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Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts

Vollständige Ausgabe

AutorHeinrich von Treitschke
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl770 Seiten
ISBN9783849619602
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
1886 wurde Treitschke offizieller Hofhistoriograph des preußischen Staates. Objektivität in der Geschichtsschreibung lehnte er ab. Treitschke stellte seine historische Arbeit in den Dienst politischer Ziele. Sein Hauptwerk, die fünfbändige Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (1879-1894), das mit der Revolution von 1848 schließt, legitimiert die Politik Preußens und seine herausragende Stellung. (aus wikipedia.de)

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Leseprobe

 


Nach dem Friedensschlusse begann für Preußen wieder, wie einst in den Tagen Friedrich Wilhelms I., ein Zeitalter stiller Sammlung, reizlos und nüchtern, arm an großen Ereignissen, reich an Arbeit und stillem Gedeihen, eine Zeit, da das gesamte politische Leben in der Tätigkeit der Verwaltung aufging und das königliche Beamtentum noch einmal seine alte staatsbildende Kraft bewährte. Trotz seiner diplomatischen Niederlagen war der preußische Staat jetzt enger als jemals mit dem Leben der gesamten Nation verbunden. Er beherrschte nur noch etwa zwei Millionen Slawen; er sah, mit Ausnahme der Bayern und der Schwaben, bereits alle deutschen Stämme in seinen Grenzen vertreten und ward auch von den Gegensätzen des religiösen Lebens der Nation stärker als sonst berührt, da nunmehr zwei Fünftel seiner Bevölkerung der katholischen Kirche angehörten; er empfing endlich in den großen Kommunen der Ostseegestade und des Rheinlandes ein neues Kulturelement, das ihn den deutschen Nachbarlanden näherbrachte und gewaltig anwachsend nach und nach auf den gesamten Charakter des Staatslebens umbildend einwirken sollte. Aber welch eine Arbeit, diese neuen Gebiete, die fast allesamt nur widerwillig unter die neue Herrschaft traten, mit den alten Provinzen zu verschmelzen. Niemals in der neuen Geschichte hatte eine Großmacht so schwierige Aufgaben der Verwaltung zu lösen; selbst die Lage des Königreichs Italien nach den Annexionen von 1860 war unvergleichlich leichter.

 

Zu den fünf Millionen Einwohnern, die der Monarchie um das Jahr 1814 übriggeblieben, trat plötzlich eine Bevölkerung von 5 ½ Millionen hinzu – ein Gewirr von Ländertrümmern, zerstreut von der Prosna bis zur Maas, vor kurzem noch zu mehr als hundert Territorien gehörig, seitdem regiert durch die Gesetze von Frankreich, Schweden, Sachsen, Westfalen, Berg, Danzig, Darmstadt, Nassau. Dazu noch eine Unzahl kleinerer Landstriche, die man zur Abrundung von den Nachbarn eingetauscht hatte,– der kleinste der neuen Regierungsbezirke, der Erfurter, umfaßte allein die Bruchstücke von acht verschiedenen Staaten. Auch die altpreußischen Provinzen, welche jetzt zu dem Staate zurückkehrten, hatten unter der Napoleonischen Herrschaft ihre alten Institutionen fast bis auf die letzte Spur verloren. Schon bei der Besitznahme der neuen Provinzen entspann sich überall Streit mit mißgünstigen Nachbarn. Das russische Gouvernement in Warschau befahl noch im Frühjahr 1815 umfassende Domänenverkäufe in Posen; ebenso Darmstadt im Herzogtum Westfalen; auch die österreichisch-bayrische Verwaltung in den Ländern an der Mosel und Nahe erhob zum Abschied Renten und Steuern im voraus und ließ die Wälder bei Boppard niederhauen. Nassau weigerte sich, den Verträgen zuwider, das Siegensche zu räumen, bis Hardenberg drohte, das Land ohne Übergabe besetzen zu lassen. Die Russen hatten selbst Danzig nur ungern ausgeliefert; in Thorn blieb ihre Garnison, trotz dringender Mahnungen, bis zum 19. September 1815 stehen. Dann vergingen noch Jahre, bis der neue Besitzstand durch Verträge mit den grollenden Nachbarstaaten rechtlich gesichert wurde. Erst im Jahre 1816 wurde mit den Niederlanden, 1817 mit Rußland ein Grenzvertrag geschlossen; mit dem tiefgekränkten Dresdner Hofe mußten bis in das Jahr 1819 hinein kleinliche und peinliche Verhandlungen wegen der neuen Grenze geführt werden, und erst im Jahre 1825 war die Auseinandersetzung über alle zwischen den beiden Nachbarn streitigen Vermögensobjekte vollendet.

