Eine Lebenshilfe für jedermann
Der Mensch – eine »Fehlkonstruktion«?
Trotz aller Erfolge der Medizin – die Zahl der Kranken will nicht sinken. Rund zwei Drittel aller Leiden und Erkrankungen sind seelisch bedingt oder mitbedingt. Kein Wunder: Durch das schnelle Arbeits- und Lebenstempo der heutigen Zeit, durch die ständig wachsende seelische Belastung auf der einen Seite und die abnehmende körperliche Bewegung auf der anderen werden höhere Anforderungen an Psyche und Konstitution des Menschen gestellt als früher.
In manchen Betrieben können die Maschinen nicht auf Hochtouren laufen, weil der Mensch mit ihrem Tempo nicht mithalten kann. Er ist im technischen Zeitalter vielfach zur Bremse geworden. Deshalb ist auch schon das Wort vom Menschen als »Fehlkonstruktion« gefallen.
Dem modernen Menschen wird viel aufgebürdet, gewiss – aber zusätzlich halst er sich selbst unnötige Lasten auf, die seiner Gesundheit schaden. Er hetzt sich und seine Umgebung, wird sich und seinem Umfeld zur Bürde, mit anderen Worten: er stresst sich selbst.
Über kurz oder lang sind gesundheitliche Störungen die Folge; sie unterwühlen den letzten noch verbliebenen Rest von Gesundheit. Ein Teufelskreis! Er wird auch nicht durch noch so gute Medikamente durchbrochen werden können. Ob es die vegetative Dystonie ist, die der Volksmund schlicht Nervosität nennt, oder ob es Verhaltensstörungen im Sinne von »Neurosen« sind, ob so genannte Zivilisationskrankheiten oder eine einfache Verstopfung – es handelt sich um Störungen, zu deren Heilung oder Linderung Arzt und Patient zusammenarbeiten müssen.
Hier bietet sich das autogene Training (AT) als gute Methode an, als ein Weg zur Leistungssteigerung und Gesundung oder einfach als eine Möglichkeit, das Leben erträglich zu machen. Das AT hilft dem »falsch konstruierten« Menschen, sich an das technologische Zeitalter anzupassen – durch Entspannung und Neubesinnung.
Eine wissenschaftliche Methode
Infolge der allgemeinen Verflachung des Lebens und des Verlustes fundamentaler Werte fühlen sich viele Menschen zum AT hingezogen. Sie spüren intuitiv, dass ihnen diese Methode physisch und psychisch Halt und Hilfe geben kann. Aber sie haben oft falsche Vorstellungen von ihr.
Nur wenige wissen, dass es sich um eine wissenschaftliche Methode handelt, um eine milde Art der Selbsthypnose, mit der die Kraft der Vorstellung auf den Körper übertragen werden soll. Der bildhaften Vorstellung von der Schwere beispielsweise folgt das Gefühl der Schwere, bis sich nach kurzer Zeit der Zustand der nachweisbaren Schwere als Ausdruck der Muskelentspannung einstellt. Die Übertragung vom Psychischen auf das Körperliche ist nur möglich, weil Leib und Seele eine Einheit bilden. Der Mensch ist ein »beseelter Organismus«.
Beeinflussung des Körpers durch die Macht der Vorstellung also. Das geschieht – wie der Schöpfer dieser Methode, der Nervenarzt J. H. Schultz, betont – in »konzentrativer Selbstentspannung«, von der im nächsten Kapitel die Rede sein wird.
Nahezu jeder – ausgenommen Kleinkinder – kann das AT erlernen, vorausgesetzt, er trainiert und konzentriert sich auf Ruhe und Entspannung. Wer sich dann mithilfe des AT von seinen Sorgen und Problemen lösen kann, wird den Teufelskreis der modernen Leiden und Störungen durchbrechen. Er wird Erfolg haben. Viele Kursteilnehmer haben sich durch das AT von jahrelangen Beschwerden aus eigener Kraft befreit. Sie haben Schmerzen und Gebrechen, Ängste und Beklemmungen, Befangenheit und Lampenfieber und viele andere Beschwernisse, die sie vorher von Arzt zu Arzt führten, selbst überwunden.
Für sie waren das ähnliche Höchstleistungen wie die, die ich in einem anderen Bereich dank des AT erzielt habe. Aus meinem Abenteuer kann man ersehen, wie mannigfaltig diese Methode der Selbstbeeinflussung dem hilft, der sie gezielt und systematisch anwendet.
Ein Selbstexperiment
Als ich 1952 in Casablanca arbeitete, lernte ich den französischen Kollegen Alain Bombard kennen, der vorgab, als »freiwilliger Schiffbrüchiger« in einem Schlauchboot ohne jegliche Lebensmittel und Trinkwasservorräte über den Atlantik segeln zu wollen. Er propagierte unter anderem einen sehr gefährlichen Satz: Schiffbrüchige dürften durchaus Seewasser trinken.
Da sich damals keine Stimmen erhoben, die diesen todbringenden Theorien widersprachen, fühlte ich mich als Arzt und Segler herausgefordert, sie durch einen Selbstversuch zu widerlegen. Gesegelt war ich schon während meiner Schulzeit in Ratzeburg, später auch – in der Seglersprache »einhand« – auf dem Atlantik.
