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E-Book

Die Deutsche Hanse

Eine heimliche Supermacht

AutorGisela Graichen, Rolf Hammel-Kiesow
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783644024816
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Die spannende, zweiteilige Terra-X-Dokumentation über die Deutsche Hanse ist jetzt auch auf DVD erhältlich. Laufzeit: ca. 90 Min. Januar 1358: Ein genialer Propaganda-Coup gelingt. Ein loser Handelsverbund von Fernkaufleuten und Städten gibt sich einen Namen: die DUDESCHE HENSE, als Eigenbezeichnung für eine nordeuropäische Supermacht des Geldes. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht gehören ihr bis zu 200 europäische Städte an. Wieso wurde die Hanse so stark, dass sie über fast ein halbes Jahrtausend die Welthandelsmärkte des Mittelalters von Russland bis Flandern prägte, von Island bis Venedig ein lukratives Handelsnetz aufbauen konnte und sogar Kriege gegen Könige führte? Was war das Geheimnis ihres Erfolges? Die Deutsche Hanse, das Imperium der Kaufleute, ist weit mehr als eine Geschichte von Pfeffersäcken und Piraten, Koggen und Karawanen, Raubrittern und Kaperfahrern. Dieses Buch erzählt von Wagemut und Betrug, von Spekulantentum und Finanzkrisen, von Abenteurern und Glücksrittern. Und es geht zugleich der Frage nach, wie modern die Hanse eigentlich war. Ein neues Standardwerk über die Geschichte der Hanse - anschaulich und spannend erzählt, durchgehend vierfarbig illustriert.

Gisela Graichen studierte Publizistik, Rechts- und Staatswissenschaften und ist Diplom-Volkswirtin. Für das ZDF hat die Buch- und Filmautorin unter anderem die erfolgreiche Archäologiereihe «Schliemanns Erben» und die Wissenschaftsserie «Humboldts Erben» entwickelt. Sie lebt in Hamburg.

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Leseprobe

2 Gotland, Nowgorod und Riga – die frühe Hanse entsteht


Soest, Dortmund und Westfalen auf der Ebstorfer Weltkarte, der mit rund 13 m² größten Weltkarte des Mittelalters. Sie wurde um 1300 im Kloster Ebstorf in der Lüneburger Heide hergestellt.

Die Gefahr von Überfällen zwingt die Kaufleute im hohen Mittelalter zum Karawanenhandel beziehungsweise auf See zur Fahrt im Konvoi. Solche Fahrtgemeinschaften von Handelskaufleuten nennt man im westlichen Europa im 12. Jahrhundert hanse. In der Regel bilden Kaufleute aus jeweils einer Stadt eine solche Fahrtgemeinschaft. Das ist bis ans Ende des 13. Jahrhunderts oft überliefert. Im 12. Jahrhundert waren es wohl herrschaftliche Verbände, deren Ältermann zwar von den Kaufleuten selbst gewählt, aber vom Stadtherrn eingesetzt und mit den notwendigen Vollmachten versehen wurde. Von Lübeck aus fuhren die Kaufleute gemeinsam Richtung Gotland. Noch 1275 lässt der Lübecker Rat sich von seinem Stadtherrn, König Rudolf von Habsburg, bestätigen, dass die Kaufleute der Stadt auf ihren Handelsfahrten im fremden Land selbst ihre Morgensprache halten, das heißt über ihre Angelegenheiten beraten und beschließen dürfen.

Diese einzelstädtische Organisationsform ist in der damaligen Zeit der Normalzustand. So wird es in der Regel auch am Zielort gehalten. Die Kaufleute aus den großen italienischen Handelsstädten, aus Lucca, Genua, Florenz, Mailand, Venedig und anderen, bleiben aus rechtlichen Gründen (so zum Beispiel in Brügge) jeweils unter sich und entwickeln sich zu eigenen Körperschaften. Sie bilden keine Handelsgesellschaften mit Kaufleuten einer anderen italienischen Stadt, auch Heiratsverbindungen zwischen Familien dieser Städte sind im Ausland nicht überliefert.

Die niederdeutschen Kaufleute überwinden diese einzelstädtische Organisationsform und legen dadurch das Fundament der Hanse. Ereignisse in vier Regionen zeigen, wie dies vonstattenging.

