Was der Figur des Columbus die donquichotische Prägung verleiht, ist nicht bloß der eine zentrale Irrtum, der ihn bis zu seinem Tod aufs leidenschaftlichste die Erkenntnis abwehren hieß, daß er einen neuen Kontinent, eine neue Welt entdeckt hatte, es ist im weitesten Ausmaß Richtung und Anlage seines Geistes, alle dessen Behelfe, Berufungen, Urteile, Schutzwaffen, Verklausulierungen und Kundgebungen. Und zwar so sehr, daß ich die Empfindung nicht loszuwerden vermag, Cervantes müsse bei der Konzeption seines unsterblichen Junkers von diesem realen Vorbild beeinflußt worden sein. Man darf nicht glauben, daß ein Genius solchen Ranges seine welthistorische Gestalt sozusagen in einer privaten Dichterlaune zeugte. An einer so großartigen Vision hat das Volk, die Nation keinen geringeren Anteil als der unmittelbare Erschaffer, der sie zur Sichtbarkeit bringt. Die Jahrhunderte arbeiten schweigend daran, bis der Auserwählte ihr die gültige Form gibt.
Die Assoziation ist weder willkürlich, noch entspringt sie einer literarischen Marotte. Ich habe mich lange gegen sie gesträubt. Aber der Blickpunkt war in jeder Hinsicht aufklärend. Bevor ich ihn erlangt hatte, sah ich das Bild des Mannes nicht. Bei genauer Betrachtung hatten die verschiedenen Charakterzüge etwas Zerspaltenes, es war oft, als seien drei, vier Personen in ihm gemischt, wie wenn er gar nicht wirklich gelebt hätte, sondern bloß eine stümperhafte Erfindung der Historiographen sei, symbolischer Entdeckerheros, eine zu Verklärungszwecken unternommene Zusammensetzung von Eigenschaften.
Er erschien mir ungewöhnlich borniert, zugleich aber vorbestimmt, die begrifflichen Grenzen seiner Zeit in ungeahnter Weise zu erweitern und ihre Vorstellungswelt umwälzend zu verändern. Er ist frommer Katholik und dabei von einem heidnischen Aberglauben in bezug auf alle Naturgesetze und Naturvorgänge erfüllt. Seiner Idee bis zum Paroxysmus, bis zur Selbstauslöschung hingegeben, beugt er sich jeder Gewalt von außen, gehorcht er jeder Einflüsterung, verfällt er jeder Täuschung. Praktisch, schlau und geschickt in der Anlage seiner Pläne, zeigt er sich bei der Ausführung dilettantisch, kurzsichtig und eigensinnig. Er ist finster wie ein Mönch, verschlagen wie ein Bauer, hat keinen Schimmer von Humor, nicht der leiseste Strahl von Heiterkeit liegt über seinem Wesen, alles an ihm ist Seufzen, Klage, Bedrücktheit, Dumpfheit, dennoch sind seine Leidensfähigkeit und seine Geduld im Ertragen des Leidens außerordentlich und haben etwas Rührendes wie Züge aus einem Heiligenleben. Er hat fast nichts gelernt und weiß alles, was seinen Zwecken dient. Er ist kränklich und erträgt mit eiserner Ausdauer die beispiellosesten Strapazen. Er stammt aus dem untersten Volk und hat die Manieren eines Grande und den Briefstil eines Machiavell. Lebensgenuß kennt er nicht, Häuslichkeit bedeutet ihm nichts, er ist bedürfnislos wie ein Derwisch und vermag weder zu erwerben noch zu besitzen, aber er stirbt vor Kummer, weil er die vierzigtausend Pesos nicht bekommen kann, die ihm das Kolonialamt schuldet.
Solche komplizierten Charaktere sind selten in der Geschichte, und wenn sie vorkommen, kümmert sich die Überlieferung nicht um Widersprüche und Feinheiten, die Zeit vereinfacht, indem sie das Allgemeine und Allgemeinverständliche an die Oberfläche treibt. Infolgedessen wird jede große historische Figur nach einigen Jahrhunderten zum verwitterten Torso, und um die tausendfältigen Wahrheiten des Lebens zu finden, muß sie wie aus dem Traum wiedergeboren werden.
Den vorgebildeten Don Quichote in Columbus sehen, das hieß: ihn sehen. Allerdings ist Don Quichote ein spezifisch spanischer Typ, und Columbus war Italiener. Er hat ja auch hervorstechende Kennzeichen seiner Nation; der Nepotismus, den er als Großadmiral treibt, ist zum Beispiel eines. Söhne, Brüder, Schwäger gehen ihm über alle andern; wo Ämter oder Ehrenstellen in den neuen Ländern zu vergeben sind, beansprucht er sie für seine Verwandten. Die Zähigkeit im Verfolgen eines Ziels, die Bescheidenheit der Lebensführung, die blendende Beredsamkeit, das alles sind sehr italienische Züge. Aber wenn er nicht Spanier von Geblüt ist, so wird er es durch Anschmiegung und Einfügung, durch die Sprache, die Landschaft und durch seinen Entschluß. Er ist ein Heimatloser, ein Wanderer, er ist nie seßhaft, er kehrt nur ein, er faßt nicht Wurzel, er läßt sich nur nieder.
