ist ein begabter Koch, der mit viel Begeisterung an seine Sache herangeht. Unser Beruf braucht
Menschen, die offen und wissbegierig neue Wege gehen.
Die ayurvedische Küche bietet neben ihren vielseitigen Currys und schönen Früchten vor allem die Möglichkeit, sich ganzheitlich und bewusst mit Essen und Kochen auseinanderzusetzen. Diese Kunst sehe ich in Volkers Händen gut aufgehoben. Er ist einer, der mit Leib und Seele kocht. Und alles, was man mit Liebe tut, führt letztlich zum Erfolg.
Bleiben Sie neugierig, und vertrauen Sie auf Ihren Hunger: Die besten Köche sind nämlich die hungrigen Köche.
Ihr
Harald Wohlfahrt
Gruß aus der Küche
Ayurveda ist überall. »Wellness«-Badezusätze, Schnellmassagen und Teemischungen tragen heute gerne den Beinamen »Ayurveda« und sind auch abseits der einschlägigen Öko- und Weihnachtsmärkte erhältlich.
Dennoch wird Ayurveda, das »Wissen vom Leben«, vielerorts als asiatische Geheimlehre vermittelt, für die man sein bisherige; natürlich viel zu »ungesund« verbrachtes Leben, zumindest aber das häusliche Gewürzregal, komplett umkrempeln muss. In Ratgebern und Workshops wird uns suggeriert, dass wir auf dem falschen Weg sind und uns nur Gurus aus dem fernen Indien auf den rechten Pfad zurückführen können.
Wir, die Autoren, sehen Ayurveda als einen praktischen Leitfaden, der in allen Lebenslagen und jederzeit einsetzbar ist. Diese Lehre kommt ohne feste Kategorien aus: Deshalb werden wir Sie auf den folgenden Seiten mit Tabellen zur Typbestimmung (wie in gängigen Ayurveda-Büchern üblich) verschonen - unser Alltagsdenken ist bereits ausreichend von Schubladen und Mustern bestimmt, in die wir uns und unser Umfeld einordnen. Stattdessen zeigen wir, was Ayurveda im Alltag konkret bedeuten kann. Für uns bietet Ayurveda vor allem die Möglichkeit, die Vielfalt des Lebens tief und intensiv zu erfahren. Dem Streben nach Optimierung wollen wir ein genussreiches Plädoyer für Achtsamkeit und Sinn für das Schöne entgegensetzen, das nicht nur die Gesundheit des Einzelnen, sondern der ganzen Welt mit all ihren Bewohnern mit einbezieht. Im Yoga, einem festen Bestandteil des Ayurveda, spricht man von »Ahimsa«, einer Haltung der Gewaltlosigkeit. In diesem Sinne sind unsere Rezepte vegetarisch, mit Vorschlägen für vegane Varianten.
Wie Yoga ist Ayurveda von der Nischen-Lehre zum unverzichtbaren Begleiter zumindest einer bestimmten Gesellschaftsgruppe geworden. Ebenso gibt es inzwischen eine Vielzahl kritischer Stimmen. Einzelpersonen und Institutionen werden der Scharlatanerie beschuldigt, Fragen nach Authentizität und dem »echten« Ayurveda werden laut.
»Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück unserer Erde vermehrt: die Kochbücher.«
Joseph Conrad
Wir wollen niemanden entlarven und auch niemandem selbstsüchtiges Gewinnstreben unterstellen. Konsum- und Kulturkritik in dieser Richtung kann an anderer Stelle geäußert werden. Uns geht es vielmehr darum, Ayurveda als ein ganzheitliches System vorzustellen, das uns in unserer Eigenverantwortung bestärkt. Wirkung statt Warnung! Die Aufnahme spiritueller Systeme aus anderen kulturellen Zusammenhängen in den Mainstream empfinden wir als positiv, als einen im wörtlichen Sinn wichtigen Strom im Leben vieler Menschen. Was früher Nischengruppen vorbehalten war, die sich teilweise bewusst abgrenzten, ist jetzt allgemein präsent. Die Yoga-Höhle war gestern, »Reinfinden statt Rausnehmen« lautet heute die Devise. West und Ost, Tradition und Moderne verbinden sich: Bei uns gibt es ayurvedische Pizza, Sandwiches, Frankfurter Grüne Soße und bayerische Bratkartoffeln. Im Benediktinerinnen-Kloster auf der bayerischen Fraueninsel kocht Volker Seite an Seite mit Ayurveda-Koch Nicky Sitaram Sabnis aus Goa.
Das Gute liegt so nah, sagt das Sprichwort. Nämlich direkt in uns. Ähnlich wie wir durch Yoga nicht nur lernen, auf dem Kopf zu stehen, sondern vor allem auf unseren eigenen Beinen, entführt uns Ayurveda nicht in exotische Welten, sondern führt uns näher zu uns selbst.
Entwickeln Sie Ihr eigenes Gefühl für Ayurveda! Und kochen Sie sich glücklich.
Mythos Ayurveda
Wie Yoga ist Ayurveda aus einem Nischendasein erwacht und hat sich zum Lifestyle und Synonym für eine moderne, erfüllende Lebenseinstellung entwickelt. Gleichzeitig schwingt aber auch heute noch ein Hauch von Mystik oder Exotik mit, wenn von der »indischen Lehre vom Leben« die Rede ist. Mit einigen Mythen soll hier zwar nicht »aufgeräumt« werden. Dennoch will ich sie in mein ganz persönliches System einordnen und damit etwas zugänglicher gestalten.