Die deutschen Kaufleute segeln nicht nur nach Schweden, Gotland und Nowgorod. Sie versuchen über sämtliche Seehandelsplätze und Flussmündungen ins Innere Russlands vorzustoßen. So auch über das Mündungsgebiet der Düna (lett.: Daugava, russ.: Sapadnaja Dwina) im heutigen Lettland. Die Düna ist ein gut schiffbarer Fluss, der auf rund 1000 Kilometern Länge das russische Hinterland erschließt. An seinem Oberlauf liegt Witebsk. Von dort aus erreicht man nach einem relativ kurzen Landweg zudem die Stadt Smolensk am Dnjepr, der seit der Wikingerzeit vielbefahrenen Wasserstraße nach Kiew, zum Schwarzen Meer und schließlich nach Konstantinopel. An diese Handelsverbindungen suchen die niederdeutschen Kaufleute Anschluss.

Heinrich von Lettland berichtet in seiner zwischen 1224 und 1227 in Latein geschriebenen livländischen Chronik, dass der Missionar Meinhard aus dem Augustinerkloster in Segeberg um 1184 «mit einer Gesellschaft von Kaufleuten nach Riga [kam]». Genauer wäre: dorthin, wo siebzehn Jahre später die Stadt Riga gegründet wurde. Und er fährt fort: «Deutsche Kaufleute nämlich, mit den Liven in Freundschaft verbunden, pflegten Livland häufig zu Schiff auf dem Dünastrom zu besuchen.» Livland umfasste ungefähr die heutigen Staaten Estland und Lettland.

Aus dieser Hilfeleistung erwächst den Kaufleuten in den nächsten Jahrzehnten ein mächtiger Verbündeter: die römischkatholische Kirche, die ihre Mission genannte Machtexpansion mit Unterstützung vor allem des deutschen und dänischen Adels nach Livland trägt. Bald wird der Krieg gegen die Heiden in Livland vom Papst mit dem Kampf gegen die Ungläubigen im Heiligen Land gleichgesetzt. Die Kreuzfahrer selbst und der Nachschub für sie schiffen in erster Linie in Lübeck in die Koggen der Kaufleute ein. So geraten Lübeck und die frühhansischen Kaufleute ins Blickfeld des Papstes. Das wird für sie in den kommenden Jahrzehnten nützlich sein.

Die Kaufleute sind an vielen Kriegszügen gegen die Liven, Esten und andere Stämme aktiv beteiligt. Die Christianisierung bringt viele Vorteile für sie. Mit der römisch-katholischen Kirche wird deren Rechtssystem in den eroberten Gebieten eingeführt. Das sind dieselben Rechtsnormen, die in «Alteuropa» gelten. Für die Kaufleute bedeutet dies mehr Sicherheit im Handel, als wenn sie sich mit Sitten und Gebräuchen völlig andersartiger Kulturen auseinandersetzen müssen.

Im Jahr 1201 verbietet Papst Innozenz III. unter Androhung des Bannes den Kaufleuten, die in Semgallen Handel treiben wollen, den dortigen Hafen anzulaufen, der an der (damaligen) Mündung der Kurländischen oder Semgaller Aa liegt. Das ist selbstverständlich nicht die Idee des Papstes. Er entspricht damit der Bitte des Bischofs Albert von Riga. Sinn und Zweck des Verbotes ist es, den Handelsverkehr nach Semgallen nicht mehr direkt, sondern nur noch über die im selben Jahr gegründete Stadt Riga laufen zu lassen. Heinrich von Lettland berichtet weiter: Dem Verbot, den Hafen anzulaufen, «haben die Kaufleute später selbst zugestimmt und auf gemeinsamen Beschluss [communi decreto] denselben Hafen unter Verbot gestellt, so dass, wer es weiterhin wagte, ihn zu Handelszwecken aufzusuchen, Gut und Leben verlieren sollte. Als darum später, zwei Jahre nach der Erbauung der Stadt [Riga], einige ihre Verpflichtung brechen wollten, wurden sie zuerst von allen Kaufleuten angelegentlich ersucht, nicht nach Semgallen zu gehen. Sie fuhren jedoch, des päpstlichen Befehls wie des gemeinsamen Beschlusses der Kaufleute nicht achtend, in ihrem Schiffe die Düna hinunter. Als die anderen ihren Übermut gewahrten, führten sie ihre Schiffe heran und griffen sie an. Zuletzt nahmen sie zwei Leute, den Lotsen nämlich und den Schiffsführer, gefangen und brachten sie grausam um; die anderen aber wurden zur Rückkehr gezwungen.»

