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E-Book

Zur Farbenlehre

Vollständige Ausgabe

AutorJohann Wolfgang von Goethe
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl1552 Seiten
ISBN9783849616649
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Die auf Johann Wolfgang von Goethe zurückgehende Farbenlehre ist in Goethes Werk Zur Farbenlehre enthalten. Er stellte darin die während vieler Jahre gemachten Überlegungen und Versuche über das Wesen der Farbe dar. Goethe versuchte, das Phänomen Farbe in seiner Gesamtheit - das heißt nicht lediglich einseitig physikalisch oder von einem ästhetischen oder anderen Standpunkt aus - zu erfassen und zu beschreiben. Anerkennung erreichte er aber nur mit dem Abschnitt 'Physiologische Farben', der die Erkenntnisse zur Farbwahrnehmung enthält. Er irrte speziell im Abschnitt 'Physische Farben', der von ihm als Widerlegung der vorwiegend von Isaac Newton stammenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gedacht war. Goethe selbst schätzte die Ergebnisse seiner Forschungen zur Farbe höher ein als die seines gesamten literarischen Schaffens. (aus wikipedia.de)

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Leseprobe

Erste Abteilung – Physiologische Farben


 


Diese Farben, welche wir billig obenan setzen, weil sie dem Subjekt, weil sie dem Auge, teils völlig, teils größtens zugehören, diese Farben, welche das Fundament der ganzen Lehre machen und uns die chromatische Harmonie, worüber so viel gestritten wird, offenbaren, wurden bisher als außerwesentlich, zufällig, als Täuschung und Gebrechen betrachtet. Die Erscheinungen derselben sind von frühern Zeiten her bekannt, aber weil man ihre Flüchtigkeit nicht haschen konnte, so verbannte man sie in das Reich der schädlichen Gespenster und bezeichnete sie in diesem Sinne gar verschiedentlich.

 

2. Also heißen sie colores adventicii nach Boyle, imaginarii und phantastici nach Rizzetti, nach Buffon couleurs accidentelles, nach Scherffer Scheinfarben; Augentäuschungen und Gesichtsbetrug nach mehreren, nach Hamberger vitia fugitiva, nach Darwin ocular spectra.

 

3. Wir haben sie physiologische genannt, weil sie dem gesunden Auge angehören, weil wir sie als die notwendigen Bedingungen des Sehens betrachten, auf dessen lebendiges Wechselwirken in sich selbst und nach außen sie hindeuten.

 

4. Wir fügen ihnen sogleich die pathologischen hinzu, welche, wie jeder abnorme Zustand auf den gesetzlichen, so auch hier auf die physiologischen Farben eine vollkommenere Einsicht verbreiten.

 

 

I. Licht und Finsternis zum Auge

 

5. Die Retina befindet sich, je nachdem Licht oder Finsternis auf sie wirken, in zwei verschiedenen Zuständen, die einander völlig entgegenstehen.

 

6. Wenn wir die Augen innerhalb eines ganz finstern Raums offen halten, so wird uns ein gewisser Mangel empfindbar. Das Organ ist sich selbst überlassen, es zieht sich in sich selbst zurück, ihm fehlt jene reizende befriedigende Berührung, durch die es mit der äußern Welt verbunden und zum Ganzen wird.

 

7. Wenden wir das Auge gegen eine stark beleuchtete weiße Fläche, so wird es geblendet und für eine Zeit lang unfähig, mäßig beleuchtete Gegenstände zu unterscheiden.

 

8. Jeder dieser äußersten Zustände nimmt auf die angegebene Weise die ganze Netzhaut ein, und insofern werden wir nur einen derselben auf einmal gewahr. Dort (6) fanden wir das Organ in der höchsten Abspannung und Empfänglichkeit, hier (7) in der äußersten Überspannung und Unempfindlichkeit.

 

9. Gehen wir schnell aus einem dieser Zustände in den andern über, wenn auch nicht von einer äußersten Grenze zur andern, sondern etwa nur aus dem Hellen ins Dämmernde, so ist der Unterschied bedeutend und wir können bemerken, daß die Zustände eine Zeitlang dauern.

 

10. Wer aus der Tageshelle in einen dämmrigen Ort übergeht, unterscheidet nichts in der ersten Zeit, nach und nach stellen sich die Augen zur Empfänglichkeit wieder her, starke früher als schwache, jene schon in einer Minute, wenn diese sieben bis acht Minuten brauchen.

 

11. Bei wissenschaftlichen Beobachtungen kann die Unempfänglichkeit des Auges für schwache Lichteindrücke, wenn man aus dem Hellen ins Dunkle geht, zu sonderbaren Irrtümern Gelegenheit geben. So glaubte ein Beobachter, dessen Auge sich langsam herstellte, eine ganze Zeit, das faule Holz leuchte nicht um Mittag, selbst in der dunkeln Kammer. Er sah nämlich das schwache Leuchten nicht, weil er aus dem hellen Sonnenschein in die dunkle Kammer zu gehen pflegte und erst später einmal so lange darin verweilte, bis sich das Auge wieder hergestellt hatte.

 

Ebenso mag es dem Doktor Wall mit dem elektrischen Scheine des Bernsteins gegangen sein, den er bei Tage, selbst im dunkeln Zimmer, kaum gewahr werden konnte.

 

Das Nichtsehen der Sterne bei Tage, das Bessersehen der Gemälde durch eine doppelte Röhre ist auch hieher zu rechnen.