»Ayurveda« bedeutet »Wissen« oder »Wissenschaft« vom Leben
Diese Übersetzung ist in westlichem Sinn leicht missverständlich. Mit »Wissenschaft« ist hier nicht spezialisierte oder privilegierte Forschung gemeint, sondern eher angeborenes Wissen mit universeller Gültigkeit. »Leben« heißt, das Potential einer individuellen Lebensspanne mit allen Altersphasen auszuschöpfen - und Ayurveda ist nicht als Maßnahme zur Lebensverlängerung beziehungsweise als Rezept für ewige Jugend zu verstehen.
Ayurveda kommt aus Indien
Geografisch und historisch mag das korrekt sein, allerdings ging von Indien nie eine ayurvedische Mission aus. Ein von Menschen geschaffenes System entsteht nicht im luftleeren Raum. Es ist immer Produkt gesellschaftlicher, sozialer, ideeller und religiöser Gegebenheiten. So ist es auch mit dem ursprünglichen Ayurveda.
Aus heutiger Sicht ist jedoch klar: Ayurveda funktioniert überall, ganz gleich, in welchem Teil der Welt man lebt. Im Selbstverständnis des Ayurveda liegt ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge des Lebens, das jeder von Geburt an in sich trägt.
Ebenso wie jeder von uns mit Augen, Nase und Mund geboren wird, werden wir mit dem Verständnis im Sinne des Ayurveda geboren. Das eine ist nur die rein äußerliche, materielle Form. Das Wissen ist die sensiblere, feinstoffliche Form.
Alle Inder kennen und praktizieren Ayurveda
Ebenso könnte ich sagen: »Alle Deutschen laufen maßkrugschwingend in Lederhosen durch die Gegend.« Oder: »Alle Holländer sind Tulpenzüchter.«
Im modernen Indien lief die westliche Medizin der landesüblichen traditionellen Medizin lange den Rang ab, bis Ayurveda in jüngster Zeit - so wie die natürlichen Heilmittel im Westen - eine Art von Renaissance erfahren hat. Vieles ist gutem Marketing zu verdanken: Denn auch in Indien hat man natürlich erkannt, dass der Tourist aus dem Westen es toll findet, in räucherstäbchengeschwängerter Luft, umrahmt von netter Musik, am Strand massiert zu werden.
Das führt mich zum nächsten Märchen.
Eine Ayurveda-Kur ist eine Wellness-Maßnahme
Eine traditionelle Ayurveda-Kur ist von der bei uns hauptsächlich praktizierten Sauna-Fallenlassen-Smoothie-Wellness so weit weg wie die Erde von der Venus.
Ayurveda ist in erster Linie eine Präventionslehre. Das Hauptbemühen des Ayurveda liegt darin, dass Körper und Geist im Gleichgewicht bleiben und gar nicht erst krank werden. Sollte der Körper aber dann doch einer Behandlung bedürfen, sind gegebenenfalls massive Gegenmaßnahmen einzuleiten, um die Krankheit aus dem Körper zu eliminieren. Diese Anwendungen, Kräuterdrinks und Diäten haben wenig mit westlichen Wellnessprospekten zu tun, die den ungeschützten Begriff des Ayurveda verwenden und mit Stirnölgüssen und deftigem Bio-Bauernbuffet werben. Dass vierhändige Synchron-Massagen und Yoga am Strand von Sri Lanka trotzdem guttun, will ich hier allerdings auch nicht ganz verleugnen. Und nie wieder werden Sie Menschen treffen, die sich so intensiv und unverblümt für Ihre Verdauung interessieren wie die dortigen Ayurveda-Ärzte ...
Ohne Curry und Kreuzkümmel kann man nicht ayurvedisch kochen
Gegenthese: »Ohne Fleisch kann man nicht leben.« Wenn ich Kreuzkümmel über rohes Schweinehack streue, verwende ich zwar ein typisches ayurvedisches Gewürz, bewege mich aber nicht wirklich im ayurvedischen Kontext.
Auf der anderen Seite können Omas AlltagsBratkartoffeln oder eine Schokoladencreme ganz im Sinne des Ayurveda sein. Denn die Intention und das Bewusstsein für das, was und wie ich etwas tue, ist genauso wichtig wie die Handlung selbst. Man könnte es bewusste Ziellosigkeit nennen. Nicht das Ziel, sondern ausschließlich meine Intention bestimmt die Handlung.
Ayurvedische Küche ist aufwendig
Wie viel Aufwand verdienen Achtsamkeit und Hingabe an eine elementare Sache? Sollen wir überhaupt nach dem Aufwand fragen? Beim Zubereiten unserer Nahrung geht es vor allem um Selbstachtung.
Was mich an Ayurveda fasziniert, ist die veränderte Wahrnehmung der Wertigkeit von Nahrung. Nahrung wird hier nicht für das Motto »schöner, schlanker, besser« instrumentalisiert, sondern als Geschenk gesehen, das dazu da ist, um Körper und Geist gesund zu erhalten.
Der Kernaufwand für die ayurvedische Küche besteht aus folgenden Arbeitsschritten:
- man räume die Küche auf und entzünde eine Kerze zum Thema »schöne...