2. Biographischer Horizont
Die älteste Schwester des Großen Kurfürsten wurde am 3. September 1617 im Residenzschloß zu Cölln a. d. Spree als erstes Kind der Prinzessin Elisabeth Charlotte (1597-1660) und des Kurprinzen Georg Wilhelm (1595-1640) geboren. Bei der Taufe erhielt sie den Namen der Mutter, wurde später aber immer Luise Charlotte genannt. Ihre Schwester, Hedwig Sophie, die spätere Landgräfin von Hessen-Cassel, folgte 1623. Der Großvater, Johann Sigismund von Brandenburg, starb zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618) und hinterließ seinem Sohn und Nachfolger Georg Wilhelm ein schweres Erbe. Dessen Schwester, Marie Eleonore (gest. 1655), war mit dem schwedischen König Gustav Adolf verheiratet.
Über die Kindheit Luise Charlottes ist fast nichts überliefert. Man darf aber voraussetzen, dass sie wie ihre Geschwister das Bildungs- und Erziehungsprogramm für fürstliche Kinder durchlaufen hat. M.a.W., sie war mit der Bildung der Zeit ausgestattet. Aus ihrer späteren Korrespondenz kann auf ein selbstbewusstes, diskursives und empathisches Wesen geschlossen werden[12]. Es war selbstverständlich, dass sie im calvinistischen Glauben erzogen worden ist, der ihr im wechselhaften Verlauf der Lebensgeschichte Trost und Standfestigkeit gegeben hat. Das Haus Brandenburg hatte sich seit der Konversion ihres Großvaters Johann Sigismund (1613) zu einem maßgeblichen Förderer und Verteidiger des Calvinismus in Europa entwickelt. Ihre Mutter, eine Tochter des Winterkönigs, Friedrich IV. von der Pfalz, genoss den Ruf eine Fürstin mit streng calvinistischer Gesinnung.
Luise Elisabeth von Brandenburg (1617-1676)
Herzogin von Kurland und Semgallen
Als während des Dreißigjährigen Krieges die Kämpfe Pommern und Brandenburg erreichten, wich die kurfürstliche Familie (zusammen mit den pfälzischen Verwandten) nach Königsberg aus. Denn Kurfürst Georg Wilhelm war auf die kaiserliche Seite gewechselt und hatte die Reaktionen der einstigen Verbündeten zu fürchten. Unterdessen führte in der Mark Hans Adam von Schwarzenberg, ein Katholik, die Regierungsgeschäfte. Er war auch die treibende Kraft hinter der neuen Allianz mit dem Kaiser. Entsprechend verhasst war er am protestantisch gestimmten Hof, besonders bei den fürstlichen Damen.
Aus der Königsberger Zeit ist vor allem Luise Charlottes Engagement für die calvinistische Sache überliefert. Bekanntlich dominierten die Lutheraner im Einvernehmen mit dem polnischen König in Preußen das religiöse Terrain. Die Minderheit der Reformierten erlitt daher Diskriminierung mannigfacher Art. Sie besaß weder Kirche noch Friedhof. Gegen das Verbot des polnischen Lehnsherren sorgten Luise Charlotte und ihre jüngere Schwester, Hedwig Sophie, für die Anlage eines Friedhofes und ließen denselben mit einer schützenden Mauer umgeben[13].
Auch ihre Aufgeschlossenheit gegenüber Dichtung und Musik stammt aus dieser Zeit in Königsberg. Luise Charlotte schätzte den Dichter Simon Dach und seinen Kreis. Bei Hof wurden Werke „aus der Kürbishütte“ sehr geschätzt. Von Simon Dach stammen viele Verse zu festlichen Anlässen des Fürstenhauses. Er hat auch poetische Glückwünsche zu Verlobung und Hochzeit, später dann zur Geburt des ersten Sohnes geschrieben. Zum Domorganisten und Komponisten Heinrich Albert entwickelte sich ebenfalls eine Beziehung. 1642 hat er Luise Charlotte und ihrer Schwester eine Sammlung von Arien gewidmet. Er kommentiert die Widmung mit der Bemerkung, dass die Fürstinnen die Arien
„zum Teil nicht allein gerne musiciren und singen hören, sondern auch ein gnädiges Belieben getragen, etliche aus ihnen zu dero Hochfürstlicher Lust und Ergetzung selbsten zu studiren und sich bekannt zu machen, welches denn durch die gute Anleitung der kunstreichen Hand des berühmten Musikanten Walter Rowe, EE.FF.DD. getrewen Dieners leichtlichen geschehen möge“[14].
Als ein Politikum ersten Ranges sollte sich die Verheiratung der Prinzessin erweisen. Noch zu Lebzeiten des Vaters standen zwei Bewerber mit ernsten Absichten zur Auswahl: Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg und Prinz Kasimir von Polen, ein Bruder des Königs Wladislaus IV. Gegen beide Kandidaten gab es ökonomische bzw. religionspolitische Vorbehalte. Dann starb 1640 Kurfürst Georg Wilhelm und sein Nachfolger, Kurfürst Friedrich Wilhelm, begann, die brandenburgische Politik neu zu profilieren. Er betrieb die Annäherung an Schweden, so dass eine Verbindung mit Polen auch aus diesem Grunde nicht in Frage kam. In der Zwischenzeit hatte sich Markgraf Ernst von Brandenburg als Kandidat präsentiert. Obwohl er nur über bescheidenes Vermögen verfügte und außerdem der lutherischen Konfession angehörte, war Luise Charlotte ihm zugetan und zur Verlobung bereit. Doch der Markgraf verstarb 1642 plötzlich. In einem dritten Anlauf musste der Geheime Rat sich mit folgenden Bewerbern beschäftigen: dem polnischen König Wladislaus IV., Graf Karl Ludwig von der Pfalz und Herzog Jakob von Kurland.