Das Merkwürdigste an ihm, das Don-Quichote-Ähnlichste, ist der Bestimmungshochmut, Bestimmungsdünkel, unleugbar eine Kraft, eine sehr einsam machende Kraft, deren verhängnisvolle Wirkung ist, Mißverständnisse über den zu erzeugen, der sie besitzt, und ihn außerhalb der Liebe zu stellen. Wer könnte auch einen Don Quichote lieben, es sei denn, man liebe ihn als Gestalt, und wer könnte ihn verstehen, es sei denn, dreihundert Jahre, nachdem er gelebt hat? Ich hätte nicht einen Tag mit ihm sein können, jede seiner Äußerungen wäre mir unleidlich, jede seiner Handlungen widerwärtig gewesen. Und doch, was für ein ewiges Inbild des Menschentums, menschlicher Torheit, Verwirrung und Größe! Jener Bestimmungshochmut oder Bestimmungsdünkel beruht hier auf einer von der Natur aus gesehen tiefsinnigen Umlagerung spanisch-katholischer Dogmenstarrheit, wodurch der Charakter, als Niederschlag nationalen Wesens, sehr sublimiert erscheint, sehr umwegig, sehr spiegelungsreich, und fast denkmalhaft in der Mitte steht etwa zwischen der Cidgestalt und dem finstern Torquemada.
Wenn sich Columbus für einen vom heiligen Geist Erleuchteten gibt, so ist er bis ins Herz davon durchdrungen. Wenn er beteuert, daß er ohne die vierundzwanzig Bücher des Alten Testaments, die vier Evangelien und die dreiundzwanzig Apostelbriefe nichts ausgerichtet hätte, so ist es keine Floskel, keine Hypokrisie, kein Versuch, sich den Machthabern der Kirche genehm zu machen, sondern es ist sein bitterer, tiefer Ernst. Und wenn er sich auf den Marco Polo und den Sir John Mandeville stützt, so geschieht es mit derselben Dankesgeste und derselben Glaubensinbrunst, mit der Don Quichote den Don Belianis und den Amadis von Gallien seine Lehrer und Vorbilder nennt. Manche geschichtliche Anekdoten verhalten sich zu der Person, in deren Namen sie umlaufen, wie die falschen Ergänzungen zu antiken Statuen. So die sattsam bekannte Erzählung, nach welcher Columbus, um den Zweiflern und Nörglern zu zeigen, daß es gar nichts so Schweres gewesen, was er vollbracht, ein Ei mit der Spitze auf den Tisch drückte, nachdem sich alle Anwesenden vergeblich bemüht hatten, es zum Stehen zu bringen, wie verlangt worden war. (Nebenbei bemerkt, soll der wahre Urheber des Kunststückchens Brunelleschi sein, der an diesem Beispiel seinen Widersachern beweisen wollte, daß die ellipsoide Kuppel des Florentiner Doms baumöglich sei.) Niemals wäre Columbus dessen fähig gewesen. Er hätte sich selbst damit verleugnet. Da ihm als gläubigem Katholiken jede Geistes- und Entschlußfreiheit fremd war, konnte er sich nicht dazu bekennen und sie rühmen. Nicht als etwas Geringes und Zufallhaftes erschien ihm seine Tat, sondern im Gegenteil, sie war etwas so Ungeheures, etwas so unausdrückbar Großes in seinen Augen, daß sie nur durch das unmittelbare Eingreifen Gottes möglich war.
Die unerhörten Forderungen erregten am Hof solchen entrüsteten Unmut, daß von weiteren Verhandlungen einstweilen keine Rede war. Ein bettelhafter Glücksritter, Ausländer ohne Namen, erdreistete sich, Anspruch auf die höchsten Staatsämter, ja auf königlichen Rang zu erheben; dafür gab es noch kein Beispiel, in das ärgerliche Staunen mischte sich Hohn, es hieß, der Genuese habe wahrscheinlich unter der spanischen Sonne gelitten, und wenn er tiefsinnig und düster mit gesenktem Haupt über die Straße ging, äfften ihn die Kinder nach und die Erwachsenen deuteten mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn.
Nach einer Weile wurde ein Vergleich versucht, allein Columbus ließ sich nichts abmarkten, für jeden Einwand war er taub, den Vorhaltungen seiner Freunde setzte er ein kaltes Schweigen entgegen, und um zu beweisen, daß er in keinem Punkt zur Nachgiebigkeit gesonnen sei, traf er wieder einmal Anstalten zur Abreise. Die Königin konnte nicht schlüssig werden. Es scheint, daß sie ausgleichend und versöhnend zwischen den schroff aufeinanderprallenden Meinungen des Erzbischofs und des Schatzmeisters Santangel stand. Diese beiden fochten den entscheidenden Kampf aus, wer siegen würde, ließ sich nicht absehen. Talavera wies mit verstärktem Nachdruck darauf hin, daß dieser Columbus nur ein unfruchtbarer Träumer sei; die Forderungen erklärte er auch im Falle des glücklichen Erfolgs für ungemessen, ja frevlerisch, wenn aber die Sache fehlschlage, würde dadurch die Leichtgläubigkeit der spanischen Herrscher ins Lächerliche gezogen werden. Isabella konnte nicht wagen, ihm zu widersprechen. Sie war gegen die Granden der Kirche so demütig wie eine Frau aus dem Volk. Hatte ihr doch einst der General des Franziskanerordens während der Erörterung einer weltlichen Angelegenheit zugerufen: »Ich bins, der recht hat, und wenn ich auch mit der Königin von Kastilien spreche; was ist sie? Ein Häuflein Staub wie ich.«
Auch sie war der Meinung, die möglichen Vorteile würden um zu großen Preis erkauft. In ihrer Denkungsart zu redlich, um gewisse jesuitische Andeutungen Santangels zu verstehen, daß ein unterschriebener Vertrag nicht in allen Teilen erfüllt werden müsse, wandte sie sich an Columbus selbst, fand ihn aber zu ihrer...