 

Nun erhob sich die Aufgabe, das also dem Neide Europas mühsam entrungene Gebiet einer gleichmäßigen Verwaltung zu unterwerfen; es galt, die Ausländerei im Inlande, die Kleinstaaterei im Großstaate zu überwinden, alle diese Trümmerstücke der deutschen Nation, die miteinander noch nicht viel mehr als die Sprache gemein hatten, mit einer lebendigen Staatsgesinnung zu erfüllen. Gelang das Werk der politischen Verschmelzung in dieser Hälfte Deutschlands, so war die Nichtigkeit des Partikularismus durch die Tat erwiesen und der Boden bereitet für den Neubau des deutschen Gesamtstaates; die Vollendung des preußischen Einheitsstaates gab dieser Epoche unserer politischen Geschichte ihren eigentlichen Inhalt. Die Aufgabe war um so schwieriger, da die Monarchie, als sie die neuen Provinzen erwarb, sich schon mitten in einem gefährlichen Übergangszustande befand: fast auf allen Gebieten der Gesetzgebung waren umfassende Reformen erst halb vollendet, und doch fehlte die in Wahrheit leitende Hand, stark genug, jene Überfülle von Talenten, die dem Staate diente, unter einen Willen zu beugen. Kein anderer Staat jener Tage zählte in den Reihen seiner Beamten eine solche Schar ungewöhnlicher Menschen: Verwaltungstalente wie Vincke, Schön, Merckel, Sack, Hippel, Bassewitz; Finanzmänner wie Maaßen und Hoffmann; Techniker wie Beuth und Hartig; Juristen wie Daniels und Sethe; unter den Diplomaten Humboldt, Eichhorn, Niebuhr; dazu die Generäle des Befreiungskrieges und die Größen der Kunst und Wissenschaft. Sie alle waren gewohnt, an den Taten der Staatsregierung eine rücksichtslos freimütige Kritik zu üben, die als ein Vorrecht des hohen Beamtentums, als ein Ersatz gleichsam für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt den alten Parteistreit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine Masse persönlichen Hasses und sachlicher Gegensätze, als eine böse Erbschaft in die Tage des Friedens hinüber. Aus diesen Kreisen drang Tadelsucht und Klatscherei in alle Klassen der Gesellschaft; der Staat, der bei allen Gebrechen seiner Unfertigkeit doch die beste und sparsamste Verwaltung Europas besaß, ward in den Briefen und Gesprächen seiner eigenen treuen Diener so maßlos gescholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von Betrügern und Toren, rettungslos dem Verderben entgegen.

 

Vier keineswegs klar geschiedene Parteien bekämpften einander innerhalb der Regierung. Die alte Schule der absolutistischen Hofleute und Beamten zählte nur noch wenige Anhänger, doch sie gewann jetzt mächtige Bundesgenossen an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Minister Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und fast alle Geheimen Räte der Ministerien bekannten sich zu dem bureaukratischen Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht ausschloß, daß ihrer viele den Staatskanzler persönlich heftig bekämpften, wieder eines andern Weges ging die kleine Schar der aristokratischen Reformer, die noch an Steins Gedanken festhielten. Die Schwarmgeisterei der teutonischen Jugend fand unter den gewiegten Geschäftsmännern des hohen Beamtentums zwar manchen nachsichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener finstere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen selbst zurück. Seit Schmalz seinen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und giftigen Flüsterreden kein Ende. Nicht bloß Stein, der erklärte Gönner Arndts, sondern auch der Staatskanzler selbst ward des geheimen Einverständnisses mit den Deutschtümlern beschuldigt, obgleich Hardenberg die jugendlichen Einheitsschwärmer als unbequeme Störer seiner dualistischen Politik ansah und sie selbst in seinem verschwiegenen Tagebuch immer nur mit ärgerlichem Tadel behandelte.

 

So scharfe Gegensätze in fester Zucht zu halten, war der schonenden Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rücksichtsvoll gegen seine Räte ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwischen, wurde eine neue Kraft in die Negierung berufen, so pflegte man ein Ministerialdepartement in zwei Teile zu zerlegen, nur um den alten Minister nicht zu kränken, der oft ein Gegner des neuen war. Vollständige Übereinstimmung unter den Ministern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende stets nach seinem freien Ermessen entschied, wie viele Stürme waren über das Land dahingebraust in den kurzen zwei Jahrzehnten, seit Friedrich Wilhelm die Krone trug; den Rückschauenden war, als ob die Anfänge seiner Regierung um mehrere Menschenalter zurücklägen. Das treue Volk der alten Provinzen nannte den König jetzt schon, da er noch in der Kraft der Mannesjahre stand, kurzweg den alten Herrn und wußte tausend Geschichten von seiner verlegenen und doch so herzlich wohltuenden Leutseligkeit. Seine Berliner lebten mit ihm und erwarteten als ihr gutes Recht, daß er häufig in seinem einfachen Soldatenüberrocke durch den Tiergarten ging, daß er mittags, wenn die Wachtparade aufzog, an dem allbekannten Eckfenster seines unscheinbaren Palastes sich zeigte und abends halb versteckt in seiner Loge einem Lustspiel, einer Oper oder einem Ballett zusah – denn die Tragödie liebte er wenig, weil das Leben selbst des Traurigen genug biete.

 

Die Erfahrungen einer großen Zeit hatten sein Selbstgefühl etwas gekräftigt; er erschien fester und sicherer, aber auch noch ernster und schweigsamer als vor Jahren. Eine stille Trauer lag auf seinen freundlichen Zügen und schwand nur selten, wenn er etwa seinen lebensfrohen Kindern und dem Großfürsten Nikolaus auf der Pfaueninsel ein ländliches Fest gab. Der bequeme Nationalismus seiner Jugendbildung genügte ihm längst nicht mehr; schon während der schweren Tage in Königsberg hatte er in einem festen Bibelglauben seinen Trost gefunden und sich mit dem ehrwürdigen Bischof Borowsky befreundet. Jetzt wuchs in ihm von Jahr zu Jahr die Sehnsucht nach dem Ewigen, fromme Betrachtungen und theologische Studien füllten einen guten Teil seiner freien Stunden aus. Obschon er den Gram um seine...

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