 

12. Wer einen völlig dunkeln Ort mit einem, den die Sonnt bescheint, verwechselt, wird geblendet. Wer aus der Dämmrung ins nicht blendende Helle kommt, bemerkt alle Gegenstände frischer und besser; daher ein ausgeruhtes Auge durchaus für mäßige Erscheinungen empfänglicher ist.

 

Bei Gefangenen, welche lange im Finstern gesessen, ist die Empfänglichkeit der Retina so groß, daß sie im Finstern (wahrscheinlich in einem wenig erhellten Dunkel) schon Gegenstände unterscheiden.

 

13. Die Netzhaut befindet sich bei dem, was wir sehen heißen, zu gleicher Zeit in verschiedenen, ja in entgegengesetzten Zuständen. Das höchste nicht blendende Helle wirkt neben dem völlig Dunkeln. Zugleich werden wir alle Mittelstufen des Helldunkeln und alle Farbenbestimmungen gewahr.

 

14. Wir wollen gedachte Elemente der sichtbaren Welt nach und nach betrachten und bemerken, wie sich das Organ gegen dieselben verhalte, und zu diesem Zweck die einfachsten Bilder vornehmen.

 

 

II. Schwarze und weiße Bilder zum Auge

 

 

15. Wie sich die Netzhaut gegen Hell und Dunkel überhaupt verhält, so verhält sie sich auch gegen dunkle und helle einzelne Gegenstände. Wenn Licht und Finsternis ihr im ganzen verschiedene Stimmungen geben, so werden schwarze und weiße Bilder, die zu gleicher Zeit ins Auge fallen, diejenigen Zustände nebeneinander bewirken, welche durch Licht und Finsternis in einer Folge hervorgebracht wurden.

 

16. Ein dunkler Gegenstand erscheint kleiner, als ein heller von derselben Größe. Man sehe zugleich eine weiße Rundung auf schwarzem, eine schwarze auf weißem Grunde, welche nach einerlei Zirkelschlag ausgeschnitten sind, in einiger Entfernung an, und wir werden die letztere etwa um ein Fünftel kleiner, als die erste halten. Man mache das schwarze Bild um soviel größer, und sie werden gleich erscheinen.

 

17. So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in der Konjunktion (der finstere) um den fünften Teil kleiner erscheine als in der Opposition (der volle helle). Die erste Mondsichel scheint einer größern Scheibe anzugehören als der an sie grenzenden dunkeln, die man zur Zeit des Neulichtes manchmal unterscheiden kann. Schwarze Kleider machen die Personen viel schmäler aussehen als helle. Hinter einem Rand gesehene Lichter machen in den Rand einen scheinbaren Einschnitt. Ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat für uns eine Scharte. Die auf- und untergehende Sonne scheint einen Einschnitt in den Horizont zu machen.

 

18. Das Schwarze, als Repräsentant der Finsternis, läßt das Organ im Zustande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, versetzt es in Tätigkeit. Man schlösse vielleicht aus gedachtem Phänomen (16), daß die ruhige Netzhaut, wenn sie sich selbst überlassen ist, in sich selbst zusammen gezogen sei und einen kleinern Raum einnehme als in dem Zustande der Tätigkeit, in den sie durch den Reiz des Lichtes versetzt wird.

 

Kepler sagt daher sehr schön: certum est vel in retina causa picturae, vel in spiritibus causa impressionis exsistere dilatationem lucidorum. Paralip. in Vitellionem p. 220. Pater Scherffer hat eine ähnliche Mutmaßung.

 

19. Wie dem auch sei, beide Zustände, zu welchen das Organ durch ein solches Bild bestimmt wird, bestehen auf demselben örtlich, und dauern eine Zeitlang fort, wenn auch schon der äußre Anlaß entfernt ist. Im gemeinen Leben bemerken wir es kaum: denn selten kommen Bilder vor, die sehr stark voneinander abstechen. Wir vermeiden diejenigen anzusehn, die uns blenden. Wir blicken von einem Gegenstand auf den andern, die Sukzession der Bilder scheint uns rein, wir werden nicht gewahr, daß sich von dem vorhergehenden etwas ins nachfolgende hinüberschleicht.

 

20. Wer auf ein Fensterkreuz, das einen dämmernden Himmel zum Hintergrunde hat, morgens beim Erwachen, wenn das Auge besonders empfänglich ist, scharf hinblickt und sodann die Augen schließt oder gegen einen ganz dunkeln Ort hinsieht, wird ein schwarzes Kreuz auf hellem Grunde noch eine Weile vor sich sehen.

 

21. Jedes Bild nimmt seinen bestimmten Platz auf der Netzhaut ein, und zwar einen größern oder kleinern, nach dem Maße, in welchem es nahe oder fern gesehen wird. Schließen wir das Auge sogleich, wenn wir in die Sonne gesehen haben, so werden wir uns wundern, wie klein das zurückgebliebene Bild erscheint.

 

22. Kehren wir dagegen das geöffnete Auge nach einer Wand und betrachten das uns vorschwebende Gespenst in bezug auf andre Gegenstände, so werden wir es immer größer erblicken, je weiter von uns es durch irgendeine Fläche aufgefangen wird. Dieses Phänomen erklärt sich wohl aus dem perspektivischen Gesetz, daß uns der kleine nähere Gegenstand den...

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