Der Ostseeraum, das Ziel der niederdeutschen Kaufleute im 13. Jahrhundert

Das ist der erste schriftliche Hinweis auf eine Organisation niederdeutscher Kaufleute im Ostseeraum. Es ist von einem gemeinsamen Beschluss der Kaufleute die Rede sowie davon, dass derjenige, der gegen den Beschluss verstoße, seine Güter und sein Leben verlieren solle. Der Bericht zeigt anschaulich, mit welch harten Mitteln das Einhalten einmal gefasster Beschlüsse erzwungen wird.

Heinrich von Lettland beschreibt hier das Prinzip der Einung. In einer Einung schließen sich besonders in Zeiten der Gefahr Individuen auf freiwilliger Basis zu gegenseitiger Hilfe zusammen und vereinbaren ihr Vorgehen sowie die Strafen für diejenigen, die den im Konsens gefassten Beschlüssen zuwiderhandeln. Dieses Vorgehen heißt Willkür, das bedeutet «nach eigenem Willen küren», nach eigenem Willen einen Beschluss fassen.

Heute hat die Willkür einen schlechten Ruf, weil die Juristen der fürstlichen Landesherren bei der Festigung der Landesherrschaft in den Territorialstaaten in der frühen Neuzeit alles daran setzten, dieses von alters her geltende Recht der Menschen, über die inneren Angelegenheiten ihrer Verbände frei und gemeinsam zu entscheiden, in Misskredit zu bringen und alles der fürstlichen Rechtsprechung unterzuordnen. Sie hatten Erfolg; denn nach unserem heutigen Sprachverständnis handelt der «willkürlich», der sich nicht an rechtliche Vorgaben hält oder prinzipienlos und unmethodisch vorgeht.

1229 sind die Mitglieder der Führungsgruppe solcher Kaufleute erstmals namentlich und mit ihren Herkunftsorten genannt. Vier Kaufleute aus Riga, je zwei aus Visby, Lübeck, Soest, Münster, Dortmund und einer aus Bremen schließen einen Vertrag mit dem Fürsten von Smolensk. Ihre Herkunftsstädte liegen in verschiedenen Herrschaftsgebieten, Riga und Visby gehören nicht einmal zum Heiligen Römischen Reich. Dennoch erkennt der Fürst von Smolensk diese Gruppe als Rechtspartner an, und diese beglaubigt den geschlossenen Vertrag mit dem «Siegel aller Kaufleute».

Anhand der Herkunftsstädte der Kaufleute, die 1229 den Vertrag mit dem Fürsten von Smolensk schließen, lässt sich die enorme geographische Weite der Einung der niederdeutschen Kaufleute veranschaulichen.

Vermutlich handelt es sich um das Siegel der Gotland besuchenden Deutschen. Das ist zwar erst 1260 als Original überliefert, könnte aber bereits 1201 in Gebrauch gewesen sein, als die Kaufleute in der Semgaller Angelegenheit gemeinsam handelten.

Urkunde mit den Siegeln der gotländischen (links) und der deutschen Gemeinde (rechts) in Visby aus dem Jahr 1280

Die Umschrift des Siegels lautet: SIGILL[UM] THEVTHONICO[RUM] GVTHLA[N] DIA[M] FREQVENTANTIVM (Siegel der Deutschen, die Gotland aufsuchen). Im Text einer Urkunde aus dem Jahr 1291 nennen sie sich «Gemeinschaft der Kaufleute, die Gotland um des Handels willen besuchen» (universitas mercatorum terram Gotlandie gratia mercandi applicantium).

Außerdem gibt es auf Gotland eine zweite Einung deutscher Kaufleute, diejenigen, die sich in Visby niedergelassen haben. Sie versehen ihr 1280 überliefertes Siegel mit der Umschrift: SIGILL[VM] THEVTONICO[RUM] IN GOTLANDIA MANENCIVM (Siegel der Deutschen, die auf Gotland wohnen).

Selbstverständlich lösen sich die einzelstädtischen Fahrtgemeinschaften durch den Zusammenschluss nicht auf, sondern bestehen innerhalb der umfassenden Einung weiter. Zum Beispiel in der Einung der Gotland besuchenden Kaufleute. Denn wie zum Beweis schreibt der Rat von...

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