Es ging mir dabei durchaus nicht nur um die Salzwasserfrage; auch andere Schiffbrüchigenprobleme, wie zum Beispiel die der Ernährung, der körperlichen Gesunderhaltung und der Vermeidung von Gefahren auf hoher See beschäftigten mich. Zu jener Zeit waren die Sicherheitsvorkehrungen für Besatzung und Passagiere von Schiffen unzureichend. Das war mir von mehreren Schiffsreisen her nur zu gut bekannt.
Als Fahrzeug wählte ich für mein Experiment einen westafrikanischen Einbaum, ein Kru-Kanu, weil ich inzwischen in Liberia arbeitete. In dieser Nussschale bin ich dann 1955 in 65 Tagen über den Großen Teich gesegelt und weiter nach meinem Endziel Haiti, der Schwesterrepublik Liberias. Natürlich war ich froh, heil und gesund drüben angekommen zu sein, aber je mehr Abstand ich zu dieser Fahrt gewann, desto unzufriedener fühlte ich mich – zwar hatte ich wichtige Erfahrungen im Überleben auf hoher See sammeln dürfen, doch war mir eins nicht geglückt: die Meisterung der psychischen Probleme einer solchen Fahrt. Ich hatte mich physisch, technisch und navigatorisch sorgfältig vorbereitet, psychisch hingegen nicht. Dadurch war ich in eine äußerst gefahrvolle Krisensituation geraten, die auch unglücklich hätte enden können. Mir war bekannt, dass mehr Schiffbrüchige aus Panik, Angst und Verzweiflung ums Leben gekommen sind als durch körperliche Not, dass die Psyche im Allgemeinen schneller aufgibt als der Körper. So fragte ich mich, wie man die Psyche beeinflussen oder sogar zur Mithilfe gewinnen kann. Das AT war die Antwort. Es sollte meine »Geheimwaffe« werden.
Für viele unverständlich, beschloss ich daher, eine neuerliche Fahrt zu unternehmen. Es wäre witzlos gewesen, das gleiche Boot zu benutzen. Vielmehr musste es ein noch kleineres sein. Es gab nur eins auf dem Markt: ein Serienfaltboot. In diesem (bis 2002) kleinsten Boot, das je den Atlantik überquerte, wollte ich das Wagnis eingehen.
Im Serienfaltboot über den Atlantik
Durch meine Erfahrungen mit dem Einbaum war ich in der Lage, ein für das Meer völlig ungeeignetes Faltboot so umzubauen und zu verstärken, dass sich meine Chancen, das Abenteuer heil zu überstehen, erheblich erhöhten. Es kam jetzt auf mich an.
Wichtig erschien mir, mein Vorhaben unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen. Außer einer Hand voll Freunde wusste niemand von diesem Plan, auch meine Eltern nicht. Und verheiratet war ich damals noch nicht. Jeden Pfennig des Unternehmens bezahlte ich selbst. All das gab mir eine Freiheit der Entscheidung, die mich unabhängig machte und aus der mir Kraft zufloss. Es gehörte viel Selbstzucht dazu, das Programm des körperlichen und psychischen Trainings durchzuhalten, um – wie es so schön heißt – meines »Mutes Herr« zu werden. Alle meine Vorgänger hatten ihren Wagemut mit dem Leben bezahlt.
Wer ein solches Abenteuer beginnt, muss wissen, was er sich überhaupt zumuten kann. Er muss die Grenzen kennen, seine eigenen und die des Bootes. Eine weitere Voraussetzung war für mich der Glaube – in doppelter Hinsicht. Der feste Glaube an das Gelingen ist der erste Schritt zur Verwirklichung; das gilt für jedes Unternehmen. Positive Gedankengänge beruhigen und entspannen überdies. Glaube bedeutet Kraftgewinn. Aber der religiöse Glaube und das Beten schienen mir nicht auszureichen; ich brauchte mehr: die aktive Mithilfe des Unbewussten, eine gezielte Therapie gegen die zu erwartenden Schwächezustände. Hier sollte mir das AT helfen.
»Ich schaffe es«
Da ich das AT beherrschte, ging ich erst sechs Monate vor dem beabsichtigten Abfahrtstermin dazu über, mir den ersten »formelhaften Vorsatz«, wie Schultz die Autosuggestionsformeln nennt, einzuverleiben, in tiefere seelische Schichten hineinzubilden: »Ich schaffe es.« Wenn ich abends während des Trainings einschlief, war der letzte Gedanke: »Ich schaffe es.« Und morgens konzentrierte ich mich als Erstes darauf. Auch während des Tages trainierte ich noch einmal am frühen Nachmittag in der bewährten Form.
Nun ist es aber mit jeder Suggestionsformel so bestellt, dass man sie sich auch zwischen den Übungen immer wieder vorsagen kann und sollte – beim Gehen, Sitzen, Essen, bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten. Man lebt mit dem Vorsatz, man identifiziert sich mit ihm, sodass er zur zweiten Natur wird und jede Zelle des...