Jakob stand durch seine Mutter, Sophie von Brandenburg, Tochter des „blöden Herren“, Herzog Albrecht Friedrich von Preußen, in verwandtschaftlicher Beziehung zum Haus Hohenzollern[15]. Eine Zeit lang hatte er am Hof seines Oheims Johann Sigismund verbracht. Der Herzog von Kurland befand sich in staatsrechtlicher Hinsicht gegenüber dem polnischen König in derselben Stellung wie der Herzog von Preußen. Unter Jakobs Führung erlebte das Land einen Aufschwung. Er war reich[16], klug[17] und geachtet.
Herzog Jakob von Kurland und Semgallen (1642-1682)
Im Sommer 1644 ließ Jakob in Königsberg durch seinen Rat Professor Christian Derschau die Heiratsabsichten anmelden. Gegenüber den Mitbewerbern (katholisch und machtlos der eine, reformiert und ohne Land der andere) erhielt Jakob den Vorzug, obwohl er lutherischer Konfession war. Im Juli 1645 fand in Königsberg die Verlobung statt, von Simon Dach poetisch gefeiert. In einem späteren Brief an Otto von Schwerin schreibt die Fürstin, dass sie nur auf des Kurfürsten Geheiß und Zusage, denn aus staatspolitischer Räson den Herzog geheiratet habe[18]. Jakob zählte zu der Zeit 34 Jahre, und Luise Charlotte war auch schon 27 Jahre alt.
Am 13. Juli 1645 wurde in Königsberg der Ehevertrag aufgesetzt, in dem an exponierter Stelle das calvinistische Bekenntnis Luises berücksichtigt wurde. Ausdrücklich erwähnt werden die freie Ausübung des Gottesdienstes nach reformierter Art und Bestimmungen über die Konfession der erwarteten Kinder. Die Söhne wie die Töchter sollten bis zum siebten Lebensjahr von der Mutter religiös erzogen werden. „Hernachmals werden Unsere beyderseits Söhne in unserer Evangelischen (d.h. lutherischen) Religion, Unserer Lande Verfassungen und Reversalen gemäß, wie billig auferzogen, die Töchter oder Fräulein aber bleiben auch nach der Zeit nicht minder der freyen Mütterlichen education einen weg wie den andern Unterhaben und Vorbehalten“[19]. Ferner wurde zugestanden, dass bei der Taufe auf den Exorzismus und Altar-Kerzen verzichtet würde. Personen calvinistischen Glaubens sollten im Herzogtum nicht diskriminiert werden[20]. Herzog Jakob verstand sich als Anhänger der Lehre Luthers, war aber kein religiöser Fanatiker, vielmehr tolerant und weitherzig. Aus Rücksicht auf die Mehrheit der orthodoxen Lutheraner im Herzogtum wurden diese religiösen Vereinbarungen allerdings in einem Nebenrezess festgehalten (13. Juli 1645). Jakob besaß ein feines Gespür für die Bedeutung der Konfession und wollte sie als Stütze der Territorialherrschaft nichts aufs Spiel setzen. Dass der lutherische Superintendent Daniel Hafftstein[21] heftig von seinen lutherischen Amtsbrüdern kritisiert wurde, weil er den Wünschen der reformierten Herzogin folgte, offenbart das angespannte konfessionelle Klima in Kurland.
Die materiellen Verpflichtungen wurden im Ehevertrag wie folgt geregelt: Jakob verpflichtete sich zur Zahlung von 1000 Reichstalern als Morgengabe an seine Gemahlin und weiteren 8000 Reichstalern jährlich als Ehegeldern (aus den Einkünften der herzoglichen Ämter Grobin, Oberbartau, Rutzau, Heiligenaa). Von ihrem Bruder sollte Luise Charlotte als „Fräuleinsteuer“ 15.000 Reichstaler „Ehegelder“ und 7500 Reichstaler „Schmuckgelder“ erhalten. Um diese Gelder hat es in der Folgezeit manche Verstimmung und Kontroverse gegeben. Außer- dem wurde im Blick auf die Jülichschen Lande die weibliche Erbfolge mit in den Vertrag aufgenommen. D.h., falls Kurfürst Friedrich Wilhelm kinderlos sterben sollte, würden Luise Charlotte bzw. ihre Kinder das Erbe antreten.
Da Jakobs Pflegemutter, Elisabeth Magdalene von Pommern-Stettin, aus Altersgründen nicht nach Königsberg reisen konnte, sollte die Hochzeit in Kurland stattfinden. Doch gaben Luise Charlottes Mutter und ihre Tante, Eleonore von Schweden, den Zuschlag für Königsberg. Die Hochzeit, zu der auch der König von Polen eingeladen war, fand am 9. Oktober 1645 statt. Die Trauung vollzog...